Blick auf das Schloss von Montbéliard vom Office de Tourisme aus. Foto: Hilke Maunder
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Montbéliard: Auf den Spuren von Heinrich Schickhardt

Wie ein Schreiner aus Herrenberg die Renaissance nach Frankreich brachte und als schwäbischer Leonardo Mömpelgard zur glanzvollen evangelischen Residenzstadt im katholischen Frankreich macht.

Über die Steinquader der Martinskirche in Montbéliard tanzen die ersten Sonnenstrahlen. Der toskanische Kolossalstil und die Proportionen einer antiken Vitruvius-Basilika verschmelzen auf der Place Saint-Martin von Montbéliard zu einem architektonischen Meisterwerk, das vor mehr als 400 Jahren entstand – als Glaubensort und politisches Statement. Ein Handwerker aus Herrenberg hat es geschaffen: Heinrich Schickhardt, den Zeitgenossen den „schwäbischen Leonardo“ nannten.

Ein Zimmermann erobert Europa

Am 5. Februar 1558 erblickte Heinrich Schickhardt in Herrenberg das Licht der Welt. Nichts deutete darauf hin, dass dieser Sohn einer Handwerkerfamilie einmal halb Europa prägen würde. Als gelernter Schreiner begann er seine Laufbahn bescheiden. Doch sein Talent blieb nicht verborgen.

1578 entdeckte der württembergische Hofbaumeister Georg Beer den jungen Mann. Unter seiner Anleitung verwandelt sich der Zimmermann zum Architekten. Als einer der ersten deutschen Architekten studiert Heinrich Schickhardt die stilbildenden Werke seiner Zeit vor Ort in Italien und Frankreich. Seine Italienreisen 1598 und 1599-1600 prägen sein Schaffen nachhaltig. Begeistert von der Renaissance kehrt er zurück.

Die Geburt einer Kulturstraße

Heute führt die Europäische Kulturstraße Heinrich Schickhardt rund 350 Kilometer von Montbéliard in Frankreich bis nach Backnang ins östliche Baden-Württemberg.

Die Route, am 23. Mai 1999 eingeweiht von Carl Maria Peter Ferdinand Philipp Albrecht Joseph Michael Pius Konrad Robert Ulrich Herzog von Württemberg, verbindet seitdem mehr als 30 Stätten von Heinrich Schickhardt, darunter fünf in Frankreich und eine in der Schweiz. Sie erzählt die Geschichte eines Mannes, der Architektur, Stadtplanung und Ingenieurskunst revolutionierte.

Montbéliard: Labor der Renaissance

1593 bestieg Herzog Friedrich von Württemberg den Thron. Seine erste Amtshandlung? Ein gewaltiges Bauprogramm in seiner Geburtsstadt Montbéliard – dem damaligen Mömpelgard. Den Auftrag erhielt Heinrich Schickhardt. Friedrich hatte Schickhardt schon als Gehilfe des württembergischen Hofbaumeisters Georg Beer ab 1593 zunehmend für Bauprojekte herangezogen. Die mittelalterliche Stadt soll zur Renaissance-Residenz werden. Heinrich Schickhardt macht sich ans Werk. Von 1595 bis 1598 lebt er jedes Jahr von April bis November in Montbéliard und leitet zahlreiche Bauprojekte am Schloss und in der Stadt.

Der schwäbische Visionär

1600 ließ sich Schickhardt in Montbéliard nieder, wurde 1603 Bürger und überwachte bis 1608 vor Ort ein umfangreiches städtebauliches Programm. Das Ziel des Fürsten: das bis dato noch mittelalterlich geprägte Mömpelgard zu einer glanzvollen Residenzstadt der Renaissane umzugestalten. Dazu wurde der mittelalterliche Stadtkerne um die Neuveville erweitert, heute der faubourg de Besançon.

Das Quartier de Neuveville wurde 1598 vom Architekten Heinrich Schickhardt entworfen und zeichnete sich durch eine klare, geometrische Straßenführung und städtebauliche Planung aus. Aufgrund der Kriegswirren im 17. Jahrhundert kam der Bauanfang nur schleppend voran; die Entwicklung setzte sich aber im 18. und 19. Jahrhundert fort, als es weiter ausgebaut und bebaut wurde. Später verdrängten neuere Entwicklungen Teile des mittelalterlichen Stadtbilds und trugen zum heutigen Erscheinungsbild Montbéliards bei.

Im Quartier de Neuveville befinden bis heute die wichtigsten Werke von Heinrich Schickhardt: das Logis des Gentilshommes und das Universitätskollegium, das nach dem Vorbild des Tübinger Collegium Illustre entstand. Die Zitadelle wurde gebaut, die lutherische Martinskirche errichtet.

Heinrich Schickhardt prägte auch das Umland. Er errichtete Mühlen in Bavans, Seloncourt und Villars-sous-Dampjoux. In Sochaux entanden Brücken, in Étobon und Blamont wurden Kirchen neu errichtet oder umgebaut. In Lougres gründete er sogar ein Thermalbad.

Meisterwerke, die überdauern

Was ist heute noch von Heinrich Schickhardt zu sehen? Mehr als man denkt. Trotz zahlreicher Zerstörungen prägt sein Werk bis heute das Stadtbild von Montbéliard. Als architektonisches Vermächtnis gilt die Martinskirche (1601-1607). Schickhardt verband hier die italienische Renaissance und die Liebe des toskanischen Kolossalstils für monumentale Säulenordnungen, die in Südwestdeutschland unbekannt waren, mit antikem Erbe: der Vitruvius-Basilika.

Diese antike Bauform beschrieb der römische Architekt Marcus Vitruvius im ersten Jahrhundert vor Christus in seinen „Zehn Büchern über Architektur“ als rechteckige Halle mit erhöhtem, belichtetem Mittelschiff. Heinrich Schickhardt übernahm dieses Konzept und schuf das Gotteshaus als langgestreckte Halle mit höherem Mittelteil, durch den Licht ins Innere fällt.

Eine protestantische Kirche mit katholischen Proportionen: Mit der Martinskirche gelang Heinrich Schickhardt ein diplomatisches Meisterstück. Das Fürstentum Mömpelgard (Montbéliard) war damals eine protestantische Enklave im ansonsten katholischen Frankreich, regiert von einer deutschen Linie der württembergischen Herzöge.

Der Bau der Kirche von 1601 bis 1607 unter Herzog Friedrich I. von Württemberg sollte daher nicht nur der religiösen Nutzung dienen, sondern auch die Macht und den Status des evangelischen Herrschers inmitten einer vorwiegend katholischen Umgebung demonstrieren. Heute ist die Martinskirche das älteste evangelische Gotteshaus in Frankreich.

Das Logis des Gentilshommes

Das Logis des Gentilshommes im Schloss (1595-1597) verkörpert den schwäbischen Renaissance-Stil. Der dreigeschossige Bau aus heimischem Sandstein diente als repräsentative Unterkunft für den Vogt und die Höflinge – die gentilshommes. Auch Kurtisanen sollen hier ein und ausgegangen sein, heißt es in den Quellen.

Die klaren, geometrischen Proportionen stammen aus Italien, während die solide Werksteinbauweise und die funktionale Raumaufteilung typisch schwäbisch sind. Harmonische Fensterreihungen gliedern die Fassade, dezente Renaissance-Ornamente schmücken die Portalrahmen. Heinrich Schickhardt schuf hier einen neuen Baustil, der weder rein deutsch noch italienisch ist – sondern europäisch.

Die Hydraulikmaschine

Schickhardt war nicht nur Architekt, sondern auch Ingenieur, bekannt für technische Erfindungen und Mechanismen. Sein umfangreiches Werkverzeichnis und zahlreiche Pläne sind bis heute erhalten. Zur Wasserversorgung des Schlosses ersann er 1595 eine Hydraulikmaschine. Ein Brunnen und zwei Schächte vor dem Museumseingang am Schloss sind heute die letzten Zeugen dieser Erfindung, die damals als technisches Wunder galt.

Der Schwabenhof

An der Rue du Collège 12 von Montbéliard ließ Heinrich Schickhardt zwischen 1599 und 1602 die Souaberie errichten. Zum Namensgeber wurden die schwäbischen Viehhirten ( bouviers souabes ), die ihn bewirtschafteten. Der Hof war als Mustergut Teil der Renaissance-Modernisierung der Stadt und diente als praktisches wie repräsentatives Modell des landwirtschaftlichen Fortschritts im württembergisch geprägten Mömpelgard.

1598 begannen die Bauarbeiten am Collège universitaire. Das Universitätskollegium war ursprünglich als Ausbildungsstätte für Theologen konzipiert und sollte später zu einer vollwertigen Universität ausgebaut werden – ein Plan, der jedoch nicht umgesetzt wurde. 1607 wurden die Bauarbeiten abgeschlossen. Die politische Lage im katholisch geprägten französischen Staatsgebiet erschwerte die Weiterentwicklung erheblich: Das Projekt vertiefte die ohnehin bestehenden religiösen Spannungen zwischen Protestanten und Katholiken, und auch fehlende Ressourcen verhinderten den Ausbau zur Universität.

Der von Heinrich Schickhardt errichtete Bau war zwar ein bedeutender Ausdruck des protestantischen Bildungsanspruchs und legte wichtige Grundlagen, doch das vollständige Universitätsprojekt wurde zunächst durch die konfessionellen und politischen Gegebenheiten blockiert oder aufgeschoben.

Erst 1671 – mehrere Jahrzehnte nach Schickhardts Bauphase – wurde schließlich in Montbéliard eine lutherische Universität gegründet.

Der schwäbische Leonardo

Heinrich Schickhardt war wie Leonardo da Vinci, mit dem er gerne verglichen wurde, weit mehr als Architekt. Er modernisierte Salzbergwerke, entwickelte hydraulische Anlagen und kartografierte ganze Landstriche. Das von Heinrich Schickhardt in seinen letzten Lebensjahren verfasste „Inventarium“ ist noch heute eine hervorragende Quelle zur Kunst und Kultur der Renaissance.

Als sein Hauptwerk gilt der ‚Neue Bau‘ in Stuttgart (1600/1609). Dieser Prachtbau der deutschen Renaissance brannte 1757 ab – ein unwiederbringlicher Verlust. Doch anderenorts ist Heinrich Schickhardts Vision geradezu großartig.

Städte aus dem Nichts

Auf Befehl des Herzogs von Württemberg hat Heinrich Schickhardt eine komplett neue Stadt entworfen, wo zuvor nur schwarzer Wald war. So entstand 1599 Freudenstadt im Schwarzwald. Der quadratische Grundriss mit der einzigartigen Marktplatzanlage ist bis heute erhalten. Die Stadtkirche von Freudenstadt wurde zu seinem architektonischen Experiment: Mit zwei rechtwinklig gegeneinander stoßenden Schiffen konstruierte er sie so, dass Männer und Frauen getrennt saßen und sich nicht sehen konnten, wohl aber den Geistlichen.

Ein dramatisches Ende

1608 ernannte Herzog Johann Friedrich Schickhardt zum Landbaumeister. Die kaum zu überschauende Vielzahl seiner Auftraggeber und Wirkungsorte wie auch die Breite seiner Tätigkeitsfelder machen ihn zu einer der einflussreichsten Persönlichkeiten seiner Zeit. Doch der Dreißigjährige Krieg beendet die Blütezeit. 1635 fiel der 77-jährige Meister einem Mordanschlag zum Opfer – welch ein tragisches Ende für dieses außergewöhnliche Leben!

Auf Schickhardts Spuren wandeln

In Montbéliard präsentiert heute ein ausgeschilderter Rundweg drei Kilometer lang das Leben und Werk von Heinrich Schickhardt. Zwölf Stationen führen durch die Altstadt: vom Hôtel de Franquemont über das Schloss bis zur Souaberie. Der Spaziergang durch vier Jahrhunderte Architekturgeschichte beginnt am Office de Tourisme in der Rue Henri Mouhot. Informationstafeln mit Schickhardts Monogramm markieren unterwegs seine Werke.

Das Erbe eines Visionärs

Heinrich Schickhardts Vermächtnis reicht weit über Montbéliard hinaus. Wie kaum ein anderer hat Heinrich Schickhardt ein halbes Jahrhundert lang als Architekt und Ingenieur das äußere Gesicht des Herzogtums Württemberg samt der Grafschaft Mömpelgard geprägt. Die Europäische Kulturstraße macht sein Werk erlebbar. Sie verbindet nicht nur Orte, sondern auch Epochen – und zeigt, wie ein schwäbischer Handwerker Europa veränderte.

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Im Blog

Mömpelgard lohnt nicht nur auf den Spuren von Heinrich Schickhardt einen Besuch. Was ihr dort alles erleben könnt, habe ich hier vorgestellt. Das Umland von Montbéliard könnt ihr hier entdecken. Noch mehr spannende Texte zu Architektur aus Frankreich gibt es hier.