Morestel im Département Isère. Foto: Hilke Maunder
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Postkarte aus … Morestel

Morestel hat mit seinem ganz besonderen Licht zahlreiche Künstler in seinen Bann gezogen. Einer von ihnen blieb 28 Jahre – begeistert vom Licht, den Landschaften und dem malerischen mittelalterlichen Ambiente des einst befestigten Städtchens. Die Kleinstadt, 50 Kilometer südöstlich von Lyon, ist ein echtes Kleinod des Départements Isère!

Der Blick von der Altstadt auf die Grande Rue außerhalb der einstigen Stadtmauern. Foto: Hilke Maunder
Der Blick von der Altstadt auf die Grande Rue außerhalb der einstigen Stadtmauern. Foto: Hilke Maunder

Malerisches Burgstädtchen

Morestel entwickelte sich am Fuße des Felsens, der noch Reste einer Burganlage samt Donjon trägt. Der Bergfried, der in den 1960er/1970er-Jahren stark restauriert wurde, diente früher vermutlich als Kerker.

Der Donjon von Morestel. Foto: Hilke Maunder
Der Donjon von Morestel. Foto: Hilke Maunder

Er hat einen viereckigen Grundriss. Drinnen birgt er einen unteren Raum, in dem möglicherweise Gefangene untergebracht wurden, sowie einen oberen Raum, der durch Fenster mit Keilrahmen erhellt wird und vom Wehrgang aus zugänglich ist.

Innerhalb der Burgmauern, die über eine Zugbrücke samt Torturm zugänglich waren, befanden sich Wohngebäude, in denen gelegentlich angesehene Persönlichkeiten wie der Dauphin Humbert II (1334) und der spätere französische König Ludwig XI (1450) untergebracht wurden.

Foto: Hilke Maunder

Alte Texte berichten von einem großen Empfangssaal mit Kamin, einer dem Heiligen Petrus geweihten Kapelle, einem Weinkeller mit darüber liegenden Zimmern, aber auch von Nutzgebäuden wie einer Küche, einer Zisterne zum Auffangen von Regenwasser, einem Speicher für den als Steuer gezahlten Weizen sowie mindestens zwei Ställen.

Die <em>Montée de la Muette</em>. Foto: Hilke Maunder
Die Montée de la Muette. Foto: Hilke Maunder

Die befestige Altstadt

Ab dem frühen 14. Jahrhundert schützte eine Stadtmauer die Siedlung. Zwei Tore führten einst hinein: die Porte Saint Symphorien, deren Spuren noch in der Mauer sichtbar sind, und die Porte Murine.

Doch die Einheimischen wussten, wie sie auch jenseits der Tore unerkannt die Stadt verlassen konnten – und an den Wachen vorbei wieder hineinkamen: auf der Montée de la Muette. Diese mit Kieselsteinen gepflasterte Gasse ermöglichte es, zu den Wasserstellen zu gelangen, ohne durch die Tore Murine oder St-Symphorien gehen zu müssen.

Die Rue Saint-Theudere. Foto: Hilke Maunder

Ihr Name verweist darauf, dass es eine „blinde“ Gasse ohne Fenster war, geschützt durch hohe Mauern. Heute ist die Stadtmauer auch durch eine breite Treppe geöffnet, über die ihr von Rue Blanche zur Unterstadt hinabsteigen könnt.

Beide Tore verband die Geschäftsstraße des Ortes. Diese Grande Vie (vom lateinischen via, der Weg) durchzieht seit 1945 als Rue Auguste Ravier die Altstadt. Innerhalb der Stadtmauern, manchmal an den Burgwall angelehnt, drängten sich zahlreiche Häuser, Scheunen und Gärten sowie Residenzen des lokalen Kleinadels, die manchmal als maisons fortes befestigt waren.

Die Rue Ravier der Altstadt. Foto: Hilke Maunder
Die Rue Ravier der Altstadt. Foto: Hilke Maunder

Marktflecken mit Charme

In der Nähe des Marktplatzes könnt ihr an einem Haus aus dem 15. Jahrhundert  noch erkennen, dass es einst einem Händler gehörte. Das Natursteinhaus  beherbergte im Erdgeschoss einen Laden, in dem der Händler seine Waren auf dem Marktstand präsentieren konnte.

Im Obergeschoss erhellten zwei große Fenster mit Sprossen und Querbalken den Raum, während sich auf der Rückseite Zimmer öffnen ließen. Schmale Gänge trennen in der Rue Auguste Ravier die Häuser. Sie dienten einst als Abwasserkanäle.

Das einstige Haus eines Händlers seht ihr links im Bild mit seinen  Sprossenfenstern. Foto: Hilke Maunder
Das einstige Haus eines Händlers seht ihr links im Bild mit seinen  Sprossenfenstern. Foto: Hilke Maunder

Schlummern bei den Nonnen

Auch Bauten der Kirche säumen die Rue Auguste Ravier. In Hausnummer 205 haben die Franziskanerinnen ihr Kloster für Gäste geöffnet und vermieten vier Zimmer. Sie sind allesamt sehr geräumig und verfügen über ein eigenes Badezimmer und eine separate Toilette. Eine steinerne Wendeltreppe führt ins Obergeschoss. Zum Frühstück servieren die Nonnen eine große Auswahl an selbstgemachten Marmeladen.

Die Franziskannerinnen haben ihr Kloster für Gäste geöffnet.Hilke Maunder

Die Pfarrkirche

Neben dem einstigen Kloster der Augustiner ( Ancien Couvent des Augustins ) erhebt sich die Église Saint-Symphorien aus dem 15. Jahrhundert mit Glockenturm aus dem 17. Jahrhundert.

Die erste Kirche von Morestel befand sich außerhalb des heutigen Ortes. Während der Revolution wurde der Gottesdienst in die Augustinerkirche verlegt. Sie war zur gleichen Zeit wie das Kloster erbaut worden. Heute ist sie dem Erzengel Michael geweiht.

Der Glockenturm der Pfarrkirche von Morestel. Foto: Hilke Maunder
Der Glockenturm der Pfarrkirche von Morestel. Foto: Hilke Maunder

Die Rippen der Gewölbe und das Dekor sind typisch für die gotische Kunst des späten 15. Jahrhunderts. Die Fassade scheint später (16. Jahrhundert) entstanden zu sein. Erst bei der großen Restaurierung im 19. Jahrhundert erhielt der Glockenturm seine gotische Laterne. Seit 1999 schmückt ein zeitgenössisches Glasfenster von Christophe Berthier das Kircheninnere.

Foto: Hilke Maunder

Der alte Kornmarkt

Jenseits der Kirche öffnet sich die Rue Auguste Ravier zu einem kleinen Platz. Die auf Google Maps nicht verzeichnete Place Grenette verdankt ihren Namen dem Getreide, das während des Wochenmarkts am Dienstag oder der Jahrmärkte Saint Nicolas (6. Dezember) und Saint Symphorien (9. Mai und 22. August) dort gehandelt wurde.

Die Steuern auf Waren, insbesondere auf Salz, brachten dem châtelain als Burgvogt einige Einnahmen. Auf diesem Platz befanden sich einst vermutlich die Kornkammer der Burg und der banc de la cour, wo der Richter seine Sitzungen abhielt.

Die Place Grenette. Foto: Hilke Maunder
Die Place Grenette. Foto: Hilke Maunder

Eine Zeit lang stand dort auch eine halb offene Markthalle, deren Schieferdach auf Buchsbaumpfeilern ruhte. Einzig einige der Steinwürfel, die einst die Säulen trugen, sind hier und da noch zu sehen. Heute bildet die Unterstadt  entlang der Grande Rue das geschäftige Zentrum von Morestel. In ihren Markthallen, die 1871 erbaut wurden, findet jeden Sonntag ein gut besuchter Markt statt.

Die <em>Grande Rue</em> von Morestel. Foto. Hilke Maunder
Die Grande Rue von Morestel. Foto. Hilke Maunder

Die Dächer von Morestel

Mitunter höher als die Wände sind die Dächer der Häuser von Morestel. Diese toits dauphinois zeichnen sich durch ein zu allen vier Seiten sehr steiles Dachgebälk und flache Schieferschindeln aus. Die Steilheit der Dächer sorgt dafür, dass sich im Winter Schnee dort schlechter ablagern und so weniger Druck aus auf das Haus ausüben kann. Ein sogenannter koyau schützt die Mauern vor dem abfließenden Regenwasser.

Die <em>toits dauphinois</em> von Morestel. Foto: Hilke Maunder
Die toits dauphinois von Morestel. Foto: Hilke Maunder

Solche Schräg- oder Manteldächer kommen auch im Vercors vor. Ihre überstehende Giebelwand verhindert, dass der Wind eindringen kann. Steinplatten, wie Stufen angeordnet, schützen sie. Die Spitze deckt meist ein Stein, der Nordcharvet, ab. Diese Stufen haben die Fantasie des Volkes inspiriert.

Wenn es einen Todesfall im Haus gab, erzählen alte Legenden, ermöglichten die Stufen der Dauphinois-Dächer der Seele des Verstorbenen, aufzusteigen und in den Himmel zu fliegen!

Das Rathaus von Morestel. Foto: Hilke Maunder
Das Rathaus von Morestel. Foto: Hilke Maunder

Reichlich ungewöhnlich für die Region ist das Dach, das das heutige Rathaus von Morestel bedeckt.  Bevor das Gebäude 1949 zum Rathaus wurde, war es ein Herrenhaus mit zehn Zimmern im Erdgeschoss und acht Zimmern im ersten Stock. Die oberste Etage bestand aus Mansardenzimmern. Um möglich viel Stauraum unter dem Dach zu ermöglichen, erfand der Architekt Philibert Delorme im 16. Jahrhundert die ungewöhnliche Dachform mit vier geschwungenen Dachflächen.

Das schwäbische Dach

Wie in der Region üblich bedecken Schuppenziegeln aus Schiefer das toit à l’impériale. Auch toit souabe, schwäbisches Dach, wird seine ungewöhnliche Dachform genannt. Im Ratssaal im obersten Stockwerk sieht das Dachgebälk wie ein umgedrehter Schiffsrumpf aus. Ähnliche „schwäbische“ Dächer findet ihr auch auf dem Kirchturm von Brangues oder auf einigen Häusern in Vézeronce, Sermérieu oder Les Avenières. Doch warum diese Form „schwäbisch“ heißt, konnte ich bislang nicht in Erfahrung bringen.

Die Maison Ravier

Foto: Hilke Maunder

Er war der Sohn eines Konditors, studierte Jura in Paris – und brannte für die Malerei: François-Auguste Ravier. Am 4. Mai 1814 erblickte er in Lyon das Licht der Welt. In Lyon fand er auch seinen Fürsprecher. Nicolas Victor Fonville, ein damals recht bekannter Maler aus Lyon, suchte Raviers Eltern auf  und überzeugte sie, dem Sohn eine Karriere als Landschaftsmaler zu gestatten und sein Notariat aufzugeben.

Foto: Hilke Maunder

Die Bilder der Schule von Barbizon hatten in ihm eine solche Leidenschaft für die Malerei entfacht, dass François-Auguste Ravier sich nicht mehr juristischen Schriften widmen wollte und konnte.

Vom Notar zum Maler

Er reiste nach Rom, studierte die klassische Kunst, entdeckte die Auvergne, die Dauphiné und kehrte 1845 nach Lyon zurück, um fortan nur noch die Natur zu malen.

Foto: Hilke Maunder

Seine Vorbilder waren nicht nur alte Meister wie Le Poussin oder Le Lorrain, sondern auch Zeitgenossen wie William Turner und Eugène Delacroix. Besonders prägend wurde 1852 die Begegnung mit Corot. Ravier wohnte damals in der Auberge de l’Écu von Crémieu, wo er 1850 Antoinette kennenlernte. Drei Jahre später heirateten sie.

Doch erst ein Jahr nach der Hochzeit konnte das Paar zusammenziehen. Sie hatten zusammen fünf Kinder: vier Söhne und eine Tochter: Claudius (1855). Paul (1857), Victor (1859), Marie-Hélène (1861) und Louis im Jahr 1863.

Foto: Hilke Maunder

1867 verdiente Ravier mit seiner Malerei so viel Geld, dass er im Jahr 1867 ein großes Bürgerhaus im Dauphinois-Stil auf den Anhöhen von Morestel kaufen konnte. 28 Jahre lang lebte der vorimpressionistische Maler dort bis zu seinem Tod im Jahr 1895. 1983 kaufte die Gemeinde vom Erben Paul Servonnats das Anwesen, ließ es 1991 restaurieren und eröffnete es 1992 als Maison Ravier.

Foto: Hilke Maunder

Im Erdgeschoss zeigt die Dauerausstellung Werke des Malers und seines Schülers, dem Porträtmaler François Guiguet (1860-1937). Im Obergeschoss finden wechselnde Ausstellungen statt, oft Retrospektiven regionaler, mitunter sogar internationaler Maler wie die Turner-Ausstellung 2007.

Foto: Hilke Maunder

Seit 2014 gehört die Maison Ravier zu den Maisons des Illustres. Das 2011 geschaffene Label Maisons des Illustres kennzeichnet Orte, deren Aufgabe es ist, das Andenken von Frauen und Männern, die sich in der politischen, sozialen und kulturellen Geschichte Frankreichs hervorgetan haben, zu bewahren und weiterzugeben.

Das Siegel wird vom Kulturministerium für eine Dauer von fünf Jahren vergeben und kann verlängert werden. Das Netzwerk umfasst derzeit 231 Häuser. Eine interaktive Karte stellt sie vor.

Die Karte der Maisons des Illustres, hier: Morestel. Copyright: Frankreichs Kulturministerium (Ministère de la Culture)

Morestel: meine Reisetipps

Parcours Patrimonial

Durch die Geschichte Morestels führt ein markierter Stadtspaziergang; Infos beim Office de Tourisme.

Schlemmen und genießen

Elles Lunch Café

Die beste Adresse in Morestel für frisch, leckere Küche –- mit gemischen Salaten, hausgemachten Kuchen und kleinen Gerichten wie den beliebten poke bowls. Köstlich sind auch die Milch-Skakes und das selbstgemachte Eis. Im Sommer stehen ein paar Tische auf dem Trottoir der Haupstraße der Unterstadt.
• 247, Grande Rue, 38510 Morestel, Tel. 04 74 90 01 88, www.facebook.com/elles.lunchcafe

Aux délices de Morestel

Foto: Hilke Maunder
Foto: Hilke Maunder

Thierry Vuillerot, Meister des Konditor- und Schokoladenhandwerks, betreibt diese echte Institution in Morestel. Hausgemachte Macarons, Schokolade und köstliches Brot kommen aus seiner Boulangerie-Pâtisserie!
• 291, Grande Rue, 38510 Morestel, Tel. 04 74 80 19 66, www.facebook.com

Macarons aus Morestal, Isère. Foto: Hilke Maunder
Macarons aus Morestal, Isère. Foto: Hilke Maunder

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Der Blick von der Oberstadt. Foto: Hilke Maunder
Der Blick von der Oberstadt. Foto: Hilke Maunder

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