
Im Morgennebel sind sie kaum zu sehen, die kleinen Züge des Petit Train d’Artouste im Vallée d’Ossau des Béarn.
Eine Gondelbahn hat uns von der Talstation am Stausee Fabrèges hinauf auf 2000 m Höhe gebracht. Bergstation und Bahnhof trennen nur ein paar Stufen. 15 Grad kälter als im Tal ist es hier oben.

Dick eingemummt setzen wir uns in die offenen Waggons, deren Sitzbänke gerade zwei Mitarbeiter mit schnellem Handgriff in die richtige Fahrtrichtung umklappen.
Lokführer Jean hat sich in die kleine Kabine der Diesellok gequetscht und hockt dort gebeugt im rechten Winkel zur Schiene.


Ausflugsbahn & Arbeitszug
“Rot-Gelb sind die touristischen Züge. Blau unsere Arbeitszüge”, sagt Olivier Marfaing (42), seit 2015 Betriebsleiter der Anlagen von Artouste.
Denn die kleine Bahn ist mehr als eine nostalgische Ausflugsbahn im Hochgebirge der Pyrenäen. Sie entstand als Arbeitszug für die Wasserkraftanlagen, die die Compagnie des Chemins de Fers ab 1909 in den nördlichen Pyrenäen anlegte.


Die Chemins de Fers du Midi sind heute Vergangenheit. Ihre Bahnen und Kraftwerke wurden 1938 in der SNCF verstaatlicht. Später lagerte der Staatsbetrieb die Kraftwerke in der Société hydroélectrique du Midi (SHEM) aus.
Sie ist der drittgrößte Erzeuger von Wasserkraft in Frankreich, produziert 100 Prozent Ökostrom aus der Kraft des Wassers. Und ist seitdem auch die Eigentümerin der Eisenbahn – samt Infrastruktur und Fahrzeuge.

Und so tuckert die Schmalspurbahn bis heute auch mit Werkzeug, Ersatzteilen und Mitarbeitern über die Schiene. 18 Kilometer pro Stunde beträgt die zugelassene Höchstgeschwindigkeit. Und wie im Lastwagen oder Reisebus misst auch hier ein Fahrtenschreiber, dass auf gerader Strecke nicht zu flott gefahren wird.
Schienenglück zum Stausee

Ihr Ziel ist der 9,5 km entfernte Stausee Lac d’Artouste. Mit Dieselloks zieht der kleine Zug seine offenen Waggons über die nur 500 mm breiten Schienen, taucht ein in den spärlich beleuchteten Bärentunnel (tunnel des ours) und verlässt ihn für ein grandioses Panorama.

Die schmalen Gleise verlaufen direkt an der Felskante, oftmals nur wenige Zentimeter vom gähnenden Abgrund entfernt. Ein paar letzte Kiefern klammern sich an den Granit. Murmeltiere (marmottes) hüpfen in ihren Bau, als die Bahn sich nähert. Schafe, rot und blau markiert im Fell, ziehen durch Heidelbeerhänge und karge Wiesen.

Die Sonne lässt langsam die Wolken schmelzen. Noch umtanzen sie die Gipfel, verschleiern die Spitzen. Auf 2000 m Höhe verkehrt die Bahn an der Westflanke des Val d’Ossau durch Berge, die noch nicht völlig erschlossen sind.

Sondern Weite, Wildnis, Macht und Größe der Natur zeigen. Die Gespräche im Zug verstummen, Staunen in der Stille. Einzig Handys und Fotoapparate klicken.

Le Petit Train d’Artouste rühmt sich als Europas höchstgelegener Zug. Nur die Zahnradbahnen von Montenvers am Mont Blanc und der Jungfrau in der Schweiz sind noch höher in den Bergen unterwegs.
Der karge Zauber

Eine Stunde lang zieht so die Landschaft vorbei. An der ersten Ausweichstelle auf der sonst einspurigen Strecke warten wir kurz. Ein leerer Zug kommt uns mit etwas Verspätung entgegen. Der Lokführer winkt. Ein schneller Schwatz, dann geht die Fahrt weiter.

Karger wird das Land, ein Meer aus Fels. Granit, hier glattpoliert. Dort kantig und scharf. Dann gurgelt und blubbert ist, und Rinnsale rinnen neben Heidekraut und winzigen Blüten in Lila und Gelb hinab.

Eine letzte weite Kehre: Endstation. WC, Café, Gleise und Weiche. Ein kleiner Bahnhof am großen Loch. Eine Stahltür versperrt den Zugang. Olivier schließt auf.

Im Berg versteckt sich die Schaltzentrale für ein Netz von Stauseen, Wasserleitungen, Kraftwerken und Hochspannungsleitungen. Alles läuft vollautomatisch. Nur zur monatlichen Wartung kommt jemand hinauf und arbeitet im Berg.

Das Geheimnis des Berges
Schaltzentrale und Stausee verbindet eine unterirdische Wasserleitung. Wasser tropft auf ihre 340 Stufen. Fünf Menschen passen in den Gitterkäfig der Kabinenbahn, die direkt an der Wasserleitung oben und unten verbindet.

Die SHEM betreibt im Südwesten 56 Anlagen und 12 große Staudämme. Dieser Kraftwerkspark mit einer Gesamtkapazität von 783 MW erzeugt jährlich 1.838 GWh – und damit genug grünen Strom, um den jährlichen Energieverbrauch von einer Million Menschen zu decken.

Die Stärke von Wasserkraft liegt darin, dass sie ihre Energie speichern kann, sagt Betriebsleiter Olivier Marfaing.
“Die Energie lagert in unseren Staudämmen. Wird mehr Energie gebraucht als vorhanden, dauert es nur 30 Minuten, bis wir frischen Strom ins Netz einspeisen können. Diese Flexibilität und Reaktionsfähigkeit besitzt nur die Wasserkraft unter all den anderen erneuerbaren Energien.”

Olivier ist stolz. Und zeigt auf den Lac d’Artouste. “Er macht keinen Lärm wie die Windkraft, schadet nicht der Umwelt wie Kohle. Und ist ein 125 m tiefes Reservoir reinster Energie – ist das nicht toll?” Alle zehn Jahre wird der See entleert. Und die Staumauer minutiös genau überprüft.

Wanderland im Nationalpark
Und, möchte ich hinzufügen, auch landschaftlich ein Juwel. In seinen Fluten spiegeln sich die Bergspitzen. Parc National des Pyrénées, informiert am Ostende der Staumauer ein Schild. Eine Tafel stellt das Netz der Kraftwerke vor. Eine zweite verführt zum ausgiebigen Wandern.

Unzählige Tagestouren zu den Bergen und Seen im Nationalpark der Pyrenäen starten am See. Oder taucht ein in die pastorale Welt des Plateaus von Soussouéou.

Mit dem Wanderticket bleibt euch die freie Zugwahl bis zum Abend. Doch wer die letzte Bahn zurück zur Bergstation verpasst, findet hier oben nur ein Bett in freier Natur.

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Ein wirklich toller Bericht. Allein die Technik zu bestaunen und dann die wilde Landschaft. Habe ich gerne gelesen. Leider kenne ich diese Gegend Frankreichs überhaupt nicht.
Hallo Brita, der bzw. das Béarn ist eine Region, die ich jetzt erst wirklich kennenlerne – ausgelöst von der staunenden Begeisterung über Pau, das ich so gar nicht auf der Karte hatte. Ich kam, sah dort vom Boulevard die Pyrenäen… und bin seitdem wirklich erstaunt, wie vielseitig und schön dieses Fleckchen Frankreich am anderen Ende “meine” Pyrenäen ist.
Bises & schönes Wochenende”! Hilke
Hallo Hilke,
ich war schon wirklich viel in den Pyrenäen unterwegs,doch der Zug ist mir allerdings entgangen.
Toller Bericht und Fotos hat richtig Freude gemacht zu lesen. Wenn es wieder geht werde ich den Petit Train d’ARTOUSTE garantiert einen Besuch abstatten.
Danke, Franck, auch für mich war er die Entdeckung nach all den Touren und Wanderungen in den Pyrenäen. Am 5. Oktober kommt ein weitere Pyrenäen-Beitrag im Blog: Bethmale. Auch eine wundervolle Ecke! Bises, Hilke
Ich freue darauf und mach weiter so. LGs Franck
Merci!
Hallo hilke, wir sind erst vor kurzem auf den Block gestoßen. Wir finden die Artikel extrem interessant.Liebe Grüße aus der herbstlichen Provence. Gott sei Dank dürfen wir noch 3 Wochen hierbleiben.
Hallo Stefan, das freut mich! Herzliche Grüße zurück vom Vorland der Pyrenäen! Hilke
Dieses Abenteuer haben wir schon vor vielen Jahren entdeckt, eine Traumlandschaft die wir gerne bereisen durften.
Oh, wie schön! Ja, diese Hochgebirgslandschaft ist wirklich traumhaft! Viele Grüße, Hilke
Danke auch von mir für diesen wieder hervorragenden Fotobericht und ganz heissen Tipp!
Montsegur, Lourdes, Gavarnie, Andorra bewanderte ich dereinst, die Sehnsucht belebst Du!
Oh, wie schön, Hanns – das freut mich! Bises von unterwegs, Hilke
Klasse, Hilke!
Mal wieder ein echter Geheimtipp, der mir und meinen Wanderfreunden komplett entgangen wäre! Kommt auf den Plan für die nächsten Bergtouren.
Danke!
Das freut mich! Von dort aus lassen sich auch herrliche Mehrtagestouren unternehmen – da braucht ihr dann ein Zelt. Bonne rando! Bises, Hilke