Michael Heinzel. Foto: Bernd Birkholz

Mein Frankreich: Michael Heinzel

„Mein Frankreich“ ist nicht nur Titel meines Blogs, sondern auch Programm: Ich möchte möglichst viele von euch animieren, euer Frankreich vorzustellen. Mein Frankreich – was bedeutet das für euch? Diesmal erzählt Michael Heinzel aus dem Rheinland, der mit seiner Frau und seiner Tochter Julia die Picardie entdeckt hat, von ihrer Liebe zu Nordfrankreich.


Ferien bei den Ch‘tis

„In die Picardie – wo ist denn das?“, wurden wir von unserem Hausarzt gefragt, mit dem wir uns öfters bzgl. Urlaubsempfehlungen für Frankreich austauschen. „Das ist im Land der Ch’tis. – Sie kennen doch den Kultfilm Willkommen bei den Sch’tis?“

Eine Szene fast wie mit Dany Boon im Film, aber hier real in Saint-Valéry-sur-Sommer. Foto: Michael Heinzel
Eine Szene fast wie mit Dany Boon im Film, aber hier real in Saint-Valery-sur-Somme. Foto: Michael Heinzel     

Dabei ist das so ganz richtig nicht, denn das Siedlungsgebiet der Ch’tis liegt eigentlich mehr in den Départements Pas-de-Calais und Nord.

Unbekannte Picardie

Die Picardie grenzt südlich daran, aber weil die Ch’tis mittlerweile auch bei den Franzosen Kultstatus haben, sieht man das in der picardischen Touristikbranche und Gastronomie inzwischen nicht mehr so eng. Man könnte fast meinen, auch die Franzosen wissen eher, wo die Ch’tis zu finden sind, als wo die Picardie ist.

In jedem Fall ist das in Nordfrankreich oder, wie es heute korrekt heißt, den Hauts-de-France − da, wo der Atlantik in den Kanal übergeht, und da, wo man aus dem TGV von Köln nach Paris rechts und links nur Rüben- und Weizenfelder sieht. Diese Eintönigkeit schwindet aber sehr bald, wenn man sich westwärts auf Amiens und Boulogne-sur-Mer hält.

Hier wird es hügelig, aufgelockert mit Wäldern und teilweise vielen Seen, aber immer noch stark landwirtschaftlich geprägt. Noch weiter westlich kommt man an die Kanalküste, die in diesem Abschnitt aus gutem Grund Côte d‘Opale heißt, weil hier das Wasser türkisgrün opalesziert. Im Vergleich zur holländischen Küste ist das schon richtiges Meer.

Große touristische Must-haves dazus gibt es hier kaum: Klar, Amiens mit seiner Kathedrale und den schwimmenden Gärten soll man gesehen haben. Boulogne, einst wichtigster Fischereihafen, steht nach dem Brexit vor einer ungewissen Zukunft, denn es ist nicht zu erkennen, wie Emmanuel Macron die verloren gegangenen Arbeitsplätze ersetzen will. Hier blüht der Rassemblement national. Man kann aber sehr schöne Badeurlaube in den etwas verschnarchten Orten entlang der Côte d’Opale verbringen und das zu Preisen deutlich unter dem holländischen Niveau.

Die Kaps der Opalküste

Ganz im Norden, um Boulogne-sur Mer und Calais, ist die Küste felsig. Hier locken die Felskaps Cap gris-nez und Cap blanc-nez. Ab Équihen-Plage, einst ein Fischernest und heute Vorort von Boulogne, kommt für etwa 50 Kilometer bis Quend-Plage flacher, weiter Sandstrand, teils mit ganz ordentlichem Tidenhub.

Die Flut lässt aber noch einen genügend breiten Streifen, so dass man immer auch einen trockenen Liegeplatz findet. Das Strandleben stellt sich im allgemeinen sehr gediegen dar, typische Familienurlauber mit Kindern. Hunde sind an den Hauptstränden nicht erlaubt, aber wenige Meter daneben können sie unter den Augen der Gendarmerie schon frei laufen. Die ist hier allgegenwärtig, einerseits wegen Rauschgiftanlandungen vom Meer, andererseits wegen Bootsflüchtlingen, die illegal nach England übersetzen wollen.

Am Strand von Équihen-Plage. Foto: Michael Heinzel
Am Strand von Équihen-Plage. Foto: Julia Heinzel

Dazwischen liegen mit Le Touquet-Paris-Plage, Hardelot-Plage und Berck einst mondäne Ferienorte, wo sich die feine Pariser und Londoner Gesellschaft traf. Einzig Le Touquet hat sich mit gehobenen Geschäften, Golf- und Reitclub noch etwas den mondänen Reiz erhalten können; es ist auch der Wahlkreis von Emmanuel Macron.

Ganz in der Nähe in Étaples gibt es freitags einen bekannten Markt. Am Comptoir de la Mer sind die Beete am Parkplatz über und über mit leeren Jakobsmuscheln bedeckt, ein Sammelparadies für Kinder. Hardelot-Plage wurde 1905 sogar von einem Londoner Geschäftsmann gegründet, konnte man doch selbst vor dem Bau des Eurotunnels von London aus schon in einer halben Tagesreise hier sein weekend verbringen und mal richtig essen gehen.

Beschauliche Badeküste

Entsprechend findet sich eine Gründerzeitvilla an der anderen, die heute freilich mehr durch ihren morbiden Charme faszinieren, denn die Pariser entdeckten nach dem Zweiten Weltkrieg mehr und mehr die Côte d’Azur für sich und die Englishmen blieben nach dem Brexit weg. Den Rest besorgte Corona. Heute sind die englischen Ferienparks und Restaurants geschlossen. Makler versuchen, die englischen Ferienhäuser zu verkaufen.

Diese einst klassische Ferienregion wartet also auf neue Kundschaft und – wie im Film – die Ch’tis nehmen einen freundlich auf. Sie können inzwischen auch die Weltsprache, aber wenn man ihnen auf Französisch kommt – und sei es auch noch so fehlerhaft – hat man sie sofort gewonnen. Die heutigen Feriengäste sind ganz überwiegend Franzosen, und zwar aus der Region, sowie Belgier aus der frankophonen Wallonie und gelegentlich Luxemburger, die es ja auch nicht weit haben. Deutsche gibt es, aber wenige.

Charmant: Montreuil-sur-Mer

Nicht weit von Étaples etwas verborgen im Hinterland liegt Montreuil-sur-Mer. Dieses kleine Städtchen sollte man schon alleine wegen seiner netten Geschäfte und Restaurants nicht versäumen. Für Bastler und Heimwerker ist besonders sehenswert der Haushaltswarenladen von Decamps an der Place du Général de Gaulle gegenüber dem zentralen Parkplatz. Hier gibt es nichts, was es nicht gibt; verteilt in hunderten von kleinen Schächtelchen warten diese Schätze oft wohl schon seit Jahrzehnten auf genau den, der sie nun braucht.

Gefragte Kiesel

Südlich von Quend-Plage folgt zunächst die Bucht der Somme-Mündung und dann etwa 20 Kilometer Kieselstrände, die Galets. Die kommen hier in besonders hohem Silikatgehalt vor. Aus ihnen wurde das sogenannte Wasserglas gewonnen, das auch heute noch in vielen Produkten des täglichen Bedarfs Verwendung findet.

Inzwischen werden die Galets allerdings überwiegend im Straßenbau genutzt. Zum Baden sind hier wegen der rollenden Kiesel schon Badeschuhe zu empfehlen.

Der Strand in Quend-Plage. Foto: Michael Heinzel
Der Strand in Quend-Plage. Foto: Michael Heinzel
Kieselstrand bei Cayeux-sur-Mer. Foto: Michael Heinzel
Kieselstrand bei Cayeux-sur-Mer. Foto: Michael Heinzel

An der Mündung der Somme

Die Baie de Somme gehört zu den Grands Sites de France, landschaftlich schön gelegen und umrahmt von zwei hübschen Städtchen, St. Valery-sur-Somme und Le Crotoy. Die Somme ist hier kanalisiert und bietet bis hinauf nach Abbéville schöne Fahrradwege.

Auf dem Radweg entlang der Somme nach Abbéville. Foto: Michael Heinzel
Auf dem Radweg entlang der Somme nach Abbéville. Foto: Michael Heinzel

In Saint-Valery-sur-Somme sollte man auf keinen Fall den Sonntagsmarkt verpassen und in Le Crotoy den Freitagsmarkt. In beiden Orten gibt es auch noch einige, klassisch französische Restaurants, die ansonsten mittlerweile rar werden.

Der Sonntagsmarkt in St.Valery und der Freitagsmarkt in Le Crotoy sind sehenswert. Foto: MIchael Heinzel
Der Sonntagsmarkt in Saint-Valery-sur-Somme und der Freitagsmarkt in Le Crotoy sind sehenswert. Foto: Michael Heinzel
Ab dem kleinen Ort Ault geht die Küste schlagartig in Kreidefelsen über, die zum Beispiel in Etretart eindrucksvolle Formationen bilden. Hier ist Baden nur noch in den Buchten von Flussmündungen möglich. Foto: Michael Heinzel
Ab dem kleinen Ort Ault geht die Küste schlagartig in Kreidefelsen über, die zum Beispiel in Étretat eindrucksvolle Formationen bilden. Hier ist Baden nur noch in den Buchten von Flussmündungen möglich. Foto: Michael Heinzel
Vergangene Pracht in Wathiéhurt; hier sind wohl zum letzten Mal 1944 die englischen Befreiungstruppen von Generalfeldmarschall Montgomery eingekehrt. Foto: Michael Heinzel
Vergangene Pracht in Wathiéhurt; hier sind wohl zum letzten Mal 1944 die englischen Befreiungstruppen von Generalfeldmarschall Montgomery eingekehrt. Foto: Michael Heinzel

Natur pur: der Marquanterre

Nördlich von Le Crotoy grenzt der Marquanterre an, ein schon vor Jahrhunderten trocken gelegtes Gebiet, das auch heute noch dünn besiedelt ist. Direkt an die Küstenlinie schließt sich ein Vogelreservat an, in dem man von künstlichen Beobachtungsposten aus die Wildvögel beobachten kann.

Blick ins Marquanterre. Foto: Michael Heinzel
Blick in den Marquanterre. Foto: Michael Heinzel

Das Gebiet ist nur wenig mit Wanderwegen erschlossen. Außen herum führt ein Fahrradweg, von dem aus man auch schön die hier halbwild lebenden Henson-Pferde und Wasserbüffel beobachten kann.

Halbwilde Henson-Pferde im Marquanterre. Foto: Michael Heinzel
Halbwilde Henson-Pferde im Marquanterre. Foto: Michael Heinzel

Es gibt mehrere kleine Campingplätze und zwei Ferienhausanlagen. Die bedeutendste davon ist die Domaine du Marquanterre, ein Pferdegestüt der Henson-Rasse.

Abendsstimmung an der picardischen Küste. Foto: Michael Heinzel
Abendstimmung an der picardischen Küste. Foto: Julia Heinzel

Der Beitrag von Michael Heinzel ist ein Gastartikel in einer kleinen Reihe, in der alle, die dazu Lust haben, ihre Verbundenheit zu Frankreich ausdrücken können. Ihre ganz persönlichen Erfahrungen mit Frankreich, Erlebnisse, Gedanken. Ihr wollt mitmachen? Dann denkt bitte daran: 

• Bitte keine PDFs.

• Text: per Mail in Word, Open Office oder per Mail. Denkt daran, euch mit ein, zwei Sätzen persönlich vorzustellen.

• Fotos: bitte möglichst im Querformat und immer in Originalgröße. Bitte schickt sie mit www.WeTransfer.com (kostenlos & top!) gebündelt mir zu – oder EINZELN ! – per Mail. Bitte denkt an ein Foto von euch – als Beitragsbild muss dies ein Querformat sein.

Vor der Veröffentlichung erhaltet ihr euren Beitrag zur Voransicht für etwaige Korrekturen oder Ergänzungen. Erst, wenn ihr zufrieden seid, plane ich ihn für eine Veröffentlichung ein. Merci ! Ich freue mich auf eure Beiträge! Alle bisherigen Artikel dieser Reihe findet ihr hier.

6 Kommentare

  1. Liebe Leser,

    danke für Eure wohlwollenden Kommentare. Ja, Hilke hat schon recht; ich möchte mich als Person im Hintergrund halten und nur etwas mehr das deutsche Interesse auf diesen verkannten Landstrich Frankreichs lenken, der uns ja so nah ist und dabei schon richtiges Meer bietet, so ein klein wenig Atlantik-Feeling. Vom Rheinland aus, wo wir wohnen, ist es gerade mal 500 Kilometer, also näher als nach „S.P.-O.“, Büsum oder gar Sylt, und das garantiert staufrei.

    Ich habe meine persönlichen Favoriten nicht in den Fokus gestellt; das soll bitte jeder für sich selbst herausfinden und genießen. Ich habe auch bewusst auf Restaurant-Empfehlungen verzichtet. Im Norden ist es etwas hügeliger und der Sandstrand oft mit Felsen durchsetzt, im Süden ideales Fahrradgebiet mit Sand- oder Kieselstränden. Mit den Parisern und Belgiern (die Engländer sind bisher nicht wieder zurückgekehrt) ist man derzeit noch alleine bei den Ch‘Ti – sehr freundliche und inzwischen auch selbstbewusste Menschen. Südlich der Bresle fängt dann die Normandie an; da ist dann schon Steilküste, aber mit tollen Ausblicken. In Tréport mit der Standseilbahn (gratis) hochfahren und genießen.

    Ein Tipp noch für Eisenbahn-Fans (ich bin einer): Um die Somme-Bucht herum fährt von März bis November die CFBS (https://www.chemindefer-baiedesomme.fr/fr/chemin-de-fer-de-la-baie-de-somme) und zwar täglich (!) mit Dampfloks; eine Meterspurbahn, die aber zwischen Noyelles und St.Valerie auch einen vierschienigen Abschnitt (Schmalspur/Normalspur) zu bieten hat. Sowas ist m.E. in Europa einzigartig. Alle fünf Jahre (das nächste Mal 2026?) findet ein spektakuläres Dampflokfestival statt, zu dem historische Loks aus ganz Europa angekarrt werden. An dem Wochenende ist eine frühzeitige Buchung empfehlenswert, z. Bsp. das Relais de la Baie in Noyelles, preiswert und direkt am Bahnhof.

  2. Schöner Artikel. Leider erfährt man nichts über den Autor. Hat er sich in der Picardie niedergelassen, wohnt er dort und warum hat er Frankreich als Wohnsitz gewählt. Oder verbringt er nur seine Urlaube dort.

    1. Hallo Rolf, ausnahmsweise antworte ich einmal auf Deine Frage, denn genau dies hatte ich ihn auch gefragt. Michael Heinzel geht es darum, seine Lieblingsregion vorzustellen – und nicht selbst im Fokus zu stehen. Für diese Bitte habe ich großes Verständnis. Er lebt mit seiner Familie in Deutschland und verbringt in Nordfrankreich seit vielen Jahren sehr gerne seinen Urlaub.

  3. Ich finde diese Reportage ausgezeichnet. Ein großes Lob hierfür. Die Gegend kenne ich nur von einem kurzen Aufenthalt, habe aber nach der Lektüre direkt Lust, sie wieder zu besuchen.

  4. Was für ein schöner und ausführlicher Bericht über diesen breiten Küstenabschnitt und seine Landschaft. Da wir seit fast 30 Jahren mitten in Montreuil-sur-Mer ein Ferienhaus besitzen, kenne ich den Laden Decamps gut. Manchmal brauchte ich beispielsweise sonntags mal einen Pinsel. Gerade wird die Küche neugestrichen, abundzu gibt es in diesem immer noch historisch wirkenden Städtchen mit seiner Stadtmauer also mal was Neues 😉 PS. Im Sommer „Les Miserables“-Aufführungen nicht versäumen.

  5. Seit meine Schwester vor über 50 Jahren in Amiens heimisch ist bin ich auch regelmäßig an der dortigen Küste unterwegs und freue mich immer,wenn ich lese, dass sich auch andere Deutsche für die dortige Landschaft begeistern können.
    Was mir in dem Beitrag fehlt ist noch der persönliche Bezug, persönliche Favoriten und Begegnungen und Erlebnisse.
    Grüße aus der Westpfalz
    Horst

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