
Propriété privé (Privateigentum): Inmitten der Wildnis hängt am Col de Jau dieses Schild plötzlich im Bergwald und stoppt den Wanderer. Groupama besitzt mit der Domaine de Cobaze seit 1992 rund 1.900 Hektar Land auf dem Madrès-Massiv der Pyrenäen.
Alte Buchen prägen den Bergwald – und dienen als “Sicherheit” im Portfolio der französischen Versicherungsgruppe. Champignons zu sammeln, ist dort untersagt. Umso lieber veranstaltet Groupama auf seinem Land private Jagden.
Eintritt verboten!
Défense d’entrer : Leuchtend rot warnen diese Worte auch am schmiedeeisernen Tor eines Gutes in der Picardie. Hinter dem Grün der Blätter lässt sich ein feudales Herrenhaus erahnen. Zutritt verboten! Privater Grund und Boden sind den Franzosen heilig.
Hinter hohen Mauern beginnt das Private, ein geschütztes Heiligtum, in das nur Vertraute eindringen dürfen. Wie einst die Bollwerke der Burgen schützen gebaute oder grüne Mauern das private Glück. Jenes ist in Frankreich genau umrissen: ein guter Ehepartner, liebe Kinder, die eigene Familie, Gesundheit und Geld genug zum Leben.

Privat versus Staat
Abweisend nach außen, intim im Innern. Auch die Fensterläden sind gerne am helllichten Tag verschlossen, die Rollläden gesenkt, obwohl die Bewohner anwesend sind. Während eine Fahrt mit der Hamburger Hochbahn tiefe Einblicke in die norddeutsche Wohnkultur gewinnen lässt, bleibt in Paris der Blick am schweren Vorhang hängen.
Nicht selten fehlen auch Klingelschilder mit den Namen der Bewohner. Ein Meldewesen wie in Deutschland ist in Frankreich unbekannt. Als Wohnsitznachweis ( justificatif de domicile ) genügen eine Vertragsbescheinigung vom Stromversorger EDF oder eine Handyrechnung.

Die Architektur des Glücks
Welchen Einfluss die Architektur auf das private Glück hat und ob ein Haus für Wohlbefinden oder Gelassenheit sorgen kann: Das sind Fragen, die Alain de Botton beschäftigen. In seinem Buch „ L’architecture du bonheur “ reist der Autor für die Antwort einmal um die Welt, von Paris bis Tokio, von London bis Brasilia. Seine globale Suche nach dem idealen Heim war 2007 ein Bestseller in Frankreich. Und auch Botton erkannte: Das Glück ist privat.
Der Schutz des Privaten hat auch in der Sprache seine Spuren hinterlassen. Trifft man Freunde oder Bekannte draußen auf der Straße, fragt man: Ça va ? Und genauso unverbindlich schallt es zurück: Ça va ! Wer nachfragt, ob alles rund läuft, erhält als Antwort: Bah, on se défend. Das kleine Glück wird verteidigt.
Nur daheim wird’s privat
Nur in der Sicherheit der eigenen vier Wände kommt das Private zur Sprache, öffnet der Franzose sein Inneres. Pierre Bonnard und Edouard Vuillard sind mit ihren intimen, belebten Interieurs typisch französische Maler, und selbst ihre Landschaften haben die Anmut eines tapezierten Wohnzimmers.
Das Privatleben der Franzosen ist geheimnisvoll, wird gehütet – und beschert, wenn es gelüftet wird, dem Kino Kassenknüller wie Le Jeu – Nichts zu verbergen (2018). Das Geheimnis des Privaten ist in Frankreich die Quelle der Kunst.
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Ich war vor kurzem im Wald von Le Touquet in Nordfrankreich spazieren. Danke, liebe Hilke. Dein Beitrag kommt zum richtigen Moment. Viele Defense d‘entrer-Schilder gesehen. Bin zum Parkplatz hinters Schild ohne Auto, aber nicht hinter die Schranken. Habe ich mich schon strafbar gemacht? Keine Bewohner, nur Handwerker gesehen. Liebe Grüße
Hallo liebe Hilke,
vielen herzlichen Dank für diesen Beitrag! Ich hab schon so manches ‚Défense d’entrée‘- oder ‚Proprieté privée‘-Schild vor einem brach liebenden Gelände, einer verlotterten, unbewohnten Hütte oder an einem Baum mitten in einem Wald fotografiert. Einfach weil ich es doch sehr erstaunlich finde, wo es in diesem Land wohl nicht überall ein Privateigentum zu schützen gibt;-). Hier im Dorf etwa sogar mehrere Schilder bei einem Haus: auf einem prangt ein zähnefletschender Hund und andere warnen eindringlich vor dem Betreten. Den Hund gibt es nicht und die Bewohner sind wohl einfach sehr ängstliche Menschen. Für meine Wahrnehmung mutet das alles schon fast paranoide an. Und ganz sicher das pure Gegenteil von Holland, wo ich 20 Jahre gelebt habe: dort war ich immer wieder erstaunt über die gardinenfreien, großen Fenster, durch die man gefragt oder ungefragt das Privatleben seiner Mitbürger*innen mitbekam. Größer könnte der Kulturunterschied da wohl nicht sein! Unsere Nachbarn hier sind zum Glück sehr offen und beim Begrüßungsapéro den wir bei unserem Einzug hier für die Bewohner*innen unserer Straße organisiert haben, lernten sich manche (alteingesessene) Nachbarn erst kennen! Den Apéro wiederholen wir nun jährlich und ein ‚Proprieté Privée‘-Schild gibt es bei uns nicht;-)
Viele Grüße aus dem Périgord,
Karin
Liebe Karin, danke für Deine Eindrücke! Und schön, der gemeinsame Apéro!! Bises, Hilke
Liebe Hilke,
Von einem Propriété privée in Wald oder Wildnis würde ich mich als Wanderer gewiss nicht stoppen lassen. Ich denke, dass ist auch nicht die erste Intention dieses Schildes. Erst gekoppelt mit einem „defense d’entrer“ oder „entree interdit“ wird ein Stopp ausgesprochen. Oft habe ich es schon erlebt, dass dieses Propriété privée auch an öffentlichen Wanderwegen steht (die man selbstverständlich trotzdem benutzen darf) und zusammen mit „nous declinons toute responsibilité“ weist der Satz einfach erst einmal darauf hin, dass man sich hier anständig benehmen sollte, um kein Privateigentum zu schädigen.
Vielen Dank für die vielen schönen Beiträge!
Liebe Grüße
Ralf aus Staufen im Breisgau (15 km von der französischen Grenze 🙂 )
Hallo Ralf, da wäre ich doch lieber vorsichtig – in Frankreich wird die Verletzung von Privateigentum mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr, einer Geldstrafe von 15.000 € (Artikel 226-4 des Strafgesetzbuches) und der Zahlung von Schadensersatz bestraft. Diese Strafen werden verdoppelt, wenn der Täter ein Amtsträger ist (Artikel 432-8). Groupama verfolgt es. Das lief bei uns schon mehrfach durch die Presse.
Und ja, mitunter werden Schilder aufgehängt, um einen Haftungsausschluss zu erreichen. So beispielsweise bei unserer Badestelle am Agly, die Generationen seit Jahrhunderten nutzen. Nun hängt das ein Badeverbotsschild der Gemeinde.
Viele Grüße, Hilke
PS. Staufen kenne ich – habe ich Freiburg studiert