Die Place Royale von Labastide-d'Armagnac. Foto: Hilke Maunder

Labastide-d’Armagnac: bitte kein Rummel

Nein, die Auszeichnung als eines der schönsten Dörfer Frankreichs zu erhalten, das wollte Labastide-d’Armagnac nicht. Das prestigeträchtige Label hätte für zu viel Rummel gesorgt, war die Kommune im Nordosten des Département Landes überzeugt. 2011 war sie als zweite Gemeinde Frankreichs nach Segonzac als città slow ausgezeichnet worden. Das internationale Netzwerk lebenswerter Städte pflegt die überlieferten Traditionen und steht für Innovation.

Eine Petite Cité de Caractère

Foto: Hilke Maunder
Foto: Hilke Maunder

Über die Auszeichnung als erste Petite Cité de Caractère des Départements Landes im Juni 2021 indes freute sich die rund 680 Einwohner der Bastide sehr. Das Konzept der Petites Cités de Caractère entstand Mitte der 1970er-Jahre. Sein Ziel: Gemeinden aufzuwerten, die aufgrund ihrer Lage und ihrer begrenzten Bevölkerungszahl ländlich und aufgrund ihrer Geschichte und ihres Kulturerbes gleichzeitig städtisch geprägt sind.

Ungewöhnlich: eine Fassade im Herzen der alten Bastide Labastide-d'Armagnac. Foto: Hilke Maunder
Ungewöhnlich: eine Fassade im Herzen von Labastide-d’Armagnac. Foto: Hilke Maunder

Diese Städte, die früher administrative, politische, religiöse, kommerzielle, militärische oder andere Zentren waren, mussten nach den administrativen und industriellen Revolutionen in Frankreich häufig eine Reduzierung ihrer städtischen Funktionen hinnehmen. So auch Labastide-d’Armagnac.

Die Pfarrkirche, gesehen von der Umfriedung, die das Innere der Bastide schützt. Foto: Hilke Maunder
Die Pfarrkirche Notre-Dame-de-l’Assomption, gesehen von der Umfriedung, die das Innere der Bastide schützt. Foto: Hilke Maunder

Für die Auszeichnung hatten Mitarbeiter der Kommune mit den Bürgern gemeinsam bei zahlreichen Treffen einen Plan zur Aufwertung des Ortes erarbeitet. Jener sollte sowohl für die Einheimischen wie auch die Touristen die Attraktivität des Ortes bewahren und verbessern.

Blick von den Arkaden auf die <em>Place Royale</em>. Foto: Hilke Maunder
Blick von den Arkaden auf die Place Royale. Foto: Hilke Maunder

Siedlungspolitik als Strategie

Labastide-d’Armagnac entstand aus machtpolitischem Kalkül. Graf Bernhard IV. hatte im Jahr 1291 beschlossen, sich mit der befestigten neuen Siedlung vor den Übergriffen der Vicomtes de Marsan schützen. Sein Oberbefehlshaber Edward I., König von England und Herzog von Aquitanien, bestätigte die Gründungsurkunde im Jahr 1294.

Die Arkaden der Place Royale. Foto: Hilke Maunder
Rot, Braun und Pastell: die Fensterläden der Place Royale. Foto: Hilke Maunder

Während des Hundertjährigen Krieges verwüstete der Schwarze Prinz, der Sohn von Edward III., den Südwesten. Trotz allem blieb das Dorf, das zu einer englischen Garnison geworden war, verschont.

Ihre Arkaden. Foto: Hilke Maunder
Ihre Arkaden. Foto: Hilke Maunder

Doch im 16. Jahrhundert brachten die Religionskriege zwischen Katholiken und Protestanten, die Frankreich heimsuchten, viel Leid. Der Landstrich nahm die Reformation an. Auch Labastide-d’Armagnac wurde protestantisch – und prompt von den katholischen Truppen schwer beschädigt.

Beschaulich, fast ein wenig zeitentrückt ist das Flair von Labastide-d'Armagnac. Foto: Hilke Maunder
Beschaulich, fast ein wenig zeitentrückt ist das Flair von Labastide-d’Armagnac. Foto: Hilke Maunder

Königlich: die Place Royale

Dennoch ist das Dorf ein echtes Juwel unter den Bastiden des Südwestens. Besonders um seine Place Royale mit ihren Arkaden und der wuchtigen Festungskirche église paroissiale Notre-Dame-de-l’Assomption. Dieser Platz hatte es dem späteren König Heinrich IV. so angetan, dass er später in Paris das Vorbild für die Place des Vosges von Paris wurde.

Die Pfarrkirche der Bastide. Foto: Hilke Maunder
Die Pfarrkirche der Bastide. Foto: Hilke Maunder

In den meisten Bastiden der Region bestand die Kirche ursprünglich aus einem einfachen rechteckigen Raum. Sie war stets recht groß, das sie in unruhigen Zeiten auch als Schutzraum für Mensch und Tier diente. Zwei mächtigen Strebepfeiler die Nordfassade.

Erst Anfang des 15. Jahrhunderts gesellte sich der Glockenturm hinzu. Schmale Schießscharten öffnen sich unter den vier Fenstern für das Geläut. Eine Vorhalle mit Sitzbank aus Stein, ein gotisches Portal mit verzierten Kapitellen…. hinein ins Gotteshaus!

Die Pfarrkirche von innen. Foto: Hilke Maunder
Die Pfarrkirche von innen mit dem Trompe-l’oeil von Céroni. Foto: Hilke Maunder

Zwischen den Strebepfeilern des Kirchenschiffs befinden sich vier Seitenkapellen. Sie waren frühen dem Heiligen Johannes, Sankt Eutropius, Sankt Joseph und Sankt Martin geweiht. Das Besondere im Innern ist die Chorwand. Sie birgt eine ein erstaunlichesTrompe-l’oeil, das 1831 der italienische Künstler Céroni geschaffen hat.

Die <em>Place de la Château</em> der alten Bastide. Foto: Hilke Maunder
Die Place du Château der alten Bastide. Foto: Hilke Maunder

Charmant beschaulich

Eine beschauliche Ruhe prägte die Bastide mit ihren verwitterten Steinen und Kopfsteingassen. Die bewusste politische Entscheidung zu Entschleunigung und behutsamer, langsamer Entwicklung sorgt dafür, dass alles in seinem eigenen Rhythmus reifen kann – und seit dem Mittelalter aus sich selbst weiter entwickelt hat. Dieses Flair lockt immer mehr Künstler an. In buntem Fachwerk und altem Stein haben sie Ateliers oder Galerien eröffnet.

Das <em>Café du Peuple</em>. Foto: Hilke Maunder
Das Café du Peuple. Foto: Hilke Maunder

Folgt dem markierten Parcours du Patrimoine, der euch zu den geschichtsträchtigsten Stätten des Dorfes bringt. Ihr kommt dann auch an dem Café des Peuple vorbei, das auf mich geradezu filmreif wirkt. Dann wiederum lehnen Fahrräder vor der Werkstatt einer Künstlerin, verrät ein Weinfass vor einem Hof, dass dort ein Winzer wohnt. An jeder Ecke, vor jedem Haus erzählt Labastide-d’Armagnac Geschichten von einst und heute. Und gerade dies macht den Besuch so zauberhaft und berührend.

Foto: Hilke Maunder
Foto: Hilke Maunder

Alles, was man hören kann

Im Sommer ist die Bastide eine Bühne unter freiem Himmel. Seit 2011 präsentiert das Festival L’Oreille en Place im Juli, alles, was man hören kann. Jazz in all seinen Formen, brasilianische Musik, Flamenco, Musik aus den Ebenen der Ukraine, vom Planeten Kobaia, von Mozart und Jean-Philippe Rameau. Chansons von Sourigues, Texte von Pablo Nerude,  fulminante Theaterszenen, Burlesque, Vorträge, Diskussionen – eben alles, was man sich anhören kann. Welche ein Hör-Erlebnis!

Die Arkaden der Place Royale. Foto: Hilke Maunder
Die Arkaden der Place Royale mit dem Kultauto 2CV. Foto: Hilke Maunder

Labastide-d’Armagnac: meine Reisetipps

Schlemmen

Au Bastignac

Enten! Sie liebt Alain Baillou. Er zerlegt sie mit schnellem Schnitt, verwertet alles – und zaubert daraus Köstlichkeiten, die so richtig nach dem Terroir des Südwestens schmecken.

Für das <em>magret royal </em>wird die Entenbrust mit Foie Gras gefüllt. Foto: Hilke Maunder
Für das magret royal wird die Entenbrust mit Foie Gras gefüllt. Foto: Hilke Maunder

Der Speisesaal seines Restaurants, das er gemeinsam mit seiner Frau führt, birgt auch einen kleinen Schlemmershop mit Leckereien aus eigener Herstellung und von lokalen Produzenten. Im Sommer könnt ihr herrlich unter den Arkaden auf der Terrasse speisen!
• Place Royale, 40240 Labastide-d’Armagnac, Tel. 05 58 75 11 24

Pizzrria La Giluietta

Köstliche Pizza von einem italienischen pizzaiolo

• 31, Place Royale, 40240 Labastide-d’Armagnac, Tel. 05 58 03 85 47, www.facebook.com/pizzgiulietta

Auch eine Crêperie findet ihr an der Place Royale. Foto: Hilke Maunder
Auch eine Crêperie findet ihr an der Place Royale. Foto: Hilke Maunder

Schlafen*
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Auch diesen Sinnspruch von René Char findet ihr auf einer Garagentür im Herzen der alten Bastide. René Char (1907 – 1988) war ein provenzalischer Dichter, der 1940 in den Untergrund ging und in der Résistance gegen die deutsche Besetzung Frankreichs kämpfte. Foto: Hilke Maunder
Auch diesen Sinnspruch von René Char findet ihr auf einer Garagentür im Herzen der alten Bastide. René Char (1907 – 1988) war ein provenzalischer Dichter, der 1940 in den Untergrund ging und in der Résistance gegen die deutsche Besetzung Frankreichs kämpfte. Foto: Hilke Maunder

Erleben

Armagnac en Fête

Seit der Jahrtausendwende feiert Labastide-d’Armagnac am letzten Oktoberwochenende den Beginn des Brennens drei Tage lang mit dem Fest Armagnac en Fête.  Mit dabei sind Armagnac-Bauer und -Brenner, Produzenten der Sites Remarquables du Goût, eine Delegation des internationalen Netzwerks Cittaslow mit ihren italienischen Qualitätsprodukten sowie Mitglieder der lokalen Gastronomie.
www.facebook.com/armagnac.enfete

L’Oreille en Place

Die treibende Kraft hinter dem kulturellen Leben in Labastide-d’Armagnac sind die Mitglieder des Vereins ECLAT. Sie organisieren seit 2011 ein Festival, das die Genregrenzen überschreiten und alles präsentiert, was spannend zu hören ist.
http://loreilleenplace.net

In nächster Nähe

Château Garreau

Gleich am Eingang des Château Garreau beginnen die Weinberge. Foto: Hilke Maunder
Gleich am Eingang des Château Garreau beginnen die Weinberge. Foto: Hilke Maunder

Das Armagnac-Schloss vor den Toren der Bastide besitzt den einzigen unterirdischen Armagnac-Keller der Welt. Schlossherrin Carole Garreau hat den Weintourismus ausgebaut, das Château für Besucher geöffnet und auch ein kleines Museum zum Weinkeller und zur Armagnac-Herstellung eingerichtet.

Der unterirdische Keller des Château Garreau. Foto: Hilke Maunder
Der unterirdische Keller des Château Garreau. Foto: Hilke Maunder

Weinbau und Armagnac-Herstellung nehmen nur rund ein Viertel des Gutsgeländes ein. Der Rest des Geländes lädt zum Flanieren und Erleben der Natur ein. Auch Seen gehören dazu!

Im Außengelände stehen alte Gerätschaften und Fahrzeuge. Foto: Hilke Maunder
Im Außengelände stehen alte Gerätschaften und Fahrzeuge. Foto: Hilke Maunder

Gleich am Eingang der Domäne befindet sich der Hofladen, in dem ihr den Armagnac des Château Garreau verkosten könnt. Hier könnt ihr im Blog das Armagnac-Weingut entdecken!
• Domaine de Gayrosse, Château Garreau, 40240 Labastide-d’Armagnac, Tel. 05 58 44 84 35, www.chateau-garreau.fr

Notre-Dame des Cyclistes

Die église du Geou aka Notre Dame des Cyclistes. Foto: Hilke Maunder

Ein mit Fahrrädern geschmückter Portikus markiert Frankreichs Nationalheiligtum des Radsports. Die Idee dazu hatte im Jahr 1958 ein Pfarrer einer kleinen Kapelle aus dem 11. Jahrhundert. Am 22. August 1958 hätte jener Abbé Joseph Massie, Pfarrer von Créon-d’Armagnac, Mauvezin-d’Armagnac und Lagrange, draußen im Freien eine Messe lesen sollen, der  Kinder des Ferienlagers teilnehmen sollten.

Da es regnete, wurde die Messe in der Kapelle von Géou gefeirt. Nach dem Gottesdienst sprach der Priester mit seinem Seminaristen, dem damals 18 Jahre alten Michel Busquet, und sagte: „Mir ist eine Idee gekommen … es wäre schön, wenn man hier eine Kapelle für Radfahrer machen würde, wie in Italien!“ Papst Pius XII. hatte 1948 die  italienischen KapelleMadonna del Ghisallo  zur „Weltpatronin der Radfahrer“ ernannt.

Pfingstmesse für Radfahrer

Am 18. Mai 1959 erfüllte Papst Johannes XXIII. den Wunsch von Abbé Massie und machte die alte Kapelle zum nationalen Heiligtum des Radsports und des Radtourismus unter dem Schutz der Jungfrau Maria: Notre-Dame des Cyclistes (Unsere Liebe Frau der Radfahrer). Seitdem wird an jedem Pfingstmontag eine Messe für die Radfahrer gefeiert. Schon viermal ist die Tour de France schon an  der Chapelle de Notre-Dame des Cyclistes vorbeigekommen: 1984, 1989, 1995 und 2000. Am 9. Juli 1989 startete sogar die achte Etappe von hier aus.

Die größten Radsportchampions haben hier ihre Trikots abgelegt: André Darrigade, Jacques Anquetil, Louison Bobet, Roger Lapébie, Tom Simpson, Jean Stablinski, Bernard Hinault, Raymond Poulidor, Eddy Merckx.

Die Marienstatue der Kapelle Notre-Dame des Cyclistes. Foto: Hilke Maunder
Die Marienstatue der Kapelle Notre-Dame des Cyclistes. Foto: Hilke Maunder

Ikonen der Tour de France

Auch Lance Armstrong verschwitztes Outfit hing dort – bis der UCI ihm alle seine Titel aberkannte und sein Trikot in der Kapelle entfernt wurde. Vom Hightechrennrad der Profis bis zum Drahtesel  des Postboten könnt ihr dort zudem ungewöhnliche Zweiräder bewundern.

Auf der Wiese vor der Kirche erhebt sich die Marienfigur von Brun de la Serve aus Pau. Ihre Skulptur zeigt Maria, die Erdkugel auf ihrem Herzen tragend. Die eingravierte Inschrift erklärt diese Geste:

Marie, Reine du Monde,Protège la terre parcourue en tous sens par les cyclistes, Amoureux de la belle nature du Seigneur.

Maria, Königin der Welt, beschütze die Erde, die von Radfahrern kreuz und quer durchfahren wird, Liebhaber der schönen Natur des Herrn.

• Route de Cazaubon Géou, 40240 Labastide-d’Armagnac, Tel. 05 58 44 86 46, www.notredamedescyclistes.net

Die <em>Église du Géou</em> wird auch <em>Notre-Dame des Cyclistes</em> genannt. Helden der<em> Tour de France</em> wie Eddy Merckx haben dort ihre Trikots hinterlassen. Foto: Hilke Maunder
Die Église du Géou wird auch Notre-Dame des Cyclistes genannt. Helden der Tour de France wie Eddy Merckx haben dort ihre verschwitzten Trikots hinterlassen. Foto: Hilke Maunder

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Secret Citys Frankreich*

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Mit dabei sind auch Sens, eine filmreife Stadt im Norden von Frankreich, und viele andere tolle Destinationen. Frankreich für Kenner  – und Neugierige!

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