Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts hat das Cap de l'Homy mehr als 100 Hektar Land durch Küstenerosion verloren. Foto: Hilke Maunder

Küstenerosion: Der Kampf ums Land

Helle Klippen, goldene Sandstrände, windzerzauste Dünen, Marschen und Salzwiesen im Wechselspiel der Tiden: Die französische Atlantikküste ist seit jeher einem stetigen Wandel durch Erosion unterworfen. Dieser natürliche Prozess hat im Laufe der Jahrhunderte die Küstenlinie kontinuierlich verändert. Allerdings hat sich die Erosionsrate in den letzten Jahrzehnten durch den Klimawandel und die zunehmende Urbanisierung drastisch beschleunigt.

Das Ende von Le Signal

Das zeigt sich besonders in Amélie bei Soulac-sur-Mer. So wurde im Februar 2024 die Ferienwohnanlage Le Signal abgerissen. Der Ozean hatte sich dort bis vor die Haustür herangearbeitet. In den Jahren 2013 und 2019 hatten schwere Stürme massive Strandabschnitte in Soulac abgetragen.

Ursprünglich lag das Gebäude 300 Meter vom Strand entfernt, doch durch die Erosion ist es bis auf 16 Meter an die Wasserlinie gerückt. Aufgrund der akuten Gefährdung mussten die Bewohner des „Le Signal“ im Januar 2014 evakuiert werden. Im Frühjahr 2024 folgte der Abriss der Ferienanlage.

Soulac-sur-Mer verlor im Laufe der Jahrhunderte durch die Küstenerosion bereits etwa ein Drittel seines Stadtgebiets. Berühmtestes Beispiel ist seine verschwundene Kirche: 1897 stürzte das Kirchenschiff der Église Saint-Saturnin ins Meer.

Hotspot der Küstenerosion

Die Küste zwischen Soulac-sur-Mer und Lacanau gehört zu den am stärksten betroffenen Gebieten der Küstenerosion in Frankreich. Hier ist der Dünengürtel besonders anfällig, da der Wind über den riesigen Ästuar der Gironde weit ins Land greifen und die Küste von beiden Seiten in die Zange nehmen kann.

Vor Europas größter Trichtermündung wollen nun zwei Unternehmen Sand als Rohstoff für die Bauindustrie abbauen. Die Société Nantaise de Dragage (SND) und die Société de Dragage et de Travaux Publics (SDTP) planen, dort in den nächsten 30 Jahren insgesamt 13 Millionen Kubikmeter Sand vom Meeresboden abzubaggern, wodurch die Tiefe von 16 auf 19 Meter steigt.

Umweltverbände fürchten, dass der geplante Sandabbau die Küstenerosion weiter verschärft, da er die natürlichen Strömungen stört. Die Unternehmen kontern, sie würden nach dem Ende der Ausbeutung den Meeresboden „renaturieren“.

Die Natur zwingt auch Lacanau zum Rückzug. Jedes Jahr fressen sich auch dort die Wellen Meter um Meter tiefer ins Land. Die Folge: ein Exodus hinter die Stranddünen. Erste Häuser und Geschäfte siedeln bereits um. Denn bis 2050, sagen Prognosen, könnte ein Drittel des Ortes im Atlantik versunken sein, wenn nichts unternommen wird. Allein 2013 trug ein Sturm in Lacanau-Océan den Strand um bis zu 30 Meter ab.

2019 stürzte an der baskischen Küste bei Biarritz eine 200 Meter lange Felswand ins Meer. Drei Jahre später hatten in Étretat an der normannischen Alabasterküste Regen, Wind und Wellen die Kreide so ausgehöhlt, dass eine rund 400 Meter lange Felswand krachend in den Ärmelkanal fiel.

Erosion und Ablagerungen haben Frankreichs Westküste ständig neu geformt. Buchten und Landspitzen entstanden und verschwanden, Dünen wanderten – und dürfen es hier und da bis heute tun. Meer und Land sind im ewigen Wechselspiel. Doch diesen natürlichen Prozess haben der Klimawandel und die zunehmende Urbanisierung drastisch beschleunigt.

Küstenerosion in Frankreich: Besonders betroffene Regionen

Zu den am stärksten von Erosion betroffenen Gebieten an der französischen Atlantikküste gehören neben dem Dünenstreifen zwischen Soulac und Lacanau besonders die Kreidefelsen der normannischen Alabasterküste, die Sandstrände der Départements Vendée und der Charente-Maritime und die Küste des Départements Landes mit ihren ausgedehnten Dünenlandschaften.

In Landstrichen wie der Vendée oder den Landes weicht die Küstenlinie jährlich um ein bis zwei Meter zurück, in Extremfällen sogar bis zu sechs oder gar sieben Metern pro Jahr. Etwas widerstandsfähiger zeigt sich, trotz des enorm hohen Tidenhubs, die Küste der Bretagne mit ihren felsigen Kaps und Buchten.

Der Klimawandel wirkt wie ein Katalysator bei der Küstenerosion. Er lässt den Meeresspiegel steigen und führt so zu einer stärkeren Überflutung und Abtragung der Küsten. Immer öfter greifen immer stärkere Stürme mit hohen Wellen die Küste an, die zudem unter den immer länger werdenden Dürreperioden massiv leidet. Sie schwächen die Vegetation und Dünen, die die Küste stabilisieren.

Die Maßnahmen gegen die Küstenerosion

Bereits im 17. Jahrhundert begann Frankreich mit ersten konkreten Maßnahmen zum Schutz seiner Küsten und baute erste Deiche. Im Département Landes ließ Napoléon III. hunderttausende Strandkiefern pflanzen, um den Sandflug und die Küstenerosion einzudämmen.

Am 28. April 1865 brachte Kaiser Napoleon III. (regierte von 1852 bis 1870) die Loi relative à la construction de digues sur les côtes de France (Gesetz über den Bau von Deichen an den Küsten Frankreichs) auf den Weg, die der Senat am 3. Mai 1865 bestätigte. Vor 1865 gab es zwar vereinzelt lokale Verordnungen und Initiativen zum Schutz der Küste, aber dieses Gesetz war der erste umfassende nationale Rahmen für den Bau und die Finanzierung von Küstenschutzanlagen.

Unter François Mitterrand führte Frankreich im Februar 1986 mit der Loi portant dispositions relatives à la lutte contre l’érosion du littoral (Gesetz über Maßnahmen zur Bekämpfung der Küstenerosion) ein nationales Programm zur Bekämpfung der Küstenerosion ein und stärkte die Rolle des Staates in der Küstenschutzpolitik.

Im Dezember 2011 folgte unter der Regierung von Nicolas Sarkozy die Stratégie nationale de gestion intégrée du trait de côte (Nationale Strategie für integriertes Küstenmanagement). 2016 verabschiedete Frankreich unter Präsident François Hollande die Loi pour la reconquête de la biodiversité, de la nature et des paysages (Gesetz zur Biodiversität und zum Schutz der Natur) mit Maßnahmen zur Renaturierung von Küstengebieten und zur Förderung eines nachhaltigen Küstenschutzes. Dieses Gesetz markierte einen Wendepunkt im französischen Naturschutzrecht, da es darauf abzielte, den Rückgang der biologischen Vielfalt aufzuhalten, die Natur zu schützen und die Landschaft zu erhalten.

2011 wurde auch der erste PNACC Plan national d’adaptation au changement climatique (Nationaler Plan zur Anpassung an den Klimawandel) verabschiedet, 2018 folgte der PNACC2. Der PNACC 3 zur Bekämpfung der Küstenerosion befindet sich derzeit in der Entwicklung und soll noch in diesem Jahr verabschiedet werden, so Christophe Béchu, Ministre de la Transition écologique et de la Cohésion des territoires (Minister für den ökologischen Übergang und die Kohäsion der Gebiete).

Frankreich verfolgt beim Küstenschutz einen integrierten Ansatz und fördert vor allem nachhaltige Maßnahmen, die den Schutz der Küsten mit dem Erhalt der natürlichen Umwelt und der Anpassung an den Klimawandel in Einklang bringen. Diese Maßnahmen ähneln denen an der deutschen Nordseeküste: Deiche, Wellenbrecher, Strandaufspülungen und Renaturierungsprojekte.

Sie entstehen an der rund 2.800 Kilometer langen Atlantikküste von der Grenze zu Spanien im Süden bis zur Bretagne im Norden, der rund 250 Kilometer langen Ärmelkanalküste von der Bretagne bis zur belgischen Grenze – und auch an der 900 Kilometer langen Mittelküste zwischen Spanien und Italien.

Fast 4.000 Kilometer Küste erfassen das französische Umweltministerium und das französische Statistikamt (INSEE). Ihre Sicherung reißt tiefe Löcher ins Budget.

Der Senatsbericht L’adaptation au changement climatique des territoires littoraux (Anpassung der Küstengebiete an den Klimawandel) aus dem Jahr 2021 schätzt die jährlichen Investitionen in den Küstenschutz auf 1 bis 2 Milliarden Euro.

Die Studie Les coûts de l’inaction face au changement climatique en France (Die Kosten der Untätigkeit gegenüber dem Klimawandel in Frankreich) aus dem Jahr 2019 beziffert die potenziellen Kosten von Küstenerosion durch den Klimawandel sogar auf bis zu 22 Milliarden Euro pro Jahr bis 2100.

Diese Summen kann Frankreich nicht allein stemmen. Im Zeitraum 2014-2020 hat die EU aus dem Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) daher Frankreich rund 500 Millionen Euro für Küstenschutzprojekte zur Verfügung gestellt.

Ein Blick in die Zukunft

Bei der Planung von Maßnahmen zum Schutz seiner Küsten vertraut die französische Regierung den Berichten einer öffentlichen Einrichtung, die sich mit Bauwesen, Stadtentwicklung und Verkehr beschäftigt: der Cerema. Das Centre d’Études et de Recherche pour l’Aide à la Décision, les Analyses et les Modèles en Environnement, Construction et Aménagement hat seinen Sitz in Angers und Niederlassungen im ganzen Land.

Sein nationaler Indikator für Küstenerosion zeigt: In Frankreich verlieren derzeit fast 20 Prozent der Küsten Land – das entspricht rund 900 Kilometern!

Die Prognosen der Cerema für die nächsten Jahre zeichnen geradezu erschreckende Szenarien für das Hexagon und die Überseedepartements und -regionen.

Im Jahr 2028 könnten rund 1.000 Häuser vom Rückgang der Küstenlinie betroffen sein, darunter hauptsächlich Wohngebäude (300) und Geschäftsgebäude (190). Ihr Verkehrswert beläuft sich nach Schätzungen der Cerema auf etwa 235 Millionen Euro. Sie alle könnten von einem „ereignisbedingten Rückzug“ betroffen sein, wie starker Rückzug bei Stürmen, Erdrutschen und ähnlichen Ereignissen.

Im Jahr 2050 könnten 5.200 Häuser gefährdet sein, darunter 2.000 Zweitwohnungen, mit einem geschätzten Marktwert von 1,1 Milliarden Euro. Zudem wären bis zu diesem Zeitpunkt 1.400 Gewerbeimmobilien mit einem geschätzten Marktwert von 120 Millionen Euro betroffen. Das Szenario für 2050 berücksichtigt den weiteren tendenziellen Rückgang der Küstenlinie und geht davon aus, dass alle Küstenschutzanlagen erhalten bleiben und gewartet werden. Das Cerema stuft diese Prognose als „sehr wahrscheinlich“ ein – und geht von einem exponentiell weiter steigenden Landfraß der Meere aus.

Steigt bis zum Jahr 2100 der Meeresspiegel, wie von der Wissenschaft erwartet, um einen Meter, könnten insgesamt 450.000 Wohnungen mit einem Marktwert von 86 Milliarden Euro, 55.000 Gewerbeflächen mit einem Marktwert von 8 Milliarden Euro, 10.000 öffentliche Gebäude, 1.800 Kilometer Straßen und 240 Kilometer Eisenbahnstrecken betroffen sein. Das Cerema verwendet für diese Prognose eine Schätzung des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), das als Gremium der Vereinten Nationen wissenschaftliche Erkenntnisse über den Klimawandel bewertet.

Das Comité national du trait de côte (CNTC)

Die Trends und Prognosen, die das Cerema liefert, fließen auch in die Arbeit des Comité national du trait de côte (CNTC) ein, welches das französische Umweltministerium im März 2023 ins Leben rief. Das CNTC unterstützt seitdem als beratendes Gremium die Regierung bei der Entwicklung und Umsetzung einer nationalen Strategie zur Bewältigung der Küstenerosion und der Auswirkungen des Klimawandels an der Küste.

Das CNTC sammelt und analysiert Daten zur Situation der französischen Küstengebiete, einschließlich der Auswirkungen des Klimawandels und der Küstenerosion, entwickelt Empfehlungen für die Regierung und andere Akteure, fördert den Dialog zwischen Behörden, Wissenschaftlern, NGOs und Bürgern und sensibilisiert die Öffentlichkeit für die Herausforderungen des Klimawandels und des Küstenrückgangs.

Auf seiner Webseite gibt es leicht verständliche Erklärvideos, Karten, Berichte und andere Ressourcen, und in jeder Saison veranstaltet das CNTC in den Küstenorten Workshops und andere Veranstaltungen zum Mitmachen. Ihr zentrales Thema: Erosion côtière: comprendre, agir – Küstenerosion: Verstehen und Handeln. Denn neben der großen Politik gibt es viele kleine und große Dinge, die auch wir tun können, um die Küstengebiete zu schützen.

Küstenerosion in Frankreich: die Infos

Projektion der Küstenlinie und Analyse der Herausforderungen auf nationaler Ebene – Zeithorizont 5 Jahre: https://doc.cerema.fr

Projektion der Küstenlinie und Analyse der Herausforderungen auf nationaler Ebene – Zeithorizont 2050 und 2100: https://doc.cerema.fr

Küstenerosion mit Karten für die Jahre 2050 und 2100: www.geolittoral.developpement-durable.gouv.fr

Saint-Lunaire, ein charmantes Seebad an der Nordküste der Bretagne. Foto: Hilke Maunder
Der Strand Plage Longchamp von Saint-Lunaire an der Nordküste der Bretagne. Foto: Hilke Maunder

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4 Kommentare

  1. Seit über 52 Jahre bin ich regelmäßig an der Côte d’Opal und d’Albatre unterwegs und verstehe die Touristen nicht, die trotz der Warnungen und Hinweise unterhalb der Abbruchkante der Kreideklippen spazieren. Das Video zeigt eindrucksvoll mit welchen Gefahren man dort unbedingt rechnen muss:
    https://youtu.be/_5T2oDDE2cs?feature=shared

    Danke für die Erinnerung zur Küstenerosion.

    1. Lieber Horst, herzlichen Dank für den Videolink – das schaue ich mir gleich einmal an. Bises! Hilke

  2. Wir fahren seit vielen Jahren auf die Insel Oleron, haben die Stürme 2019- 2021 hautnah erlebt. Waren geschockt durch die vielen Toten in den verschiedenen Küstenort der Charente Maritime.
    Auch Jetzt wieder von November 23 bis Februar 24 haben die Stürme und die verschiedenen Hochfluten der Insel schwer zugesetzt egal ob an der Südspitze, dem Grand Plage oder Vert Bois überall wurden mehrere Meter der Küste weggerissen. Es war einfach nur erschreckend und man konnte Angst bekommen

    1. Lieber Georg, ganz herzlichen Dank für deine Eindrücke von der Île d‘Oléron. Das ist ja schrecklich! Ich weiß nicht, ob man die Inseln im Atlantik über die Jahrhunderte noch retten kann… Viele Grüße, Hilke

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