Gorges du Verdon: Oktoberstimmung in der Clue de Carejuan. Foto: Hilke Maunder

Frankreichs Canyon-Land

Die Provence ist Frankreichs Canyon-Land: Nirgendwo zwischen Calais und Cannes gibt es im Hexagon so eindrucksvolle Schluchten – und hat mir beim Autofahren durch die vielen gorges so der Atem gestockt! Geschaffen wurden sie im Quartär. Damals bedeckten eiszeitliche Gletscher die Provence.

Als sie schmolzen, entstanden mächtige Flüsse, die sich tief in den Kalk eingruben. Besonders gewaltig war der Verdon. Mächtig wie der Nil war der Fluss einst. Tief wie kein anderer Storm des Landes fräste er sich in die Hochebene von Canjuers ein und schuf im Kalk Europas größte Schlucht: die Gorges du Verdon. 

Moustiers-Ste-Marie: Das Bilderbuchdorf hangelt sich an ausgemergelten Felsspitzen empor. Foto: Hilke Maunder
Moustiers-Ste-Marie: Das Bilderbuchdorf hangelt sich an ausgemergelten Felsspitzen empor. Foto: Hilke Maunder

Gorges du Verdon: Europas Grand Canyon

Bis zu 700 Meter hoch ragen ihre weißen Felswände auf. Zwischen Castellane und dem Lac de Sainte-Croix bei Moustiers-Sainte-Marie, das ich euch in diesem Beitrag vorgestellt habe, hat sich der Verdon auf 21 Kilometer Länge bis zu 700 Meter tief eingegraben.

Seit der Vorzeit haben Menschen in diesem riesigen Canyon gelebt. Wie es damals dort ausgesehen hat, verrät das Musée de Préhistoire des Gorges du Verdon. Einer prähistorischen Höhle gleich hat Stararchitekt Lord Norman Foster sein Gebäude gestaltet.

Spuren der Vorzeit

Gorges du Verdon: Der Verdon kurz vor der Mündung in den Lac de Sainte-Croix. Foto: Hilke Maunder
Der Verdon kurz vor der Mündung in den Lac de Sainte-Croix. Foto: Hilke Maunder

Vor dem Bau der Staudämme in den 1960er-Jahren hatten Forscher vielerorts Ausgrabungen in der Schlucht durchgeführt und Spuren der menschlichen Besiedlung im Verdon gesammelt, vor allem in der Höhle La Baume Bonne. Ihre Exponate und Erkenntnisse lassen Vorgeschichte der Provence hautnah lebendig werden.

Im Atrium begrüßt euch ein Mammut, umgeben von Säbelzahntiger, Megaloceros-Hirsch, Wollnashorn und Rentier. Die Dauerausstellung erzählt in 20 Sälen von der Entstehung des Verdon bis zur Eroberung durch die Römer. Alle Ausstellungsstücke – Faustkeile, Werkzeuge, Waffen, Keramik und Schmuck– sind Originale, die Tafeln mit kurzen Texten, Modelle, Karten, Filme und interaktive Konsolen vorstellen.

Ein Bauernhof in den Gorges du Verdon. Foto: Hilke Maunder
Ein Bauernhof in den Gorges du Verdon. Foto: Hilke Maunder

Panorama-Routen

Zwei Panoramastraßen erschließen die Schlucht. Am Nordufer leitet die D 952 zum Point Sublime und Belvédère de Mayreste. Ab La-Palud-sur-Verdon führt die Route des Crêtes (D 23) als große Runde zu weiteren schwindelerregenden Aussichtspunkten direkt an der Canyonkante.

Die Panoramastraße des Südufers ist die Corniche Sublime (D71) nach Aiguines. Haltet an den Balcons de la Mescla, am Pont de l’Artuby und am Cirque de Vaumale an, um einen Blick in die Tiefe zu riskieren. Wer lieber ein wenig wandern möchte, kann bei Rougon einer Route zum Aussichtspunkt Belvédère du Couloir Samson folgen.

Ein Blick in dine Tiefe der Gorges du Verdon von der Routes des Crêtes. Foto: Hilke Maunder
Ein Blick in dine Tiefe der Gorges du Verdon von der Routes des Crêtes. Foto: Hilke Maunder

Outdoor mit Kick

Staustufen haben den Verdon gezähmt. Fluor hat seine Fluten smaragdgrün gefärbt. Öffnen die Staustufen bei einem lacher d’eau die Tore, freuen sich Raftingfans und Paddler über weiß schäumendes Wildwasser. Am Pont de l’Artuby springen Bungee-Jumper in die Tiefe. Paraglider schweben über den Felsspitzen.

Direkt am Straßenrand wird für die Kletterpartie abgeseilt. Canyoning, Survival, Wasserwandern: Kaum ein Kick, den der Verdon als Abenteuerspielplatz für Outdoor-Fans heute nicht bereithält.

Mit der Suche nach dem besten Ort zum Abseilen beginnt meist jede Klettertour. Die wichtigsten Routen stellt der jährlich aktualisierte Führer der Klettervereinigung Lei Lagramusas vor. Sehr beliebt sind auch Canyoning-Touren.

Kletterer an den Gorges du Verdon. Foto: Hilke Maunder
Kletterer an den Gorges du Verdon. Foto: Hilke Maunder

Die Erkundung der Schlucht

Erst 1905 gelang es dem französischen Höhlenforscher Edouard Alfred Martel, die Schlucht zu bezwingen und den Canyon zu kartieren. Sein Auftrag: auszukundschaften, ob und wie die Schlucht für die Stromerzeugung zu nutzen sei.

Drei Tage war er unterwegs. Dann meldete er: Es lohnt sich. Seiner Route folgt heute ein Wanderweg, der mit Seilen und Stegen gesichert ist, aber dennoch Trittsicherheit und Erfahrung fordert.

Gorges du Verdon: Oktoberstimmung in der Clue de Carejuan. Foto: Hilke Maunder
Oktoberstimmung in der Clue de Carejuan. Foto: Hilke Maunder

Wilde Wanderungen

Für den 18 Kilometer langen, anspruchsvollen Sentier Martel vom Chalet de la Maline zum Point Sublime am Nordufer braucht ihr mit Pausen rund sieben Stunden. Von der Berghütte Chalet La Maline geht es Schritt für Schritt hinein in die Erdgeschichte, schmale Gesimspfade entlang und durch den stockdunklen Tunnel du Baou, der an drei Stellen Ausblicke auf den Verdon freigibt.  Nehmt für den 700 Meter langen Tunnel eine Taschenlampe mit!

Auf Saumpfaden in Serpentinen und schwindelerregenden Imbert-Leitern erreicht der Sentier Martel dann den Pré d’Issane, einen kleinen Kieselstrand am tiefsten Punkt der Schlucht, und durch zwei Tunnel wieder hinauf. Kiefern und Wacholdern klammern sich an den Stein. Rosmarin, Thymian und Currykraut schwängern die Sommerhitze mit ihrem Duft.

Hoch oben drehen Bonelli-Adler und Gänsegeier, 1999 erfolgreich ausgewildert, ihre Kreise. Mitunter kommen den Wanderern Badelustige mit Handtuch und Latschen entgegen: Auch kleine, idyllische Badestrände und Badegumpen hat der Verdon geschaffen.

Am Südufer folgt die Weitwanderroute Grande Randonée GR 99 der gesamten Schlucht. Nehmt stets ausreichend Wasser, Proviant und ggf. Sonnen- und Insektenschutz mit!

Der Blick auf die Mündung des Verdon in den Lac de Sainte-Croix. Foto: Hilke Maunder
Der Blick auf die Mündung des Verdon in den Lac de Sainte-Croix. Foto: Hilke Maunder

Baden in Türkis

Am Ausgang der Schlucht hat der Verdon ein Badeparadies in XXL geschaffen: den 22 Quadratkilometer großen Lac de Sainte-Croix. Für den Bau von Frankreichs zweitgrößtem Stausee wurde 1971 das alte Dorf Les Salles-sur-Verdon gesprengt und geflutet. Einzig die Kirchturmuhr, die Dorfglocke und der Dorfbrunnen wurden abgebaut für das neue Dorf, das 400 Meter vom alten Standort neu entstand.

Manchen Bewohnern missfiel das rigorose staatliche Durchgreifen. Sie leisteten Widerstand. Und blieben in ihren Häusern, bis das Wasser eindrang.

Gorges du Verdon: Am Kieselstrand von Ste-Croix de Verdon am Lac de Ste-Croix. Foto: Hilke Maunder
Am Kieselstrand von Ste-Croix de Verdon am Lac de Ste-Croix. Foto: Hilke Maunder

Heute freuen sie sich, dass der Stausee Geld in die Kassen der Kommunen spült. Wie im Umland, so ist auch in Les Salles der Tourismus, und nicht mehr die Landwirtschaft, längst der wichtigste Wirtschaftsfaktor.

Von Colmars-les-Alpes am Oberlauf des Verdon kommt ihr über den Col des Champs nach Saint-Martin-d’Entraunes  – und erreicht die nächste spektakuläre Schlucht!

Die Gorges de Daluis

Auf fast 2400 Metern Höhe entspringt der Var beim Col de la Cayolle und rauscht nach Saint-Martin d’Entraunes, wo er einen sechs Kilometer langen Canyon in den roten Stein gefräst hat: die Gorges de Daluis. Gemeinsam mit den 21 Kilometer langen Gorges de Cians bilden die beiden Schluchten das Colorado Niçois.

Je nach Jahres- und Tageszeit verändert sich das Farbenspiel, flirtet das tiefe Rot des eisenhaltigen Schiefergesteins mit gelben Blütentupfern, herbstbuntem Laub oder weißem Schnee.

„Nur“ sechs Kilometer lang ist der Canyon, die der Var zwischen Guillaumes und Daluis geformt hat. An der Westseite der Gorges de Daluis verlaufen schwindelerregend die D902/D2202, die auf der Fahrt gen Süden 17 Tunnel im Canyon durchqueren.

Die <em>Gorges de Daluis</em> bei Entrevaux. Foto: Hilke Maunder
Die Gorges de Daluis bei Entrevaux. Foto: Hilke Maunder

Am Pont de la Mariée soll sich einst eine Braut aus Liebeskummer in den Tod gestürzt haben. Heute lassen sich Bungee-Jumper am elastischen Seil 80 Meter dort tief in die Schlucht fallen.

Die Gorges du Cians

Vervollständigt wird das Schluchten-Trio durch die 21 Kilometer lange Gorges du Cians (und unzählige weitere, nicht ganz so berühmte Schluchten) zwischen Beuil an der Route des Grandes Alpes und Touët-sur-Var im Tal des Var.

Für die Franzosen sind die Gorges du Cians der „Colorado der Seealpen“. Je nach Jahres- und Tageszeit verändert sich das Farbenspiel, flirtet das tiefe Rot des eisenhaltigen Schiefergesteins mit gelben Blütentupfern, herbstbuntem Laub oder weißem Schnee.

La Palud-sur-Verdon. Foto: Hilke Maunder
La Palud-sur-Verdon. Foto: Hilke Maunder

Die Gorges du Loup

Ein wahres Kleinod hingegen sind die Gorges du Loup. Steil ragen die grauen Felsen am Fahrbahnrand auf. Mit starkem Gefälle schießt und sprudelt der Loup, der von der Quelle in 1.300 Metern Höhe bis zur Küste keine 50 Kilometer zurücklegt, über die Felsbrocken im Bett der Wolfsschlucht.

Am südlichen Ausgang der Schlucht hat sich Tourettes-sur-Loup zum Schlemmerziel gemausert. Hier versteckt sich das Stammhaus der Confiserie Florian. Ohne ein Gläschen ihrer köstlichen Zitronenkonfitüre verlassen die Wenigsten das Hinterland der Côte d’Azur.

Canyon-Land Frankreich

Die Schlucht der Vis kurz vor dem Cirque de Navacelles. Foto: Hilke Maunder
Die Schlucht der Vis kurz vor dem Cirque de Navacelles in den Cevennen. Foto: Hilke Maunder

Die Schluchten der Ardèche

Kaum ein Wahrzeichen der Ardèche-Schlucht ist so berühmt wie der imposante Natursteinbogen des Pont d’Arc, zu dessen Füßen gepaddelt und gebadet wird. Bereits in der Urzeit fühlten sich die Menschen dort wohl, verrät die Welterbe-Höhle Grotte Chauvet.

54 Meter hoch spannt sich der Bogen des Pont d’Arc aus hellem Kalk über die Ardèche und markiert den Eingang zu den 30 Kilometer langen, spektakulären Schluchten der Ardèche.  Infos und Impressionen findet ihr hier.

Der Blick vom Belvédère. Foto: Hilke Maunder
Der Blick vom Belvédère ab der Panoramastraße der Ardèche-Schlucht. Foto: Hilke Maunder

Die Tarn-Schlucht

Nordöstlich von Millau hat sich der Tarn bis zu 500 Meter tief auf 80 Kilometern Länge in die Karstebenen der Causses hinein gegraben und einen grandiosen Canyon geschaffen, der zu den schönsten Flusslandschaften Frankreichs gehört. Entdeckt ihn hier.

Gorges du Tarn bei Millau. Foto: Hilke Maunder
Die Gorges du Tarn bei Millau. Foto: Hilke Maunder

Die Schluchten der Pyrenäen

Die Gorges du Verdouble

Der Verdouble ist ein wilder Fluss, der die Felsen der Devèze-Klippen zwischen Tautavel und Vingrau gemeißelt hat. Nicht einmal 50 Kilometer lang ist er– und hat doch gleich zwei tolle Schluchten geschaffen.In den Gorges de Gouleyrou lebte der älteste Europäer in der Caune de l’Arago.

In dieser Höhle wurde das Skelett des Mannes von Tautavel (-450 000 Jahre) gefunden. Bei Duilhac fräste sich der Verdouble erneut durch den Fels und schuf eine der schönsten Wildbadestellen der Corbières am Moulin de Ribaute ! Klickt hier für Infos und Impressionen.

Wer hier springt, muss genau aufpassen – es gibt Felsen auch unter der Wasseroberfläche. Foto: Hilke Maunder
Wer beim Moulin de Ribaute in den Verdouble springt, muss genau aufpassen – es gibt Felsen auch unter der Wasseroberfläche. Foto: Hilke Maunder

Die Gorges de Galamus

Toll sind auch die Schluchten, die ihr in den Pyrenäen findet. Der schönste Canyon der Pyrénées-Orientales beginnt gleich hinter meiner zweiten Heimat: die Gorges de Galamus. Als tiefer, schmaler Canyon verbinden sie die Départements Aude und Pyrénees-Orientales.

Seit September 2021 ist die Schlucht eines der Top-Highlights des damals gegründeten Parc Naturel Régional Corbières-Fenouillèdes. Hier habe ich sie vorgestellt.

Fenouillèdes: die Badegumpen der Gorges de Galamus. Foto: Hilke Maunder
Die Badegumpen der Gorges de Galamus. Foto: Hilke Maunder

Die Gorges de la Carança

Adrenalinkicks beim Wandern gibt es auch in den Gorges de la Carança der Ostpyrenäen. Fünf Kilometer westlich von Olette sorgen sie mit Hangwegen und Hängebrücken für Nervenkitzel.

Mehrere ausgeschilderte Wanderwege erschließen die Schlucht. Auch der Aufstieg zum 2.264 Meter hohen Lac de la Carança führt durch den grandiosen Canyon im Tal der Têt. Hier gibt es Infos und Impressionen!

In der Carança-Schlucht der Ostpyrenäen. Foto: Hilke Maunder
In der Carança-Schlucht der Ostpyrenäen. Foto: Hilke Maunder

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3 Kommentare

  1. Hallo Hilke!

    Das sind tolle Bilder. Wir waren im letzten Mai auch bei den Gorges du Verdon. Anschließend sind wir noch weiter Richtung Avignon gefahren und haben uns auf dem Rückweg nach Bielefeld die Gorge de l’Àrdeche angesehen. Es war echt traumhaft!

    LG Thomas

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