Erfurt: Die Zitadelle Petersberg. Foto: Hilke Maunder

So viel Frankreich steckt in … Erfurt

„Und kraucht der Franzmann wieder rum, Wir haun ihn nochmals lahm und krumm!“

Was für Töne waren nach dem Sieg von 1870/71 in Deutschland zu hören! Selbst in der honorigen Gesellschaft Ressource, der Erfurter Bürger von Rang und Namen angehörten, wurden damals so forsche Töne angeschlagen. Die zitierten Worte wurden von der Gesellschaft bei der Festsitzung zur deutschen Reichsgründung ausgesprochen.

Die Franzosen hatten die Erfurter 1806 kennen gelernt. Durchs Johannestor waren die Truppen einmarschiert, in dichten Kolonnen, stundenlang. Nach dem Sieg über Preußen bei Jena und Auerstedt war die Festung Erfurt kampflos an Napoleon übergeben worden. Der Kaiser machte die Stadt zur kaiserlichen Domaine, die ihm damit direkt unterstand. Als Residenz wählt er das heutige Regierungsgebäude am Hirschgarten.

Die Zitadelle Petersberg. Foto: Hilke Maunder
Der Blumenschmuck der Zitadelle Petersberg. Foto: Hilke Maunder

Diplomatie mit Glanz und Gloria

Gemeinsam mit dem russischen Fürst Alexander I. rückte Napoleon dort mit dem Erfurter Fürstenkongress zwei Wochen lang in den Mittelpunkt der Weltpolitik. “Ich will Deutschland durch Pracht und Glanz in Erstaunen setzen” war Ziel des Treffens. Und so inszeniert sich Napoleon in Erfurt als zweiter Sonnenkönig: mit Besuchen, Bällen, Ausflügen, Paraden, Illuminationen und Empfängen von illustren Gästen. Eingeladen war auch Goethe. Am 2. Oktober 1808 empfing Napoleon den Dichter mit den Worten: „ Vous êtes un homme “ – Sie sind ein (großer) Mann.

Doch die große diplomatische Show verfolgte einen ganz konkreten Zweck: Napoleons Vorherrschaft in Europa zu sichern. Russlands Zar Alexander I. war der letzte Gegner auf dem Kontinent. Nach zähen Verhandlungen konnte der Kaiser ihm zahlreiche Zugeständnisse abringen. Das Treffen in Erfurt markiert den Beginn moderner Diplomatie. Auch heutige Gipfeltreffen wie G 8 werden nach Erfurter Vorbild inszeniert.

Erfurt: Am Fischmarkt. Foto: Hilke Maunder
Am Fischmarkt. Foto: Hilke Maunder

Im Vorfeld erlebte die Stadt ein unglaubliches Investitionsprogramm. Straßen und Häuser wurden saniert, Spruchbänder aufgehängt, Feste geplant, Sicherheitsmaßnahmen umgesetzt. Für Ausbau und Pflege des Straßenbelags wurde 1809 ein Pflastergeld für ortsfremde Pferde eingeführt und eine einheitliche Straßenbeleuchtung in der Stadt installiert.

Aus der Stadtkasse wurden jedoch auch die Selbstdarstellung und der Napoleonkult finanziert. Zur Geburt von Napoleons Sohn musste Erfurt 1811 eine 20 m hohe Napoleonsäule auf dem Anger aufstellen. Napoleons Geburtstag wurde im August 1811 drei Tage lang mit Hochamt, Vogelschießen, großen Konzerten und Enthüllung einer Napoleonsbüste in einem Rundtempel auf der Napoleonshöhe gefeiert.

Erfurt: Die Neue Mühle. Foto: Hilke Maunder
Die Neue Mühle. Foto: Hilke Maunder

Sieben Jahre kurz: die Franzosenzeit

Erfurt blühte. Doch 1813 wurde Napoleon bei der Leipziger Völkerschlacht geschlagen. Preußen, Österreicher und Russen belagerten gemeinsam die Stadt. 35.000 Mann umfassten die Truppen vor den Toren. Nur 6000 Mann stark waren Napoleons Mannen stark. Dennoch dauerte der Widerstand 73 Tage. Im Januar 1814 endete nach sieben Jahren die Franzosenzeit.

Der Beschuss der Zitadelle auf dem Petersberg wurden die Peterskirche und ihre Klosterbauten sowie viele Domplatzhäuser zerstört. Weitere Häuser rissen die Franzosen ab, die erst Anfang 1814 die Stadt verließen. Severikirche und Kornhofspeicher dienten als Lazarett. Die Toten wurden mitten in der Stadt in Gruben verscharrt.

Am Anger. Foto: Hilke Maunder
Am Anger. Foto: Hilke Maunder

Wie wüst es damals in Erfurt herging, verrät am Ende der Galerie im Rathausfestsaal das Gemälde „Die Zerstörung des Napoleonobelisken auf dem Anger“. Französische Soldaten, die am 6. Januar 1814 beim Einzug der Alliierten noch in Erfurt waren, wurden entwaffnet, verprügelt oder gar niedergestochen, die Napoleonsäule zerstört.

Die Preußen wurden frenetisch empfangen. Die Franzosen verschwanden aus dem Stadtbild. Und dem Gedächtnis. Doch bereits ein Jahr vor dem Mauerfall – 1988 – schloss Erfurt mit Lille eine Partnerschaft, die die Stadt 1991 bestätigte und vertiefte.

Erfurt: Fachwerk am Domplatz. Foto: Hilke Maunder
Fachwerk am Domplatz. Foto: Hilke Maunder

Im Herzen sind in Erfurt die Franzosen immer präsent geblieben. Das beweisen auch die vielen Verbindungen und Aktivitäten, die seit der Wiedervereinigung auch das Bundesland Thüringen geknüpft hat.

Neben rund 80 Städte- und Gemeindepartnerschaften sowie Schulpartnerschaften, Jugend- und Praktikantenaustausch, Hochschulkontakten und Forschungskooperationen unterhält der Freistaat seit 1994 eine lebendige Partnerschaft des Freistaates mit der nordfranzösischen Picardie und ihrer Hauptstadt Amiens.

Der Zauber der Chartreuse

84 Franzosen leben heute in Erfurt, verrät die städtische Statistik, darunter 37 Frauen und fünf Kinder – und 14 mehr als im Vorjahr. Haben sie Sehnsucht nach einem Hauch Heimat, pilgern sie zu zwei Adressen. Das Bistro Chez Laurent eröffnete Laurent Carrière 2001 in Erfurt.

Denn in Südfrankreich hatte der waschechte Niçois die Erfurterin Kathrin Haft kennengelernt. Nach einigen Besuchen merkte er: Das ist echte Liebe. Er blieb – und verzaubert seitdem Einheimische und Gäste mit einer frankophilen Küche, die er gerne mit Chartreuse würzt. Mit dem Likör aus 130 Kräutern würzt er nicht nur seine Salatsoßen, sondern flambiert auch seine crème brûlée – und zaubert im Sommer köstliches Chartreuse-Eis.

Die Krämerbrücke. Foto: Hilke Maunder
Die Krämerbrücke. Foto: Hilke Maunder

Die Wände seines Lokals erzählen von seiner zweiten großen Liebe: der Napoleonischen Gesellschaft. Sie erforscht nicht nur die Geschichte Europas der Jahre 1789 bis 1815 unter Napoleon, sondern lässt sie mit Darstellungen in Originalkostümen jener Zeit hautnah wieder aufleben. Laurent Carrière  macht als Napoleons kleinem Bruder Jérôme Bonaparte mit.

Bereits 1990 eröffnete La petite France als eines der ersten Weinfachgeschäfte von Erfurt. Früher an der Bergstraße, heute an der Straße des Friedens 8, hat es sich seit 2006 unter der neuen Leitung von Gesine Hartmann und Gerrit Weber zu einem der 250 besten Käsefachgeschäfte entwickelt. Das sagt nicht das Paar, sondern das Gastromagazin „Der Feinschmecker“.

Neben 150 Positionen jüngerer und älterer Jahrgänge, die fast alle Weinanbaugebiete Frankreichs abdecken, findet ihr in La Petite France Rohmilchkäse aus Kuh-, Schafs- und Ziegenmilch wie Palet d’Auvergne, Saint Nectaire und Crottin de Chavignol. Hergestellt werden sie vorwiegend von bäuerlichen Betrieben und kleinen Produzenten. Über seinen Affineur in Carvin bezieht La petite France jede Woche mehr als 100 fromages fermiers direkt aus Frankreich. Napoleon, das würde Dich freuen!

Frankreich & Erfurt: Was für Verbindungen!

Cologne Lille Erfurt

Der Freundeskreis der Städtepartnerschaft in Frankreich.
https://erfurtlillecologne.wordpress.com

Heinrich-Mann-Gymnasium Erfurt

2015 legten erstmals sechs Schülerinnen und Schüler des Erfurter Heinrich-Mann-Gymnasiums das deutsch-französische Abitur „Abibac“ ab. Am staatliches Gymnasium werden Schülerinnen und Schüler seit 2011 schrittweise auf den doppelten Schulabschluss vorbereitet.
www.hmg-erfurt.de

Institut Français Thüringen

Beim Salon français des Erfurter Ablegers vom IF Deutschland könnt ihr Dichter wie Jean-Pierre Siméon oder Pascal Manoukian, den ehemaligen Generaldirektor der Medienagentur Capa, erleben. Ferner auf dem Programm: Sprachkurse und Prüfungen und andere Kulturveranstaltungen und Aktionen. Das France mobil des IF bringt Französisch-Lernern die Fremdsprache auf lebendige Art näher.
https://thueringen.institutfrancais.de

Königin-Luise-Gymnasium

Dieses Erfurter Gymnasium hat ihre Partnerschule bei Perpignan im Roussillon gefunden: das Collège Le Ribéral in Saint Estève. Einwöchige Austausche beleben den Kontakt mit Südfrankreich.
• www.klg-erfurt.de

In der Umgebung

Deutsch-Französische Gesellschaft Jena

www.dfg-jena.de

Deutsch-Französische Gesellschaft Weimar

www.dfg-weimar-thuer.de


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Überall steckt so viel Frankreich in Deutschland. In 26 Berichten von Erkundungen vor Ort beschreibe ich in So viel Frankreich steckt in Deutschland* die Spuren, die unser französischer Nachbar im Laufe der ereignisreichen, gemeinsamen Geschichte in Deutschland hinterlassen hat. 2021 ist die 2. Auflage erschienen!

E-Book: ISBN 9783752 665604 (14,99 Euro)
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