Myriam Darzacq vom Domaine de Paguy mit Floc de Gascogne in rot und gelb. Foto: Hilke Maunder
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Domaine de Paguy: Myriams Floc & Armagnac

Hier liegt die Wiege des Floc de Gascogne ! Stolz hält Myriam Darzacq vom Domaine de Paguy in Betbezer-d’Armagnac im Herzen des Département des Landes mir zwei Gläser entgegen: Voilà unser berühmter Apéritif in Rot und Weiß – mein Vater hat ihn erfunden!“ Mit dem Fahrrad bin ich zu ihrem Weingut in der Nähe von Labastide-d’Armagnac hingeradelt – neugierig auf das Kellergeflüster mit dieser Frau, die als Rentnerin in den Weinbau einstieg – und seitdem viele Preise für ihre Weine erhalten hat.

Der Floc de Gascogne schimmert im Licht des Kellergewölbes. Er gehört zur gleichen Familie wie der Pineau des Charentes oder der Macvin aus dem Jura. „Ich persönlich mag keinen Floc de Gascogne, der zu süß ist, meine Kompositionen sind eher fruchtig,“ sagt Myriam Darzacq.

Ob weiß oder rot, stets gilt jedoch: Genossen wird der Floc de Gascogne stets gut gekühlt, aber niemals mit Eiswürfeln. Mit 16 bis 18 Prozent Alkoholgehalt ist der Floc de Gascogne ein frischer, fruchtiger Apéritif. Mit viel Fingerspitzengefühl balanciert die Inhaberin und Kellermeisterin des Domaine de Paguy seine Süße mit einem Lebenswasser aus, das im Vorjahr gebrannt wurde: ihr Armagnac.

Dicht an dicht stapeln sich am Verkostungstresen ihres Kellers Pokale und andere Preise, nahezu jeder Winkel der Wände ist mit Auszeichnungen und Urkunden bedeckt. Die Produzentin aus dem Bas-Armagnac hat sich nicht nur mehrere Goldmedaillen, sondern auch die pièce d’or und den pot d’or beim Concours des eaux-de-vie landaises gesichert – die höchsten Auszeichnungen für Armagnac im Département des Landes.

Vom Strafvollzug zum Weinbau

Myriam ist tief verwurzelt im Terroir – und hat doch für eine Armagnac-Winzerin eine ungewöhnliche Biographie. Zwar wurde sie hier geboren und wuchs in Betbezer-d’Armagnac auf – doch dann zog es sie hinaus. 30 Jahre lang arbeitete sie als Sekretärin der Direktion im Strafvollzug, neun Jahre davon in Paris an der Place Vendôme, dann 21 Jahre in Bordeaux.

Als sie 2011 erfuhr, dass französische Staatsbedienstete mit mindestens drei Kindern und 15 Dienstjahren vorzeitig in Rente gehen konnten, entschied sich die damals 50-Jährige zu diesem Schritt. Und dies gerade noch rechtzeitig, denn bereits schon 2012 schaffte der damalige Präsident Nicolas Sarkozy die im Jahr 1924 eingeführte Sonderregelung ab. Im März 2013 nun offiziell Rentnerin, kehrte Myriam in ihre Heimat zurück – und trat in die Fußstapfen ihres Vaters.

Ihr Vater hatte das Gut sukzessive aufgebaut, nachdem er 1967 mit ihrer Mutter nach Betbezer-d’Armagnac gekommen war. Er renovierte das Haus, kaufte sukzessive Parzelle um Parzelle und legte die Grundlage für den Weinbau. Das Gutshaus hatte bereits ihr Großvater 1933 in einer Auktion à la chandelle erworben – einer traditionellen Versteigerung bei Kerzenlicht.

Die Weinberge beginnen rund ums Haus. Auf 13 Hektar des Domaine de Paguy wachsen die Reben. Sandrine und Mitchelle unterstützen Myriam bei allen Arbeiten im Weinberg, Abfüllung und Verkauf. „Der Domaine de Paguy ist ein Weingut der Frauen; die Männer dürfen nur helfen – mein Papa und mein Partner.“ Neben den Weinbergen bewirtschaftet der Domaine de Paguy 20 Hektar Mais. Der Rest des 77 Hektar großen Anwesens birgt Wald für die Jagd.

Der Domaine de Paguy liegt im Bas-Armagnac, der renommiertesten der drei Armagnac-Regionen. Im Bas-Armagnac befinden sich 67 Prozent, und damit mehr als zwei Drittel, aller Flächen für die Produktion des gascognischen Weinbrands. Seine sables fauves – orangefarbene, eisenhaltige Sandböden – sind das Terroir für die weltbesten Armagnacs. Diese Böden sind weicher als die härteren, mineralischeren Böden der Ténarèze rund um Condom oder die kalkhaltigen Böden des Haut-Armagnac bei Auch und Lectoure, wo es heute nur noch sehr wenige Armagnac-Produzenten gibt.

Für den französischen Weinbrand Armagnac sind nach den strengen Auflagen der AOC zwölf weiße Traubensorten zugelassen. Verwendet werden hauptsächlich vier: Ugni Blanc, Baco, Colombard und Folle Blanche. Jede Sorte bringt ihren eigenen Charakter ein. Ugni Blanc ist neutral und frisch, Baco als Hybride fruchtig und robust, Colombard als eine natürliche Kreuzung von Gouais Blanc und Chenin Blanc würzig und aromatisch, die Folle Blanche nicht nur die älteste klassische Armagnactraube, sondern auch ein äußerst kräftiges Gewächs. Sie wächst so üppig und produziert so viele Triebe, dass die Winzer sie als etwas „verrückt“ ( folle ) empfanden.

Besonders stolz ist Myriam auf die alten Sorten: Plant de Graisse, Clairette de Gascogne, Jurançon Blanc, Meslier Saint-François, Mauzac Blanc, Mauzac Rosé, Blanc Dame und Piquepoul. Bis ins 19. Jahrhundert war der Piquepoul Blanc die wichtigste Rebsorte für den Armagnac. Häufig wurde sie mit Clairette Blanche verschnitten und dann auch Picpoul d’Armagnac oder ganz einfach „Lippenbeißer“ genannt – wegen ihrer spritzigen Säure. Die Traube ergibt blumige, zitronig-frische Grundweine – ideal für die Destillation von Armagnac und heute teilweise auch für Wermut.

Nach dem Reblausbefall und wegen ihrer geringen Erträge und Krankheitsanfälligkeit wurde Piquepoul Blanc fast vollständig durch Ugni Blanc ersetzt, die heute etwa 98 Prozent aller Armagnac-Weine liefert. Im Languedoc erlebt die Traube aktuell als Picpoul de Pinet (AOC) ein Comeback, während sie im Armagnac nur noch vereinzelt vorkommt. Der Domaine de Paguy bewahrt sie als ein lebendiges Kulturerbe – und Myriam plant sogar eine Kollektion mit diesen historischen Sorten.

Die Kunst der Destillation

Ende September beginnt die Lese auf dem Domaine de Paguy. Anfang November startet die Destillation. Dazu muss der frisch gepresste Traubensaft komplett zu Weißwein vergoren sein. Während dieser alkoholischen Gärung wandeln Hefen den Zucker in Alkohol um. Der Hefesatz, französisch la lie, wird dann abgesogen. Ohne Grobhefe, aber mit feiner Trübung, kommt der Grundwein dann in den Alambic. „Wenn man einen guten Wein hat, kann man keinen schlechten Armagnac herstellen“, sagt Myriam stolz.

Wie viele Armagnac-Güter besitzt der Domaine de Paguy keinen eigenen Brennapparat. „Das ist ein eigenes Metier – da vertraue ich den Experten!“ Un so kommt jeden Winter ein mobiler Alambic auf das Gut. Acht Tage und acht Nächte wird rund um die Uhr gebrannt. Dies ist immer ein geselliges, festliches Ereignis – für Myriam wie für ihre Gäste. An zwei soirées könnt auch ihr beim Brennen im Keller dabei sein und zur Destillation im Alambic im familiären Kreis gemeinsam essen und trinken – und dabei zusehen, wie der Weinbrand entsteht.

Beständig gibt der Brennmeister immer neuen Wein in den Alambic. Die flüchtigen Bestandteile – vor allem Alkohol und die Aromen verdampfen – werden im „Kopf“ (Kolonne) gesammelt, kondensiert und tropfen als frischer, klarer Brand heraus.

Bei dem Domaine de Paguy wandert die gesamte Ernte in den Alambic. Andere Armagnac-Weingüter veredeln nur einen Teil ihrer Ernte in Armagnac und ergänzen das Portfolio des Hauses mit Weinen in Rot, Rosé und Weiß.

Cognac versus Armagnac: die Unterschiede
Beide Weinbrände stammen aus Südwestfrankreich, doch trennen sie Welten. Der entscheidende Unterschied liegt in der Destillation: Cognac wird zweimal in Kupferbrennblasen destilliert, Armagnac nur einmal in der kontinuierlichen Säulenbrennblase. Diese einfache und schonendere Destillation erhält die Fruchtnoten – den brut de fruit.
Der Alkoholgehalt nach der Destillation beträgt bei Cognac etwa 72 Prozent, bei Armagnac nur 52 bis 55 Prozent – und wird dann reduziert, bei Armagnac auf 45-50 %, bei Cognac auf 40-45% und nur selten höher.
Beide nutzen hauptsächlich Ugni Blanc, Folle Blanche und Colombard, doch Armagnac setzt zusätzlich auf Baco Blanc und acht historische Rebsorten. Cognac ist meist ein Verschnitt verschiedener Jahrgänge, Armagnac bietet häufiger sortenreine Jahrgänge. Auch die Produktion unterscheidet sich dramatisch: Cognac produziert mehr als 200 Millionen Flaschen jedes Jahr und dominiert den Weltmarkt, Armagnac bleibt mit etwa drei Millionen Flaschen ein Nischenprodukt für Kenner. Während Cognac für Eleganz und Einheitlichkeit steht, repräsentiert Armagnac Tradition, Terroir und charaktervolle Vielfalt.

Ganz schön groß: die pièce d’Armagnac

Für Spirituosen beträgt das Minimum an Alkohol 40 Volumenprozent. Beim Armagnac von Myriam liegt der Alkoholgehalt bei 52 Prozent nach der Destillation. Myriam reduziert ihn nicht durch Wasserzugabe, sondern lässt ihn auf natürliche Weise sinken. Dazu nutzt sie die Kühle und Feuchtigkeit ihres Kellers.

„Je trockener der Keller, desto länger hält sich der Alkoholgehalt während der Reifezeit im Fass. Bei zu viel Feuchtigkeit sinkt der Alkoholgehalt zu schnell“, erzählt sie, während sie mit ruhigen, präzisen Bewegungen Flasche für Flasche per Hand etikettiert. Ich sitze beim Interview vor ihr auf dem kühlen Steinboden, fange ihre Stimme mit dem Mikro ein, mache mir Notizen und tauche immer tiefer in ihre Lebens- und Arbeitswelt ein.

Anders als viele andere Armagnac-Güter macht der Domaine de Paguy keine Assemblage, keine Cuvées. Bei Myriam sind alle Armagnacs sortenrein aus einer Traube gebrannt. „Wenn man unsere Armagnacs probiert, sticht eine Frucht heraus: die Pflaume“, beschreibt Myriam den typischen Charakter der Weinbrände vom Domaine de Paguy. In großen Holzfässern mit Eiche aus dem Tronçais, Limousin und der Gascogne reifen sie heran. Sie sind deutlich größer als die Barrique-Fässer. 420 Liter fasst das traditionelle Reifefass des Armagnac, die pièce d’Armagnac – im Bordeaux enthält das Standardfass nur 225 Liter.

Die Farben des Armagnac

Glasklar und weiß verlässt das Eau-de-Vie den Alambic. Für die Farbe des Armagnac sorgt nicht die Oxidation, sondern züngelnde Flamme. Maximal 300 °Celsius heiß erobert das Feuer die Innenseiten des Eichenfasses. Jede Fassdalbe knistert, während der Fassmacher das Holz fürs Fass biegt. Beim zweiten Ausbrennen, dem eigentlichen Toasting – auf Französisch bousinage – verwandelt er rohes Eichenholz in einen aromatischen Schatzkasten.

Ein leichtes Toasting dauert nur wenige Minuten. Die Flamme leckt kurz an der Holzoberfläche und lockt dezente Vanilletöne hervor, die den Armagnac sanft umarmen. Die Holzstruktur bleibt dabei weitgehend unverändert. Myriam wählt für ihre Armagnacs stets eine chauffe moyenne, ein mittleres Toasting, 10 und 15 Minuten dauert es und lässt die Hitze tiefer ins Holz eindringen. Dabei karamellisiert der Zucker im Holz. Komplexere Aromen entwickeln sich – eine Balance aus Süße, Würze und milden Tanninen.

Starkes Toasting verändert die Fasskonstruktion fundamental. Bis zu 20 Minuten lang wirkt die Flamme auf das Holz ein, färbt es dunkel, fast schwarz, und holt dabei Röstaromen heraus, während die Tannine noch weiter zurücktreten. Perfekt die richtige Intensität und Zeitdauer beim Toasten aufeinander abzustimmen, ist die wahre Kunst beim Toasten.

Die Temperatur beim Toasten ist niedrig genug ist, damit das Holz nicht verbrennt, aber hoch genug, um die Holzoberfläche und die darin enthaltenen Aromastoffe für die Spirituosen besser zugänglich zu machen. Die Makromoleküle des Holzes – Cellulose, Hemicellulose und Lignin – zerfallen bei der Hitze in kleinere, wasserlösliche Verbindungen, die später vom Armagnac extrahiert werden. Vanille-Aromen entsteht aus dem Lignin des Holzes, Karamellnoten aus dessen Zuckern.

Die Flamme entscheidet über den Charakter des Armagnac für Jahrzehnte. Sechs bis 24 Monate lang reift der Armagnac des Domaine de Paguy in den Fässern, ehe er als Jahrgangsweinbrand in die bernsteinbraune Flasche kommt. „Il faut goûter – jetzt musst Du ihn probieren!“ sagt Myriam. „

Die Renaissance des Armagnac

Um die Jahrtausendwende war das teuerste Lebenswasser der Welt ein wenig in Vergessenheit geraten. Doch die massiven weltweiten Marketingkampagnen für Cognac rückten auch den Armagnac wieder ins Rampenlicht – nicht nur als Digestif, sondern auch als essentielle Zutat für kreative Cocktails und Longdrinks. „Ein Armagnac aus Folle blanche wird heute gerne auch als Aperitif genossen, ein Armagnac aus Baco als Digestif“, berichtet Myriam. Sie selbst hat keine Lust, den Domaine de Paguy modisch zu verjüngen und dem Zeitgeist zu dienen.

Myriam Darzacq setzt auf klassischen Armagnac und die Tradition bewahren, so lange sie es kann – denn keines ihrer drei Kinder zeigt Interesse, den Familienbetrieb zu übernehmen. „Ich kann das verstehen – und würde als junger Mensch auch nicht mehr diesen Beruf wählen, der einen so stark bindet. Doch ich habe keine Lust auf Abenteuer mehr – und bin sehr glücklich mit meinem Leben, meiner Arbeit und hier in meiner Heimat. Ich möchte nicht wachsen und exportieren, sondern den Domaine de Paguy als kleines, feines Familiengut führen. Und Zeit haben fürs Leben.“ Und wer sie ansieht, spürt ihre Leidenschaft für ihre Arbeit – und die Armagnacs ihres Domaine de Paguy.

Der Domaine de Paguy: meine Infos

Hinkommen

Der Domaine de Paguy ist nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen.

Übernachten

Wer mag, kann bei Myriam im Gutshaus des Domaine de Paguy in vier geräumigen Gästezimmer und der Suite am See eine Übernachtung mit Frühstück buchen oder auf dem Anwesen in zwei gîtes als Selbstversorger logieren. Für Erfrischung an heißen Tagen sorgt das Schwimmbad im Garten. Wer mag, kann seinen Urlaub auf dem Weingut hier* online buchen.

Domaine de Paguy*

• Chemin de Paguy, 40240 Betbezer-d’Armagnac, Tel. 05 58 44 81 57, mobil 07 86 48 00 03, www.domaine-de-paguy.com

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Im Blog

Alle Beiträge aus dem Département des Landes vereint diese Kategorie. Mehr zu Wein, Cognac und Co. erfahrt ihr hier. Bei Eaux habe ich den Armagnac-Brenner Francis Dèche besucht – hier habe ich ihn vorgestellt. Den einzigen unterirdischen Armagnachkeller besitzt Carole Garreau vom Château Garreau, das – bei aller Wahrung traditioneller Werte – in Arbeitsweise, Präsentation und Betriebsgröße deutlich mehr an industriellere Maßstäbe herangerückt ist als die kleinen Familiengüter des Armagnac. Lest hier weiter.

Im Buch

Hilke Maunder, Glücksorte in Südwestfrankreich*

Glücksorte Südwestfrankeich

Le bonheur heißt Glück auf Französisch, und das gibt es im Südwesten von Frankreich fast an jeder Ecke.

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