Propriété privée - Privateigentum. Foto: Hilke Maunder

Briefe aus Saint-Paul: Privat !

Propriété privé (Privat-Eigentum): Inmitten der Wildnis hängt am Col de Jau, einem Bergpass im südfranzösischen Département Aude, dieses Schild plötzlich im Bergwald und stoppt den Wanderer. Groupama, wie sich die französische Versicherungsgsgruppe Groupe des Assurances Mutuelles Agricoles kurz nennt, besitzt mit der Domaine de Cobaze seit dem Jahr 1992 rund 1.900 Hektar Land auf dem Madrès-Massiv der Pyrenäen.

Alte Buchen prägen den Bergwald – und dienen als “Sicherheit” im Portfolio der französischen Versicherungsgruppe. Champignons zu sammeln, ist dort untersagt. Umso lieber veranstaltet Groupama auf seinem Land private Jagden.

Zutritt verboten!

Défense d’entrer : Leuchtend rot warnen diese Worte auch am schmiedeeisernen Tor eines Gutes in der Picardie. Hinter dem Grün der Blätter lässt sich ein feudales Herrenhaus erahnen. Zutritt verboten! Grund und Boden sind privat – und damit den Franzosen heilig.

Hinter hohen Mauern beginnt das Private, ein geschütztes Heiligtum, in das nur Vertraute eindringen dürfen. Wie einst die Bollwerke der Burgen schützen gebaute oder grüne Mauern das private Glück. Jenes ist in Frankreich genau umrissen: ein guter Ehepartner, liebe Kinder, die eigene Familie, Gesundheit und Geld genug zum Leben.

Foto: Hilke Maunder
Foto: Hilke Maunder

Privat versus Staat

Abweisend nach außen, intim im Innern. Auch die Fensterläden sind gerne am helllichten Tag verschlossen, die Rollläden gesenkt, obwohl die Bewohner anwesend sind. Während eine Fahrt mit der Hamburger Hochbahn tiefe Einblicke in die norddeutsche Wohnkultur gewinnen lässt, bleibt in Paris der Blick am schweren Vorhang hängen.

Nicht selten fehlen auch Klingelschilder mit den Namen der Bewohner. Ein Meldewesen wie in Deutschland ist in Frankreich unbekannt. Als Wohnsitznachweis ( justificatif de domicile ) genügen eine Vertragsbescheinigung vom Stromversorger EDF oder eine Handyrechnung.

Propriété privée - Privateigentum. Foto: Hilke Maunder
Propriété privée – Privateigentum. Foto: Hilke Maunder

Die Architektur des Glücks

Welchen Einfluss die Architektur auf das private Glück hat und ob ein Haus für Wohlbefinden oder Gelassenheit sorgen kann: Das sind Fragen, die Alain de Botton beschäftigen. In seinem Buch  L’architecture du bonheur reist der Autor für die Antwort einmal um die Welt, von Paris bis Tokio, von London bis Brasilia. Seine globale Suche nach dem idealen Heim war 2007 ein Bestseller in Frankreich. Und auch Botton erkannte: Das Glück ist privat.

Der Schutz des Privaten hat auch in der Sprache seine Spuren hinterlassen. Trifft man Freunde oder Bekannte draußen auf der Straße, fragt man: Ça va ? Und genauso unverbindlich schallt es zurück: Ça va ! Wer nachfragt, ob alles rund läuft, erhält als Antwort: Bah, on se défend. Das kleine Glück wird verteidigt.

Nur daheim wird’s privat

Nur in der Sicherheit der eigenen vier Wände kommt das Private zur Sprache, öffnet der Franzose sein Inneres. Pierre Bonnard und Édouard Vuillard sind mit ihren intimen, belebten Interieurs typisch französische Maler, und selbst ihre Landschaften haben die Anmut eines tapezierten Wohnzimmers.

Das Privatleben der Franzosen ist geheimnisvoll, wird gehütet – und beschert, wenn es gelüftet wird, dem Kino Kassenknüller wie Le Jeu – Nichts zu verbergen (2018). Das Geheimnis des Privaten ist in Frankreich die Quelle der Kunst.

Privat: Das sagt das Gesetz

Der Hinweis propriété privée markiert für den Gesetzgeber eindeutig die Grenze zwischen öffentlich und privat. Ob nach dem Schild weitergegangen werden kann, hängt von dem Ermessen des Eigentümers ab. Solange er den Zutritt nicht gestattet, gilt: Hier geht es nicht weiter.

Um dies mit Nachdruck zu versehen, wird meist noch ein zweites Schild aufgehängt mit dem Hinweis:  defense d’entrer oder entree interdit – Zutritt verboten. Führen Wanderwege über ein Privatgelände, weisen Eigentümer und/oder Kommune darauf meist deutlich hin, dass sie nicht für entstandene Schäden haften. Kurzum: Nous declinons toute responsibilité.

In Frankreich wird die Verletzung von Privat-Eigentum mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr, einer Geldstrafe von 15.000 Euro (Artikel 226-4 des Strafgesetzbuches) und der Zahlung von Schadensersatz bestraft. Diese Strafen werden verdoppelt, wenn der Täter ein Amtsträger ist (Artikel 432-8). Nicht nur Groupama verfolgt das Brechen der Regeln rigoris – und forderte von Wanderern, die das Schild mit dem Hinweis „Privat“ übersahen, hohe Strafen.

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Alle Momentaufnahmen aus meiner zweiten Heimat Saint-Paul-de-Fenouillet, die ich in der Reihe habe „Briefe aus Saint-Paul“ veröffentliche, findet ihr in dieser Kategorie.

3 Kommentare

  1. Ich war vor kurzem im Wald von Le Touquet in Nordfrankreich spazieren. Danke, liebe Hilke. Dein Beitrag kommt zum richtigen Moment. Viele Defense d‘entrer-Schilder gesehen. Bin zum Parkplatz hinters Schild ohne Auto, aber nicht hinter die Schranken. Habe ich mich schon strafbar gemacht? Keine Bewohner, nur Handwerker gesehen. Liebe Grüße

  2. Hallo liebe Hilke,

    vielen herzlichen Dank für diesen Beitrag! Ich hab schon so manches ‚Défense d’entrée‘- oder ‚Proprieté privée‘-Schild vor einem brach liebenden Gelände, einer verlotterten, unbewohnten Hütte oder an einem Baum mitten in einem Wald fotografiert. Einfach weil ich es doch sehr erstaunlich finde, wo es in diesem Land wohl nicht überall ein Privateigentum zu schützen gibt;-). Hier im Dorf etwa sogar mehrere Schilder bei einem Haus: auf einem prangt ein zähnefletschender Hund und andere warnen eindringlich vor dem Betreten. Den Hund gibt es nicht und die Bewohner sind wohl einfach sehr ängstliche Menschen. Für meine Wahrnehmung mutet das alles schon fast paranoide an. Und ganz sicher das pure Gegenteil von Holland, wo ich 20 Jahre gelebt habe: dort war ich immer wieder erstaunt über die gardinenfreien, großen Fenster, durch die man gefragt oder ungefragt das Privatleben seiner Mitbürger*innen mitbekam. Größer könnte der Kulturunterschied da wohl nicht sein! Unsere Nachbarn hier sind zum Glück sehr offen und beim Begrüßungsapéro den wir bei unserem Einzug hier für die Bewohner*innen unserer Straße organisiert haben, lernten sich manche (alteingesessene) Nachbarn erst kennen! Den Apéro wiederholen wir nun jährlich und ein ‚Proprieté Privée‘-Schild gibt es bei uns nicht;-)
    Viele Grüße aus dem Périgord,
    Karin

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