Welterbe: die Traboules von Lyon. Foto: Hilke Maunder
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Seide aus Lyon: die Kunst der Canuts

Jahrhundertelang hing der Wohlstand Lyons am seidenen Faden. Mit Franz I., der Seidenweber aus Italien an die Rhône holte, begann der Siegeszug der Herstellung von Seide nach dem System der fabrication lyonnaise.

Während der Unternehmer die Rohstoffe importierte, Produktion und Absatz kontrollierte, arbeiteten die canuts, wie die Seidenweber genannt wurden, im eigenen Heim für einen Hungerlohn.

Die canuts haben die Identität von La Croix-Rousse geprägt. Sie waren als Meisterweber von Gold-, Silber- und Seidenfäden in ganz Europa gefragt. Der Ursprung ihres Namens geht vermutlich auf die Spule der Seidenfäden zurück, die im Französischen canette genannt wird.

Ein bahnbrechende Erfindung

Die Seidenweberei in Lyon florierte vom 16. bis zum 19. Jahrhundert und boomte besonders im 19. Jahrhundert, nachdem  Joseph-Marie Jacquard im Jahr 1804 den Jacquard-Webstuhl entwickelt hatte. Seine Erfindung revolutionierte die   Seidenweberei. Dank Lochkarten automatisierte sein innovativer Webstuhl das Weben komplexer Muster – und sparte so Kosten, Zeit und Arbeitskraft.

Zarte Seide, schwere Arbeit

Am 21. November 1831 legten Tausende Weber ihre Arbeit nieder. Ihr Aufstand – der erste Arbeiteraufstand in der Geschichte der industriellen Revolution Frankreichs – wurde brutal vom Militär niedergeknüppelt. Auch bei den Weberaufständen 1834 und 1848 sorgte die Armee für Ruhe. Bis heute jedoch erinnert ein riesiges Wandbild in La Croix-Rousse an ihre Geschichte.

Traboules: Wege für die Seide

Typisch für das Viertel am Hang der Saône sind die traboules, enge, überdachte Passagen und Treppen zwischen den Straßenzügen. In ihnen konnten den die Weber ihre wertvollen Stoffe geschützt vor Wind und Wetter transportieren. 315 dieser traboules soll es in Lyon geben. 95 Prozent von ihnen können heute nicht mehr frei besichtigt werden und wurden, zum Schutz vor Besuchern, Drogenhandel oder anderem Unerwünschten geschlossen. Doch morgens sind sie mitunter für die Müllabfuhr und den Postboten geöffnet. Versucht einfach euer Glück und drückt den Öffnungsknopf, den Stern oder die Null.

Zirka 31 traboules sind in Lyon offziell geöffnet. Dazu gehören die Longue Traboule, die in Vieux-Lyon die Rue Saint-Jean mit der Rue du Bœuf durch drei Höfe und vier Gebäude verbindet. Hinein kommt ihr über den Eingang an der 54, rue Saint-Jean. Traboules findet ihr nicht nur in der Altstadt von Lyon, sondern auch in Croix-Rousse, dem frühereren Viertel der Seidenweber. Dort ist die Traboule des Cour des Voraces zwischen der Place Colbert und der Rue Imbert-Colomès zugleich Traboule, Hof und Treppe – und sechs Stockwerke hoch! Dort hinein geht es von der 9, place Colbert.

Der typische Stild der Seide von Lyon

Bis zum Ende des 17. Jahrhunderts wurde in Lyon nur unifarbene Seide gewebt. Erst mit der Technik des Broschierens entfaltete sich der typische Lyoner Stil. Beim Broschieren bildet die Seide das Grundgewebe. Das Muster bildet ein zusätzlicher Schussfaden.

Der Musterfaden sollte dabei etwas dicker sein als die Fäden des Grundgewebes. Pflanzen, Blumen und Früchte waren besonders beliebte Motive in Lyon.

Die intensive staatliche Förderung der Seide ließ Frankreich zur Nummer eins im Europa des späten 17. Jahrhunderts aufsteigen. Wanre zuvor Italiens Seidenweber bei Technik und Muster führend gewesen, gab nun Frankreich den Ton an.  Gezielt unterstützte die Krone diese Entwicklung.

1756 wurde beispielsweise ein Schule für Musterzeichner in Lyon. Als „Furienwerk“ sorgte die Seide aus Lyon damals Furore.Bizarr nannten die Zeitgenossen die Stoffe der Seidenweber aus Lyon. Ihre Muster waren ist ungewöhnlich, sehr dynamisch, verziert mit fantastischem  Formen, erkennbaren Gegenstände oder geprägt von ostasiatischen Einflüsse. Insolite eben, einzigartig. Europa war begeistert.

Seide aus Lyon: meine Reise-Tipps

Seide erleben

L’Atelier de Soierie

• 33, rue Romarin, 69001 Lyon, Tel. 04 72 07 97 83, www.brochiersoieries.com,  Besichtigung Mo. – Fr. 9.00 – 13.00, 14.00 – 18.30 Uhr, Sa. bis 18.00 Uhr

La Maison des Canuts

1970  gründete die Webereikooperative COOPTISS die Maison des Canuts in einem mehr als 500 Jahre alten Stadthaus, in dem einst die Gewerkschaft Syndicat des Tisseurs et Similaires residierte.

In den Ausstellungsräumen erfahrt ihr mehr über den Ursprung der Seide, die Herstellung von Gold- und Silberfäden, die Entwicklung der Lyoner Seidenindustrie von 1536 bis heute und die Aufstände der canuts angesichts der sehr harten Arbeitsbedingungen der Weber.

Zu festen Zeiten wird ein echter Jacquard-Handwebstuhl aus dem 19. Jahrhundert in Betrieb genommen – faszinierend! Im Museumsladen gibt es als Souvenir eine Auswahl an Textilien 100 % fait à Lyon.
• 10, Rue d’Ivry, 69004 Lyon, Tel. 04 78 28 62 04, https://maisondescanuts.fr, Sonntag und Montag geschlossen

Roi René holte Maulbeerbäume für die Seidenraupenzucht nach Frankreich. Foto: Hilke Maunder
Seidenraupen lieben Maulbeerbaumblätter! Foto: Hilke Maunder

La soierie vivante

Gleich zwei einstige Webwerkstätten könnt ihr bei der soierie vivante entdecken. Die Familie von Madame Letourneau stellte in ihrer Werkstatt-Wohnung mehr als 100 Jahre lang an den Webstühlen Bänder aus Gold-, Silber- und Seidenfäden her.
• 21, Rue Richan, 69004 Lyon, Di. – Sa. 14, 16 Uhr

Die städtische Weberei findet ihr in der ehemaligen Werkstatt der Familie Ressicaud. Neben einem Jacquard-Handwebstuhl stehen dort auch mehrere mechanische Webstühle aus dem 19. Jahrhundert.
• 12bis,  montée J. Godart, Di. – Sa. 15, 17 Uhr

beide: Tel. 04 78 27 17 13, www.soierie-vivante.asso.fr

Le Musée des Soieries Brochier

Seit Mai 2022 erzählt im Grand Hôtel-Dieu das Museum der Seidenweberei Borchier die 130-jährige Geschichte der großen Lyoner Seidenweberfamilie und stellt Sammlerstücke aus, die das Haus für berühmte Designer wie Givenchy, Valentino, Christian Lacroix und YSL anfertigte. Ausgestellt sind auch Arbeiten, die für Künstler wie  Miró, Calder oder Cocteau geschaffen wurden.
• 18, Quai Jules Courmont (Zugang vom Kai! ), 69002 Lyon, Tel. 04 81 13 25 51, www.brochiersoieries.com

Die Kokons der Seidenraupen. Foto: Hilke Maunder
Die Kokons der Seidenraupen. Foto: Hilke Maunder

Le Musée des Tissus et des Arts Décoratifs

Die Sammlung des Museums birgt außergewöhnliche Textilien, deren älteste Stücke bis ins alte Ägypten zurückreichen. Einen Schwerpunkt bilden die Seidenstoffe von la fabrique, wie die Lyoner Seidenindustrie einst genannt wurde.
• 34, rue de la Charité, 69002 Lyon, Tel. 07 63 30 07 43, www.museedestissus.fr

La soierie Saint-Georges

Die letzte noch aktive Seidenweberei der Stadt befindet sich im Welterbe-Altstadtviertel Vieux-Lyon, wo im 16. Jahrhundert die ersten Werkstätten ihren Betrieb aufnahmen. Dort zeigen euch Ludovic de la Calle und seine beiden Söhne Romain und Virgile ihr Können.
• 11, rue Mourguet, 69005 Lyon, Tel. 04 72 40 25 13, www.soieriesaintgeorges.com

Frisch gesponnene Seide. Foto: Hilke Maunder
Frisch gesponnene Seide. Foto: Hilke Maunder

Schlemmen und genießen

Chez Paul

Wer es rustikal und deftig mag, geht in Lyon in einen bouchon, ein rustikales Lokal wie das Chez Paul, wo David hinter dem Tresen steht. Von der Decke baumelt eine fast zwei Meter lange Rosette-Dauerwurst. Rote Lederbänke säumen die wenigen Tische, die rustikal mit rot-weiß karierten Tischdecken und Servietten eingedeckt sind.

Statt Musik vom Band erfüllt Stimmengewirr den Raum; statt einer gedruckten Speisekarte präsentiert der Patron jeden Werktag persönlich das Menü für den Mittag: Als Vorspeise gibt es charcuterie, Wurst und Schinken aus der Region – Rosette, Jésus und Saucisson de Lyon. Dazu serviert David einen Caviar de la Croix Rousse. Der „Fischrogen“ der Seidenweber entpuppt sich als Salat aus roten Linsen.
• 11, rue Major-Martin, Tel. 04 78 28 35 83www.bouchonchezpaul.fr

Schlafen

Hôtel Le Collège

Pauker, Streber oder Klassenclown? Fühlt euch mal wieder als Schulkind! Das ungewöhnliche Viersternehotel Le Collège, das sich mitten im Welterbeviertel Vieux Lyon versteckt, hat sich wie eine Schule von einst gestylt. Alle 40 Zimmer der dortoirs sind komplett weiß. Als Schrank dient ein Spind, als Tisch ein Pult, auf dem Bücherbord liegt ein Mathebuch. Insgesamt war es etwas spartanisch – aber konsequent durchgestylt. Auf dem Flur gab es bei meinem Besuch kostenlose Soft-Drinks im Kühlschrank.

Als Rezeption des Collège Hotel dient ein ledergepolsterter Turnkasten. Gefrühstückt wird in einem alten Klassenraum. Das Büfett ist liebevoll zusammengestellt, schmackhaft und abwechslungsreich. Und auch der Service ist allerbeste alte Schule! Tipp: Nehmt ein Zimmer nach hinten raus – zur Straße kann es laut werden, wenn morgens die Müllabfuhr kommt und die Tonnen aufs Kopfsteinpflaster knallt.
• 5, place Saint-Paul, 69005 Lyon, Tel. 4 72 10 05 05, www.college-hotel.com

Slo Living Hotel

Zwei Doppelzimmer mit Bad, Mehrbett-Schlafräume für zwei bis acht Personen, Lobby-Bar: Das kleine, zentrale Hotel heißt euch mit viel Holz und modernen Kunstwerken willkommen. Und bestimmt spottet ihr hier und da IKEA.
• 5, rue Bonnefoi, 69003 Lyon, Tel. 04 78 59 06 90, http://slo-hostel.com

MOB Hôtel

Unverputzte Betonwände, Samtvorhänge als Betthaupt, Bio-Produkte im Bad und Ausblicke vom Mini-Balkon auf die Saône: In der Architektur-Ikone Orange Cube hat der Erfinder der Mama-Shelter-Kette eine junge Kette gegründet. Zimmer und Gemeinschaftsräume versteht er als lauter kreative Inseln.
• 55, quai Rimbaud, 69002 Lyon, Tel. 04 58 55 55 88, www.mobhotel.com/lyon

Away Hostel

An den angesagten pentes von Croix-Rousse hat am 23. September 2016 in einem Eckhaus aus dem 19. Jahrhundert dieses Hostel eröffnet, das günstige Betten in Mehrbettzimmern bietet. Vergleichsweise preiswert sind auch die sehr geräumigen Doppelzimmer, stylisch eingerichtet in Weiß und Holz. Wer lärmempfindlich ist, greift in den Glastopf an der Rezeption: Er ist randvoll mit gelben Ohrstöpseln befüllt.
• 21, rue Alsace Lorraine, 69001 Lyon, Tel. 04 78 98 53 20, www.awayhostel.com

Ein typisches Doppelzimmer des Away Hostel. Foto: Hilke Maunder
Ein typisches Doppelzimmer des Away Hostel. Foto: Hilke Maunder

Noch mehr Betten*
Booking.com

Im Herzen des alten Lyon. Foto: Hilke Maunder
Im Herzen des alten Lyon. Foto: Hilke Maunder

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Mit La Confluence entsteht das Lyon der Zukunft auf einer Industriebrache – mit spektakulären Architekturikonen wie Cube Vert und Cube Orange von MacFarlane und der „Wolke aus Kristall“ von Coop Himmelb(l)au für das Musée des Confluences.

Den Winter erhellt Europas schönstes Lichterfest: die Fête des Lumières um den 8. Dezember herum. Hier habe ich sie vorgestellt.

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Im Buch

Secret Citys Frankreich*

Gemeinsam mit meinem geschätzten Kollegen Klaus Simon stelle ich in diesem Band 60 Orte in Frankreich vor, die echte Perlen abseits des touristischen Mainstreams sind. Le Malzieu in der Lozère, Langogne im Massif Central, aber auch Dax, das den meisten wohl nur als Kurort bekannt ist.

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