Kunst im Fluss: la maison dans la Loire bei Couëron. Foto: Hilke Maunder
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L’Estuaire: Kunst im Fluss an der Loire

Zwischen Nantes und Saint-Nazaire hat das Projekt L’Estuaire seit 2007 den Unterlauf der Loire in einen Kunstparcours verwandelt. Mehr als 60 Kilometer lang säumen dort Werke von französischen und internationalen Künstlern der Gegenwart den Mündungsstrom.

Heute schreibt Le Voyage à Nantes das Kunstprojekt weiter. 58 Kunstwerke gehören bereits zur Dauerausstellung open-air. Im Januar 2021 wurde ein Werk des Künstler-Duos Dewar und Gicquel  in Saint-Nazaire eingeweiht. Publikumslieblinge sind diese beiden Kunst-Orte.

Couëron: neue Ausblicke

Coueron: Sémaphore von Vincent Mauger. Foto: Hilke Maunder
Le Sémaphore von Vincent Mauger. Foto: Hilke Maunder

Eines davon wurde am 22. Mai 2019 in Couëron eingeweiht: le sémaphore. Fünf Meter hoch ragt die Installation auf der Île de la Liberté auf. Die vielen Holzpfosten ließ Vincent Mauger um eine zentrale Achse jeweils im Winkel von 15 Grad zueinander in den Boden rammen.

In der Mitte führt eine Treppe aus Stahl und Holz hinauf zu einer kleinen Plattform, die maximal zwei Menschen gleichzeitig betreten dürfen. Was für ein kunstvoller Aussichtspunkt über den Unterlauf der Loire und das Städtchen!

Coueron: Sémaphore von Vincent Mauger. Foto: Hilke Maunder
Die Aussichtsplattform von Le Sémaphore. Foto: Hilke Maunder

Rund 16 km westlich von Nantes machte es ein zweites Kunstprojekt berühmt: La Maison dans la Loire. Jean-Luc Courcoult stelle es mitten in den Strom. Als äußere Hülle ohne Innenleben, das mit Schlagseite im Wasser zu treiben scheint. Als Vorbild dient Courcoult die einstige Auberge de Lavau.

Estuaire: la Maison dans la Loire bei Couëron. Foto; Hilke Maunder
La Maison dans la Loire bei Couëron. Foto; Hilke Maunder

Courcoult arbeitet seit 1989 in Nantes. Vielleicht  kennt ihr ihn schon: Er ist der Mann hinter der Theatertruppe Royal de Luxe. Mehr zu ihren riesigen Marionetten erfahrt ihr hier.

Das Land-Boot von Le Pellerin

Wenige Kilometer weiter hängte Erwin Wurm ein blau-weißes Segelboot an die Kaimauer, das sich an Land über die Schleuse des Canal de la Martinière zu quälen scheint. Misconceivable nannte es der österreichische Künstler, „falsch aufgefasst“.

Der Erfinder des Estuaire

Drei Kunstwerke, die zeigen, worum es dem Nantaiser Kulturmacher Jean Blaise geht: Kunst zu demokratisieren. Und durch überraschende Sichtweisen auch diejenigen an die Kunst führen, die sich sonst nicht dafür interessieren.

Nantes: Jean Blaise im Interview mit Hilke Maunder. Foto: Hilke Maunder
Jean Blaise im Interview mit Hilke Maunder. Foto: Hilke Maunder

„Kunstwerke sollten nicht in Museen eingesperrt sein, in die ein Bruchteil der Menschen geht. Kunst muss zu den Menschen kommen. Wir stellen sie in den öffentlichen Raum“, sagt Jean Blaise im Interview, das ihr hier im Blog nachlesen könnt.

Daniel Buren schmückte das Ufer der Loire mit Stahlringen, die nachts farbig leuchten. Roman Signer wählte das ehemalige Betonwerk von Trentemoult für seinen Beitrag zum Kunstprojekt Estuaire. Kinya Maruyama, François Morellet, Felice Varini und Ernesto Neto sind weitere internationale Größen, die für L’Estuaire ungewöhnliche Installationen schufen.

Trentemoult: die Kunstinstallation Le Pendule von Roman Signer, errichtet anlässlich der Estuaire 2009. Foto: Hilke Maunder

Die Künstlerzimmer des Château du Pé

Längst lässt sich Kunst nicht nur unterwegs entdecken, sondern auch hautnah in einer Unterkunft erleben. Inmitten eines sieben Hektar großen englischen Landschaftsparks erhebt sich ganz in der Nähe der Loire in Saint-Jean-de-Boiseau das Château du Pé.

1997 erwarb die Kommune das verfallene Anwesen, öffnete den Park für alle, ließ im Teich eine Fontaine installieren und beauftragte L’Estuaire, im Inneren des stattlichen Herrenhauses sechs Gästezimmer einzurichten.

Estuaire: die Fontäne von Château du Pé. Foto: Hilke Maunder
Die Fontäne von Château du Pé. Foto: Hilke Maunder

L’Estuaire verpflichtete sechs renommierte Künstler. Sie schufen Unterkünfte, die wahrhaft außergewöhnlich sind – und das direkt am Loire-Radweg! Mrzyk & Moriceau verwandelten ihre Kammer in einen Raum zwischen Tag und Nacht, zwischen Grusel und Schönheit.

Weiß und schwarz, wie Ying und Yang, kontrastieren die Tageszeiten. Skorpion, Skarabäus und Tarantel sorgen in Schaukästen für Gänsehaut. Morphofalter und andere tropische Falter faszinieren mit ihrer Schönheit.

Estuaire: Künstlerzimmer von Morieau und Mrzyk imChâteau du Pé. Foto: Hilke Maunder
Künstlerzimmer von Mrzyk & Moriceau im Château du Pé. Foto: Hilke Maunder

Sarah Fauguet und David Cousinard statteten ihr Zimmer mit einem bodentief versenkten Bett und einer Feuerstelle aus Holz aus.

Bevis Martin und Charlie Youle beantworteten in ihrem Schlafgemach La Grande Question mit anatomischen Gipsreliefs zur Evolution.

Estuaire: La Grande Question im Château du Pé. Foto: Hilke Maunder
La Grande Question, gestaltet von Bevis Martin und Charlie Youle im Château du Pé. Foto: Hilke Maunder

Wörter allerorten, selbst auf der Rückwand des Kleiderschrankes, zieren das Antichambre von Fréderic Dumond und Emmanuel Adely.  Es ist ein ungewöhnlicher. Der erste Blick in den Raum zeigt nur einen Sitzplatz in der Nähe des Fensters. Erst bei genauerer Betrachtung der Holzvertäfelung ergeben sich Möglichkeiten. Ein Teil der Wand wird zum Bett, der andere Teil ist ein Sekretär, Nischen oder ein Schrank.

Auch ein deutsches Duo hat beim Estuaire-Projekt mitgemacht. Das Berliner Künstlerduo Eva und Adele schuf im Château du Pé ein Familienzimmer „Nebelzimmer“ mit Doppelstockbetten und bunten Strichbilder voller erotischer Konnotationen.

Die beiden Frauen sind bereits selbst ein Kunstwerk. Sie kleiden sich stets identisch in grellen, damenhaften Kostümen, sind stark geschminkt und haben kahlrasierte Köpfe. Ihr Leben ist eine nie endende Performance.

Estuaire: Künstlerzimmer im Château du Pé. Foto. Hilke Maunder
Das Antichambre voller Worte, die wie die Möbel allesamt hinter Klappen verschwinden. Nur ein Stuhl schmückt dann den Raum. Foto: Hilke Maunder

Überraschendes in Nantes

Nicht nur auf dem Land, auch in den beiden Städten Nantes und Saint-Nazaire hat L’Estuaire seine Kunst hinterlassen. Spielerisch, verrückt, voller Freude und Überraschungen begleiten euch die Installationen, wenn ihr dem Fil Vert folgt, der euch als grüner Faden kreuz und quer durch Nantes zu den Kunstprojekten führt.

Estuaire in Nantes: der Mondbaum von Mrzyk & Moriau im Stadtteil Chantenay. Foto: Hilke Maunder
L’Estuaire in Nantes: der Mondbaum von Mrzyk & Moriceau im Stadtteil Chantenay. Foto: Hilke Maunder

So auch nach Chantenay, wo sich von vor den schwarzen Wänden des einstigen Steinbruchs der Butte Sainte-Anne strahlend weiß der Mondbaum des Künstlerpaares Mrzyk & Moriceau zwölf Meter hoch erhebt – als kahle Skulptur ohne ein einziges Blatt.

Le Voyage à Nantes. Direkt an der Loire: der Parc Extraordinaire. Foto: Hilke Maunder
Direkt an der Loire: der Parc Extraordinaire. Foto: Hilke Maunder

Kunst-Labor: die Île de Nantes

Auf der Île de Nantes hat L’Estuaire selbst die Fahrbahn erobert: als Traversées. Als geschwungene Linien präsentiert sich dort der Zebrastreifen des Boulevard Léon Bureau. Aurélien Bory hat ihn dort geschaffen. In einem ganz handfesten Auftrag: die Geschwindigkeit des Autoverkehrs zu reduzieren.

Die Linien irritieren und lassen Autofahrer das Tempo mindern. Auch die Fußgänger schauen plötzlich genauer hin. Eine der meistfrequentierten Passagen hin zu den Machines de l’Île ist dank Kunst sicherer geworden.

Estuaire: Résolution des forces en présence von Vincent Mauger. Foto: Hilke Maunder
Résolution des forces en présence von Vincent Mauger. Foto: Hilke Maunder

Elf ungewöhnliche Installationen hat L’Estuaire in Nantes bereits hinterlassen. Auch Vincent Mauger, der für Couëron den Sémaphore schuf, ist in der Hauptstadt der Pays de la Loire vertreten.

Resolution des forces en présent nennt sich dort seine stachelige Kugel, die ihr neben dem riesigen gelben Werftkran auf der Île de Nantes findet.

Weiter am Ufer flussabwärts kommt ihr an der Westspitze der Flussinsel zu den Anneaux, den Ringen von Daniel Buren. Nachts leuchten sie in bunten Farben!

Estuaire, Île de Nantes: Les Anneaux, die Ringe von Daniel Buren. Foto: Hilke Maunder
Les Anneaux, die Ringe von Daniel Buren auf der Île de Nantes. Foto: Hilke Maunder

Die Schlange im Atlantik

In der Rue Lanoue-Bras-de-Fer findet ihr auf der Île de Nantes gleich drei Installationen des Estuaire. Angela Bulloch gestaltete dort ein zebra crossing, das ebenfalls für mehr Sicherheit im Verkehr sorgt.

Rolf Julius schmückte wenige Jahre vor seinem Tod 2011 noch den Batiment Manny mit einer luftigen Metallgitterskulptur. Air lässt unter der metallischen Haut das Gebäude schwingen und macht so subtil die Fassade hörbar.

Estuaire: Bâtiment Manny auf der Île de Nantes. Foto; Hilke Maunder
Der Bâtiment Manny auf der Île de Nantes. Foto: Hilke Maunder

Wenig weiter verweist Lilian Bourgeat mit ihrem mètre à ruban darauf, dass alles richtig vermessen wird. Leuchtend gelb markiert ein riesiges Zentimeterband die Maße des Gebäudes.

Dort, wo der Kunstparcours des Estuaire am Atlantik endet, hat der franco-chinesische Künstler Huang Yong Ping eine Schlange ins Mer gesetzt: le Serpent d’Océan. Vor dem Strand von Saint-Nazaire ist er in die Flut getaucht. Erst die Ebbe gibt ihr Skelett und den Schädel frei.

Estuaire: Mètre à ruban von Lilian Bourgeat auf der Île de Nantes. Foto: Hilke Maunder
Mètre à ruban von Lilian Bourgeat auf der Île de Nantes. Foto: Hilke Maunder

L’Estuaire: meine Reise-Infos

Kunst-Törn

Von April bis Oktober könnt ihr von Bord aus die Kunst des Estuaire entdecken!
 www.marineetloire.fr

Radeln zur Kunst

Viele Stätten des Estuaire liegen am Loire-Radweg!
www.loire-a-velo.fr

Genießen

Les Tables de Nantes

Der Online-Gastronomieführer stellt euch 167 Adressen zum Essen und Trinken – von einfach gut bis zur Sterneküche.
www.lestablesdenantes.fr

Bistrot du Paradis

Estuaire: Krystel Druais vom Bistrot du Paradis. Foto: Hilke Maunder
Krystel Druais vom Bistrot du Paradis. Foto: Hilke Maunder

Direkt am Fähranleger hinüber nach Le Pellerin findet ihr das charmante Bistro von Krystel Druais – die Wirtin ist im Buch zum Kunstparcours verewigt. Schön im Sommer: die kleine Terrasse mit Flussblick. Lasst euch von Krystel die kleine Mappe mit historischen Aufnahmen zeigen!
www.facebook.com/pages/Bar-Paradis-Coueron

Estuaire: Direkt am Fähranleger - das Bistrot du Paradis.
Das Paradies liegt direkt an der Loire. Foto: Hilke Maunder

Schlafen

Künstlerzimmer

Seit 2017 gestaltetet jeweils ein Nantaiser Künstler für ein Hotel vor Ort ein Künstlerzimmer. Justin Weiler hat das Hôtel de France* das Zimmer 107  kühl gestreift.

Makiko Furuichi schuf im Hôtel Amiral einen Dream Jungle. Elsa Tomkowiak gestaltete im Mercure Nantes Centre Grand Hotel* poppig bunt ein kariertes Schlafgemach.

Einen der Lastkähne, die in den 1930-er Jahren Loire und Erdre befuhren, verwandelte Karina Bisch in Amours – zu erleben auf der Péniche Le Dô*. Oder schlaft als Selbstversorger im kleinsten Stadthaus von Nantes, dem Micr’Home.

Estuaire: das Künstlerzimmer des Hôtel de France in Nantes (Nr. 107). Foto: Hilke Maunder
Das Künstlerzimmer des Hôtel de France in Nantes (Nr. 107). Foto: Hilke Maunder

Noch mehr Betten*
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Estuaire in Nantes: der Ping-Pong-Park. Foto: Hilke Maunder
L’Estuaire in Nantes: der Ping-Pong-Park. Foto: Hilke Maunder

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Weiterlesen

Im Blog

Jean Blaise: der Kultur-Macher

Le Voyage à Nantes: das Kunst-Fest

Im Buch

Secret Places Frankreich

Secret Places Frankreich*

Eiffelturm, Lavendelfelder und die Schlösser der Loire sind weltbekannte Ziele in Frankreich. 60 wunderschöne Orte abseits des Trubels stellen Klaus Simon und ich in unserem dritten Gemeinschaftswerk vor.

Die Schluchten von Galamus, die Gärten von Marqueyssac, Saint-Guilhelm-le-Désert, Mers-les-Bains, den Bugey oder die Île d’Yeu: Entdeckt unsere lieux insolites voller Frankreich-Flair!  Wer mag, kann den Band hier* online bestellen.

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Estuaire: das Buch zum Kunstparcours - erhätlich u.a. im Bistrot Le Paradis. Foto: Hilke Maunder
Des Rives: das Buch zum Kunstparcours des Estuaire. Foto: Hilke Maunder

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