Michel Sarran.
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Michel Sarran: Rebell mit Bodenhaftung

Seit 28 Jahren steht Michel Sarran 2023 in seinem Schlemmertempel am Herd. Und fast ebenso lange bin ich mit dem Spitzenkoch aus Toulouse bekannt. Voilà ein charismatischer Küchen-Rebell mit Bodenhaftung.


Nicht en bloc, sondern als Bouillon serviert Michel Sarran die Spezialität des Südens: Foie Gras, Gänsestopfleber. Die schweren Trüffel aus dem Périgord hüllt der Meister in Pute und Spinat. Der Loup de Mer konkurriert Schicht um Schicht mit zartem Schinken und nussigem Spargel.

In seiner Sterne-Küche bekämpft Michel Sarran mit kreativer Kulinarik starre Traditionen. Und ist dabei doch tief im gastronomischen Erbe seiner Heimat verwurzelt.

Verwurzelt im Gers

Freunde, Familie und das heimatliche Gers sind die Zutaten, aus denen Michel Sarran immer wieder neue Hochgenüsse kreiert, die verblüffen, erstaunen – und Kritiker wie Gäste begeistern. „Ich bin ein freies Elektron“, sagt der Zweisternekoch, der erst auf Umwegen an den Herd kam.

Am 18. April 1961 in St-Martin-d’Armagnac im Gers geboren, wo sein Vater als Bauer tief mit dem Land verwurzelt war, beginnt Michel nach einem wissenschaftlich geprägten Abitur sein Medizinstudium in Toulouse.

Vom OP an den Herd

Nach nur zwei Jahren tauscht er jedoch das Skalpell gegen den Kochlöffel, folgt seiner Mutter Pierrette zurück ins heimatlichen Saint-Martin und lernt am Herd die Kniffe des Handwerks.

Als wenige Jahre später Madame Sarran Großmeister Ducasse in Paris trifft, zeigt sie sich wenig beeindruckt von dessen Kochkünsten:  „Es ist gut, was Sie machen  – aber Ihnen fehlt mein Sohn.“

1983 beginnt Michel Sarran bei Alain Ducasse in Antibes: „Es war eine sehr harte Schule – ich habe viel geweint.“ Andere berühmte Kochstars aus Frankreich erkennen und fördern das Talent. Bei Michel Gérard, einem der Erfinder der Nouvelle Cuisine, lernt Michel die leichten Seiten der französischen Küche kennen.

Stationen in Courchevel und im Dreisterne-Restaurant La Côte St-Jacques von Joigny folgen, ehe er 1989 zum ersten Mal selbst Küchenchef wird – in Saint-Tropez. Frisch verheiratet mit Françoise, die heute charmant die Gäste empfängt, wagt er 1995 den Sprung in die Selbstständigkeit.

Der erste Stern

1996 erkocht Michel Sarran in seinem ersten Restaurant den ersten Michelin-Stern, 2003 folgt Nummer zwei. 20 Jahre später verliert er seinen zweiten Stern. Und macht weiter. Wie eh und je, schwarz gewandet am Herd – wie sein gesamtes Team.

25 Mitarbeitern kümmern sich um die 50 Gäste, die werktags in der Villa aus dem 19. Jahrhundert mittags und abends seine kreative Küche genießen – im eleganten Speiseräumen in Ocker- und Sandtönen oder der Sommerterrasse im Innenhof.

Am Wochenende ist geschlossen. „Dann jogge ich am Canal du Midi, schaue mir im Stade Tolosain ein Rugby-Spiel an und genieße die Auszeit mit meiner Frau und meinen zwei Kindern“, sagt Michel Sarran, zieht an der Zigarre und legt sie in einen Aschenbecher mit einem Che-Guevara-Portrait ab.

Weltküche mit Wurzeln im Südwesten

Für seine kreative Küche, die die Traditionen des Südwestens mal klassisch, mal kreativ interpretiert, schwört Michel auf Erzeugnisse der Region. Dazu gehören für ihn das Milchlamm aus dem Quercy, das Fleisch der schwarzen Schweine aus Bigorre und der Bauernrinder von Aubrac, Mont-Royal-Tauben, Bohnen aus Tarbes, rosa Knoblauch aus Lautrec, Melonen aus Lectoure….

„Unsere Region ist die Schatzkammer Frankreichs!“ Seine Zutaten ersteht der Sternekoch an den 100 Ständen des Marché Victor Hugo von Toulouse – Foie Gras bei Massat, Fische bei Bellocq, Käse bei Xavier. Und manchmal nascht er aus großen Schalen im Vorbeigehen fritons, knusprige Kugeln frittierter Entenhaut.

Voller Freude am Erfinden

Was der Markt nicht bietet, bezieht er von Freunden. Ein Spielgefährte aus der Kinderzeit liefert ihm Mini-Gemüse und knackige Salate, die Produzenten im Gers reservieren für ihn handwerklich hergestellte Foie Gras.

Und genau diese Stopfleber weiß Michel Sarran hervorragend zuzubereiten – zum Beispiel als gegrillte Entenstopfleber mit grünem Apfelgelee, wie sie schon seine Mutter Pierrette auf den Tisch brachte.

Doch immer sprießt zwischen den Wurzeln der Überlieferung seine fast kindliche Freude am Erfinden empor. Wie ein Jongleur spielt er mit Tradition und Terroir, überrascht Gaumen und Auge mit perfekten Neu-Inszenierungen.

„Zum Markenzeichen wurde meine Soupe Foie Gras aux Huîtres. Austern setzen dabei einen frischen, maritimen Akzent in der erdig, cremigen Stopflebersuppe. Ist es nicht spannend, wie Meer und Land harmonisch flirten?“

Trüffel zum Frühstück

Michel, der viel reist, in die Töpfe der Welt schaut und auch Köche aus anderen Kulturen zu sich einlädt, liebt das Spiel mit sinnlichen Surprisen. So kommt sein Trüffel-Entrée als Frühstück daher – Kaffee, Joghurt und Croissant, komponiert mit schwarzen Trüffeln aus dem Périgord.

Eine sinnliche Sinfonie als Auftakt zu weiteren Schlemmereien. Nicht minder gewagt ist seine Dessert-Kreation mit einer Creme aus Tarbais-Bohnen in altem Rum, einem Hauch Kokos und geeisten, kandierten Maronen.

„Top Chef“ mit Gastroimperium

Doch bei allem Erfolg kann auch Sarran nicht allein von der Gourmetküche leben. Wie in der Haute Couture gibt es auch in der Haute Cuisine den Druck, jeden Geschmack und jeden Geldbeutel zu bedienen. Und so schmeckt’s bei Sarran auch am Flughafen von Toulouse-Blagnac und in der Brasserie du Stade des Toulouser Rugbystadiums.

Längst ist Michel auch multimedial unterwegs, postet auf Facebook, machte mit der Cuisine Sauvage auf France 5 die ersten Erfahrungen mit Fernsehen und sitzt seit 2015 in der Jury von Top Chef auf M6. Dort lernte er 2016 seine heutige Partnerin kennen.

Welch eine Überraschung, als ich die beiden per Zufall in der Anse Martin von Saint-Martín traf. Vor rund 40 Jahren hatte Michel Sarran dort in Grand-Case drei Monate lang in einem Restaurant gearbeitet, das bis heute dort besteht.

Mehr zu Michel: www.michel-sarran.com

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