Schneeschuhwandern mit Bernard Josué im Cirque de Gavarnie. Foto: Hilke Maunder
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Mit Schneeschuhen im Cirque de Gavarnie

Zwei schmale Bänder halten die eiförmigen Gitter aus rotem Plastik an den Füßen fest. Die Hände klammern sich an zwei Skistöcke. Im Rucksack sind Wasser und Obst, Brot und Käse für ein Picknick vorbereitet. Ein eisiger Wind bläst aus Südwest. Aufbruch zur randonnée en raquettes, zur Schneeschuhwanderung im Cirque de Gavarnie in den Pyrenäen, Welterbe im Nationalpark der Pyrenäen.

Wie ein Hufeisen liegt der rund zwei Kilometer breite Felsenkessel auf etwa 1.700 Metern Höhe über dem Meer, umrahmt von eindrucksvollen Dreitausendern.

Mitten durch die Wildnis

Breitbeinig folge ich Bernard Josué, stapfe die steile Flanke des Pic du Taillon (3.144 Meter) entlang, prüfe die Schneedecke über einem Bach, marschiere steil bergauf – und ebenso bergab. Das Mittelteil meines locker klappenden Unterschuhs verkrallt sich wie ein Spike im Schnee.

Stöcke und Schneeschuhe genügen bei der randonnée en raquettes. Foto: Hilke Maunder

Winter pur im Cirque de Gavarnie

Stundenlang wandern wir so auf 1.800 bis 2.400 Meter Höhe durch den Gebirgskessel an der Grenze zu Spanien. Die Faszination der kilometerlangen Kalkmauer, heute von der UNESCO als Welterbe geschützt, war für Kurt Tucholsky eine nationale Zwangsvorstellung.

Die Felswände stehen im gigantischen Halbkreis, oben liegt etwas Schnee, und das Ganze ist schön anzusehen. Aber nicht mehr – und warum so ein Geschrei daraus gemacht wird, weiß ich nicht.

Wenn man näher tritt – das dauert eine Stunde, wie täuschen doch die Entfernungen im Gebirge und auf der See! – dann wird der Zirkus nicht etwa großartiger: man hat da zwar einen hohen Wasserfall, aber weil die Vergleichsmaßstäbe fehlen, überwältigt er nicht.

schrieb er 1927 unter dem Pseudonym Peter Panther in seinem Pyrenäenbuch*.

Legendäre Scharte im Kalk

Etwas Schnee? Meterhoch glitzert die weiße Pracht. 42 Wasserfälle bilden klirrende Kaskaden aus Eis, 200 bis fast 500 Meter hoch. Einige Mutige versuchen, mit Karabiner und Seil die Wand aus Eis zu besteigen. Bricht eine Spitze, hallt ihr Echo wie ein Donner.

Ihr Ziel ist auch meines: die Brèche de Roland (2.807 Meter). 40 Meter breit und rund 100 Meter hoch ist die markante Scharte. Der Legende nach soll der sterbende Paladin Roland sie mit seinem Schwert Durendal in die kilometerlange Kalkmauer geschlagen hat, um zu verhindern, dass die ihn verfolgenden Sarazenen ihn gefangen nehmen. Vermutlich ist die Kluft jedoch durch Gletschererosion während der letzten Eiszeit entstanden. Genau dort hält Josué inne, öffnet den Rucksack und bereitet im Windschatten eines Felsblocks das Picknick.

Was für eine Aussicht!

Die Aussicht entschädigt für die Mühe des Aufstiegs. Gen Süden öffnet sich das Gegenstück zur Gavarnie – der spanische Nationalpark Ordesa – gen Norden gleitet der Blick zurück über die Schneefelder und den kleinen Gletscher Glacier de la Brèche. Bergab geht es anfangs nur vorsichtig: Rutschen die Schuhe? Minuten später ist die Fernsicht vorbei, ist die Sonne nur noch eine diesige Scheibe im hellen Weiß.

„Es ist Berg und Mauer zugleich; es ist das geheimnisvollste Bauwerk des geheimnisvollsten Architekten; es ist das Kolosseum der Natur; es ist Gavarnie“.

In seiner Sammlung En voyage lässt es sich bis heute nachlesen, wie ehrfurchtsvoll Frankreichs Nationalschriftsteller Victor Hugo vor dem Felskessel der Hochpyrenäen stand. Vorsprünge und Falten zerfurchen die 1500 Meter hohe Mauer, die eine Eiszeit vor rund 50 Millionen Jahren formte. Sechs Kilometer Umfang hat der Cirque de Gavarnie: Das ist Landesrekord.

Kakao am Kamin

Die Skistöcke zur Leine verbunden, geleitet Bernard Josué uns zurück zum Chalet La Grange de Holle. Die Schutzhütte aus dunklem Schiefer und Granit ist das ganze Jahr geöffnet und bewirtschaftet, die wenigen Betten im Obergeschoss sind so begehrt, dass sie Monate im Voraus reserviert werden müssen.

In der Gaststube lodert das Feuer im Kamin. Die kalten Hände wärmen sich an den Keramikbechern, in denen der Kakao dampft. Durch die kleinen Fensterscheiben fällt der Blick zurück auf das Amphitheater im Schnee.

Die Infos

Dauer: 3 Std. Aufstieg, 2 Stunden Abstieg

Höhenmeter: 600 Meter

Distanz: 11 Kilometer

Höchster Punkt: 2.807 m

Karte: IGN Top 25 n°1748 OT Gavarnie-Luz Saint Sauveur 

Auch Nathalie Morel ist mit Schneeschuhen unterwegs in der Cirque de Gavarnie. Foot. Hilke Maunder
Auch Nathalie Morel ist mit Schneeschuhen unterwegs im Cirque de Gavarnie. Foto: Hilke Maunder

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