Die Kathedrale von Sées. Foto: Hilke Maunder
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Sées: himmlische Glücksfälle

Auf halbem Weg zwischen Le Mans und Caen versteckt sich Sées im Regionalen Naturpark Normandie-Maine am Ufer der Orne im gleichnamigen Département.

Die Kleinstadt entwickelte sich aus drei Siedlungskernen, die die einstigen Machtbereiche widerspiegeln – Bourg-L’Evêque (Kathedral- und Bischofsort), Bourg-Le-Comte (gräfliche Siedlung) und Bourg-L’Abbé (Abteigelände).

Nicht mal 4.500 Einwohner zählt die alte Bischofsstadt. Doch sein Gotteshaus ist wahrlich monumental. Immer wieder verlangte es Kraftakte. Sées war und ist immer wieder gefordert, seinen weithin sichtbaren Sakralbau aus dem 13. Jahrhundert vor dem Einsturz zu bewahren.

Eine schmale Gasse, umgeben von hohen Feldsteinmauern, führt zur Kathedrale von Sées. Foto: Hilke Maunder
Eine schmale Gasse, umgeben von hohen Feldsteinmauern, führt zur Kathedrale von Sées. Foto: Hilke Maunder

Die Kathedrale schlittert!

Schuld an der ganzen Misere ist eigentlich Heinrich II. 1154 hatte der englische König den Vorgängerbau der Cathédrale Notre-Dame in Brand stecken lassen. Das Geld zum Wiederaufbau war knapp. So verzichtete man darauf, die Fundamente bis auf festen Grund hinabzuführen.

Das Kirchentor der Kathedrale zu Sées. Foto: Hilke Maunder
Das Kirchentor der Kathedrale zu Sées. Foto: Hilke Maunder

Das Unausweichliche geschah: Die Kirche rutschte und bewegte sich. Nicht von göttlicher Hand, sondern schlicht aufgrund ihres Gewichtes.

Seit Jahrhunderten wird der Kampf gegen den Einsturz geführt. Immer wieder widersetzen sich menschlicher Wille und göttlicher Glaube den Kräften der nassen Natur und der Schwerkraft.

Licht und hell: das Innere der Kathedrale von Sées. Foto: Hilke Maunder
Licht und hell: das Innere der Kathedrale von Sées. Foto: Hilke Maunder

Strebepfeiler gegen Einsturzgefahr

1516 wurde der drohende Einsturz mit Strebemauern an der Fassade aufgehalten. Die Untergeschosse der Türme verschwanden im Laufe der Zeit hinter einem massiven Stützgewand. Trotzdem stürzte bald ein Teil des Kirchenschiffgewölbes ein.

Erst 1740 gab es genug Geld, um den ebenfalls gefährdeten Chor zu sichern. Im frühen 19. Jahrhundert wurden die steinernen Stützpfeiler durch Gusseisen ersetzt und steinfarben angestrichen.

Die Kathedrale von Sées. Foto: Hilke Maunder
Foto: Hilke Maunder

Erst seit 100 Jahren sicher

Doch auf soliden Füßen steht Gott erst knapp 100 Jahren. 1849 wurde der ganze Kirchenbau auf neue, tiefere Fundamente gesetzt. 1850-52  folgte die Erneuerung des südlichen Querschiffs. Auch das nördliche Querschiff wurde unterfangen und bis 1880 mit neuen Fundamenten versehen.

Danach wurde der Chor komplett demontiert. Auch er erstand auf neuen Fundamenten wieder neu. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts folgten die Fundamente der Seitenschiff-Mauern. Seitdem steht die Kathedrale.

Tipp: Musilumières

Jedes Jahr bei Einbruch der Dunkelheit inszeniert der Verein Art et Cathédrale die Architektur und die Geschichte von Notre-Dame de Sées bei den Musilumières. Von Juni bis September ist diese Ton- und Lichtshow ein Erlebnis!

Die Kathedrale von Sées ist hoch. Foto: Hilke Maunder
Das Mittelschiff der Kathedrale von Sées. Foto: Hilke Maunder

Reinste Verführung

Direkt gegenüber vom Hauptportal der Kathedrale ist der Name einer alteingesessenen Bäckerei bereits reinste Verführung: la tentation. Drinnen birgt sie süße Sünden für Geistliche, Gläubige und Genießer. 50 verschiedene éclairs drängeln sich in den ersten Etagen der Auslage.

50 Mal Glück in Gelb, Rot, Lila oder Grüne, gefüllt mit fruchtiger oder nussiger Crème, Pudding oder Sahne. 50 Liebesknochen aus Brandteig, bekrönt von Nusssplittern oder Marzipanherz, Erdbeere oder Kirsche auf dem Guss – jeder Bissen ist ein göttlicher Genuss!

Wie auch die Mini-Windbeutel und Erdbeertartelettes, die Financiers oder Tarte au Citron mit Eischnee-Haube. Morgens duftet es verführerisch nach frisch gebackenen Croissants, Baguettes und pains au chocolat.

Christophe Breux weiß, wie er die Sinne berauscht. Die hohe Schule der Konditorkunst lernte Breux bei den besten Pâtissiers Frankreichs. Nach seiner Ausbildung bei diesem Meilleur Ouvrier de France (MOF) in Mamers blieb er zehn Jahre lang in Paris bei Roger Sevin. Danach lockte die Welt.

Breux reiste – und kam so nach Bulgarien. Zehn Jahre lang war der junge Mann dort der einzige französische Konditor. Doch Christophe ist durch und durch Normanne. Und wollte heim. In Sées übernahm er mit seiner bulgarischen Frau die alteingesessene Boulangerie. Und sorgt seitdem für solch himmlischen Genüsse, dass selbst der Priester gerne sündigt.

Blick von der Kirchenpforte auf dem Ort Sées. Foto: Hilke Maunder
Der Blick von der Kirchenpforte auf die traumhafte Bäckerei. Foto: Hilke Maunder

L’Abbaye Saint-Martin

Neben der Kathedrale besitzt Sées mit der Sankt-Martins-Abtei einen zweiten eindrucksvollen Kirchenbau. Die beiden Bauten verbindet der Garten des Palais d’Argentré, des ehemaligen Bischofspalastes am Fuße der Kathedrale.

Dieser Garten ist in Anlehnung an das 18. Jahrhundert mit Gemüse- und Obstgarten gestaltet. Anfang des 19. Jahrhundert pflanzte François Richard-Lenoir seine Lindenrosette. Sie spiegelt nicht nur das keltische Jahresrad mit zwei Sonnenwenden, zwei Tagundnachtgleichen und vier Jahreszeiten wider, sondern ist gleichzeitig ein Echo auf die beiden außergewöhnlichen Rosettenfenster der Kathedrale von Sées. Die Abtei ist derzeit Privatbesitz, soll aber künftig für die Öffentlichkeit zugänglich sein.

Sées: meine Reisetipps

Schlemmen und genießen

La Tentation

• 11, Place du Général de Gaulle, 61500 Sées, Tel. 02 33 28 20 99

Les Éléveurs de la Charontonne

Das Beste vom Rind, Kalb, Schwein und Lamm von Erzeugern der Region verkauft diese Feinkostmetzgerei von Sées. Neben rohem Fleisch gehören dazu köstliche Schinken, Würste, Pâtés und Salate.
• 7, Rue de la République, 61500 Sées, Tel. 02 33 28 84 47, www.leseleveursdelacharentonne.fr

Parcours historique

Ein historischer Rundgang stellt mit zwanzig Medaillons mit den wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Stadt weg. Seinen Verlauf markieren Bronzenägeln im Boden. Der Startpunkt des Rundgangs befindet sich unter der Galerie der Kanoniker-Kapelle vor dem Rathaus.

Dort stellt eine Übersicht den Rundgang und seine Tafeln vor. Sie sind auf dem Hauptrundweg von 1 bis 16 nummeriert. Stätten, die einen Schlenker erfordern, tragen die Buchstaben A bis D.

Schlafen & schlemmen

Logis Hôtel Le Dauphin

Das gediegene Landhotel verwöhnt mit der ausgezeichneten Küche von Hélène und Roger Bellier. Zu den lokalen Spezialitäten, die hier auf der Karte stehen, gehören Salpicon vom Hummer mit Küchlein vom Schweinefuß sowie geschmortes Kalbsbries mit Andouille und Pommeau-Apfelbrand.
• 31, Place des Halles, 61500 Sées, Tel. 02 33 80 80 70, www.hotelrestaurantsees.com

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Im Blog

Alle Beiträge aus dem Département Orne sind hier zu finden.

Im Buch

Glücksorte in der Normandie*

Steile Klippen und weite Sandstrände, bizarre Felslandschaften und verwunschene Wälder, romantische Fachwerkstädtchen und moderne Architektur – die Normandie hat unzählige Glücksorte zu bieten.

Gemeinsam mit meiner Freundin Barbara Kettl-Römer stelle ich sie euch in diesem Taschenbuch vor. Wir verraten, wo die schönste Strandbar an der Seine liegt, für welche Brioches es sich lohnt, ins Tal der Saire zu fahren, und wo noch echter Camembert aus Rohmilch hergestellt wird.

Unser Gemeinschaftswerk stellt euch insgesamt 80 einzigartige Orte vor, die oftmals abseits der eingetretenen Pfade liegen. Wer mag, kann es hier* bestellen.

Hilke Maunder_Normandie_Abseits

Normandie: 50 Tipps abseits der ausgetretenen Pfade*

Die Netflix-Serie „Lupin“ hat die Normandie zu einem touristischen Hotspot gemacht. Garantiert keine Massen triffst Du bei meinen 50 Tipps. Sie sind allesamt insolite, wie die Franzosen sagen – ursprünglich, authentisch und wunderschön.

Die Landpartie durch die andere Normandie beginnt im steten Auf und Ab der Vélomaritime, führt zu den Leinenfeldern der Vallée du Dun, zu zottigen Bisons und tief hinein ins Bauernland des Pays de Bray, Heimat des ältesten Käses der Normandie.

Im Tal der Seine schmücken Irisblüten auf hellem Reet die Giebel alter chaumières, und Störche brüten im Marais Vernier. Von den Höhen vom Perche geht es hin zur Normannischen Schweiz und bis zur Mündung des Couesnan an der Grenze zur Bretagne. Hier* kannst Du den handlichen Führer bestellen.

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