Les Mégots: Frankreichs Kampf gegen Kippen
Adieu, les mégots : Frankreich hat den Zigarettenstummeln den Kampf angesagt. Ganz pragmatisch. Und ganz kreativ:
Sind Sie eher Flip-Flops oder Sandalen? Beyoncé oder Rihanna? Quinoa oder Burger? fragt Paris seine Raucher. Beantworten können sie diese humorvollen Umfragen mit einem beherzten Wurf ihrer Zigarettenkippe in einen rechteckigen Kasten aus Metall mit zwei Öffnungen und einem hohen seitlichen Sichtfeld aus Glas, das die Umfrageergebnisse anzeigt. 2019 hat die französische Hauptstadt erstmals solche cendriers de vote aufgestellt. Das Ziel dieser Kampagne? Raucher spielerisch dazu zu bewegen, ihre mégots nicht mehr achtlos auf den Boden zu werfen.
Der Anstoß für die ersten 18 Pariser „Straßen ohne Zigarettenstummel“ kam von den Parisern selbst – und wurde im Rahmen des Bürgerhaushalts angestoßen.
Der Bürgerhaushalt ( budget participatif ) in Paris ermöglicht seit 2014 allen Pariserinnen und Parisern über 18 Jahren, aktiv an der Gestaltung ihrer Stadt teilzunehmen und Ideen für Projekte in ihrem Stadtviertel oder der gesamten Stadt einzureichen. Jährlich findet eine Abstimmung über die eingereichten Vorschläge statt. Besonders häufig eingereicht werden Ideen zur Stadtentwicklung und zu Umweltthemen sowie zu kulturellen Initiativen und sozialen Projekten. Paris widmet 25 Prozent des städtischen Investitionsbudgets dem Bürgerhaushalt – ein enorm hoher Anteil im Vergleich zu anderen Städten. Die ausgewählten Projekte werden anschließend von der Stadtverwaltung umgesetzt. Auch Deutschland kennt solche Bürgerhaushalte. Doch im Vergleich zu Paris, wo die Bürger abstimmen, entscheiden in Deutschland die gewählten Vertreter über die Projekte.
Im Zuge des Projekts Pour une ville propre wurden kompakte, vandalismussichere Aluminium-Aschenbecher installiert, Taschenaschenbecher verteilt und Präventionskampagnen an Schulen und Hochschulen gestartet, beispielsweise auf dem Campus der Sorbonne Nouvelle, an der Université Paris Diderot, der École nationale d’architecture Paris Val-de-Seine und der École des Hautes Études de santé publique. 2024 gab es in Paris nicht nur 18 rauchfreie Straßen, sondern insgesamt 387 rauchfreie Zonen – Schulen und Kindergärten, Gesundheitszentren und Rathäuser, aber auch 71 Plätze und Gärten.
Mégots: Nr. 2 im urbanen Müll-Mix
Das Pariser Pilotprojekt hat landesweit Schule gemacht und ist heute in vielen anderen Städten zu finden. Zigarettenstummel bilden nach Verpackungspapier (47 Prozent), aber noch vor Hundekot (10 Prozent) mit fast 20 Prozent den größten Abfall in Frankreichs Städten.
Mehr als ein Dutzend Hersteller wie HappyLoop, Cypao, Animo Concept, besser bekannt als Frankreichs bekanntester Hundebeutelaufsteller, und Écomégot stellen inzwischen solche kommunalen Abstimmungsaschenbecher her, als kleine Box mit einem Volumen von 1000 Kippen – oder XXL-Ascher mit mehr als 10.000 Zigarettenstummeln.
In Rennes jedoch scheiterte die boîte à voter. 2016 hat die Maison de la Consommation et de l’Environnement vorgeschlagen, auch in der bretonischen Hauptstadt derartige Abstimmungsboxen für die mégots aufzustellen. Doch das Crowdfunding für vier solcher Boxen, die 2.600 Euro gekostet hätten, blieb erfolglos. Kein einziger Cent kam bei der Aktion zusammen.
Spielerisch, kreativ, wirksam?
Neben den Sanktionen – wer eine Kippe wegschnippt, riskiert ein Bußgeld von 135 Euro – setzen immer mehr Städte auf kreative und spielerische Ansätze. Die Überlegung: Wenn Raucher ihre Kippen ohnehin loswerden wollen, warum nicht durch Humor, Gamification oder Recycling dazu animieren?
Auch kleinere Aktionen können überraschend effektiv sein – beispielsweise das gemeinsame Kippensammeln. In Montpellier ruft dazu seit 2019 ein Verein auf, dessen Abkürzung den umgangssprachlichen französischen Namen für eine Zigarette aufgreift: C.L.O.P.E. = Collecte Locale Organisée Pour l’Environnement.
2022 wurden in der Hauptstadt des Départements Herault allein durch eine einzige Veranstaltung 15.000 Kippen gesammelt. Am 3. Juni 2023 rief der Youtuber Inoxtag gemeinsam mit 13 Städtchen zur Weltrekordkippensammeln auf. Mit 60.000 aufgelesenen mégots kam das von C.L.O.P.E aufgestellte Team in Montpellier auf Platz drei des Record du monde ramassage des mégots.
Seit 2023 engagiert sich C.L.O.P.E in Montpellier für kippenfreie Viertel, trommelt werbewirksam für den Mois sans tabac, stellt Sammelbehälter auf den Straßen auf und fährt die Kippen in großen Unternehmen ab – und das alles als ehrenamtlich aufgestellter Verein.
Doch wie ernst ist das Problem eigentlich? Ein kurzer Blick auf die erschreckenden Zahlen zeigt die Dringlichkeit.
Generation rauchfrei: Frankreichs ehrgeiziges Ziel
Geraucht wird in Frankreich noch immer deutlich mehr als in Deutschland. 22,4 Prozent der französischen Bevölkerung rauchen täglich, während in Deutschland die Rate bei 18 Prozent liegt – das entspricht mehr als zwölf Millionen Menschen im Alter zwischen 18 und 75 Jahren.
Stark rückläufig ist das Rauchen bei jungen Menschen, deren Prozentsatz von 25 auf 16 Prozent sank, allerdings vorwiegend bei jungen Männern, die lieber ihren Körper stählen, als zur Zigarette zu greifen. Fitness rauf, Fluppe runter, lautet bei ihnen die Tendenz. Junge Frauen indes killen mit der clope etwaige Hungergefühle. Schlank fürs perfekte Instagram-Bild …
Mit 75.000 Todesfällen pro Jahr ist, so Santé France, der Tabakkonsum die häufigste vermeidbare Todesursache im Land. Täglich sterben rund 200 Menschen in Frankreich an den Folgen des Rauchens.
Die Regierung hat sich ehrgeizige Ziele gesetzt: Bis 2032 soll eine „tabakfreie Generation“ Realität werden. Um dies zu erreichen, verfolgt Frankreich eine deutlich restriktivere Anti-Raucher-Politik als Deutschland. In Frankreich gelten strengere Rauchverbote, insbesondere in öffentlichen Bereichen wie Bahnhöfen, Haltestellen und Flughäfen. In der Gastronomie greift ein generelles Rauchverbot ohne Ausnahmen – Raucherkneipen, wie es sie beispielsweise in Hamburg gibt, sind untersagt.
Auch im Auto, und damit in einem Raum, ist das Rauchen verboten, wenn Minderjährige anwesend sind. Rauchverbote an Stränden, in Parks, Wäldern und vor Schulen stehen auf der politischen Agenda.
Bis 2026 soll zudem der Preis für eine Schachtel Zigaretten auf 13 Euro steigen. Schon jetzt gibt es – beispielsweise in der Grenzregion zu Spanien – einen regen Tabaktourismus, wo sich die Franzosen mit deutlich preiswerterem Tabak eindecken.
Ein Land unter der Kippenlast
Jährlich werden in Frankreich 29 Milliarden Zigaretten verkauft, von denen etwa acht Milliarden achtlos weggeworfen auf dem Boden landen. Das entspricht einer Müllmenge von 20.000 bis 25.000 Tonnen. Allein Paris sammelt jährlich 350 Tonnen mégots. Jede achtlos entsorgte Kippe verschmutzt bis zu 500 Liter Wasser und braucht mehr als ein Jahrzehnt, um sich zu zersetzen.
Die Geldstrafe für das Wegwerfen von Zigarettenkippen auf öffentlichen Straßen wurde daher in den letzten Jahren beständig erhöht. Bußgelder bis zu 135 Euro drohen. In erster Linie soll die Maßnahme abschreckend wirken und die Öffentlichkeit sensibilisieren. Doch die Durchsetzung dieser Strafen erweist sich oft als schwierig .
Die mégots sind längst nicht mehr nur ein ästhetisches Problem, sondern – in der Masse gesehen – eine echte Umweltsauerei. In der Metropolregion Marseille Provence landen 500 Millionen Kippen in der Umwelt, in Bordeaux sind es 200 Millionen mégots oder 35 Tonnen und in Lille noch rund 100 Millionen. Kippen sind in Frankreich ein Umweltproblem, das nicht nur Kommunen, sondern auch die Tabakindustrie in die Pflicht nimmt.
Vapen: neuer Abfall, neue Probleme
In Frankreich werden jährlich schätzungsweise über 100 Millionen Einweg-E-Zigaretten verkauft. Der Boom der E-Zigaretten stellt das Land vor ein neues Müllproblem. Die Einweg-Vape-Pens, die oft achtlos entsorgt werden, enthalten nicht nur Plastik, sondern auch Batterien und giftige Chemikalien wie Lithium in ihren Batterien.
Laut einer Schätzung der Umweltschutzorganisation Zero Waste France werden allein in Frankreich jährlich über 100 Millionen Einweg-E-Zigaretten verkauft. Recyclingprogramme stecken noch in den Kinderschuhen, ein Verbot des Verkaufs hängt.
Am 4. Dezember 2023 hatte die französische Nationalversammlung einstimmig für ein Verbot des Verkaufs von Einweg-E-Zigaretten gestimmt. Die EU-Kommission hat Frankreich inzwischen grünes Licht für das Verbot gegeben, allerdings mit Einschränkungen, die nachfüllbare Einweggeräte betreffen. Ein vollständiges Verkaufsverbot ist daher noch nicht umgesetzt, und Einweg-E-Zigaretten werden weiterhin verkauft, bis das Gesetz offiziell in Kraft tritt.
Vom Abfall zum Rohstoff
In Marseille sind die mégots kein Dreck mehr, sondern ein wertvoller Rohstoff. Gezielt wurden an strategischen Orten wie Pausenplätze, Bars und Restaurants die Zahl der aufgestellten Straßenaschenbecher vervielfacht. Allein 21 Aschenbecher sind rund um die Place Jean Jaurès und den Cours Julien zu finden. Jeder dieser Aschenbecher kann bis zu 10.000 Zigarettenstummel aufnehmen. Jeden Monat werden sie entleert – und in der Urlaubszeit von Juni bis September sogar zweimal pro Monat.
Die gesammelten Zigarettenstummel wandern in ein Pilotprojekt, das inzwischen nach verschiedenen Normen wie ISO 9001, 14001, OHSAS 18001 und NAR zertifiziert ist. Gemeinsam mit anderen gefährlichen Abfällen wie Motoröl oder Farben werden sie gemischt und zu einem Pulver verarbeitet, das als energetischer Ersatzbrennstoff (EBS) in Industrieöfen eingesetzt wird, insbesondere in der Zementindustrie und bei Dampfproduzenten.
Dank der „Valorisierung“ von mégots konnte Marseille den Einsatz von Primärrohstoffen deutlich senken: 2,5 Tonnen Zigarettenstummel sparen dort beim Betrieb der Anlage 1 Tonne Primärenergie ein. Spezielle Filter verhindern, dass bei der Herstellung des EBS-Pulvers giftige Dämpfe entweichen. Ähnlich arbeitet auch Cy-clope, das die Kippen durch energetische Verwertung in Ersatzbrennstoff umwandelt. Seit 2015 hat Cy-Clope mehr als 500 Tonnen Zigarettenstummel gesammelt und wiederverwertet.
Möbel aus Kippen
Nicht nur in Frankreich, sondern auch im direkt an der Grenze zu Frankreich liegenden luxemburgischen Düdelingen aktiv ist eine Firma, die Bastien Lucas in Brest gründet: MéGO. Seit 2017 hat sie bereits mehr als 50 Tonnen Zigarettenstummel eingesammelt und recycelt.
MéGO stellt spezielle Aschenbecher in Städten auf, die regelmäßig geleert werden, reinigt die mégots entzieht ihnen alle giftigen Substanzen wie Nikotin, Formaldehyde und Teer. Danach werden die gereinigten Filter zerkleinert, in Wasserbädern weiter entgiftet und anschließend getrocknet. Das so entstandene Granulat wird unter hoher Temperatur zu Platten gepresst und zur Produktion von Parkbänken und anderen Stadtmöbeln verwendet
Écomégot, ein französisches Unternehmen in der Nähe von Bordeaux, dekontaminiert die eingesammelten Zigarettenstummel durch Erhitzen auf fast 200 °Celsius und fertigt daraus Infotafeln für Gemeinden, Universitäten und Unternehmen, die auf die Umweltauswirkungen von Zigarettenkippen aufmerksam machen.
Der Druck auf die Tabakindustrie steigt
Seit 2021 sind die Tabakkonzerne in Frankreich per Gesetz verpflichtet, für die Reinigung der Umwelt aufzukommen – und besonders bei der Entsorgung der mégots. Nach dem Verursacherprinzip leisten die Tabakhersteller einen jährlichen Beitrag, der 2021 bei 10 Millionen Euro startete und innerhalb von sechs Jahren auf 80 Millionen Euro ansteigen soll.
Diese Gelder werden ausschließlich zweckgebunden verwendet und fließen in die Sammlung und Behandlung von Zigarettenstummeln, um die hohen Umweltkosten durch weggeworfene mégots zu decken. Frankreich sendet damit ein klares Signal: Die Verantwortung liegt nicht nur bei den Rauchern, sondern auch bei den Produzenten.
Preiswürdige Mégots-Kampagnen
Eine zentrale Rolle bei der Umsetzung dieser Maßnahmen spielt die Öko-Organisation Alcome, die die dazu auch auf Kreativitität und Inspiration setzt. Mit einem eigens ins Leben gerufenen Preis zeichnet sie jedes Jahr die besten Initiativen gegen Zigarettenstummel in mehreren Kategorien aus.
Der Grand Prix, und damit die höchste Auszeichnung, ging 2024 an Rouen. Die normannische Hauptstadt überzeugte nicht nur mit ihrer Gesamtstrategie, die von präventiven Maßnahmen bis hin zu innovativen Recyclingprojekten reichte, sondern vor allem durch sichtbare Ergebnisse.
Der Preis für die beste Präventionsaktion würdigt Städte, die auf Festivals und Großveranstaltungen besonders erfolgreich auf Prävention setzen. Banyuls-sur-Mer konnte hier punkten mit seinem Erfolg im Kampf gegen mégots bei der Fête des Vendanges. Für Thonon-les-Bains, das Aschenbecher in Form einer Mohnblume ins Stadtbild gesetzt hat, gab es 2024 den Innovationspreis; für Saint-Jean-de-Luz eine Auszeichnung für die kreativste Kampagne im Kippen-Kampf.
Zwei weitere Preise – der Prix Coup de cœur für eine besonders humorvolle Maßnahme zur Sensibilisierung an Liffré und der Prix Coup de pouce an Marchiennes – zeigten, dass Engagement und Kreativität im Kampf gegen die mégots-Flut oft wichtiger sind als große Budgets.
Mit diesen Preisen setzt Alcome nicht nur auf praktische Lösungen, sondern schafft auch Anreize für andere Städte und Gemeinden, sich dem Problem mit frischen Ideen zu widmen. Die Auszeichnungen zeigen, wie vielfältig und wirkungsvoll der Kampf gegen Zigarettenstummel sein kann – von humorvollen Kampagnen bis hin zu innovativen Produkten. Frankreich setzt damit nicht nur auf Strafen und Vorschriften, sondern auch auf Inspiration und Eigeninitiative.
Ein Blick nach vorne
Obwohl Frankreich noch einen langen Weg vor sich hat, zeigen die bisherigen Initiativen, dass der Wille zur Veränderung da ist. Die Ziele sind ehrgeizig: Bis 2030 sollen mindestens 40 Prozent weniger mégots auf den Straßen landen. Doch diese Ziele werden nur erreicht, wenn alle Akteure zusammenarbeiten – von den Tabakriesen über die Kommunen bis hin zu den Rauchern selbst.
Und so bleibt die Frage: Flip-Flops oder Sandalen? Vielleicht bald schon irrelevant. Wichtiger ist, dass die mégots nicht auf dem Boden, sondern im richtigen Behälter landen. Ein kleiner Schritt für den Raucher, ein großer Sprung für die Umwelt. Frankreich hat den Kampf gegen die mégots aufgenommen. Und wer weiß: Vielleicht wird die unscheinbare Kippe bald der Star eines vollständigen Kreislaufsystems sein.
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Im Blog
Früher gab es rund um Bergerac eine blühende Tabakindustrie. Ihren Spuren bin ich in diesem Beitrag nachgegangen.
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