Kolumbien in Fumel: das Kaffee-Wunder
Zwischen mittelalterlichem Schloss und Watts‘ Dampfmaschine passiert in Fumel am Lot gerade etwas Ungewöhnliches. Die Antwort liegt in einem kleinen Café mit bunten Tischen.
Fumel am Lot: Auf den ersten Blick ist es eine jener Städte, die man schnell vergisst, wenn man auf der D 911 F das Zentrum der Stadt durchfährt. Leere Schaufensterscheiben, verwaiste Ladengeschäfte, menschenleere Gehsteige. Ein Bild des Niedergangs, wie es viele französische Kleinstädte prägt. Doch dann steht da plötzlich ein großer Parkplatz, ein Office de Tourisme – und ich dachte mir, hier muss mehr sein, als der erste flüchtige Eindruck glauben lässt.
Auf der Place Georges Escande geparkt und losgebummelt, hin zur Brasserie, die am Platz zur Pause lud, in nächster Nachbarschaft zum Rathaus, in dessen Fahnenstangen Stadtbanner, Trikolore und EU-Flagge in der Brise wehen. Das Rathaus residiert im einstigen Schloss von Fumel, und welch ein eindrucksvoller Bau es ist, offenbart sich mit jedem Schritt.

Bereits im 11. Jahrhundert errichtet die Familie von Fumel auf einem Prallhang am Lot eine Burg mit einem quadratischen Donjon, fünf weiteren Türmen und einer mit einer Zugbrücke gesicherten Hauptpforte. Von dort aus kontrollierte die Familie den Lot und die Grenze zwischen Agenais, Quercy und Périgord.
Der Hundertjährige Krieg verwüstete die Anlage mehrfach. Bernard de Fumel befestigte sie im 15. Jahrhundert wieder. François de Fumel wollte im 16. Jahrhundert groß umbauen, H-förmig sollte das Schloss werden. Sein Tod 1561 stoppte die Pläne. Erst im 17. und 18. Jahrhundert erhielt die Anlage ihre heutige U-förmige Gestalt – italienische Villa statt französische Burg. Die Revolution kappte dann einige Türme.

1950 kaufte die Gemeinde das Schloss. Seit den 1960er-Jahren tagt hier der Stadtrat. Im Trauzimmer im ersten Stock werden Ehen geschlossen. Nach dem Ja-Wort geht es auf die Veranda für ein Foto vor einer wahrhaftem traumhaften Kulisse. In Terrassen fallen die Schlossgärten zum Fluss ab – mit einem jardin à la française auf der oberen Ebene, einer Mitteletage mit Obstbäumen sowie einem englischen Landschaftsgarten ganz unten mit alten Bäumen: Zedern, Kastanien und Platanen. Der Panoramablick auf das Lot-Tal und die Stadt ist von den Gärten aus wirklich spektakulär!
Zurück im Stadtzentrum sehe ich, dass nicht nur entlang wichtiger Verkehrsachsen wie der D911 immer wieder Geschäftsräume leer stehen oder nur zeitweise genutzt werden. Lokale Medien und Berichte thematisieren regelmäßig die Bemühungen der Gemeinde, diesem Leerstand entgegenzuwirken, etwa durch Initiativen zur Belebung des Stadtzentrums oder die Ansiedlung neuer Geschäfte.

Dennoch bleibt der Leerstand ein sichtbares Problem. Dies hat auch Pascaline Bierry erkannt, die hier geboren wurde. Und gerade hier mit Zuversicht und viel Engagement den Sprung in die Selbstständigkeit wagte.
Da es noch ruhig ist in ihrem Café, beginnen wir ein Gespräch – das schließlich so ein interessantes Interview wurde, dass ich es hier wiedergeben möchte.

Das Interview: Pascaline Bierry im Gespräche mit Hilke Maunder
Bonjour, das ist ja wirklich ein bezauberndes Cafè!
Das Café ist wirklich ein besonderer Ort: Es gibt bunte Tische, sie sind wie ein langer Streifen in den Farben Kolumbiens – weil mein Mann Kolumbianer ist und ich etwa fünfzehn Jahre dort gelebt habe.
Warum Fumel?
Ich bin hier geboren, und meine Mutter sowie meine ganze Familie lebt hier. Durch die Covid-Pandemie war ich gezwungen, zurückzukommen. Wie viele andere habe ich alles verloren – und damals waren mein Mann und ich noch nicht verheiratet. Also musste ich zurück, zurück in die Heimat nach vielen Jahren.
Ich hatte Schwierigkeiten, in Kolumbien neu anzufangen – ich war ziemlich niedergeschlagen, wie man sagt. Ich hatte in Mittel‑ und Südamerika gearbeitet: zuerst in Panama und dann in Kolumbien. Ich besaß in Kolumbien eine Café‑Bar, war stets im Gastronomie‑ und Kaffeesektor tätig. Als ich nach Kolumbien kam, als kleine Französin, trank ich meinen Kaffee immer mit Zucker – bis ich die Welt des kolumbianischen Kaffees entdeckte. In diesen Kaffee verliebte ich mich. Und dann auch in den Kaffeeproduzenten.

Seine Familie hatte bereits Plantagen – es waren die Pflanzungen von Carlos Arturo. Seine Kinder wussten nicht recht, was sie damit tun sollten – ich jedoch war in Frankreich. Wir waren getrennt, bis er sagte: „Warum fangen wir hier in Frankreich nichts an?“ In Kolumbien konnte ich nicht neu beginnen, also schlug er vor: „Ich lass die Plantage den Kindern, und wir arbeiten hier mit dem Kaffee.“
Also sagten wir uns: In Fumel war alles zu, es gab nichts mehr – das war die Gelegenheit, der Stadt hier etwas neues Leben einzuhauchen und etwas mit den Plantagen zugleich für seine Kinder zu machen. Außerdem wollten wir guten Kaffee bekannt machen, denn Carlos Arturo ist als einer der besten Kaffeeproduzenten Kolumbiens anerkannt, mehrfach prämiiert – unter anderem preisgekrönt in England und Deutschland bei Wettbewerben. Sein Kaffee gewann einen der bestplatzierten Preise in Deutschland, das fand ich ziemlich beeindruckend.
Mein Mann Carlos Arturo spricht noch nicht viel Französisch, nimmt aber Unterricht. Das Café ist sehr farbenfroh und aus Holz – komplett aus recycelten Materialien. Wir wollten ein bisschen die Atmosphäre lateinamerikanischer Kaffee‑Bars einfangen: sehr natürlich, roh. Also wirklich komplett aus Wiederverwertung – und es ist wunderschön. Wenn man hereinkommt, spürt man diese Freude – genau die kolumbianische Wärme, die gesellige lateinische Atmosphäre, die wir wollten.

Lassen Sie uns doch noch ein wenig über Ihren Kaffee sprechen. Welche Sorten bieten Sie hier an?
Wir haben in Kolumbien eine eigene Produktion und arbeiten mit drei Kaffeeaufbereitungsverfahren: Gesha-Lavado, Gesha-Honey und Gesha-Natural.
Bei Gesha-Lavado werden die Kaffeekirschen nach der Ernte pulpiert, um die äußere Haut und einen Großteil des Fruchtfleisches zu entfernen. Danach werden die Bohnen in Wassertanks fermentiert, um die verbleibende klebrige Schleimschicht ( mucilage) abzubauen und anschließend gründlich gewaschen, um alle Rückstände zu entfernen. Der Trocknungsprozess dauert in der Regel ein bis zwei Wochen, oft auf erhöhten Betten oder Dächern, um eine gleichmäßige Trocknung zu gewährleisten. So erhält der Kaffee Geschmacksnoten von dunkler Schokolade und Mandarinenschale und seinen milden, nicht aggressiven Charakter
Bei der Gesha-Honey-Methode wird die Kaffeekirsche ebenfalls pulpiert, aber die klebrige Schleimschicht (Mucilage) bleibt ganz oder teilweise an der Bohne haften. Der Name Honey bezieht sich auf diese klebrige, honigartige Textur der Bohnen während des Trocknens, nicht auf die Zugabe von Honig.
Das Trocknen dauzert beim Gesha-Honey-Verfahren länger als beim gewaschenen Kaffee, drei Wochen sind hier ein guter Richtwert, können aber je nach Klima und gewünschtem Ergebnis variieren. Die Schleimschicht trägt zu einer süßeren Tasse mit blumigen und honigartigen Noten bei und der Kaffee ist oft noch milder und vollmundiger als die gewaschene Variante.
Beim Gesha-Natural-Verfahrens bleiben die gesamten Kaffeekirschen intakt. Sie werden direkt nach der Ernte, inklusive Fruchtschale und Fruchtfleisch, ausgelegt und getrocknet. Drei bis sechs Monate dauert es, bis die Feuchtigkeit aus der gesamten Frucht entwichen ist. Während der Trocknung sorgt der lange Kontakt der Kaffeebohne mit dem Fruchtfleisch zur besonders intensiven Aufnahme von Aromen und Zucker aus der Frucht. Dies verleiht dem kolumbianischen Kaffee komplexe, fast schon weinartige Geschmacksnoten von Cognac, Champagner, dunkler Schokolade und roten Früchten. Arturo gehört zu den ersten, die dieses Verfahren einsetzen. Seine Pionierarbeit hat dazu beigetragen, dass dieser Stil in Kolumbien an Popularität gewonnen hat.
Kann man die drei Kaffeesorten bei Ihnen probieren?
Den Lavado und den Honey schon. Den Natural verkaufen wir als Bohnen oder gemahlen, weil er so begrenzt ist, dass wir ihn nicht regelmäßig zur Verkostung anbieten können.

Wie haben Sie sich kennengelernt?
Ich kam zuerst nach Panama, aber ohne die erforderlichen Papiere. Also reiste ich weiter nach Kolumbien, per Zufall in ein kleines Dorf namens Pirao in den Anden, der Kaffeeregion im Departamento Quindío. Dort entdeckte ich seine kleine Kaffee-Boutique. Wir kamen ins Gespräch, ich entwickelte eine Leidenschaft für Kaffee, machte Touren auf Plantagen, lernte die Prozesse kennen – und dann verliebte ich mich sowohl in einen Kolumbianer als auch in den Kaffeeproduzenten.
Wie wurden Sie hier in Frankreich aufgenommen?
Einige Bewohner kannten mich, weil ich hier geboren bin. In Fumel war alles stillgelegt, wirtschaftlich ging es bergab. Die Leute waren neugierig und froh: „Kolumbianer produzieren hier Kaffee, das ist ungewöhnlich – aber toll!“ Sie freuten sich, dass wieder etwas lebte. Es gibt sogar eine Ecke für Kinder, WLAN zum Arbeiten, man kann ein Buch lesen, Leute beobachten – oder unsere Latino-Abende besuchen. Jeden letzten Sonnabend im Monat laden wir ab 19 Uhr zum Momento Apero ein, einer authentischen Latino-Party mit Tanzfläche, Salsa und Lounge-Bereich.
Haben Sie noch weitere Träume oder Projekte?
Ja, viele, ganz viele! Ich möchte hier den Menschen die Kaffeewelt näherbringen, auch die harte Arbeit bei der Ernte, bei der bis heute alles per Hand erfolgt. Vielleicht bringen wir Gäste zu uns nach Kolumbien für eine Woche Ernte-Urlaub. Auch eine Barista-Schule wäre toll – und der Austausch zwischen Kindern aus Kolumbien und hier.
Mein Ziel ist es, wieder nach Kolumbien zurückzugehen, vielleicht sechs Monate dort und sechs Monate hier, saisonal wechseln, und den Menschen die wahre Schönheit Kolumbiens zeigen – dessen Flora, Fauna, und besonders dessen Vögel sind einfach unglaublich.
Vielleicht kaufen wir ein größeres Anwesen und eröffnen ein kleines Hotel. Ein weiteres Projekt ist, in Fumel eine eigene torréfaction aufzubauen. Carlos Arturo baut an, erntet, röstet und ist Barista – er begleitet den Kaffee von der Pflanze bis zur Tasse. Es wäre toll, eine Rösterei hier zu haben, Kaffeeverkostungen anzubieten und den Prozess zu zeigen – denn das Rösten ist der entscheidende Schritt für Qualitätskaffee.
Mein Mann Carlos Arturo röstet sehr schonend: gleichmäßig gebraten, aber nicht verbrannt. Man sieht, dass der Kaffee sehr klar ist in der Farbe – und das ist genau das, was wir beibehalten wollen. Voilà, das ist unser nächstes Projekt: eine richtige Rösterei!
Ich finde die Idee großartig. Viel Erfolg für Ihr Projekt und herzlichen Dank für das interessante Gespräch!

Industrieerbe zum Anschauen
Fumels Niedergang begann nicht erst mit der Pandemie, sondern viele Jahrzehnte früher. Über Generationen hatte die Metallindustrie die Stadt geprägt. Die Fonderies de Fumel gaben Tausenden Arbeit, brachten Wohlstand. Doch ab den 1970er-Jahren ging es bergab. Fabriken schlossen, die Menschen zogen fort, immer mehr Läden machten dicht.
Ein Relikt steht noch immer auf dem Fabrikgelände: die Machine de Watt, eine monumentale Dampfmaschine von 1850. Zehn Meter hoch, 200 PS stark, eines der letzten beiden funktionsfähigen Exemplare weltweit. Sie symbolisiert Fumels goldene Industriezeit – und deren Ende. Heute ist sie eine der beiden großen Touristenattraktionen der Stadt. Die zweite ist das Wasserkraftwerk am Lot, das heute 7.000 Haushalte mit Ökostrom versorgt.
Ein Parc en ciel lockt Familien mit Kletterpark und Naturbad, wer Wasser liebt, besucht das örtliche Freibad, springt in den erfrischend kühlen Lot oder entdeckt den Fluss beim Paddeln. Und erfährt ganz nebenbei: Schon vor 30.000 Jahren lebten Menschen hier. 1895 fand Archäologe Édouard Piette in einer Höhle bei Fumel ein Cro-Magnon-Skelett aus dem Aurignacien. Die Funde liegen heute im Pariser Musée de l’Homme.
Kaffee als Hoffnungsträger
Frankreich empfing 2024 über 100 Millionen internationale Besucher, 71 Milliarden Euro flossen in die Tourismuskassen. Auch kleine Orte wie Fumel wollen profitieren. Die Gemeinde kämpft gegen den Leerstand, unterstützt neue Geschäfte, setzt auf Kultur und Innovation.
Pascaline Bierry ist dabei Pionierin und Symbol zugleich. Ihr Momento Café zeigt: Auch im strukturschwachen ländlichen Frankreich entstehen neue Ideen. Nicht durch Großinvestoren oder EU-Programme, sondern durch Menschen wie Pascaline Bierry und Carlos Arturo. Sie bringen kolumbianische Lebensfreude in eine französische Kleinstadt – und beiden Welten tut dies gut.

Fumel: meine Reisetipps
Schlemmen und genießen
Momento Café sabor y pasión
• 2, rue de la République, 47500 Fumel, Tel. 07 80 48 22 31, auf Instagram zu finden
In der Nähe
Château de Bonaguil
Fumel liegt auf dem Weg zu einer wahrend Bilderbuchburg. Hier habe ich sie vorgestellt.
Hier könnt ihr schlafen
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Hilke Maunder, Glücksorte in Südwestfrankreich*
Le bonheur heißt Glück auf Französisch, und das gibt es im Südwesten von Frankreich fast an jeder Ecke.
970 Kilometer lang präsentiert die Atlantikküste zwischen La Rochelle und Spanien ihre atemberaubende Natur mit Dünen, Kliffs und Küstenflüssen wie der verwunschen wilde Courant d’Huchet, die die Badeseen in den Kiefernwäldern der Forêt des Landes mit der Brandung am Atlantik verbinden.
Le bonheur serviert der Südwesten von Frankreich auch ganz weit oben – vom Leuchtturm Phare de la Coubre wie in den höchsten Bergregionen der Pyrenäen, wo der Petit Train d’Artouste in offenen Waggons auf 2.000 Metern Höhe durch eine erstaunliche Bergwelt rattert. Le bonheur findet ihr auch in der cusine du terroir. Kostet das Land – und erlebt den Südwesten Frankreichs mit meinen 80 Tipps für alle Sinne! Hier* gibt es die Glückstipps!
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