Ein Leitmotiv in der Kunst von Dom Robert: der Pfau. Foto: Hilke Maunder
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Dom Robert: der Mönch, der Pfaue träumen ließ

Zehn Jahre Musée Dom Robert in Sorèze: Wie ein Adelssohn im Kloster die Wandteppichkunst revolutionierte.

Stellt euch vor: Ihr seid 23, stammt aus einer französischen Adelsfamilie und habt nach eurer Ausbildung an der École nationale des arts décoratifs in Paris gerade eine vielversprechende Karriere als Designer in Paris begonnen. Die Seidenmanufaktur Ducharne gehört zu den besten Adressen, eine glänzende Zukunft liegt vor euch. Und dann? Werft ihr alles hin, kehrt dem prallen Leben der Weltmetrople den Rücken und flüchtet in ein Kloster. Klingt verrückt? Genau das tat Guy de Chaunac-Lanzac im Jahr 1930. Er wurde zu Dom Robert – Dom als benediktinischer Ehrentitel, zurückgehend auf Dominus, Herr. Was niemand ahnte: Dieser radikale Schritt sollte die Kunstwelt für immer verändern.

Dom Robert, als  Guy de Chaunac-Lanzac mitten im Advent am 15. Dezember 1907 in Nieuil-l’Espoir geboren, wuchs in einem behüteten Umfeld auf. Schon früh erkannte sein Vater das künstlerische Talent seines Sohnes, schenkte ihm Notizbücher und Stifte und ermutigte ihn, „alles, alles und jeden Tag“ zu zeichnen. 

Mit diesen ersten Werken beginnt das Musée Dom Robert in der Cité de Sorèze im Süden des Départements Tarn die Zeitreise auf den Spuren eines Mannes, der aus der Stille benediktinischer Mauern heraus zu einem der einflussreichsten Wandteppichkünstler des 20. Jahrhunderts wurde.

Zwischen Krieg und Kunst

Eine Geschichte, deren Katalysator ein Schock wurde. Zehn Jahre nach dem Eintritt ins Kloster reißt der Zweite Weltkrieg im Jahr 1939 Dom Robert aus der Klosterruhe: Mobilisierung in Lothringen! Plötzlich ist der kontemplative Benediktiner wieder Soldat, wie schon Jahre zuvor in Marokko, wo er den Militärdienst als „große Ferien“ erlebt und pausenlos gezeichnet hatte. Doch dieser Krieg ist anders. Härter. Brutaler.

Die Erfahrung prägt ihn fundamental – doch nicht so, wie man zunächst denken könnte. Während seine Künstlerkollegen nach 1945 düstere Farben wählen, Motive zerbrechen lassen und die Zerrissenheit der Zeit spiegeln, feiert Dom Robert das Leben.

Seine Kunst wird zur Gegenwelt des Krieges. Keine Schreie, keine Zerstörung, keine menschlichen Dramen. Stattdessen: pure Naturpoesie. Auf den Kartons, den Vorlagen für die Webstühle von Aubusson, hält er dem Grauen der Welt den Reichtum der göttlichen Schöpfung entgegen.

Seine Tapisserien feiern das Leben, das Licht und die Vielfalt der Natur, das Gackern der Hühner, die Farben der Blüten, die Färbung des Herbstlaub. Ein Zyklus der Jahreszeiten, vom Atelier Tabard Frères et Sœurs, gewebt in Aubusson.

Pure Naturpoesie

Mit Skizzenbuch und Bleistift zieht Dom Robert raus in die Natur. Stundenlang sitzt er in den Feldern um das Kloster En Calcat, beobachtet und zeichnet. „Ein coq in seiner basse-cour mit einer Katze, die mir um die Beine streicht, Schafe auf der Weide, Ziegen auf dem Felsen, Blumen, Blätter…“ So beschreibt er selbst seine Motivjagd.

Während die Moderne mit Brüchen, Dekonstruktion und Provokation experimentiert, geht er den umgekehrten Weg. Zurück zur Natur. Zurück zur Kontemplation. Zurück zu einer Schönheit, die sich Zeit lässt. Die das eigene Leben berührt. Eine Welt aus Flora und Fauna, erzählt in leuchtenden Farben, abstrahiert auf klare, reduzierte Formen. Seine Tapisserien zu La Ferme de Palaja (1940) entstanden direkt nach solchen Beobachtungen und Skizzen auf dem Land. Die Tiere der basse cour werden zu Metaphern für eine Welt jenseits der menschlichen Tragödien.

Der Pfau als Philosophie

Besonders der Pfau hat es ihm angetan. Das Tier vereint alles, was Dom Roberts Kunst ausmacht: Schönheit, Ornament, Farbe, Bewegung. Und dahinter die tiefere Bedeutung: Der Pfau als Symbol für Unsterblichkeit, für spirituelle Erneuerung. Perfekt für einen Mönch, der in der Natur das Göttliche sucht.

Seine Pfauen sind keine zoologischen Studien. Sie sind Visionen einer Welt, in der Schönheit möglich ist. Wo Harmonie herrscht. Wo das Betrachten zur Meditation wird. „Die Natur ist für mich ein Wunder, das ich immer wieder neu entdecken und mit anderen teilen möchte“, sagt Dom Robert.

Das zeigen auch die Vogelbäume – stämmige Bäume, in deren Ästen und Kronen sich zahlreiche Vögel tummeln. Sie sind ein zentrales Leitmotiv im Werk von Dom Robert und verbinden das Motiv des Lebensbaums mit der Vielfalt und Lebendigkeit der Natur.

Trillierende Vogelbäume

Dom Robert nutzte solche Szenen, um die Harmonie, Fülle und Schönheit der Schöpfung zu feiern. Die „Vogelbäume“ stehen exemplarisch für seine poetische, detailreiche Bildsprache, in der Flora und Fauna zu einem farbenprächtigen, fast paradiesischen Ganzen verschmelzen. Dom Robert nennt seine Tapisserien „Spaziergänge durch die Natur“. Wer vor seinen Werken steht, versteht sofort, was er meint. Das Auge wandert, entdeckt, verweilt, entdeckt wieder. Wie bei einem echten Spaziergang.

1948 verlässt Dom Robert Frankreich. Zehn Jahre lang, bis 1958, lebt und arbeitet er in der Benediktinerabtei Buckfast in England, zeichnet die Mönchen bei Cricket und beim Kartenspiel. Buckfast ist sein künstlerisches Labor – hier experimentiert er, hier findet er zu jener klaren Linie, die später seine Tapisserien auszeichnen wird. 1958 kehrt er als gereifter Künstler nach En Calcat zurück.

150 Mal die Welt neu erfinden

150 Tapisserie-Kartons entstanden zwischen 1941 und 1994. Etwa 40 fertigt das Atelier Tabard Frères et Sœurs, rund 100 entstehen bei Goubely in Aubusson. Bis ins hohe Alter bleibt Dom Robert produktiv. Sein letzter Karton L’herbe qui lève (Das wachsende Gras). entsteht 1994.

Ein schwerer Sturz beendet kurz darauf im selben Jahr sein künstlerisches Schaffen abrupt. Der Mann, der sein Leben lang die Natur durchwandert und gezeichnet hat, ist nun ans Haus gefesselt – nach mehr als 50 Jahren unermüdlichen Schaffens ein harter Schlag. Am 10. Mai 1997 stirbt Dom Robert in der Abtei En Calcat bei Dourgne, umgeben von seinen Mitbrüdern.

Das Musée Dom Robert

2015 eröffnete, keine zehn Kilometer von seiner Wirkungsstätte En Calcat entfernt, in der Cité de Sorèze das Musée Dom Robert. Es residiert in den einstigen Schlafräumen eines Klosters, das einst den militärischen Nachwuchs des Landadels ausgebildet hat. Hier verwandelte Architektin Susanna Ferrini die 1.500 Quadratmeter große Ausstellungsfläche in einen Ort, der perfekt zu Dom Roberts Kunst passt: kontemplativ, aber nicht museal.

66 Tapisserien, 100 Kartons und mehr als 2.000 Zeichnungen und Aquarelle zeigt die Sammlung. Ausgestellt sind nicht nur fertige Werke, sondern der ganze Prozess: von der ersten Skizze bis zum gewebten Wandteppich. Die große Werkschau zu Dom Robert ergänzen Arbeiten anderer Tapisserie-Künstler des 20. Jahrhunderts: Jean Lurçat, Mario Prassinos, Michel Tourlière, Pierre Sulmon und Yves Millecamps. Ein imposanter Flachwebstuhl, ergänzt mit weiteren Exponaten, verrät, wie solch ein Wandteppich überhaupt entsteht. Handwerk und Kunst, untrennbar verbunden.

Mit Kälte gegen Insekten

Ein Lagerschrank verrät, wie die wertvollen Tapisserien aufbewahrt werden. Aufgehängt werden die Wandteppiche mit Klettband – das Velcro-System ist heute Standard bei Textilpräsentationen in Museen. Es ermöglicht eine schonende, gleichmäßige Verteilung des Gewichts über die gesamte Oberfläche des Teppichs und verhindert Beschädigungen des Gewebes, wie sie bei der traditionellen Hängung entstehen könnten.

Um die Teppiche zu schützen, ist das Licht gedämpft – und die Zeit der Präsentation begrenzt. Spätestens nach drei Jahren wandern die Wandteppich wieder in den Fundus des Museums.

Vor dem Einrollen erfolgt eine Mikro-Aspiration. Bei dieser schonenden Methode werden die Oberflächen der Teppiche mit speziellen, sehr feinen Staubsaugern und weichen Bürsten vorsichtig abgesaugt.

Dieses Verfahren entfernt nicht nur Staub und Schmutz, sondern auch potenzielle Insekteneier, ohne das empfindliche Gewebe zu schädigen. Und sollte ein Teppich doch einmal von Insekten befallen sein, kommt er in die Kältekammer des Mobilier National, der staatlichen Institution für historische Möbel und Textilien.

Private Portraits

Sonderausstellungen zeigen die weniger bekannten Seiten des Mönchs, der in seinen Skizzenbüchern auch immer wieder Männer und Frauen aus seinem privaten Freundeskreis mit schnellem Strich festhielt. Besonders berührend sind mehrere Schwarz-Weiß-Porträts einer Frau mit vollem Haar, zum Kopf gebunden, mal mit, mal ohne Strohhut, hier mit Zigarette, dann sitzend, die Hände zwischen den Beinen. Wer war sie? Das bleibt Dom Roberts Geheimnis. Aber diese Arbeiten zeigen eine private Seite des Mönchs, der trotz der Klostermauern den Kontakt zur Welt behielt.

Eine zeitlose Botschaft

Vier Jahrzehnte sind seit dem Tod von Dom Robert vergangen. Doch die Werke des Mönchs sind unvergessen. Warum berührt er uns noch heute? Vielleicht gerade weil er so radikal anders war. In einer Zeit der Beschleunigung schuf er Kunst der Entschleunigung. In einer Zeit der Provokation suchte er die Harmonie. In einer Zeit der großen Selbst-Inszenierungen setzte er auf stille Schönheit.

Seine Zeitgenossen beschrieben Dom Robert als „sensibel, feinsinnig, zurückhaltend“. Einen Mann mit „feiner Silhouette“, der die Einsamkeit liebte, aber durchaus gesellig sein konnte, Luxus schätzte und Whisky liebte.  Humor hatte er auch. Vor allem aber: eine unerschütterliche Ruhe und innere Heiterkeit, die seine Werke widerspiegeln. Und sich auf den Betrachter übertragen.

In Dom Roberts Tapisserien findet man, was heute selten geworden ist: Zeit. Zeit zum Schauen, zum Verweilen, zum Staunen. „Die Natur ist für mich ein nie endender Quell der Inspiration“, sagte er einmal. In einer Welt, die ihren Input oft nur noch digital bezieht, klingt das wie eine Offenbarung.

Ein Vermächtnis in Wolle und Farbe

Dom Robert starb 1997 in Dourgne, keine 30 Kilometer von seinem geliebten En Calcat entfernt. Er hinterließ ein Œuvre, das die französische Wandteppichkunst revolutioniert hatte. Nicht durch Bruch oder Provokation, sondern durch Rückbesinnung auf das Wesentliche: die Schönheit der Schöpfung.

Nicht nur im Musée Dom Robert, sondern auch bei einem Spaziergang lässt sie sich erleben. Der Rundweg Sur les pas de Dom Robert (Auf den Spuren von Dom Robert) führt euch in der Umgebung von Dourgne und En Calcat durch die Landschaften der Montagne Noire, die Dom Robert inspirierten, und verbindet zentrale Orte seines Lebens und Schaffens.

Musée Dom Robert

Die Cité de Sorèze gehört zu den Grands Sites d’Occitanie. Mit diesem Label zeichnet die Region Occitanie besonders herausragende und geschützte Stätten aus.
• 1, rue Saint-Martin, 81540 Sorèze, Tel. 05 63 50 86 38, www.cite-de-soreze.com

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2 Kommentare

  1. Liebe Hilke,

    Ein wunderbar geschriebener Artikel über Dom Robert, den ich gerne an Freunde weitergebe. Er macht Lust bei nächster Gelegenheit das Museum und die Gegend zu besuchen.

    1. Lieber Wolfgang, merci, das freut mich sehr – und danke fürs Teilen, ich freue mich, wenn mein Blog dadurch noch ein wenig bekannter wird, er ist ein echtes Herzblutprojekt. Viele Grüße, Hilke

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