
Als spitzes Dreieck schiebt sich die Halbinsel zwischen die Brandung des Atlantik und die trüben Fluten von Europas breitester Flussmündung. Ihre Silberküste lässt Surfer träumen, ihre Gironde-Ufer Weinliebhaber schwärmen: Im Médoc gedeihen Rote von Weltruf. Lafite, Latour, Mouton, Margaux.
Rund 250 châteaux aus acht Appellationen komponieren aus Cabernet-Sauvignon und Merlot aristokratische Spitzengewächse. Ihr Reich ist klein, aber fein.

Nur 70 Kilometer lang und zehn Kilometer breit säumt es das linke Ufer der Gironde. Als Paradestrecke zu Traumtropfen und geradezu märchenhaften Schlössern schlängelt sich die Départementstraße D2 von Nord nach Süd durch das überraschend flache Weingebiet.

Châteaux-Besuch: vorab reservieren!
Sein Herz schlägt in Pauillac. „Rund um das Städtchen sind die meisten renommierten Namen vereint“, erzählt Lucie Le Rouzic stolz, die in der Maison du Tourisme et du Vin arbeitet. Dort findet ihr nicht nur alle Infos zu den Weinbaronen, sondern auch die größte Auswahl aus allen acht Appellationen – und das zu den Originalpreisen.

In der Hochsaison bieten dort auch Kellermeister und Weinbauern Degustationen an. Das solltet ihr nutzen. Denn wer sich bei den renommierten Châteaux nicht vorab zur Weinprobe oder Kellerführung angemeldet hat, steht meist vor verschlossenen Türen.

Pichon-Baron: pittoresk & postmodern
So wie beim Château Pichon-Baron. Das Türmchenschloss von 1850 spiegelt sich pittoresk in einem quadratischen Wasserbecken, das postmoderner Zierart einrahmt – finanziert vom Versicherungskonzert AXA, der 1987 das heruntergekommene Weingut aufkaufte, Keller und Anwesen saniert.

Und zur Stammsitz von AXA Millesime, der Weinsparte des Konzerns, machte. Jean-Michel Cazes brachte ab dem Jahr 2000 die Weinberge und die Vinifizierung auf Vordermann. Heute leitet Christian Seely das Gut mit 73 Hektar Rebfläche.

Château Malescasse: Kunst, Design & feine Tropfen
Weniger abweisend und verschlossen wie im Norden zeigt sich das Château Malescasse im Haut-Médoc. Eine radelnde Urlaubsgruppe aus Holland hat dort Pause eingelegt. Mit der Fähre sind sie von Blaye nach Lamarque gekommen.

Vom Anleger mussten sie nur wenige Kilometer strampeln, ehe sie im Schatten einer Mühle das Weingut fanden, das 2012 die Vignobles Austruy 2012 komplett sanierten. Und das äußerst stylisch. Vor dem Winzerschlösschen ruht ein charmant rostiges Eisenbögen von Bernar Venet auf dem akkurat gekürzten Rasen.

Dutzende hängende Leuchtröhren schweben im Verkostungssaal über den schwarzen Ledermöbeln und dem halbrunden Tresen, hinter dem eine deckenhohes Glasregal die Tropfen des Châteaus präsentiert.

Und dazu gehören nicht nur die Roten aus dem Médoc, sondern auch ein Rosé aus der Provence und ein Porto aus Portugal. Denn auch dort besitzt die Austruy-Gruppe Weingärten…

Im Keller sorgt die Farbe blau für Akzente: als initiales M an der Wand, als geheimnisvolles Licht im Barrrique-Keller. Im neoklassizistischen Gutshaus könnt ab 2018 sogar nächtigen: Dann sollen erst zwei, spätere weitere Gästezimmer eingerichtet sein.

Lukratives Geschäft
Weinbau im Médoc: einst ein ein adliges, heute ein corporate big business. Und ein Steuersparmodell für Investoren – denn Weinbauern, und damit auch Châteaux, zahlen als „Bauern“ deutlich weniger Steuern als konventionellen Unternehmen. Die Châteaux wurden prachtvoll gestaltet.

Die Dörfer und Städte im Médoc wirken indes ärmlich und vergessen. Selbst in Pauillac sind viele Geschäfte in zweiter Reihe geschlossen, die Schaufenster leer oder verrammelt.
Vorbei an einem Verkehrskreise, neben dem Radler an einer Weinflasche in XXL rasten, fahre ich zurück nach Pauillac, hin zur ältesten Kooperative von Aquitanien.

La Rose Pauillac: gleiche Lagen, günstigere Preise
Bereits 1933 schlossen sich 14 Weinbauern zusammen, um dem dem Druck der Châteaux, die immer mehr Land aufkauften, standzuhalten. Heute gehören 25 Weinbauern zur Genossenschaft La Rose Pauillac.
Jeder von ihnen hat gleichberechtigt eine Stimme – ungeachtet dessen, wie viel Land er von der 25 ha großen gemeinsamen Rebfläche bewirtschaftet.

„Unsere Lagen sind oft gleichen wie die der teuren Châteaux, unsere Weine aber viel günstiger“, sagt Jackie Gilleron (45) stolz bei der Verkostung. Rose de Pauillac ist zudem die einzige der wenigen Genossenschaften im Médoc, die mit Haut de la Bécade ein Château zu ihren Mitgliedern zählt.
Vier Weine werden vinifiziert. Und wie früher gelagert: Flasche über Flasche, die ganze Wand hoch. „Da das Flaschenglas heute dünner ist, geht auch manchmal eine zu Bruch“, lacht Jackie.
Und schenkt La Rose Pauillac ins Probierglas ein, die aus 60 Prozent Cabernet Sauvignon, 30 Prozent Merlot, zehn Prozent Cabernet Franc & Petit Verdot samtig-vollmundig komponiert wurde.

Durchblick dank Napoleon
Es lag nicht am zu vielen Wein, dass selbst Napoléon III. der Kopf schwirrte. 8500 Produzenten und 700 Millionen Flaschen im Jahr, da verlor selbst der strategisch versierte Kaiser der Franzosen den Durchblick. Daher verordnete er 1855 anlässlich der Weltausstellung in Paris der Weinregion Bordeaux das erste und heute älteste Klassifizierungssystem der Welt.
Erstellt wurde die Rangordnung von den Beteiligten selbst: den renommiertesten Winzern und den einflussreichen Händlern des Syndicat des courtiers de commerce de Bordeaux. Entscheidend für die Einstufung wurden Ruf und die Handelspreise der jeweiligen Châteaux. Bis heute ist die „Offizielle 1855 Bordeaux Wein Klassifikation“ international akzeptierter Maßstab.
Adlige Hierarchie
61 Châteaux umfasst die Liste: 60 Châteaux im Médoc, 1 Château in Graves und 27 Häuser im Gebiet von Sauternes. Allesamt befinden sich die Ausnahme-Weingüter damit am linken Gironde-Ufer. Abgestuft werden die Häuser in fünf Kategorien: Premier Cru Classé (5 Châteaux), Deuxiéme Cru Classé (14 Châteaux), Troisième Cru Classé (14 Châteaux), Quatrième Cru Classé (10 Châteaux) und Cinquième Cru Classé (18 Châteaux).
In Sauternes und Barsac gibt es nur eine Klassifikation, und zwar Premier Cru Supérieur (1. Klasse). In dieser Kategorie sind 27 Weingüter eingestuft.
Auch, wenn sich manche Weingüter besser oder schlechter seitdem entwickelten, wurde die Einstufung nicht verändert. Mit einer einzigem Ausnahme: 1973 sorgte Jacques Chirac höchst persönlich dafür, dass das Château Mouton-Rothschild vom Deuxième Cru-Château zum Premier-Cru-Château aufsteigen konnte.
Bürgerliche Tropfen
„Wer es von den Top-Winzern nicht in die Prestigeliste geschafft hat, wird seit 1932 als Cru Bourgeois geführt“, schließt Lucie Le Rouzic ihren Blitzkurs mit der Vorspeise ab. Wir sitzen auf der Terrasse des Hôtel de France et d’Angleterre, das Städtchen Pauillac im Rücken, die Uferpromenade und den Kreuzfahrtkai an der Gironde vor uns… und jetzt schwirrt mir der Kopf. Denn zum Hauptgang gibt es die nächsten Infos.
„Seit den 1920er Jahren gibt es auch die Cru Bourgeois. 490 Weingüter bewarben sich damals, doch nur 247 von ihnen erhielten die Klassifikation. Erst 1976 wurde der Cru Bourgeois von der EG als Vorläufer der EU anerkannt. Und erst 1989 lege der Verband der Crus Bourgeois die Regeln fest, die heute gelten: Herkunft aus einer der acht Médoc-Appellationen, Mindestgröße des Weingutes von 4,5 Hektar und Ausbau im Privatkeller. Und auch das ist anders als bei den 1855er-Hierarchie: Die Cru Bourgeois werden jedes Jahr neu eingestuft!“
Handwerkliche crus
Lucie ist ein wandelndes Lexikon für Bordeaux-Weine. Und legt zum Dessert die bislang letzte Klassifikation vor: den Cru Artisan, auch Cru Paysan genannt.
Dieses Label verrät, dass keine Großkellereien oder Firmen hinter dem château stehen, sondern es sich um ein persönlich geführtes, nicht einmal fünf Hektar großes Weingut handelt, bei dem der Inhaber vom Anbau bis zur Ernte und Verarbeitung alles selber macht. 44 châteaux aus dem Médoc tragen heute diese Klassifizierung.

Médoc-Weinreise: meine Tipps
2019 wurde der regionale Naturpark Médoc aus der Taufe gehoben. Der Parc naturel régional Médoc umfasst ein 2400 qkm großes Gebiet mit 53 Kommunen und insgesamt 100.000 Einwohner.
Schlafen & schlemmen
Hôtel de France et d’Angleterre
48 modern-gemütliche Komfortzimmer mit Blick auf die Gironde, eine Restaurant-Terrasse gegenüber vom Sportboothafen und 120 Weine auf der Karte, abgestimmt auf die regionale Traditionsküche: ein grundsolides Quartier, perfekt gelegen und sehr freundlich geführt.
• 3, Quai Albert Pichon, 33250 Pauillac, Tel. 05 56 59 01 20, www.hoteldefrance-angleterre.com

Erleben
Verkostung im Dunkeln
Blindverkostung einmal anders: Die Weinprobe im Dustern gehört zu den beliebtesten Erlebnissen, die die Maison du Vin et du Tourisme in Pauillac anbietet. Ebenfalls im Angebot: Käse & Wein, Käse & Schokolade und Verkostungen mit Winzern und Kellermeistern.
• La Verrerie, 33250 Pauillac, Tel. 05 56 59 03 08, www.pauillac-medoc.com
Les Vendanges du 7eme Art
Weinkultur und Kino verbinden sich seit 2015 alljährlich im Juli eine Woche lang beim Filmfestival von Pauillac.
• www.vendangesdu7emeart.fr
Nicht verpassen
Château Cos d’Estoumel
Seit dem 13. Jahrhundert liefert dieses Château seinen Wein auch nach Indien. Der Handel mit Asien hat auch seine Architektur beeinflusst. Drei Pagoden mit Dächern aus Kupfer schmücken die Kellerei. Ihre Jahrhunderte alte, monumentale Tür, die steinerne Elefanten bewachen, sogar stammt von einem Palast der Insel Sansibar!
• Cos S, 33180 Saint-Estèphe, Tel. 05 56 73 15 50, www.estournel.com
Village de Bages
Bis 1973 war Bages ein verschlafenes Dörfchen, und auch das Château Lynch-Bages, seit 1939 im Besitz der Familie Cazes, stellte Wein wie früher her. Dann kam als Quereinsteiger Jean-Michel Cazes, investierte in neue Technik und nutzt seitdem Satellitenbilder, um den Reifegrad seiner Trauben exakt zu bestimmen.
Das Dorf putzte er zum schmucken Winzerweiler heraus, das heute mit Hotel, Restaurant und Café, Fahrradverleih, Dégustationsschule und anderen Angeboten viel für einen erlebnisreichen Besuch bietet. Für sein Projekt holte Cazes den US-Architekten Chien Chung Pei in den Médoc.
• Place Desquet, Pauillac, Tel. 05 56 59 86 08
Shopping
Noisettines
Die Médoc-Weine könnt ihr euch liefern lassen, eine kleine Packung der Noisettines du Médoc passt immer noch ins Gepäck. Von Michel Noyez sind die ummantelten Haselnüsschen besonders lecker!
• 1, rue la landette, 33340 Blaignan, Tel. 05 56 09 03 09, www.noisettines.fr
Mademoiselle de Margaux
Mögt ihr Mon Cheri? Bei Mademoiselle de Margaux gibt es die Kirsche im Schokomantel nicht nur mit Kirschwasser, sondern als „griotte“ auch mit Armagnac!
• 1, Route de l’isle Vincent, 33460 Margaux, Tel.05 57 88 39 90, www.mademoiselledemargaux.com

Offenlegung
Bei meinen Recherchen im Médoc unterstützte mich Gironde Tourisme mit Kost, Logis und unglaublich kenntnisreichen, hilfsbereiten und herzlichen Mitarbeitern von den Fremdenverkehrsämtern vor Ort. Ihnen allen sage ich „merci“ und ganz herzlichen Dank.
Einfluss auf meine Blogberichte hat dies nicht. Ich berichte subjektiv, wie ich es erlebt habe, mache kein Merchandising und werde erst recht nicht für meine Posts bezahlt.

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Im Blog
Die ältesten Rotweine des Languedoc findet ihr im Fitou. Dort ist der Carignan König der Trauben. Für Infos und Impressionen bitte hier klicken!
Das Thema „Wein“ hat eine eigenes Rubrik im Blog. Dort findet ihr auch Infos zu den Weinen der Côtes du Rhône, des Médoc oder kleinen, feinen Tropfen aus weniger bekannten Anbaugebieten wie Irouléguy. Klickt hier für die Übersicht der Rubrik.
Im Buch
Reiseführer Südwestfrankreich*
Der freie Reisejournalist Marcus X. Schmid hat für alle, die gerne auf eigene Faust unterwegs sind, den besten Reisebegleiter verfasst: sachlich, mit viel Hintergrund, Insiderwissen und Tipps, und dennoch sehr unterhaltsam und humorvoll. Ich kann ihn aus ganzem Herzen empfehlen, denn auch in diesem Band zu Südwestfrankreich sind tolle Tipps enthalten. Auch kritische Anmerkungen fehlen nicht. Kurzum: ein Reiseführer, der grundehrlich das Reisegebiet vorstellt – ohne versteckte Promotions.
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