Saint-Rome. Foto: Hilke Maunder

Saint-Rome: die Utopie des Grafen

Ich hatte einen Traum… ist wohl das berühmteste Zitat einer Vision. Auch im tiefsten französischen Süden träumte einst ein Mann: Henri-Louis-César de la Panouse (1811-1892).

Saint-Rome. Foto: Hilke Maunder
Das Bauernland von Saint-Rome. Foto: Hilke Maunder

Nur wenige Kilometer westlich von Villefranche-de-Lauragais hatte er am Ufer des Canal du Midi ein riesiges Gut geerbt. Saint-Rome, flaches Bauernland, auf dem heute Sonnenblumen und Weizen bis an den Horizont wachsen, und ihr in der Ferne das Brummen der Autobahn A 61 hört.

Saint-Rome. Foto: Hilke Maunder
Foto: Hilke Maunder

Ab 1877 ließ er das gesamte bisherige Dorf samt Kirche und Stammschloss seiner Familie dem Erdboden gleichmachen.

Saint-Rome. Foto: Hilke Maunder
Saint-Rome. Foto: Hilke Maunder

Sein Ziel: ein perfektes neues Dorf zu schaffen, das ideale Gut. So, wie er es auf Welt- und Kolonialausstellungen bewundert hatte. Dazu holte er als Architekten Henri Vergnes mit ins Boot. Jener war ebenso weit gereist wie er.

Architekturzitate aus aller Welt

Besonders im Quartier Estivantiers, errichtet für die Saisonkräfte und Erntehelfer im Sommer, könnt ihr seinen eklektizistischen Architekturmix entdecken.

Saint-Rome. Foto: Hilke Maunder
Foto: Hilke Maunder

Unter einem Treppengiebel der Backsteingotik schmückt ein maurisch inspirierter Bogen den Eingang zu einer Landarbeiterkate.

Saint-Rome. Foto: Hilke Maunder
Foto: Hilke Maunder

Der Gutsverwalter wohnte in einem Haus im Hollandstil. Monumentaler Neoklassizismus und Toulouser Backsteingotik sorgen für spannende Kontraste.

Saint-Rome. Foto: Hilke Maunder
Foto: Hilke Maunder
Saint-Rome. Foto: Hilke Maunder
Detailreich: die Claustra. Foto: Hilke Maunder

Fabelhafte Giebel

Schaut auch einmal nach oben, hinauf zum Dach. Den Übergang haben Steinmetze mit geometrischen Friesen gestaltet.

Saint-Rome. Foto: Hilke Maunder
Eine reiche Tierwelt aus Fauna und Fabel bevölkert die Giebel von Saint-Rome. Foto: Hilke Maunder

Die Zimmerleute schufen für die Giebel fantastische Fabelwesen. Selbst ein Einhorn könnt ihr dort entdecken! Der legendäre Greif bewacht die Balkone einer Villa.

Saint-Rome. Foto: Hilke Maunder
Auch ein Drache tummelt sich im Giebelschnitzwerk. Foto: Hilke Maunder

Andere Giebel sind schlichter und nur mit einem umgedrehten Herz am Stil geschmückt. In die Fassaden der Häuser sind mitunter farbige Muster eingelassen, glasierte Geometrie in Weiß, Grün und Blau.

Saint-Rome. Foto: Hilke Maunder
Auch die Gitter der Balkone sind mit Schnitzwerk geschmückt. Foto: Hilke Maunder

Saint-Rôme: Spiegel der Feudal-Gesellschaft

Im Zentrum des Gutsdorfes erhebt sich als Symbol der Macht und Herrschaft ein Mini-Versailles, versteckt hinter hohen Gittern und alten Bäumen. Betonrollen schützen die Tore.  Pas de visite informiert ein Schild an der Zufahrt.

Saint-Rome. Foto: Hilke Maunder
Das Herrenhaus der Grafen von Panouse. Foto: Hilke Maunder

Zwischen den  Stäben konnte ich einige kleine Blicke auf das imposante Schloss der Grafen von Panouse erhaschen, die einst am englische Hof ein und aus gingen. Bis heute leben sie hier inmitten eines riesigen Landschaftsparks im englischen Stil.

Saint-Rome. Foto: Hilke Maunder
Saint-Rome. Foto: Hilke Maunder

Westlich der Schlossmauer wurde das Herz des Dorfes angelegt: mit Backsteinkirche, Friedhof, Haus des Gutsverwalters, Stallungen, Scheunen und anderen landwirtschaftlich genutzten Gebäude. Und einer winzig kleinen Mairie, Bürgermeisterei. Die Macht hält bis heute das Gut.

Saint-Rome. Foto: Hilke Maunder
Das Bürgermeisteramt von Saint-Rome. Foto: Hilek Maunder

Nicht sichtbar vom Dorf aus waren die kleinen Häuser der Saisonarbeiter. Folgt einfach vom Schloss aus der Straße nicht nach Westen, sondern nach Osten. Dann erreicht ihr die faszinierende Häuserreihe. Abgedrängt wie Ausgestoßene.

Saint-Rome. Foto: Hilke Maunder
Der Friedhof von Saint-Rome. Foto: Hilke Maunder

300 Hektar groß ließ der Patriarch Panouse sein ideales Dorf anlegen. Für den symbolischen Preis von einem französischen Franc verkaufte er Friedhof, Kirche und Dorfkern an die Kommune.

Saint-Rome. Foto: Hilke Maunder
Das Grab der Grafen von Panouse. Foto: Hilke Maunder

Die Häuser der Arbeiter indes behielt er. Und verkaufte sie später einzeln an die Dörfler. 53 von ihnen leben noch in Saint-Rome. Jeden Tag, pünktlich um 9.30 Uhr, hält der Postbote im gelben Wagen an der Schlossmauer und leert den Briefkasten.

Saint-Rome. Foto: Hilke Maunder
Foto: Hilke Maunder

Saint-Rome: meine Reisetipps

Schlafen & schlemmen

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Der Hafen von Bram am Canal du Midi. Foto: Hilke Maunder
Der Hafen von Bram am Canal du Midi. Foto: Hilke Maunder

Toulouse

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Die <em>Place du Capitol</em>e mit dem <em>Capitole</em> (l.) und dem <em>Hôtel de l'Opéra</em>
Die Place du Capitole mit dem Capitole (l.) und dem Hôtel de l’Opéra. Foto: Hilke Maunder

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Annette Meiser, Midi-Pyrénées*

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Für mich ist es der beste Reiseführer auf Deutsch für alle, die individuell unterwegs sind – sehr gut gefallen mir die eingestreuten, oftmals überraschenden oder kaum bekannte Infos. Wie zum einzigen Dorf Frankreichs, das sich in zwei Départements befindet: Saint-Santin liegt genau auf der Grenze von Aveyron und Cantal. Wer mag, kann den Band hier* direkt online bestellen.

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Okzitanien ist die Quintessenz des Südens Frankreichs. Es beginnt in den Höhen der Cevennen, endet im Süden am Mittelmeer – und präsentiert sich zwischen Rhône und Adour als eine Region, die selbstbewusst ihre Kultur, Sprache und Küche pflegt.

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