Das Welterbe von Le Havre: Poesie in Beton

Le Havre. Foto: Hilke Maunder
Blick auf Le Havre von der Seine aus. Über dem Sportboothafen und dem Häusermeer der Quartier Perret ergebt sich die Église Saint-Joseph. Foto: Hilke Maunder

Seit 2005 gehört Le Havre mit seinem Quartier Perret zum Welterbe. Entdecke die moderne Architektur von Perret und ihre Wahrzeichen!

Auferstanden aus Ruinen

Bei den Bombardements der Briten versank Le Havre am 5./6. September 1944 in Schutt und Asche. Auferstanden ist es als Vision eines Mannes: Auguste Perret (1874 – 1954).

Das <em>Bassin du Commerce</em>. Foto: Hilke Maunder
Das Bassin du Commerce. Foto: Hilke Maunder

„Mein Beton ist schöner als Stein“: Nicht alle teilten die Ansicht von Auguste Perret, unter dessen Federführung in den 1950er-Jahren das kriegszerstörte Le Havre im kühlen Stil der klassizistischen Moderne neu entstand. Das Wort von der „doppelten Zerstörung“ machte die Runde.

L’Appartement Témoin: die ideale Wohnung

Im <em>Appartement Témoin</em>: die Diele. Foto: Hilke Maunder
Im Appartement Témoin: die Diele. Foto: Hilke Maunder

Auch bei den Wohnungen standen für den futuristischen Stadtplaner Auguste Perret Rationalität sowie Flexibilität im Vordergrund.

Im <em>Appartement Témoin</em>: die Garderobe. Foto: Hilke Maunder
Im Appartement Témoin: die Garderobe. Foto: Hilke Maunder

Gemäß der Maxime von Le Corbusier sollte das Wohnzimmer, das Herzstück jeder Wohnung, auch als Empfangsraum für Gäste, Esszimmer oder Büro dienen können.

Um diese unterschiedlichen Zwecke erfüllen zu können, nutzte Perret ein System von verschiebbaren Trennwänden.

Im <em>Appartement Témoin</em>: das Badezimmer. Foto: Hilke Maunder
Im Appartement Témoin: das Badezimmer. Foto: Hilke Maunder

Funktionell und standardisiert

Der Architekt arbeitete mit den Raumausstattern René Gabriel, Marcel Gascoin und André Beaudoin zusammen. Gemeinsam entwarfen sie eine an die modernen Lebensumstände der damaligen Zeit angepasste Wohnungseinrichtung.

Charakteristisch für dieses Mobiliar ist Funktionalität sowie die Standardisierung für die Massenherstellung.

Im <em>Appartement Témoin</em>: der Essbereich. Foto: Hilke Maunder
Im Appartement Témoin: der Essbereich. Foto: Hilke Maunder

Im Appartement Témoin

Hautnah eintauchen in die Atmosphäre von einst könnt ihr im Appartement Témoin. Die Musterwohnung vermittelt mit typischem Mobiliar, Küchengeräten, Kleidung und Kinderspielzeug das Gefühl, die Bewohner seien nur für einen kurzen Moment nicht anwesend.

Heute gehören die von Perret gebauten Wohnungen zu den gefragtesten Immobilien von Le Havre.

Im <em>Appartement Témoin</em>: die Küche. Foto: Hilke Maunder
Im Appartement Témoin: die Küche. Foto: Hilke Maunder

Perrets Wohnungen heute

Für rund 500.000 Euro hängen die Fotos der knapp 100 Quadratmeter großen Appartements in den Schaufenstern der Agences Immobiliers.

Im <em>Appartement Témoin</em>: Küchengeräte aus den Fifties. Foto: Hilke Maunder
Im Appartement Témoin: Küchengeräte aus den Fifties. Foto: Hilke Maunder

Wie die Bewohner heute dort leben, hat mir Francine gezeigt. Offen, hell und großzügig ist ihre Wohnung. Zahlreiche Wände aus der Musterwohnung fehlen. Aus Rücksicht vor ihrer Privatsphäre habe ich dort nicht fotografiert.

Im <em>Appartement Témoin</em>: das Kinderzimmer. Foto: Hilke Maunder
Im Appartement Témoin: das Kinderzimmer. Foto: Hilke Maunder

Da nicht die Wände, sondern markante Betonsäulen für die sichere Statik sorgen, lassen sich die Zuschnitte der Zimmer beliebig verändern. Das macht die Wohnungen, die Perret geschaffen hat, bis heute modern und vielseitig.

Im <em>Appartement Témoin</em>: das Schlafzimmer. Foto: Hilke Maunder
Im Appartement Témoin: das Schlafzimmer. Foto: Hilke Maunder

Alle paar Wochen wird die Musterwohnung neu eingerichtet. Dadurch öffnet jeder Besuch ein faszinierendes Fenster in die Vergangenheit.

Im <em>Appartement Témoin</em>: die Wiege im Schlafzimmer. Foto: Hilke Maunder
Im Appartement Témoin: die Wiege im Schlafzimmer. Foto: Hilke Maunder

L’Appartement Témoin

Führungen durch die Musterwohnung veranstaltet das ganze Jahr hindurch das Office de Tourisme.
186, Boulevard Clémenceau, 76059 Le Havre, Tel. 02 32 74 04 04, www.lehavreseinemetropole.fr

Im <em>Appartement Témoin</em>: das Arbeitszimmer. Foto: Hilke Maunder
Beweist Mut zur Farbe: das Arbeitszimmer im Appartement Témoin. Foto: Hilke Maunder

Das Oscar Hôtel

Mit im Welterbe des Quartier Perret eröffnete 2010 auf dem Höhepunkt der Shabby-Chick-Welle der Architekt und Designer Vincent Duteurtre eine Zweisterneherberge, das den Geist und Stil jener Aufbaujahre wieder aufleben lässt: das Oscar Hôtel.

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Oscar: Möbelmarke & Architektenname

Mit seinem Namen verweist es auf eine französische Möbelmarke der 1950er-Jahre. Oscar entwickelte seinerzeit in Frankreich einen Einrichtungsstil mit modulierbaren Möbeln. Gleichzeitig ist der Name zugleich eine Hommage an einen zweiten genialen Architekten, der Le Havre einen futuristischen Kulturpalast hinterließ: Oscar Niemeyer.

Le Havre: Großer und kleiner Vulkan, vom Bassin de Commerce aus gesehen. Im Hintergrund die Église Saint-Joseph. <yoastmark class=

Sein Wahrzeichen Le Volcan wurde 2011-15 umgebaut und saniert – der Grand Volcan als Stätte für Schauspiel und Konzert, der Petit Volcan als Stadtbibliothek.

Ihre Silhouetten erscheinen zum Greifen nach hinter den Fensterscheiben, die Baumwollvorhänge in großen geometrischen Mustern in Gelb, Blau, Schwarz und Weiß einrahmen.

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100 % im Flair der Fifties

Dekokissen und Stuhlbezüge greifen dieses Muster auf. Sie flirten mit dem sanften Nussbaum, das die Möblierung dominiert, und dem kräftigen Rot der Läufer im Treppenhaus und im Foyer mit seiner abgetrennten Frühstücksecke.

Wer sich für die Geschichte von Stadt und Region interessiert, findet im ersten Stock einen winzigen Aufenthaltsraum, der gut bestückt ist mit Literatur – und einem Breitcordsofa in hellem Beige.

Auch hier wieder: Nussbaum – und der Blick auf die geometrisch klare Wohnbebauung von Perret, die im totalen Kontrast zum organischen Schwung des Volcan steht.

Doch bei aller Liebe zum Retro bleibt der Komfort von heute nicht auf der Strecke. Flachbildschirm gehören ebenso zum Standard wie kostenloses WLAN und ein kleines Set für die Teezubereitung auf dem Zimmer.

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Oscar Hôtel

• 106, Rue Voltaire, 76600 Le Havre, Tel. 02 35 42 39 77, www.facebook.com/hoteloscarlehavre. Wer mag, kann das Hotel hier* direkt online ohne Zusatzkosten buchen.

Offenlegung

Ich übernachte im Oscar Hôtel auf eigene Rechnung.

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Glücksorte in der Normandie*

Steile Klippen und weite Sandstrände, bizarre Felslandschaften und verwunschene Wälder, romantische Fachwerkstädtchen und moderne Architektur – die Normandie hat unzählige Glücksorte zu bieten.

Gemeinsam mit meiner Freundin Barbara Kettl-Römer stelle ich sie euch in diesem Taschenbuch vor. Wir verraten, wo die schönste Strandbar an der Seine liegt, für welche Brioches es sich lohnt, ins Tal der Saire zu fahren, und wo noch echter Camembert aus Rohmilch hergestellt wird.

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Hilke Maunder_Normandie_Abseits

Normandie: 50 Tipps abseits der ausgetretenen Pfade*

Die Netflix-Serie „Lupin“ hat die Normandie zu einem touristischen Hotspot gemacht. Garantiert keine Massen triffst Du bei meinen 50 Tipps. Sie sind allesamt insolite, wie die Franzosen sagen – ursprünglich, authentisch und wunderschön.

Die Landpartie durch die andere Normandie beginnt im steten Auf und Ab der Vélomaritime, führt zu den Leinenfeldern der Vallée du Dun, zu zottigen Bisons und tief hinein ins Bauernland des Pays de Bray, Heimat des ältesten Käses der Normandie.

Im Tal der Seine schmücken Irisblüten auf hellem Reet die Giebel alter chaumières, und Störche brüten im Marais Vernier. Von den Höhen vom Perche geht es hin zur Normannischen Schweiz und bis zur Mündung des Couesnan an der Grenze zur Bretagne. Hier* kannst Du den handlichen Führer bestellen.

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Église Saint-Joseph, Le Havre: die Wendeltreppe zur Turmspitze. <yoastmark class=

Église Saint-Joseph, Le Havre: Blick von der Wendeltreppe zur Turmspitze auf den Altar. <yoastmark class=

Église Saint-Joseph: "Accumulation of Power" nannte Chiharu Shiota diese Installation zum Kultursommer 2015 "Un été au Havre". <yoastmark class=

Auch nachts ein Hingucker: die Église Saint-Joseph von Le Havre. <yoastmark class=

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