Auf dem Bauernmarkt Marché du Pin von Agen findet ihr gleich mehrere Landwirte, die die berühmten pruneaux d'Agen bauen.

Agen: die Hauptstadt der Pflaume

Nicht prachtvolle Paläste oder große Denkmäler haben Agen bekannt gemacht, sondern eine schrumpelige, dunkle Frucht: die Pruneaux d’Agen, die viel besser schmecken als ihr Aussehen vermuten lässt. Die samtigen Dörrpflaumen sind die kulinarischen Botschafter der Hauptstadt des Département Lot-et-Garonne.

Die 900 Jahre alte Erfolgsgeschichte beginnt mit einem namenlosen Kreuzfahrer. Nach dem Dritten Kreuzzug im 12. Jahrhundert brachten sie Pflaumenbäume aus Syrien mit – die pruniers de Damas. Was als orientalisches Souvenir begann, wurde zur Grundlage einer ganzen Industrie. Die Mönche der Abtei Clairac bei Agen veredelten die fremden Gewächse mit einheimischen Sorten. Der botanische Fachbegriff für diese Pfropfung lautet im Französischen enter – und gab der neuen Sorte ihren Namen: Prune d’Ente.

Das Lot-Tal nördlich von Agen erwies sich als perfekter Standort. Mildes Klima, fruchtbare Böden – die Bedingungen stimmten. Die Mönche begannen, die Früchte zu trocknen und damit zu handeln. Ein Wirtschaftszweig war geboren. Der große Boom kam im 19. Jahrhundert. 1894 standen allein im Lot-et-Garonne fünf Millionen Pflaumenbäume in Produktion, dazu eine Million Jungbäume.

Vom Kloster zum Weltmarkt

Jahrhundertelang bestimmte die Logistik das Geschäft. Flache Lastkähne, die gabares, transportierten die kostbare Fracht den Lot hinunter zur Garonne, dann weiter nach Agen. Die Stadt wurde zum Handelszentrum, gab der Frucht ihren Namen. Der Bau des Canal latéral à la Garonne im 19. Jahrhundert revolutionierte den Export. Plötzlich führten Wasserstraßen über Toulouse und Bordeaux direkt zum Atlantik.

Heute haben Hausboot-Touristen und Radfahrer die Wasserwege erobert. Am Stadtrand, in der Agropole, einem Industriegebiet für Agrarprodukte, residiert Maître Prunille, einer der größten Verarbeiter der Region.

Von der Traditionspflaume zur Lifestyle-Frucht

Vincent Barral verkörpert die neue Generation der Pflaumen-Unternehmer. Der 30-Jährige aus dem Lot-et-Garonne schlug zunächst andere Wege ein: Pflegehelfer, Verkäufer für medizinische Geräte. Sieben Jahre verbrachte er in Paris, entdeckte die Vielfalt der Hauptstadt-Geschäfte. Als er 2024 in die Heimat zurückkehrte, brachte er eine Vision mit: die Pruneaux d’Agen als Lifestyle-Produkt.

Seine Marke Pruno – ein Wortspiel aus seinem Vornamen Bruno und pruneaux – positioniert sich als moderne Épicerie fine. In der Gourmet-Markthalle Marché Couvert, untergebracht in einem Betonklotz neben dem örtlichen Carrefour-Supermarkt, präsentiert Barral seine Kreationen. Pruneaux gefüllt mit Pflaumencrème, in Armagnac getränkt, mit Schokolade umhüllt. Er hat sogar eine Brioche mit Dörrpflaumen entwickelt. Auch sie ist längst très branché, sehr angesagt.

Traditioneller geht es auf dem Marché Fermier de la Porte du Pin zu. Zwischen den Ständen der bis zu 100 Erzeuger stehen auch Dörrpflaumen-Bauern wie Jacky Maury. Seit 1998 ist er sommers wie winters auf dem Markt. Oder Jérôme Carnejac aus Penne-d’Agenais, dem Pflaumenreich 30 Kilometer nordöstlich, seit 2002 an jedem Markttag dabei. Hier herrscht noch die Atmosphäre des alten Frankreich – bäuerlich, bodenständig, authentisch.

Brücke der Superlative

Zur Flussseite dominiert der Pont-canal d’Agen das Stadtbild wie ein steinerner Riese. 539 Meter lang, 23 Bögen, vollständig aus Quercy-Kalkstein gemauert. Die Kanalbrücke führt den Canal latéral à la Garonne über den Fluss – ein Meisterwerk der Ingenieurskunst des 19. Jahrhunderts. 1839 legte der Herzog von Orléans den Grundstein. Acht Jahre später war der Bau vollendet, 1849 wurde er für die Schifffahrt eröffnet.

Bis 1896 war er die längste Kanalbrücke Frankreichs, heute ist er das längste gemauerte Bauwerk dieser Art in Europa. Während der Bauzeit kam es zu Unterbrechungen – die Eisenbahnlinie Bordeaux-Toulouse hatte Vorrang. Zwischenzeitlich nutzten Bauern die noch nicht fertige Brücke als Acker. Geschichte schreibt manchmal skurrile Kapitel. An beiden Ufern lädt der Pont-Canal zum Flanieren. Weit schweift der Blick über die Garonne zurück nach Agen, deren Stadtkrone bis heute der Turm der Kathedrale prägt.

Kirchen erzählen Geschichte

Die Cathédrale Saint-Caprais vereint zwei Epochen in einem Bauwerk. Chor und Querschiff mit fünf Apsiden entstanden im 12. Jahrhundert – reine Romanik. Das einschiffige Langhaus ist gotisch, der markante Glockenturm wurde erst 1835 errichtet. Seit 1998 ist die Kathedrale UNESCO-Welterbe als Station der französischen Jakobswege.

Weniger spektakulär, aber nicht minder sehenswert istdie Église Notre-Dame du Bourg gegenüber dem Bahnhof. Der Ziegelbau aus dem 13. Jahrhundert duckt sich zwischen die Nachbargebäude, besticht durch seine Fassade mit dem schönen Glockengiebel. Die Église des Jacobins – hier sind die Dominikanermönche gemeint, nicht die Hardliner der Französischen Revolution – diente während der Religionskriege des 16. Jahrhunderts den Hugenotten als Hauptquartier. Jeder Stein erzählt Geschichte.

Die Innenstadt zeigt Frankreich, wie es wirklich ist – nicht nur charmant, auch widersprüchlich. Häuser des 18. und 19. Jahrhunderts, manche mit überreicher Patina, stehen neben modernen Glas- und Betonbauten. Fachwerkhäuser mit flachen Ziegeln erinnern an mittelalterliche Zeiten., besonders malerisch bei einem herausgeputzen Fachwerkhaus mit Auskragung in der Rue Beauville. Wenige Schritte weiter wird, wie so oft in Agen, neu gebaut.

Große Kunst in kleiner Stadt

Auch das Musée des Beaux-Arts ist seit Ende 2024 eine Baustelle und wird für 15 Millionen Euro bis 2028 renoviert. Höchste Zeit, sagen die Stadtväter. Denn das Kunstmuseum an der Place du Dr Esquirol, zwischen Rathaus und Theater, birgt eine Sammlung, die ihresgleichen sucht. Im Saal für gallo-römisches Erbe ist die Venus du Mas zu sehen, kopf- und armlos, 1870 entdeckt im Dorf Le Mas-d’Agenais in der Nähe von Marmande.

In der zweiten Etage widmet sich ein Saal Roger Bissière, dem großen Sohn der Region. Der 1886 in Villeréal geborene Maler prägte die französische Kunst der Zwischenkriegszeit. Sein Stil entwickelte sich vom Kubismus zur Abstraktion – träumerisch-poetisch, mit zarten Farben. Bissière lehrte an der Académie Ranson in Paris, pflegte Kontakte zu André Lhote, Georges Braque und Juan Gris und prägte eine ganze Generation junger Künstler, darunter Alfred Manessier, Jean Le Moal und Jean Bertholle.

1952 erhielt Roger Bissière den Grand Prix National des Arts. 1955, 1959 und 1964 war er auch bei der documenta in Kassel vertreten. Seine beiden Glasfenster für die Kathedrale von Metz gelten als Meisterwerke. 1964 wurde ihm auf der Biennale von Venedig eine Ehrung zuteil, die danach nie mehr vergeben wurde – wegen der „historischen und künstlerischen Bedeutung seines Werkes“.

Buddeln für eine grüne Zukunft

Allerorten wird derzeit in Agen gebuddelt und gebaut. Die Stadt verfolgt mit dem Programm Agen 2032 und weiteren Initiativen einen ambitionierten Stadtumbau und eine zukunftsorientierte Stadtentwicklung. Zu den aktuellen Maßnahmen zählen der Ausbau eines städtischen Wärmenetzes, der Bau des Ökoquartiers Agen – La Villette und die Aufwertung der Innenstadt als Agen Cœur Battant, sprich, dynamische Innenstadt. Auf der Agenda stehen auch die Aufwertung von Grünflächen wie dem Parc Armand Fallières sowie die Umwandlung von Verkehrsachsen zu urbanen Boulevards. 2022 wurde die nachhaltige Neugestaltung der Place Jasmin feierlich eröffnet.

Eine seit Jahrhunderten typische südfranzösische Schönheit ist die Esplanade Gravier, die als Allee alter Platanen das Garonne-Ufer säumt. Ein breites Verkehrsband trennt sie – noch – von der Stadt. Doch im Schatten der Bäume lebt das Savoir-vivre des Südens, treffen sich die Boule-Spieler und sonntags die Flohmarkt-Fans zur brocante. Eine passerelle führt über den Fluss.

Von dort könntet ihr weiter spazieren, hin zum pont-canal, und auf der Kanalbrücke zurückkehren ans andere Ufer – auf dem Stadtplan hat der Rundweg die Form einer Pflaume. Legt unterwegs noch eine Pause ein am stadtseitigen Aufgang der Kanalbrücke. Im einstigen Wasserwerk lockt heute das Café Vélo. Als Upcycling-Projekt im Industrieerbe lockt es heute drinnen und draußen mit einer genussvollen Pause. Wer aktiv sein möchte, kann hier Fahrräder ausleihen und auf den Treidelpfaden des Kanals nach Herzenslust radeln.

Die Stadt mag Provinz sein, ein bunt zusammengewürzelten Haufen an Bauten. Aber sie hat Charakter. Menschen voller Ideen. Und eine Frucht, die sie weltberühmt macht.

Agen: meine Reisetipps

Hinkommen

Agen liegt im Südwesten Frankreichs in der Region Nouvelle-Aquitaine und ist die Hauptstadt (Präfektur) des Départements Lot-et-Garonne.

Auto

Agen liegt verkehrsgünstig an der mautpflichtigen Autobahn A62 zwischen Toulouse (ca. 115 km entfernt) und Bordeaux (ca. 140 km entfernt)

Bahn

Der Bahnhof von Agen liegt an der Strecke Bordeaux-Toulouse und wird von TER- und Intercités-Zügen angefahren.

Boot

In Agen überquert der Canal des 2 mers als Canal latéral à la Garonne die Garonne auf einer eindrucksvollen Kanalbrücke.

Rad

Agen ist ein wichtiger Knotenpunkt für mehrere bekannte Radwanderwege in Südwestfrankreich. Dazu gehören

  • Canal de Garonne ( V80 / Canal des 2 Mers à vélo ):
    Dieser beliebte Fernradweg verläuft direkt durch Agen und führt von Bordeaux bis Toulouse. Der Radweg ist flach, verläuft meist abseits des Straßenverkehrs entlang des Kanals und bietet zahlreiche Servicepunkte, Wasserstellen und Rastmöglichkeiten.
  • Lot-Tal-Radweg ( La Vallée du Lot à vélo ) :
    Der Lot-Tal-Radweg (La Vallée du Lot à vélo, V86) verläuft zwischen Aiguillon und La Canourgue. Aiguillon ist der westliche Startpunkt und liegt wenige Kilometer von Agen entfernt.
  • Voie Verte des Berges de la Garonne (Agen–Boé):
    Diese lokale „grüne Route“ ist rund vier Kilometer lang, verläuft direkt am Flussufer und verbindet sich mit dem Radweg entlang des Kanals von Garonne. Sie ist besonders sicher und familienfreundlich, da sie keine Straßenüberquerungen enthält und mit Rastplätzen sowie Reparaturstationen ausgestattet ist.

Schlemmen und genießen

Marché fermier de la Porte du Pin

Der große Bauernmarkt von Agen – immer mittwochs und sonntag von 7 bis 12/12.30 Uhr.
• Place du 14 Juillet, 47000 Agen

Naf kocht im Tchak die Gerichte seiner Heimat – Spezialitäten des französischen Überseedépartements Mayotte, die afrikanische, arabische, indische und französische Einflüsse vereinen.
• 29, rue Emile Sentini, 47000 Agen, Tel. mobil 06 09 09 92 73

La Table de Michel Dussau

Ein kleine Karte für große Saisonküche: Für dieses Konzept – und das gute Preis-Leistungsverhältnis – gab es den Bib Gourmand von Michelin. Côte de bœuf (Rinderkotelett) aus der hauseigenen Reifekammer, über Holzfeuer gegrillt, Lotte (Seeteufel) mit gerösteten neuen Zwiebeln, grünem Spargel und Jus aus geräuchertem Speck sowie kreative grüne Optionen wie ein Feuille à feuille aus Bio-Soja-Tofu mit Piment d’Espelette und saisonalem Gemüse sind Klassiker der Karte.
• 1350, avenue du Midi, 47000 Agen, Tel. 05 53 96 15 15, https://la-table-agen.com

L’Indé

L’Indé ist eine unabhängige, handwerkliche Mikrobrauerei, die in Agen in ihrem brewpub vor euren Augen ihre Biere vor Ort braut. Alle Biere sind nicht pasteurisiert und nicht filtriert.

Die Auswahl umfasst verschiedene Sorten, darunter Blonde/Golden Ale, Belgian Blonde (teilweise mit Honig oder Pflaume), IPA (Weizen- und Weißbiere mit Orangenschale und Koriander), Red Ale, Amber Lager, Porter, Saison, Witbier und Fruchtbiere, z.B. mit Grapefruit und Mandarine.

Der 300 Quadratmeter große Brewpub erstreckt sich auf zwei Ebenen mit verschiedenen, räumlich halb offenen abgetrennten Essbereichen, großem Tresen und Terrasse zum Boulevard im ersten Stock.
• 14, avenue du Général de Gaulle, 47000 Agen, Tel. 05 53 68 65 66, https://inde-agen.com

Café Vélo

Junges Ausflugslokal an der Kanalbrücke von Agen – mit Fahrradverleih.
• 207, rue du Duc d’Orléans, 47000 Agen, Tel. 05 53 96 15 51, https://cafe-velo.net

Hier könnt ihr schlafen

Hôtel Serra

Für das Vier-Sterne-Boutiquehotel Serra vereinte Architekt Jean-Pierre Brethes mit seinem Team zwei historische Gebäude: die restaurierte Villa Serra, ein Herrenhaus aus dem 17. Jahrhundert, und die ehemalige Klinik Saint-Jean. Eine moderne Glasgalerie mit Anklängen an Art-Déco-Kurven verbindet die beiden Gebäudeteile.

Bei der Innenausstattung setzte Agnès Guiot Du Doignon, die bereits das Yndo Hotel in Bordeaux gestaltete, auf nachhaltige, von der Natur inspirierte Farbtöne und Materialien : handgefertigte Rattanleuchten, Wandverkleidungen aus Naturfasern und Möbel aus regionalem Holz. Das Serra verfügt über 50 Zimmer und acht Apartments sowie Bar, Restaurant und Privatparkplatz. Hier könnt ihr es buchen.
• 2-4, Avenue du Général de Gaulle, 47000 Agen, Tel. 05 40 87 70 10, https://serra-hotel-agen.fr

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Im Blog

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