
Le Havre gehört für mich zu den verkanntesten Orten der Normandie. Doch seit dem riesigen Kulturspektakel zum 500. Geburtstag der Stadt an der Seine ist Le Havre plötzlich hip – und sehr angesagt bei den Franzosen.
Was Du auf keinen Fall verpassen solltest, habe ich Dir hier vorgestellt. Für Insider gibt es hier Ungewöhnliches, Überraschendes und Erstaunliches. Bonnes découvertes!
Le Salon des Navigateurs: ein Kapitän als Coiffeur

Inzwischen ist er weit mehr als 80 Jahre alt. Doch Daniel Lecompte hat noch lange keine Lust, die Schere aus der Hand zu legen.
Seit mehr als sechs Jahrzehnten stutzt er bereits in einem einzigartigen Ambiente seiner Kundschaft in Le Havre die Haare: im Salon des Navigateurs an der Rue Petit Croissant gleich gegenüber der Pfarrkirche des Quartier Saint-François.

Schräg und nostalgisch
Einst kamen die Seeleute und ließen sich bei ihm Bart und Schopf beschneiden. Heute sind es vorwiegend Touristen, die den Weg zu ihm finden. Denn sein Salon-Musée ist eine Schatztruhe, liebevoll vollgestopft mit maritimem Zierrat und Zeugnissen des Friseurhandwerks.

Und nimmt er die Schere in die Hand, schlüpft er zuvor in eine Matrosen-Uniform, setzt seine alte Dienstmütze von der Zeit auf der France auf und beantwortet humorvoll alle Fragen seiner Kunden. Was für ein ungewöhnlicher Friseur!
• 1, rue Petit Croissant, 76600 Le Havre, Tel. 02 35 42 12 71


Sainte-Adresse: Belgiens Hauptstadt an der Seine
Sainte-Adresse hockt auf einer Klippe, hoch über der Mündung der Seine. 1879 hatte sich die Schauspielerin Sarah Bernhard dort eine Villa errichten lassen. Claude Monet malte sein Werk Garten in Sainte-Adresse.
Damit lockte er Künstlerkollegen wie Raoul Dufy, den Fauvisten Albert Marguet und den belgischen Genremaler Alfred Stevens in den Badeort. In den 1870er-Jahren mit einer Straßenbahn an Le Havre angeschlossen, galt er als Nizza von Le Havre, als Nice Havrais.

Flucht ins nicht besetzte Frankreich
Als der Erste Weltkrieg ausbrach, war Belgien neutral. Dennoch marschierten am 4. August 1914 um acht Uhr morgens deutsche Truppen in Belgien ein. Von Oostende aus flüchte daher am 11. Oktober 1914 Belgiens Regierung an Bord des Passagierschiffes Pieter de Coninck in den nicht besetzten Teil Frankreichs.
Als Exil wählen sie Sainte-Adresse. Der König verweilte dagegen vier Jahre lang mit seiner Familie in De Panne, in der Nähe seiner Truppen hinter der Yserlinie.
Spurensuche in Sainte-Adresse
An der Place Frederic Sauvage, der Endstation der Straßenbahn zwischen Saint-Adresse und Le Havre, hatte der Kaufhauskönig Georges Dufayel ein großes Erholungsheim für die Arbeiter und Angestellten seiner Grands Magasins Crespin-Dufayel errichtet.
Mit mehr als 15.000 Mitarbeitern (1912) gehörte das Warenhaus an der 22–34, rue de Clignancourt im 18. Arrondissement von Paris zu den bedeutendsten Kaufhäusern der Welt.
In dieses neoklassizistische, 1911 nach Plänen von Ernest Daniel errichtete Immeuble Dufayel zogen die Minister und ihre Familien ein. Im Erdgeschoss nahm am 15. Oktober eine belgische Post ihre Arbeit auf.
Bis heute erinnert daran ein leuchtend roter Briefkasten mit Post-Logo und den Jahreszahlen 1914 – 1918. Die belgische Regierung residierte bis zum November 1918 in Le Havre.
© Fotos: Stadtarchiv Le Havre, Poster: Léo Kouper
Galerie Eric Baudet
Jenseits des großen kommerziellen Kunstbetriebes gibt es in Frankreich unzählige private Galerien, die von ihren Inhabern mit Leidenschaft geführt werden – feine Kleinode großer Kunst. Eine von diesen ist die Galerie Eric Baudet in Le Havre.
Nur wenige Schritte vom Hôtel de Ville residiert sie am Beginn der Avenue Foch in einem Wohnhaus, das wie die anderen Perret-Bauten von Le Havre als UNESCO-Weltkerbe geschützt ist.
Schlicht und funktionell, bildet sie den zurückhaltenden Rahmen für die Werke von 1920 bis heute, die im Erdgeschoss und im Mezzanine ausgestellt sind. Beide Ebenen verbindet eine geschwungene Treppe, selbst Kunstwerk jener Jahre.

Seit der Jugend von Kunst fasziniert
Seit 1993 betreibt Eric Baudet, im Hauptberuf Leiter für Kommunikation beim örtlichen Fremdenverkehrsamt, seine Galerie. Seine Liebe zur Kunst reicht jedoch viel weiter zurück; bereits als Schüler und Student investierte er sein Gespartes in Zeichnungen, Plastiken und Druckwerke. Und bis heute ist er ein passionierter Sammler von Kunst.
Von seinen jährlich sieben bis acht Ausstellungen ist eine stets der Skulptur gewidmet. Wunderschön war im Sommer 2011 beispielsweise eine Ausstellung mit Aktbildern in Tusche und Pastell von Roger Guerrant (1930 – 1977). Baudet hat den Maler aus Le Havre in seiner Jugend entdeckt und seitdem regelmäßig präsentiert.

So waren bei Baudet auch dessen figurativ-expressiven Gemälde rund um das Thema Natur zu sehen – den Häfen, Felsklippen, Bäumen, Pflanzen und Vögeln der Region seiner normannischen Heimat zu sehen.
Weitere Themen vergangener Ausstellungen waren Musique Maestro mit Werken von Raoul Dufy, Gen Paul und Lucien Fontanarosa zum Thema Musik und Tanz.
Anlässlich des 50-jährigen Bestehens des Musée Malraux konzipierte Baudet zudem die Ausstellung Malraux, Arnould, Adam – Trois hommes pour un Musée.
Die Schau präsentierte drei Männer, die das hervorragende Kunstmuseum von Le Havre überhaupt erst möglich gemacht haben
. Es waren André Malraux, Schriftsteller und damaliger Kulturminister, Reynold Arnould, Maler und Kurators des Museums, und Henri-Georges Adam. Letzterer schenktemit seiner Skulptur Signal dem an der Mündung der Seine gelegenen Museum seine monumentale Landmarke.
• 121, avenue Foch, 76600 Le Havre, Tel. 02 35 42 32 44, www.facebook.com

Eric Baudet & Raoul Dufy
Er liebte das Licht und das Leben und war ein Maler der Freude: Raoul Dufy. Seine Heimat war Le Havre, seine Motive das Meer und Mole, das Badeleben in Sainte-Adresse, die alten Häuser von Honfleur, die Menschen, Musik und Mythologie.
Farbe und Zeichnung trennen sich auf seinen Gemälden, schwarze Striche begrenzen Silhouetten, setzen Akzente, und verblassen doch vor der Intensität seiner Farben.
Eric Baudet hat ihm mit seinem Kunstbuch Raoul Dufy – Le Fiancé du Havre kundig ein reich bebildertes Denkmal gesetzt.
• Éditions Eric Baudet 2003
Der Zuckerhut von Le Havre

Nach siebenjährigem Exil in Amerika kann Général-Comte Lefebvre-Desnouëttes (1773-1822), der für Napoleon mit der Kavallerie viele Schlachten schlug, endlich wieder in die Heimat zurückkehren.
Doch Le Havre erreicht er nie. Am 22. April 1822 versinkt sein Schiff „Albion“ vor der irländischen Küste im Atlantik. Sein Leichnam wurde nie gefunden. Für Lefebvre-Desnouettes, während der Restauration als Günstling Napoleons angeklagt, zum Tode verurteilt und in die USA geflogen, wurde die kalte See das ewige Grab.
Der Cenotaph von Sainte-Adresse
Seine Witwe Stéphanie Rollier trauerte, verging vor Sehnsucht – und errichtete schließlich 30 Jahre später – im Jahr 1852 – einen weißen Cenotaph, der zu den berühmtesten Kuriositäten der Côte d’Albâtre gehört.
Denn das Denkmal, das offiziell Pain de Sucre (Zuckerhut) heißt, löste damals (wie auch heute) in der Fantasie des Betrachters ganz andere Assoziationen aus.
Und so wurde das Memorial, das seit 1880 die Gebeine auch von Madame birgt, im frühen 20. Jahrhundert zum beliebten Motiv erotischer Postkarten aus Le Havre…
Geo-Caching mit der Witwe
Das Denkmal der trauernden Witwe findet ihr in der Rue Charles Alexandre Lesueur im Ortsteil Sainte-Adresse. Dort ist für Geo-Cacher eine Box versteckt!
Infos dazu gibt es hier: www.geocaching.com/geocache/GC158W7_le-pain-de-sucre. Ganz in der Nähe lohnt eine Seemannskirche mit einem Meer ungewöhnlicher Votivtafeln einen Besuch – Notre Dame des Flots. Sie habe ich hier vorgestellt.
Seemannskapelle: Notre-Dame-des-Flots

Eigentlich war die kleine Kapelle Notre-Dame-des-Flots ein Gotteshaus der Seeleute, geschmückt mit ihren Danksagungen. 1857 war es auf Initiative des Abtes Duval-Pirou von Théodore Huchon im neogotischen Stil in der Rue Charles-Alexandre Lesueur auf den Klippen von Sainte-Adresse bei Le Havre errichtet worden.
Ein Meer von Votivtafeln
Doch im Meer ihrer Votivtafeln entdecke ich eine überraschend andere Inschrift. „Dank an Unsere Liebe Frau für den Erfolg in zwei Examen 1893-1895“ steht dort in schwarzer Schrift auf dem hellen Marmor. Bis heute steht vor dem kleinen Täfelchen ein frischer Blumengruß.
Zur Kapelle gehört ein kleiner Garten. Und ein Panoramablick auf die Seinemündung und das Meer, das die Gestaltung der Kirche so geprägt hat.
Hilfe für Notre-Dame-des-Flots
Noch Regen und Seeluft haben der Kapelle arg zugefügt. Risse zogen ins Mauerwerk. Feuchtigkeit eroberte die Wände. Daher soll das Gotteshaus nun mit Unterstützung der Bevölkerung möglichst rasch saniert werden.
Wie sehr eine Spende für die Bauarbeiten auf eigene Steuerlast drücken kann, lässt sich daher gleich auf der Projekt-Webseite berechnen. Von den geplanten Baukosten von rund 360.000 Euro kam bereits ein Zehntel aus Spenden zusammen.

Mein Extratipp: Weihnachtszauber in Le Havre
Unter dem Motto Noël au Havre ist die Innenstadt winterlich weiß, Meerblau und poppig Lila illuminiert, und das Rathaus schmücken weder Weihnachtsrot oder Tannengrün, sondern Lichtersäulen in Lila und weiß zuckende Blitze.

Märchenschau im Rathaus
Auf der Rückseite des Hôtel de Ville entführen liebevoll dekorierte Schaufenster nicht in die Krippenwelt, sondern die Märchen. Auch im Innern des Rathauses gibt sich das Weihnachtsflair erfrischend säkular.
In Frankreich sind Staat und Kirche seit der Französischen Revolution streng getrennt, und auch im Musikunterricht der Schulen wird zu Weihnacht keine religiöse Weise gesungen, sondern ganz weltlich dem Winter und dem Weihnachtszauber im Kreise der Familie gehuldigt.
Weihnachtswünsche für Père Noël
Doch zurück zu Le Havre, wo Père Noël als Kegelfigur im immens opulenten Weihnachtsdorf des Rathauses als Fotomotiv der Familien dient, und im Espace Coty, dem Einkaufszentrum der City, die Geschenkwünsche der Kinder persönlich entgegennimmt.
Wer ihm schreiben möchte, kann im Atelier Municipal der Bibliotheken von Mont-Gaillaird, Marge Rouge, Aplemeont, Graville und Armand Salacrou seiner Postkarte an ihn individuell gestalten.
Sonntags-Shopping in der City
In der hervorragenden Buchhandlung La Galerne wird derweil an zahlreichen Tischen Neues aus der Druckerpresse von den Autoren signiert und mitten im Gedränge geklönt und gelacht.
An allen Dezembersonntagen haben die Geschäfte geöffnet. Jeder Stand in den Markthallen ist festlich mit Silberglocken, roten Schleifen, Glanz und Glitzer dekoriert: Weihnachtszauber allerorten!
Hüttenzauber mit Handwerk und Glühwein
Auf der Place Perret verbreitet ein Village de Noël mit Holzbuden von 12 – 20 Uhr mit regionalem Handwerk und lokalen Schlemmereien weihnachtlichen Flair. Wer bei der Wahl des schönsten Chalets dort Glück hat, gewinnt einen drei Kilogramm schweren Weihnachtsmann zum Fest.
Die weiße Parade
Höhepunkt der weihnachtlichen Vorfreude ist jedoch die Parade Blanche, ein Umzug mit fantasievollen wie festlichen Wagen, der stets in der Rue de Paris beginnt. Pas à manquer, das dürfen Sie nicht verpassen, empfiehlt das Faltblatt mit allen Infos zum (vor)weihnachtlichen Treiben.
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Im Blog
Le Havre habe ich im Blog schon häufiger vorgestellt, zum Beispiel hier:
Im Buch
Glücksorte in der Normandie*
Steile Klippen und weite Sandstrände, bizarre Felslandschaften und verwunschene Wälder, romantische Fachwerkstädtchen und moderne Architektur – die Normandie hat unzählige Glücksorte zu bieten.
Gemeinsam mit meiner Freundin Barbara Kettl-Römer stelle ich sie euch in diesem Taschenbuch vor. Wir verraten, wo die schönste Strandbar an der Seine liegt, für welche Brioches es sich lohnt, ins Tal der Saire zu fahren, und wo noch echter Camembert aus Rohmilch hergestellt wird.
Unser Gemeinschaftswerk stellt euch insgesamt 80 einzigartige Orte vor, die oftmals abseits der eingetretenen Pfade liegen. Wer mag, kann es hier* bestellen.
Normandie: 50 Tipps abseits der ausgetretenen Pfade*
Die Netflix-Serie „Lupin“ hat die Normandie zu einem touristischen Hotspot gemacht. Garantiert keine Massen triffst Du bei meinen 50 Tipps. Sie sind allesamt insolite, wie die Franzosen sagen – ursprünglich, authentisch und wunderschön.
Die Landpartie durch die andere Normandie beginnt im steten Auf und Ab der Vélomaritime, führt zu den Leinenfeldern der Vallée du Dun, zu zottigen Bisons und tief hinein ins Bauernland des Pays de Bray, Heimat des ältesten Käses der Normandie.
Im Tal der Seine schmücken Irisblüten auf hellem Reet die Giebel alter chaumières, und Störche brüten im Marais Vernier. Von den Höhen vom Perche geht es hin zur Normannischen Schweiz und bis zur Mündung des Couesnan an der Grenze zur Bretagne. Hier* kannst Du den handlichen Führer bestellen.
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