Maison Marc: Gürkchen für den Präsidenten
Ganz Frankreich ist von der Globalisierung erfasst. Doch in Chemilly-sur-Yonne trotzt ein kleiner Familienbetrieb dem Trend und setzt auf nachhaltige Anbau und Kulinarik à la française. Familie Jeanneret von der Maison Marc zeigt: Lokaler Genuss hat Weltformat. Und macht damit die Konkurrenz in der Schweiz hellhörig.
Laut rappt der Acker: Zu den Rhythmen von Booba, JuL und MHD drehen flinke Hände die Reihen um, wenden die Blätter zum Boden und werfen kleine, stachelige Gurken in die Körbe. Bei Chemilly im burgundischen Département Yonne hat die Ernte der Cornichons begonnen.
Einen Euro gibt es zusätzlich zum Mindestlohn pro Tonne. 20 Hektar groß erstrecken sich Gurkenfelder, die nach den Prinzipien der nachhaltigen Landwirtschaft bewirtschaftet werden, unter dem hohen Septemberhimmel. Meist sind es Studenten, die als Erntehelfer zwischen den langen Reihen unterwegs sind. Doch bei der Maison Marc wird die Tradition hochgehalten: Florent Jeannequin, Sohn des einstigen Gründers, packt immer noch selbst mit an.

Royale Gürkchen
Cornichons gehören seit Jahrhunderten zur französischen Küche. Bereits im 18. Jahrhundert fanden sie ihren festen Platz in Rezepten und auf Tellern. Besonders bekannt ist ihre Geschichte im Potager du Roi, dem offiziellen Garten des Schlosses von Versailles. Unter der Regentschaft von Ludwig XIV. wurden Cornichons dort kultiviert, als Ausdruck von französischer Raffinesse und landwirtschaftlicher Perfektion. Heute setzt die Maison Marc diese Tradition fort – mit einer Philosophie, die auf Qualität, Nachhaltigkeit und einer gehörigen Portion Nationalstolz basiert, die Eingang findet in der stylischen Gestaltung der Etiketten.
Der Familienbetrieb hat sich der traditionellen Anbauweise verschrieben. Die zarten Gurkenpflanzen werden ausschließlich von Hand geerntet, um Schäden zu vermeiden – ähnlich wie das vorsichtige Einsammeln von Eiern aus dem Hühnernest. Die Erntezeit ist kurz und intensiv, sie dauert etwa 15 Tage. In dieser Zeit beschäftigt Maison Marc rund 28 Saisonarbeiter, die die kleinen, stacheligen Gurken mit großer Sorgfalt pflücken, um ihre Qualität zu bewahren.

Der letzte Cornichon-Bauer
Das war nicht immer so. In den frühen 2000er-Jahren schien die Zukunft der französischen Cornichons düster. Die Globalisierung und die Verlagerung der Produktion nach Indien führten dazu, dass fast alle Cornichon-Betriebe in Frankreich aufgaben. Bis auf einen: Maison Marc. Florent Jeannequin war der letzte Produzent, der nicht kapitulierte. 2012 trat sein Sohn Henri in den Familienbetrieb ein und führte das Unternehmen in eine neue Ära. Mit klarem Fokus auf Qualität und Nachhaltigkeit machte er aus dem klassischen Hof eine Premiummarke der französischen Lebensmittelindustrie.
Cornichons aus Indien
80 Prozent der in Frankreich verkauften Cornichons stammen aus Indien, 20 Prozent aus Osteuropa – und auch in Niederbayern, bis heute das größte Anbaugebiet für Gurken in der EU, ist die Cornichon-Herstellung längst Vergangenheit. Der Grund: Indische Bauern können die Gürkchen dreimal pro Jahr ernten; in Europa ist aufgrund des Klimas nur eine Ernte möglich. Dadurch sind die meisten europäischen Hersteller dazu übergegangen, sich mit indischer Ware einzudecken. Im Laden merkt ihr dies nicht: Laut EU-Vorgaben ist es für die Hersteller nicht Pflicht, die Herkunft von Einlegegurken und anderen verarbeiteten Produkten auf dem Glas kennzeichnen. Die Bauernverbände laufen dagegen Sturm und drängen auf eine Änderung dieser Regel.
In den letzten Jahren hat die Maison Marc stark in die Modernisierung investiert. Insgesamt vier Millionen Euro wurden in zwei hochmoderne Konservenfabriken investiert; rund 350.000 Gläser Cornichons pro Jahr verlassen hier heute die Hallen.
Der hörbare Unterschied
Der Unterschied zwischen den Cornichons von Maison Marc und industriell hergestellten Produkten ist unübersehbar – oder besser gesagt: unüberhörbar. Das knackige Geräusch, wenn man in einen frisch eingelegten Cornichon beißt, ist ein Markenzeichen des Hauses. Maison Marc verwendet keine Konservierungsstoffe oder chemischen Zusätze.
Die Gurken werden direkt nach der Ernte eingelegt, um ihre Frische und Knackigkeit zu bewahren. Der Geschmack? Unvergleichlich. Selbst Präsident Macron hat seine Lieblingssorte: die Cornichons Malossol, hergestellt nach einem traditionellen Rezept mit Essig, Wasser, Salz, Zucker, Senfkörnern, Dill, Knoblauch und Lorbeerblatt. Délicieux – und ganz anders als unsere sauren Gürkchen.

Doch nicht nur der Geschmack steht im Vordergrund, sondern auch die Werte, die hinter jedem Glas Cornichons stehen. Seit der Gründung des Betriebes hat sich Maison Marc der nachhaltigen Landwirtschaft verschrieben. Es werden weder Herbizide noch Insektizide eingesetzt. Alles – von der Ernte bis zur Verarbeitung – ist Handarbeit. Zusätzlich verwendet Maison Marc FSC-zertifizierte Korken aus 100 Prozent Kork, um die Umweltbilanz weiter zu verbessern. Diese Praktiken sind nicht nur umweltfreundlich, sondern auch ein Bekenntnis zur Bewahrung des französischen kulinarischen Erbes.
Ob knackiger Cornichon, herzhafte Gewürzgurke oder traditionelle Salzgurke – die Vielfalt eingelegter Gurken ist groß! Doch wo liegen die Unterschiede?
Cornichons: Die kleinen, hörnchenförmigen Gurken werden in einem Essigsud mit Gewürzen eingelegt und pasteurisiert. Ihr Geschmack ist süß-säuerlich und würzig, was sie zu einer beliebten Beilage in der französischen Küche macht.
Saure Gurken (Salzgurken): Diese Gurken werden durch Milchsäuregärung haltbar gemacht, was ihnen einen salzig-säuerlichen Geschmack verleiht. Durch die Fermentation sind sie besonders gut für die Darmflora.
Gewürzgurken: Ähnlich wie Cornichons werden Gewürzgurken in einem Essigsud eingelegt, jedoch sind sie in der Regel größer und zeichnen sich durch eine kräftige Würzung aus.
Cornichons sind mehr als nur eine Beilage – sie sind ein essenzieller Bestandteil der französischen Küche. Auf einer Charcuterie-Platte dürfen sie ebenso wenig fehlen wie französischer Käse oder ein gutes Glas Wein. Ihr säuerlich-frischer Geschmack harmoniert perfekt mit Pasteten, Terrinen und Rillettes. Sie sind ein Symbol für die Liebe der Franzosen zum guten Essen, zur Tradition und zur Qualität.
Maison Marc hat es geschafft, diese Tradition nicht nur zu bewahren, sondern ihr neues Leben einzuhauchen. Mit minimalistischer Verpackung in den Nationalfarben bleu, blanc, rouge und einem diversifizierten Sortiment an Produkten – von Cornichons über veloutés bis hin zu tartinables genannten vegetarischen Brotaufstrichen – verbindet das Unternehmen Tradition mit Moderne.

Der Erfolg der Maison Marc ist ein Beispiel dafür, wie traditionelle Werte und moderne Ansätze Hand in Hand gehen können. Heute steht der Name Jeannequin für bestes Made in France. Die Produkte der Familie sind weltweit gefragt, und der kleine Ort Chemilly-sur-Yonne ist zum Synonym für die Wiedergeburt der französischen Cornichons geworden. Das hat auch die Schweizer Konkurrenz bemerkt.
Konkurrenz aus der Schweiz
Auch Reitzel setzt seit 2016 auf Cornichons aus Frankreich und hat dort mit dem Ausbau der Produktion begonnen. Das Verpackungsdesign der Reitzel-Gürkchen, die über die Marke HUGO Eingang in französische Supermärkte gehalten haben, imitiert auffällig nah das Design der Maison Marc – mit ähnlichem Schriftzug und den Farben der Trikolore. Rund fünf Prozent aller Cornichons des Familienunternehmens aus Aigle im Kanton Waadt, das sich auf die Herstellung von Essigprodukten und Konserven spezialisiert hat, stammen inzwischen wieder aus Frankreich – der Rest aus Indien (80 Prozent) und osteuropäischen Ländern wie Polen, Tschechien oder Bosnien
Zehn Prozent französische Cornichons sollen es künftig werden – wenn das Klima mitspielt. Zwar wurde 2023 ein Rekord von 900 Tonnen Cornichons produziert, doch 2024 halbierte sich die Menge auf 464 Tonnen. Zudem steht Reitzel vor einem Preisdilemma: Ein Kilo Gurken aus Indien kostet die Hersteller im Durchschnitt einen Euro, während französische Gurken mit fünf bis sechs Euro pro Kilo zu Buche schlagen. Die Gürkchen „Made in France“ sindLuxuspflänzchen.
• Maison Marc, 1, Rue Paul Bert, 89250 Chemilly-sur-Yonne, Tel. +33 3 86 47 36 10, www.maisonmarc.fr
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