Limoux: ganz schön prickelnd
Limoux hält beim Narrentreiben so lange durch wie kein anderer Ort der Welt. Seit 1604 – und damit seit mehr als 400 Jahren – feiert die südfranzösische Stadt von Januar bis April den „längsten Karneval der Welt“.
Vier Monate lang ist Karnevalszeit in Limoux. Während Nizza seit dem Jahr 1873 seinen Fasching mit blumengeschmückten Korsos, Wagenparaden und anderen Kavalkaden als generalstabsmäßig inszenierte Show feiert, ist der carnaval de Limoux Folklore in Reinform.
Jedes Wochenende sorgt er für mittelalterliche Volksfeststimmung. Früher war der Karneval dort ein heidnisches Fest, das gefeiert wurde, um böse Geister zu vertreiben und die Ankunft des Frühlings zu begrüßen. Die katholische Kirche assimilierte es im Mittelalter in ihren Jahreskalender. Le carnaval wurde christlich.
Audienz bei König Karneval
In Limoux markierte der Karneval einst den Tag der obligatorischen Abgaben der Müller an das Kloster von Prouille. Begleitet von Minnesängern zogen sie einst durch die Stadt und warfen mit Dragees und Mehl. Daran erinnert heute Ihre Majestät, der Karneval, der am Eröffnungstag im Januar die Müller empfängt, bekleidet mit einer Kappe, weißem Kittel und weißer Hose, einem roten Halstuch, Holzschuhen und einer Peitsche in der Hand.
Ritual beim närrischen Treiben sind die Dialoge, die zwischen Carabena und Chine, dem Maskierten und dem Schaulustigen, entstehen. Bei diesen improvisierten Komödien wirft man sich die intimsten und schamlosesten Anspielungen an den Kopf, in der Regel auf Okzitanisch, ohne Ansehen der Person oder des sozialen Umfelds.
Die spontanen Darbietungen von Zuschauern, die gerne in die Feierlichkeiten einbezogen werden, unterscheiden den Karneval von Limoux vom restlichen Narrentreiben im Land und machen ihn zu etwas ganz Besonderem
Für traditionelle Musik allerorten sorgen die Bandas, die Musikgruppen der Stadtviertel. Sie ziehen von einem Café zum anderen. Dabei wird ständig das Trio gewechselt, das die Band anführen darf. 30 solcher Bandas sind in Limoux unterwegs. Den musikalischen Höhepunkt des Karnevals markiert Anfang März alljährlich La Sortie de Toutes les Bandes, bei der alle Musikgruppen und Karnevalisten einen Tag lang von früh bis spät auf der Place de la République gleichzeitig auftreten.
Der Tanz der Fécos
Die Stars des Karnevals jedoch sind die tanzenden Fécos mit ihren Kostümen und Masken. Jedes Kostüm spiegelt einen Charakter oder ein bestimmtes Thema wider. Drinnen stecken Teenager und Senioren, Männer und Frauen, die ihre Verkleidung per Hand aus hellen, farbenfrohen Stoffen gefertigt und mit Federn, Pailletten und anderen dekorativen Elementen verziert haben.
Ihr Gesicht verstecken sie hinter Masken aus Pappmaché, bemalt in leuchtenden Farben und mit verschlungenen Mustern. Für ausreichend Platz bei ihren Auftritten sorgt das Trio der Païchaires, die dazu aktiv mit den Zuschauern interagieren, indem sie tanzen, singen und oft auch kleine Streiche spielen.
Nach vier Monaten beendet der Karnevalskönig bei der Nuit de la Blanquette den Schabernack. Dazu lässt er die Strohpuppe, die stellvertretend für die Sünden der Stadtbewohner durch die Straßen getragen worden war, hängen oder verbrennen. Dabei fließt auch die Blanquette in Strömen.
Die Hauptstadt der Blanquette
Limoux gilt als Hauptstadt dieses Schaumweins. Kein Geringerer als Dom Pérignon soll ihn in der nahen Abtei von Saint-Hilaire erfunden haben. Eher per Zufall entdeckte der Mönch dort die Flaschengärung – und machte das Kloster damit zur Urmutter des Champagners. Ob’s stimmt oder nicht – schön ist die Legende allemal. Und sorgt dafür, dass die Blanquette bis heute unvergessen ist und auch jenseits des Atlantiks geschätzt wird.
Bereits im 17. Jahrhundert bestellte der damalige US-Präsident Thomas Jefferson, der Frankreich gut kannte, große Mengen und ließ sie ins Weiße Haus liefern. 1938 wurde die Blanquette de Limoux als AOC (Appellation d’Origine Contrôlée) ausgezeichnet. Trockener und wenig fruchtig ist der Crémant de Limoux, der als Cuvée aus Chardonnay und anderen weißen Trauben hergestellt wird.
Zu den bekanntesten und größten Kellereien für Blanquette und Crémant gehört die 1946 gegründete Genossenschaft Sieur d’Arques. Auf Führungen könnt ihr Tradition und das Handwerk hinter der Blanquette de Limoux kennenlernen, sie verkosten und vor Ort einkaufen.
Die Trauben für die Schaumweine haben die sanften Hügel erobert, die Limoux umgeben. Ihr findet die Stadt rund 20 Kilometer südlich von Carcassonne am Oberlauf der Aude, die auf dem Plateau des Capcir in den Ostpyrenäen entspringt und hier vom Corneilla und Cougaing gespeist wird. Früher muss es des Öfteren Hochwasser gegeben haben, verraten hohe Schutzmauern am Fluss, der jetzt sanft dahin plätschert – und nach der Schneeschmelze in den Pyrenäen Rafting-Fans und Kanuten begeistert.
Schon in der Steinzeit fühlten sich die Menschen hier wohl, zeigt Rieux-en-Val, ein kleines Dorf zehn Kilometer nordwestlich von Limoux. Dort erhebt sich seit dem Neolithikum La Pierre Droite, ein 2,20 Meter hoher Menhir aus grünem Sandstein, stolze zwei Meter breit an der Basis und mit einem Kreuz christianisiert, um die Magie des „Druidensteins“ zu brechen. Bei Ausgrabungen am Fuß des Menhirs wurden neben Werkzeuge der Steinzeit auch menschliche Überreste gefunden.
Im Jahr 844 stellte Karl der Kahle Limoux unter die Hoheit der Abtei Saint-Hilaire. Diese Abtei spielte eine bedeutende Rolle in der Geschichte der Stadt und war ein Zentrum für die Weinproduktion.
Im 10. Jahrhundert gehörte Limoux zur Grafschaft Razès und wurde während der Zeit der Katharer zu einem wichtigen Zentrum, worauf es prompt während der Albigenserkreuzzug (1209-1229) von den Kreuzfahrern massiv zerstört wurde. 1317 wurde Limoux kurzzeitig Bischofssitz, bevor das Bistum im folgenden Jahr wieder aufgelöst wurde. Dies zeigt, wie sehr die Stadt Spielball war zwischen religiöser und politischer Macht.
Mit dem Ende der Katharer und der Annexion Okzitaniens wurde auch Limoux französisch – und geriet im Hundertjährigen Krieg in die Schusslinie der Engländer, die Limoux wiederum zum Großteil zerstörten. Die ältesten Bauwerke stammen daher aus dem 14. Jahrhundert – die Porte de la Trinité samt weiteren Überbleibseln der Stadtmauer und der Pont Neuf (1327) über die Aude mit wahrhaft fotogenen Ausblicken. Einzig der gotische Turm der Église Saint-Martin ist älter und wurde wie das Gotteshaus im frühen 12. Jahrhundert erbaut; letzteres jedoch im 14./15. Jahrhundert so um- und ausgebaut, dass der romanische Ursprung verloren ging.
Das Herz der alten Stadt bildet die heimelige Place de la République mit ihren schmucken Fachwerkhäusern und Arkaden und einem Brunnen, der munter plätschert – welch ein idyllischer Rahmen für eine Genusspause in einem der Cafés und Bars, die hier mit ihren Terrassen zur Einkehr laden.
Jahrhundertelang prägten Weinbau, Tuchhandel und Färberei die Wirtschaft und profitierte die Textilwirtschaft von den reichen Wasserressourcen der Stadt. Wichtigster Industriebetrieb und größter Arbeitgeber vor Ort war bis 1999 die Schuhfabrik Myrys. Auf den Rückgang der Industrie antwortete Limoux mit Diversifizierung, einer stärkeren Ausrichtung auf Handel und Dienstleistungen sowie dem Ausbau des Tourismus. Doch der Ansturm hält sich – außerhalb der Karnevalszeit – noch in Grenzen, und Limoux lebt ganz beschaulich im Rhythmus des Midi.
Limoux: meine Reisetipps
Schlemmen und genießen
L’Odalisque
Créateur de plaisir nennt sich Küchenchef Sven Choplin, und setzt alles daran, den Gästen mit seiner französischen Bistronomie ein kulinarisches Vergnügen zu bereiten – auch mit vegetarischen Optionen.
• 38, rue des Cordeliers, 11300 Limoux, Tel. 04 68 74 31 75, www.restaurant-odalisque.fr
La Taverne à Bacchus
Das Anwesen von Céline und Éric Benedan und ihr Restaurant kennt ihr vielleicht schon aus Musikvideos, die hier gedreht wurden – von Jericho JRH wie auch von Patrick Fiori, der mit dem Paar befreundet ist. Aus der Küche kommt beste französische Regionalküche mit Fokus auf Grillgerichte und mediterrane Speisen.
• La Monèze Haute, 11300 Limoux, Tel. 06 09 68 28 81, https://lataverneabacchus.fr
Le Grand Café
Französische Bistroküche und gute Getränkekarte, gemütliche Atmosphäre mit Außensitzplätzen; familienfreundlich.
• 25, place de la République, 11300 Limoux, Tel. 04 68 31 08 14, www.legrandcafelimoux.fr
La Cosina
Der Take-Away-Ableger von Sven Choplin vom Odalisque setzt auf frische Zutaten, möglichst bio, und eine Marktküche im Einklang mit den Jahreszeiten; auch Lieferung nach Hause.
• 10, rue de la Goutine, 11300 Limoux, Tel. 09 83 72 83 25, www.lacosina-limoux.fr
Hier könnt ihr schlafen
Grand Hôtel Moderne et Pigeon*
Das Traditionshotel residiert, nur einen Steinwurf von der guten Stube der Stadt entfernt, in einem Stadtpalais aus dem Jahr 1501. Ungeheuer eindrucksvoll sind die Haupttreppe und die Buntglasfenster, auch die recht kleinen Zimmer versprühen bei solidem Komfort nostalgischen Charme. Im Restaurant könnt ihr gediegen beste französische Klassiker genießen; 300 Tropfen umfasst die Weinkarte. Wer mag, bucht hier*.
• 1, place du Général Leclerc, 11300 Limoux, Tel. 04 68 31 00 25, https://grandhotelmodernepigeon.com
Noch mehr Betten*
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