Charlotte Boiron vom Atelier Musqué weiß genau, welche Aromen im Parfüm für die perfekte Balance zwischen Kopf-, Herz- und Basisnoten sorgen. Foto: Hilke Maunder

La Réunion: Frankreichs Parfüm-Insel

Die kleine Vulkaninsel La Réunion ist nicht nur ein Paradies für Wanderer und Naturliebhaber, sondern auch Frankreichs Parfüminsel im Indischen Ozean. Der Anbau von Duftpflanzen auf La Réunion begann im 18. Jahrhundert, als die damals nahezu unbewohnte Insel von den Franzosen kolonisiert wurde.

Auf den mineralstoffreichen Vulkanböden an den Flanken des Piton des Neiges und des Piton de la Fournaise gedeihen seitdem Duftpflanzen wie Frangipani, Ylang-Ylang, Vetiver, Citronella, Cryptomeria, Baie Rose und das berühmte Geranium rosat, dessen kommerzieller Anbau erst im 19. Jahrhundert begann. Schnell stieg es zur Hauptduftpflanzen der Insel auf.

Die Wanderwege auf Réunion sind gut markiert. Foto: Hilke Maunder
Die Geraniumfelder der Geraniumkooperative C.A.H.E.B. liegen bei Le Tempon an den Flanken des Piton de la Fournaise. Foto: Hilke Maunder

Aus den Aromenpflanzen gewinnen die Insel-Brennereien in Handarbeit exquisite Essenzen. Diese Essenzen finden ihren Weg in die Flakons renommierter Parfümhäuser und verleihen den Düften eine einzigartige Note. Dank der Vulkanerde, dem tropischen Klima und der Höhenlage bestimmter Anbaugebiete gedeihen diese Aromapflanzen auf La Réunion besonders gut und entwickeln dadurch besonders intensive Duftnoten.

Vetiver – die Königin der Basisnoten

Vetiver ist eine der bekanntesten und ältesten Duftpflanzen auf La Réunion. Ursprünglich als Mittel gegen Bodenerosion angebaut, hat sich diese widerstandsfähige Pflanze zu einem wesentlichen Bestandteil der Parfümindustrie entwickelt. Besonders geschätzt wird Vetiver aufgrund seiner erdigen, holzigen Basisnoten, die in der Parfümwelt einen festen Platz haben.

Marie Le Febvre, eine französische Parfümeurin, die eine enge Verbindung zur Insel pflegt, hat ihre eigene Duftlinie namens Urban Scents entwickelt und verwendet speziell Vetiver aus La Réunion in ihren Kreationen. Ihre Produkte betonen die Einzigartigkeit des lokalen Vetivers und kombinieren es mit anderen hochwertigen Inhaltsstoffen.

Vetiver aus La Réunion, das auf den Märkten in Saint-Paul in Bündeln aus trockenen Zweigen als Mottenschutz verkauft wird, hat eine besonders reine und intensive Duftnote. Auch Häuser wie Dior und Hermès greifen auf diese wertvolle Essenz zurück, um ihren Kreationen Tiefe und Komplexität zu verleihen.

Didier von Far Far de Bézaves bei Saint-Joseph baut Vetiver an und erläutert die vielseitigen Verwendungen der Pflanze. Vetiver findet nicht nur in Parfüms Verwendung, sondern schützt mit seinen tiefen Wurzeln auch die Böden vor Erosion.

Geranium Rosat – das Herz der Parfümproduktion

Auf dem Weg zur Kooperative erstrecken sich weite Felder mit Geranium rosat, dessen ätherisches Öl in Parfüms von Guerlain, Hermès und Frédéric Malle verwendet wird. Das französische Luxuslabel Chanel nutzt Geranium rosat in einigen seiner ikonischen Düfte, wie z.B. Chanel No. 5.

Besonders geschätzt wird das Geraniumöl von der Parfümkooperative C.A.H.E.B. (Cooperative Agricole de Huiles Essentielles de Bourbon), die in den Höhenlagen von Saint-Paul, wie in Petite France und Maïdo, Geranium rosat kultiviert.

Dort, in über 1000 Metern Höhe, werden die Pflanzen in Handarbeit geerntet, bevor sie in traditionellen Destillerien verarbeitet werden. Die Ernte erfolgt typischerweise zwischen Mai und September, bevor die Pflanzen blühen. Für die Herstellung eines Liters ätherischen Öls benötigt man 300 bis 400 Kilogramm Geraniumblätter.

In der Kooperative C.A.H.E.B., die aus etwa 40 Mitgliedern besteht, erklärt Marie-Rose Severin, Geranium-Bäuerin und Präsidentin der Vereinigung, wie die Produktion von ätherischen Ölen abläuft.

Trotz des enormen Aufwands, der in Handarbeit geleisteten Arbeitsschritte und der hohen Nachfrage bleibt das Angebot begrenzt. „Bis zu sechsmal mehr könnte die Kooperative verkaufen, aber die Produktionskapazitäten sind knapp“, erzählt die ehemalige Beamtin, die sich seit Jahren ganz ihrer neuen Aufgabe widmet.

Jacques Cavallier, der Chefparfümeur von Louis Vuitton, war im Herbst 2023 bei ihr, um speziell ihr Geranium-Öl einzukaufen. „Es sei das Beste, welches er je gerochen hätte“, berichtet Marie-Rose Severin. Das Geheimnis liegt ihrer Meinung nach in der jungen Vulkanerde, die den Pflanzen Kraft und Intensität verleiht.

Das Terroir – der Star der Parfümindustrie

Das Geheimnis des außergewöhnlichen Duftes der Pflanzen auf La Réunion liegt im Terroir der Insel. Die reiche Vulkanerde, das feuchtwarme Klima und die Höhenlagen verleihen den Pflanzen eine unvergleichliche Intensität und Komplexität. Das Destillationsverfahren, bei dem Wasserdampf verwendet wird, um die kostbaren Essenzen zu extrahieren, erfordert ein präzises Handwerk.

Die Kunst besteht darin, das Feuer so zu regulieren, dass die Öle sanft extrahiert werden, ohne die feinen Aromen zu verbrennen, wie es in anderen Ländern oft der Fall ist. Mit drei Alambics destilliert die Kooperative aus einer Tonne Geranium pro Tag 5000 Liter essenzieller Öle. Jeder Destilliervorgang dauert dort anderthalb Stunden. Wie er vonstattengeht, zeigt Madame Severine bei Führungen an einem kleinen Modell.

Garantiert 100-prozentig lokal und bio sind die Essenzen, die Johan Morel von der Fontaine Aromatique de Saint-Leu erstellt. Johan Morel kam 2010 auf die Insel, erwarb 2012 sein BPA (Brevet Professionnel Agricole) und übernahm 2013 als Junglandwirt die Mangoplantage seines Großvaters. Er diversifizierte den Betrieb mit dem Anbau von Duft- und Aromapflanzen und destilliert seitdem in einem uralten Kupfer-Alambic aromatische Pflanzen wie Vetiver und Geranium, die er selbst auf seinem Grundstück anbaut.

Sein Alambic hat ein Fassungsvermögen von 1000 Litern und benötigt sehr viel pflanzliches Material, um ihn in Gang zu setzen: mehr als 250 Kilo Pflanzen für eine Destillation! Die Destillation ist ein langwieriger Prozess, bei dem über mehrere Stunden hinweg Wasserdampf durch die Pflanzen geleitet wird. Das Ergebnis ist ein kostbares ätherisches Öl, das in reiner Form oder als Hydrolat – einer Mischung aus Öl und Wasser – genutzt wird.

Parfümpflanzen unter Klimastress

Der Klimawandel setzt auch den Duftpflanzen auf La Réunion zu. Steigende Temperaturen und unregelmäßige Niederschläge belasten besonders Geranium und Vetiver, die beiden wichtigsten Pflanzen für die Parfümherstellung. Hitze- und Wasserstress mindern die Produktion aromatischer Verbindungen und beeinträchtigen so die Qualität ihrer ätherischen Öle.

Längere Trockenperioden und heftige Regenfälle erhöhen das Risiko von Bodenerosion, was besonders für Vetiver problematisch ist. Zudem werden die Stürme jedes Jahr heftiger, zerstören die Ernte oder erschweren den optimalen Erntezeitpunkt. Langfristig leidet die Fruchtbarkeit der Böden, was die Anbauflächen weiter bedroht.

Der große Konkurrent: China

Neben dem Klimawandel sorgt auch der Marktdruck durch die Massenproduktion in anderen Ländern für Sorgenfalten bei den Parfümbauern von La Réunion. Vor allem China stellt einen großen Konkurrenten bei der Produktion von Geraniumöl dar.

Während auf La Réunion jedes Detail der Parfümherstellung in Handarbeit und mit höchster Sorgfalt erfolgt, setzen andere Länder auf Massenproduktion und schnellere, weniger schonende Methoden. Doch es sind genau diese traditionellen Verfahren, die den Parfüms von La Réunion ihren unvergleichlichen Charakter verleihen.

Parfüm selbst herstellen

Auf La Réunion gibt es zahlreiche Möglichkeiten, sich selbst als Parfümeur zu versuchen. In Workshops könnt ihr lernen, euer eigenes Parfüm zu kreieren. Im village artisanal von Éperon findet samstags ein Kunsthandwerkermarkt unter freiem Himmel statt.

Unter Anleitung von Profis wie Charlotte Boiron vom Atelier Musqué erhaltet ihr eine Einführung in die Welt des Parfüms und lernt die Kunst, Kopf-, Herz- und Basisnoten harmonisch zu kombinieren.

Charlotte, 1991 in Paris geboren, kam nach ihrem Marketing-Studium 2018 auf die Insel, gründete 2019 dort ihr Unternehmen und bietet seitdem regelmäßig in ihrem Atelier und auf Märkten Blitzkurse an, in denen sie das Geheimnis der Parfümherstellung lüftet.

Mit mehr als 80 Fläschchen hochkonzentrierter Duftessenzen im Gepäck, führt Charlotte euch Schritt für Schritt durch den kreativen Prozess der Parfümherstellung. Nach rund anderthalb Stunden nehmt ihr euer eigenes 30-ml-Parfüm mit nach Hause. Sollte es einmal aufgebraucht sein, könnt ihr es bei Charlotte nachbestellen – sie fotografiert jede Duftkomposition ihrer Teilnehmer und archiviert sie.

Das duftende Trio

Es gibt zwei Arten von Parfüms: auf Alkohol- oder Ölbasis. Die ätherischen Öle und Aromaextrakte vervollständigen die Komposition eines Parfüms. Die Duftnote eines Parfüms wird immer aus diesem Trio kombiniert.

Zuerst erschnuppert man die Kopfnoten eines Parfüms. Dies sind die schnell flüchtigen, aromatischen Noten (Douceur lactée, Aquazen, Bois de Ho, Verveine, Myrtille) sowie Zitrusfrüchte (Pampelmuse, Zitrone, Orange, Limone). Ihre Haltbarkeit reicht von einigen Minuten bis zu einer Stunde, bevor sie verfliegen.

Auch Ylang Ylang und Frangipani sind Duftpflanzen von der Île de la Réunion. Foto: Hilke Maunder
Auch Ylang Ylang und Frangipani sind Duftpflanzen von Frankreichs Parfüm-Insel Île de la Réunion. Foto: Hilke Maunder

Danach folgen die Herznoten. Das sind fruchtige, blumige und würzige Düfte wie Jasmin, Geranium, Rose, Veilchen, Frangipani, Bois d’Inoque. Ihre Haltbarkeit beträgt zwischen einer und vier Stunden.

Die Basisnoten bestehen schließlich aus Holz-, Moschus-, Amber- und Vanilledüften (Vetiver, Baume de Pérou, Nag Champa, Zeder, Patchouli). Diese können mehrere Tage anhalten. Erst das feine Gleichgewicht dieser drei Noten lässt das Parfüm zum Leben erwachen!

Die Parfüminsel La Réunion: meine Reistipps

Erleben und unternehmen

Jardin des Parfums et des Épices

Der Botanische Garten der Gewürze und Parfüme in Saint-Philippe beherbergt mehr als 1.500 verschiedene Arten von Gewürzen und Duftpflanzen mitten im typischen Regenwald des Inselsüdens – faszinierend!
• 7, chemin Forestier, 97442 Saint-Philippe, Tel. +262 02 62 37 06 36, www.jardin-parfums-epices.com

Parfümworkshops

L’Atelier Musqué

Auf Märkten dauern die Blitzkurse in der Parfümherstellung 90 Minuten, im Atelier drei Stunden. Bei beiden Optionen geht ihr mit eurem persönlich kreierten Parfüm nach Hause – in Flakons von 30 bzw. 50 Millilitern. Wann und wo die nächsten Workshops stattfinden, erfahrt ihr auf der Webseite oder per Mail: lateliermusque@gmail.com.
https://atelier-musque.com

La Fontaine Arômatique

Nur nachmitags könnt ihr den Brunnen der Düfte hoch oberhalb von Saint-Leu besichtigen.
• Chemin des Rosiers, 97436 Saint-Leu, Tel. +262 06 92 07 50 45, www.lafontainearomatique.re

C.A.H.E.B.

Auch die Parfüm-Kooperative C.A.H.E.B. veranstaltet Parfümworkshops und zeigt bei Führungen, wie sie arbeitet.
• 85, rue Kervéguen, 97430 Le Tampon, Tel. +262 02 62 27 02 27, www.geranium-bourbon.com

Tipp

Le Musée International de la Parfumerie (MIP)

Das internationale Parfümmuseum von Grasse im Département Alpes-Maritimes lädt seit 1989 im prächtigen Hôtel de Villeneuve aus dem 17. Jahrhundert zur sinnlichen Reise durch die Welt der Düfte. Mehr als 3.000 Objekten zeichnen die Entwicklung der Düfte von der Antike bis heute nachzeichnen. Ausgestellt sind opulent dekorierte Flakons, filigrane Destillationsgeräte und einige der Rohstoffe, die für die Herstellung verwendet werden.

Besonders spannend sind die interaktiven Stationen, an denen ihr selbst zum „Nasenforscher“ werden könnt. Erschnuppert die unterschiedlichen Duftnoten, entdeckt ihre Wirkung und erfahrt, wie sie sich zu den raffinierten Kompositionen berühmter Häuser wie Chanel & Co. verbinden.
• 2, boulevard du Jeu de Ballon, 06130 Grasse, Tel. 04 97 05 58 11

Hier könnt ihr schlafen

 

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Im Blog

Alle Beiträge zur französischen Tropeninsel La Réunion vereint diese Kategorie. Grasse gilt als Frankreichs Hauptstadt der Düfte – hier gibt es Infos und Impressionen.

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