
Perrin, Jouvin, Vallier: Wer kennt noch diese Namen? Sie machten im 19. Jahrhundert Grenoble zur Hauptstadt für Luxushandschuhe. Jede zweite Familie war dort damals mit der ganterie, der Handschuh-Fertigung, verbunden. 400.000 Handschuhe betrug 1851 die jährliche Produktion.
Bis 1862 verdoppelten sich die Zahlen und erreichten 1869 mit einer Million Handschuhe ihren Rekord. Hauptabnehmer waren – neben den Franzosen – die Briten und Amerikaner.

Seit zum Ende Februar 2017 Marie-Anne Jacquemoud die Türen ihrer Gants Marianne für immer schloss, hält nur noch ein einziger Mann das Traditionshandwerk lebendig: Jean Strazerri.
Jean Strazzeri – der letzte seiner Zunft
Das Certificat d’aptitude professionnelle (CAP) de coupeur, den Fachabschluss als Zuschneider in der Tasche, verließ er mit 14 Jahren die Schule und begann 1964 als Lehrling bei der Lesdiguières. Damals waren dort unter der Leitung von Jean Marino 120 Mitarbeiter beschäftigt, 50 in der Werkstatt, 70 daheim.
Entlassung um Entlassung folgte. Die Folge: Jean lernte auch die Aufgaben, die vorher von anderen Spezialisten gemacht wurden. „So lernte ich, einen Handschuh von Anfang bis Ende zu fertigen – und nicht nur zuzuschneiden.“

So stieg er im Laufe der Jahre vom Azubi zum Chef der Ganterie Lesdiguières, die bis heute ein Familienunternehmen ist. Seine Frau Odile kümmert sich seit 1980 um den Vertrieb und die Buchhaltung, Tochter Julie um das Ladengeschäft.
1994 kaufte die Familie die Ganterie Barnier, die seit 1885 in La Fontaine bei Grenoble daheim ist. „Wir fertigen heute in der ältesten Handwerksfabrik Frankreichs. Und wo wir wohnen, haben schon immer Handschuhmacher gelebt“, erzählt Monsieur stolz.
Einer der besten Kunsthandwerker Frankreichs
Seit 2000 gehört er als einer der landesweit besten Handwerker zum Kreis der Meilleurs Ouvriers de France (MOF). 2008 folgte die Auszeichnung seiner Handschuhe als Patrimoine vivant, als lebendiges Erbe.
Stolz ziert die Trikolore den Kragen seines Kittels. Jean zieht in einem betagten Holzschrank eine Schublade auf. Drinnen liegen, dicht an dicht, Handschuhe in sattem Rot. Unglaublich weich ist ihr Leder. „Wir fertigen all unsere Handschuhe aus Zicklein-Leder. Die Handschuhmacher von Millau arbeiten mit Lamm.“

Wie, verraten kleine Handzettel, die der Handschuhmacher bei Interesse auf Englisch oder Französisch in die Hand drückt. Um das Handwerk zu erhalten, und Handschuhmacher auch als Beruf der Zukunft zu erhalten, engagiert sich Monsieur auf allerhöchster Ebene.
Er macht Lobbyarbeit im Conseil National du Cuir, im Centre Technique du Cuir und als Präsident der Kommission für die wirtschaftliche Entwicklung der Lederbranche Frankreichs (Commission du Développement Economique de la filière du cuir français).
Strazerri vernetzt sich und ist so agil und aktiv in der Werbung für das Traditionshandwerk, dass man sich fragt, wie der Handschuhmacher es schafft, doch noch im Ladengeschäft zu stehen. Oder dort auf uralten Maschinen an neuen Entwürfen zu arbeiten.

Das Handschuhmacher-Handwerk von Grenoble: Infos
Ansehen
Musée de la Ganterie
180 Jahre lang fertigte Jouvin seine Handschuhe in Grenoble. Wie, verrät in der einstigen Manufaktur ein kleines, interessantes Museum, das ihr nach vorheriger Anmeldung besichtigen könnt.
• 2 Rue Saint-Laurent, 38000 Grenoble, Tel. 06 81 78 48 44
Shopping
Gants Lesdiguières
Das Ladengeschäft von Monsieur Strazzri.
• 10 Rue Voltaire, 38000 Grenoble, Tel. 0476 89 11 42, https://ganterie-grenoble.fr
Souvenir-Handschuhe
Im Office de Tourisme, nur wenige Schritte von der Ladenwerkstatt von Jean Strazerri entfernt, werden diese modernen Handschuhe verkauft. Zuerst dachte ich, es sind reine Souvenirs für Touristen. Doch dann sah ich, dass auch die Einheimischen sie gerne tragen. Es sind allesamt Entwürfe von Benjamin Cuier und Philippe Largèze von FST Handwear.

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Secret Citys Frankreich*
Gemeinsam mit meinem geschätzten Kollegen Klaus Simon stelle ich in diesem Band 60 Orte in Frankreich vor, die echte Perlen abseits des touristischen Mainstreams sind. Le Malzieu in der Lozère, Langogne im Massif Central, aber auch Dax, das den meisten wohl nur als Kurort bekannt ist.
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Ich bin sehr begeistert von den immer wieder so höchst interessanten Artikel! Wenn man wie ich mehr als 50 Jahre dieses Land nicht nur bereist sonder erlebt, erfährt man diese Details. Ich bin seit Jahren mit Millau eng verbunden und kenne dort das alte Gewerbe der Handschuhmacher. Und bin seit 1967 oft Grenoble unterwegs gewesen. Dieser Mann und die mit ihm verbundene Geschichte war mir nicht bekannt.
Herzlichen Dank für Ihre wunderbare Berichterstattung.
Liebe Frau Fohrer, herzlichen Dank! Wenn Sie Lust haben, verfassen Sie doch einmal einen Gastartikel in der Reihe: „Mein Frankreich“ – und stellen Sie dort einmal Ihre ganz besonderen Beziehungen zu Frankreich vor. Bei Interesse bitte Text und Bilder per Mail an mich. Bin gespannt!
Bon weekend! Hilke Maunder