Musée National de l’Automobile: PS-Träume
Das Musée National de l’Automobile im elsässischen Mulhouse ist das größte Automuseum seiner Art weltweit. Die einzigartige Sammlung entstand aus der Leidenschaft der Textilindustriellen Hans und Fritz Schlumpf. Heimlich kauften sie ab den 1950er-Jahren Oldtimer, horteten sie in einer Fabrikhalle und trieben ihr Unternehmen dabei in den Ruin. Doch die Arbeiter ließen ihr Erbe nicht verstreichen: Sie besetzten die Hallen, öffneten die Sammlung für die Öffentlichkeit – und schufen so ein einzigartiges nationales Automuseum.
Bereits der erste Anblick des Musée National de l’Automobile ist atemberaubend: Jenseits der Brücke über die Ill, die vom gebührenpflichtigen Parkplatz zum Eingang führt, schweben stilisierte Rennwagen und flatternde Vögel vor der wasserblau schimmernden Fassade. Edelstahlseile, vertikal und horizontal gespannt, tragen sowohl die Glasflächen als auch die dekorativen Symbole.

Mit dieser spektakulären Installation als Spiegel für die menschliche Kreativität und produktive „Verrücktheit“ der Automobilindustrie gewann das Pariser Architekturbüro studioMilou architecture unter Leitung von Jean François Milou im Jahr 2001 den internationalen Wettbewerb zur Umgestaltung des Museums. Ziel war eine respektvolle Rehabilitation der bestehenden Gebäude und der umgebenden Landschaft.
Eine elegante, leichte Stahlbrücke über den Kanal leitet euch seitdem zum Eingangsbereich mit Kasse, Museumsboutique, Sanitärbereich und Gastronomie. Eine Treppe und ein Aufzug führen hinauf zum ersten Stock und hinein einen langen, schrägen Tunnel, in dem Projektoren das jeweilige Thema der Sonderausstellungen an die Wand werfen, hinein in die ehemalige Textilfabrik der Schlumpf-Brüder.

Schon der erste Blick zeigt: Dieses Museum ist anders. Es ist eine Zeitreise durch die Geschichte des Automobils, ein Monument für Technik, Exzentrik und Leidenschaft. Die Sammlung spiegelt die Besessenheit der beiden Brüder wider.
Hans (21. Februar 1904 – 1. Januar 1989), der Kaufmann, und Fritz Schlumpf (24. Februar 1906 – 18. April 1992), seit 1928 ein selbstständiger Wollhändler, schlossen sich 1929 zusammen, gründeten 1935 die SAIL Société Anonyme pour l’Industrie Lainière und bauten ein Textilimperium auf, das von den 1930er- bis in die späten 1970er-Jahre ein Monopol für gekämmte Garne in Frankreich besaß.

Durch geschicktes Operieren an der Börse gelang es den Brüdern, im Jahre 1938 die Kammgarnspinnerei in Malmerspach, etwa 30 Kilometer nordwestlich von Mulhouse, zu übernehmen. Innerhalb weniger Jahre brachten die beiden die Spinnereien Erstem, Gluck & Cie. in Mulhouse, die Weberei Defrenne et Cie bei Roubaix, ein Hotel und eine Sektkellerei in ihren Besitz. 1957 erwarben die Schlumpf-Brüder in Mulhouse die frühere Wollspinnerei Heilmann, Koechlin & Kuynel, ein Backsteinbau von 1880 im typischen Stil der Industriearchitektur des 19. Jahrhunderts.

Schon früh entwickelten die Brüder eine Faszination für klassische Automobile, insbesondere für die Marke Bugatti. Während sie ihr Textilunternehmen in den 1950er und 1960er-Jahren mit harter Hand führten, bauten sie im Verborgenen eine der größten und wertvollsten Autosammlungen der Welt auf.
Fritz Schlumpf begann zwischen 1961 und 1963 heimlich mit dem Kauf von Oldtimern. Er nutzte Strohmänner, um Fahrzeuge aus Europa und den USA zu erwerben, ohne Aufmerksamkeit zu erregen; und wies seine Vertreter an, bei Reisen stets nach erwerbbaren Modellen Ausschau zu halten, ließ die Oldtimer mit immensem Aufwand restaurieren und hortete sie in ihrer Mulhouser Fabrikhalle. Niemand durfte die Sammlung betreten, nicht einmal ihre engsten Mitarbeiter. Fritz Schlumpf, der fanatischste der beiden, führte penible Listen über jedes Fahrzeug, jedes restaurierte Bauteil und jeden noch zu beschaffenden Oldtimer.

Mit fast obsessiver Besessenheit jagte er nach seltenen Modellen, gab Millionen aus und schreckte nicht davor zurück, Konkurrenten auf Auktionen auszustechen. Unterdessen wuchsen die Schulden des Textilunternehmens ins Unermessliche. Während die Belegschaft für Hungerlöhne schuftete, investierten die Brüder Millionen in ihren Traum und ihren extravaganten Lebensstil und veranstalteten opulente Feste in ihren Fabriken.
Erst als die Textilindustrie um 1970 in die Krise geriet und die auch die Schlumpf-Unternehmen erfasste, kam ihr Geheimnis ans Licht. 1976 begannen die Brüder, ihre Fabriken zu verkaufen. Anfang Oktober 1976 folgten Massen-Entlassungen im Werk Malmerspach. Als die Schlumpf-Arbeiter daraufhin mit Streiks und Demonstrationen eine regelrechte „Schlumpf-Revolution“ entfachten und den Werksherren in ihrer Villa gar Strom und Wasser absperrten, war das Textilimperium schon längst nicht mehr zu retten. 1977 wurden die Unternehmen zahlungsunfähig. 2000 Mitarbeiter verloren allein in Mulhouse ihre Arbeit.

Die inzwischen schon recht betagten Brüder harrten unterdessen auf gepackten Koffern in ihrer belagerten Villa im elsässischen Thann-Tal aus, bis am dritten Tag knüppelschwingende Gendarmen unten den Schmährufen der aufgebrachten Menge ihnen den Fluchtweg bahnten – hin nach Basel, wo sie sich hinter ihrer schweizerischen Staatsbürgerschaft verschanzten und bis zu ihrem Tod im Hotel Drei Könige lebten. Zurück nach Frankreich war der Weg versperrt: Die Staatsanwaltschaft hatte dort gegen die Brüder den Vorwurf des betrügerischen Bankrotts erhoben und Haftbefehl erlassen.

Der Zusammenbruch der Schlumpfschen Textilfabriken bei Mülhausen und im nordfranzösischen Roubaix bedeutete eine 100-Millionen-Pleite, rund 6000 Arbeitslose an den Fabrikstandorten – und 427 Auto-Veteranen. Die Oldtimer-Besessenheit zweier Exzentriker war zum Politikum für ein ganzes Land geworden.
Rund 100 Millionen Francs verlangten damals die Gläubiger. Auf zumindest 80 Millionen schätzen Fachleute die mühsam gesammelten Auto-Raritäten, die nun bedroht waren, als Konkursmasse wieder in alle Winde verstreut zu werden. Dass dies nicht geschah, ist dem Engagement der Arbeiter und der Gewerkschaftler zu verdanken.

1977 entdeckten einige entlassene Arbeiter und Gewerkschafter die bis dahin geheime Privatsammlung der Schlumpf-Brüder. Am 7. März 1977 besetzten Gewerkschafter die Gebäude, übernahmen die Kontrolle über die Sammlung, nannten sie in „Arbeitermuseum“ um und öffneten die Collection Schlumpf erstmals für die Öffentlichkeit. Unter Aufsicht der Gewerkschaft CFDT Confédération française démocratique du travail (Französischer Demokratischer Gewerkschaftsbund) war der Eintritt ins Museum kostenlos. Am Ausgang wurden Spenden für die Deckung der Kosten gesammelt.

Geschickt nutzten die Gewerkschaften die Ausstellung, um auf die Missstände im Unternehmen aufmerksam zu machen. Sie platzierten Infotafeln mit Aussagen wie „Ich habe 1400 Francs pro Monat verdient. Sehen Sie, wohin der Rest geflossen ist!“
Zwei Jahre lang, von 1977 bis 1979, verwalteten die Gewerkschaften dieses „Arbeitermuseum“, das immer bekannter wurde und schließlich als Ganzes erhalten werden konnte. 1982 kaufte die Association du Musée National de l’Automobile die Sammlung auf und nannte sie Cité de l’Automobile. Diesen Titel darf das Museum nicht mehr führen. Doch auch als Musée National de l’Automobile gehört es zu den Top-Sehenswürdigkeiten von Mulhouse.

Foto: Hilke Maunder
Im Inneren erstreckt sich die Sammlung des Musée National de l’Automobile über eine riesige Halle mit 17.000 Quadratmetern, atmosphärisch beleuchtet von mehr als 800 kunstvollen Kandelabern, die an die Pracht des Pont Alexandre III in Paris erinnern. Rund 500 Automobile stehen in Reih und Glied – glänzende Karossen, schnittige Formen, elegante Linien. Mercedes-Benz, Rolls-Royce, Ferrari, Porsche, Maserati, Alfa Romeo, Citroën, Peugeot, Renault, Hispano-Suiza, Panhard & Levassor sowie De Dion-Bouton.: lauter Ikonen der Automobilgeschichte in makellosem Zustand.
Bugatti, Bugatti!

Vor allem die Autos des – 1947 verstorbenen – Automobilkonstrukteurs Ettore Bugatti hatten bei den Schlumpfs, insbesondere Bruder Fritz, die Sammelwut entfacht. Denn für ihn war klar: „Diese Autos sind alle im Elsass gebaut worden. Dahin müssen sie auch wieder zurück“, soll Fritz Schlumpf gesagt haben.
Die von 1909 bis 1963 im elsässischen Molsheim in kleinsten Auflagen montierten Renn-, Sport- und Tourenwagen Ettore Bugattis, der 1902 ins Elsass gelockt worden war, um für einen Eisenbahnfabrikanten zu arbeiten, bilden heute in Mulhouse die größte Bugatti-Sammlung der Welt.
Vertreten ist in der Musée National de l’Automobile auch das allerneueste Modell der Marke, die heute zum Volkswagen-Konzern gehört: ein Bugatti Chiron mit 1500 PS. Seit 2005 produziert Bugatti wieder Supersportwagen in Molsheim. Als erstes Modell lief der Bugatti Veyron mit mehr als 1000 PS und einer Höchstgeschwindigkeit von über 400 km/h vom Band, gefolgt vom aktuellen Modell Chiron.

Und auch eines der ersten Fahrzeuge beim Besuch der Sammlung ist ein Bugatti. Fritz Schlumpf erwarb diesen Wagen im Jahr 1928 im Alter von 22 Jahren. Es handelte sich um einen echten Rennwagen, den er auch bei Autorennen einsetzte.
Fritz Schlumpf war wie besessen von der Marke Bugatti. Als die Bugatti-Fabrik im Jahre 1963 an den Industriekonzern Hispano-Suiza fiel, erwarben die Schlumpf-Brüder das Inventar. Dazu zählten Schraubstöcke mit dem Bugatti-Emblem sowie rund 20 Wagen, darunter Ettore Bugattis persönliches Luxus-Gefährt, den Coupé Napoléon – er war der Privatwagen des Industriellen.

Mit diesem Prunkauto war der Konstrukteur im Jahre 1944, nach dem Abzug der Deutschen, in Paris eingezogen. Seine Karosserie wurde von Jean Bugatti, dem 21-jährigen Sohn von Ettore, entworfen, nachdem ein früherer Prototyp bei einem Unfall zerstört wurde.
Der Wagen hat einen 8-Zylinder-Reihenmotor mit 12.763 cm³ Hubraum und 300 PS, der das vier Tonnen schwere Fahrzeug bis auf 200 km/h beschleunigen konnte. Nur sechs Bugatti-Royale Fahrzeuge sind heute erhalten. Die Collection Schlumpf besitzt zwei dieser wahrhaft royalen Fahrzeuge von rund sechs Metern Länge und edlen Elfenbein-Armaturen

Als 1964 die 30 Bugattis der berühmten Shakespeare-Sammlung in den USA zu kaufen waren, duldete Fritz Schlumpf keine Konkurrenz. Per Sonderzug ließ er seine Beute von Marseille in seinen Restaurationsbetrieb nach Mülhausen transportieren.
Sogar einzelnen Bugatti-Besitzern in den Ostblockstaaten setzte Schlumpf erfolgreich zu. Als er in Prag einst einen Bugatti 46 nicht gegen Bargeld erwerben konnte, setzte Fritz Schlumpf dem tschechischen Besitzer seinen neuen Mercedes-Benz 300 vor die Tür. Das Geschäft war perfekt.
Die Highlights des Musée National de l’Automobile

Doch nicht nur Luxuskarossen von Bugatti prägen die Sammlung. Auch die Entwicklungsgeschichte des Automobils erzählt das Musée National de l’Automobile: von den dampfbetriebenen Vorläufern über die ersten Benzinmotoren bis hin zur den beliebten Fahrzeugen von heute.
Automobile Ikonen
243 Ikonen aus Europa vereint sie in der zentralen Haupthalle desMusée National de l’Automobile. Vertreten sind vor allem die Klassiker europäischen Marken, aber auch amerikanische Fahrzeuge wie Ford, Chevrolet und Jordan sind im Musée National de l’Automobile zu bewundern. Deutsche Ikonen wie der VW Käfer oder VW Golf allerdings fehlen in der Collection Schlumpf.
Legendären Rennwagen

Berühmte Tourenwagen und Formel-1-Boliden zeigt die Rennwagen-Sammlung, in der auch ein Serpollet Typ H von 1902 nicht fehlt, ein Dampfwagen mit einem 4-Zylinder-Motor und einer Leistung von rund 40 PS, die eine Spitzengeschwindigkeit von ca. 110 km/h ermöglichten.
2014 wurde der Wagen in den Werkstätten des Musée National de l’Automobile restauriert – und zeigte bereits im selben Jahr bei der berühmten London Brighton Rallye, einem 100 km-Rennen für historische Fahrzeuge, was in ihm steckt.

Ebenfalls ein Highlight der Rennwagen-Sammlung ist der Mercedes-Benz W125 Rekordwagen, der 1938 mit mehr als 430 km/h einen bis heute gültigen Geschwindigkeitsrekord für öffentliche Straßen aufstellte.

Luxuriöse Traumwagen
„Traumwagen“ nennt sich die Schau der Luxuskarossen im Musée National de l’Automobile. Ausgestellt ist hier neben Limousinen von Rolls-Royce, Bugatti und Mercedes auch der Delahaye Typ 135 M von 1949. Seine damaligen Besitzer ließen diesen Wagen mit Liegesitzen und transparentem Dach versehen, damit ihre Hochzeitsreise in die USA richtig romantisch werden würde.

Die ständige Sammlung des Musée National de l’Automobile bereichern Sonderschauen. 2023 zeigte die Ausstellung En vadrouille avec Louis de Funès (Unterwegs mit Louis de Funès) 15 markante Autos aus den Filmen von Louis de Funès sowie Filmplakate, Filmausschnitte, Accessoires und Kostüme.
2025 zeigt das Musée National de l’Automobilef vom 5. April bis zum 11. November 2025 in der Ausstellung En voiture avec Tintin (Im Auto mit Tim) legendäre Fahrzeuge, die in den Comics des berühmten Reporters vorkommen. Mit dabei sind der 2CV der Schulze und Schultze aus „Der Fall Bienlein“, der Ford T aus „Tim im Kongo“ und der Bugatti Typ 35 von Bobby Smiles aus „Tim in Amerika“.

Interaktive Erlebnisse lockern die automobile Zeitreise auf. Ihr könnt in Simulatoren das Fahrgefühl eines Rennwagens erleben, versuchen, sämtliches Campingzubehör im Kofferraum unterzubringen oder die enormen Kräfte spüren, die bei einem Überschlag wirken.
Und wer mag, kann gegen Aufpreis auch auf einer kleinen Rennbahn des Autodrome direkt an der Musée National de l’Automobile fast ein Dutzend legendäre Autos einmal selber fahren: Wie wäre es mit einer Runde in einer schnittigen Corvette oder im Retro-Citroën?

Musée National de l’Automobile: die Infos
• 17, rue de la Mertzau, 68100 Mulhouse, Tel. 03 89 33 23 21, www.musee-automobile.fr
Hinkommen
Mit dem eigenen Fahrzeug: Folgt den Schildern zur Cité de l’Automobile, die noch mit dem einstigen Namen des Musée National de l’Automobile den Weg weisen
Mit der Straßenbahn: Tram Linie 1 in Richtung Châtaignier bis zur Haltestelle Musée de l’Auto.
Mit dem Bus: Linie C5 in Richtung Jonquilles bis zur Haltestelle Musée de l’Auto.

Nicht verpassen: Mulhouse
Das Musée National de l’Automobile ist nicht die einzige Attraktion von Mulhouse. Was ihr dort ebenfalls besichtigen und erleben könnt, verrate ich hier.
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Fantastisch, da schlägt mein altes Autoherz Purzelbäume! Diese alten Modelle hatten noch Charme , ein Gesicht und Character ! Schade, dass ich so weit weg bin. Wenn ich die heutigen Kisten sehe, fast alle gleich. Über die hässlichen, groben, tonnenschweren E-Kisten diskutiere ich erst gar nicht. 1960 absolvierte ich meine Lehre bei einem VW-Konzessionär und Werkstatt ….glückliche Jugenderinnerungen. Und 8 Jahre andere Automarken.. ( habe mir gerade nochmal einen 7. VW-Benziner gegönnt ).
Hallo Gitte, ach, wie schön, das freut mich!! Hab eine wundervolle Osterzeit an der Côte! Hilke