Hinter diesem Schloss geht es in den Burgvorhof des Château de Castelnaud. Foto: Hilke Maunder
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Oh, mon château: Frankreichs Schlösser

Bienvenue au château! 45.000 — So viele Schlösser soll es in Frankreich geben. Und damit mehr als eine Burg oder ein Schloss pro Kommune im Land. Denn der Begriff château verrät nicht die Bauart, sondern den sozialen Stand.

Die châteaux sind ausschließlich dem Hochadel vorbehalten. Wer zum niederen Adel zählt, logiert in einem Herrenhaus (manoir) oder einer maison forte, einem befestigten Haus.

Falaise: Château de Falaise. Foto: Hilke Maunder
Die Burg von Falaise in der Normandie. Foto: Hilke Maunder

Vom castrum zum Kastell

Die Burg als befestigter Wohnsitz ist untrennbar mit dem Mittelalter verbunden. Schon der Ursprung des Wortes  – vom Lateinischen castellum, Festung, Verkleinerungsform von castrum, Lager – verdeutlicht seine ursprüngliche Aufgabe.

Als Symbol der Macht über Menschen und Land entwickelte sich das château im späten Mittelalter zu jenem Ort, an dem Fürsten und Könige residierten.

Die Burg von Montbéliard. Foto: Hilke Maunder
Die Burg von Montbéliard. Foto: Hilke Maunder

Die Burgen des Mittelalters

1190 ließ König Philippe Auguste in Paris die quadratische Festung des Louvre bauen. Er setzte einen 30 Meter hohen Belfried hinein und umgab das Anwesen mit einem Wassergraben. Sein château fort am Seine-Ufer weckte den Ehrgeiz seiner hochadligen Zeitgenossen, die ihn zu übertrumpfen suchten.

Das spektakulärste Beispiel ist die Burg von Coucy aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts.  Der Wehrbau in Coucy-le-Château-Auffrique (Aisne) gehört zu den massivsten Burgen, die je in Frankreich errichtet wurden. Allein der Bergfried war 55 Meter hoch und hatte sieben Meter dicke Mauern!

Die Burg von Fourgères liegt nicht auf dem Hügelkamm, sondern im Tal - und nutzt das Wasser des Nancon für seine Verteidigung. Foto: Hilke Maunder
Die Burg von Fougères liegt nicht auf dem Hügelkamm, sondern im Tal – und nutzt das Wasser des Nançon für seine Verteidigung. Foto: Hilke Maunder
Der Innenhof der Burg von Vitré. Foto: Hilke Maunder
Der Innenhof der Burg von Vitré. Foto: Hilke Maunder

Als Mitte des 14. Jahrhunderts Kanonen aufkamen, erhielten die chateaux forts vergrößerte Schießscharten, Kanonenschächte und Terrassen, um die Schwergewichte aufzustellen. Im Hundertjährigen Krieg (1337-1475) stellten sie ihre Effizienz ein letztes Mal unter Beweis.

Die Guts-Burgen des niederen Adels in der Normandie

Der Zugang zum Château de Crèvecoeur. Foto: Hilke Maunder
Der Zugang zum Château de Crèvecœur. Foto: Hilke Maunder

Zwischen Caen und Lisieux hat das Château de Crèvecœur im Herzen des Pays d’Auge seine mittelalterliche Anlage als eines der wenigen erhaltenen Beispiele einer mittelalterlichen Hofanlage bzw. Burganlage eines niederen Adels in der Normandie bis heute bewahrt. Bis ins 11. Jahrhundert reichen seine Wurzeln.Das Staunen beginnt bereits am Torhaus mit seinem Schachbrettmuster aus hellem und dunklem Stein. Ein sandiger Weg führt über den Wassergraben, der die gesamte Anlage umgibt, hin zur Basse Cour.

Château de Crèvecœur. Foto: Hilke Maunder
Einblicke in den Alltags von einst im Musée Schlumberger des Château de Crèvecœur. Foto: Hilke Maunder

Der untere Burghof birgt im Herzen eine große Wiese, auf der einst das Vieh weidete. Am Rand sind sämtliche Wirtschaftsgebäude der Burg im Ring vereint: ein großes Bauernhaus samt benachbarter Scheune, eine kleine Kapelle aus dem 17. Jahrhundert und ein Taubenhaus für 1500 Vögel. Allesamt sind sie aus Fachwerk errichtet mit dunklem Holz und goldgelben Fächern aus Lehm.

Château de Crèvecœur. Foto: Hilke Maunder
Adlig wie wehrhaft: das Château de Crèvecœurin der Normandie. Foto: Hilke Maunder

Wuchtige hohe Mauern und ein weiterer Wassergraben schützen die Haute Cour, den kleineren, oberen Burghof mit dem Fachwerk-Logis des adligen Gutsherrn und tiefen Brunnen neben einer ausladenden Platane. Jenseits des Wassergrabens der Basse Cour erstreckt sich eine Streuobstwiese, auf der 26 heimische Apfelsorten wachsen. Im Herbst biegen sich die Äste der uralten Bäume unter der Last ihrer saftigen Früchte und berühren die Blumen im Gras.

Die Residenzen der Renaissance

Schlösser der Loire: Azay-le-Rideau. Foto: Hilke Maunder
Das Schloss von Azay-le-Rideau. Foto: Hilke Maunder

Dann leiteten Metallkugeln und Artillerie den Niedergang der mittelalterlichen Burg ein. Der Friede brachte die Renaissance nach Frankreich – und mit ihr die Residenz.

Nach außen symmetrisch und offen gestaltet, mit Sprossenfenster, Erkern und Türmen, barg sie im Innern lange Galerien für Empfänge und Kunstsammlungen und große Säle für glanzvolle Feste.

Die Galerie von Schloss Chenonceau. Foto: Hilke Maunder
Die Galerie von Schloss Chenonceau. Foto: Hilke Maunder

Ziergärten setzten das Schloss repräsentativ in Szene. In den versteckten Winkeln der Gärten wurden Nymphäen angelegt, künstliche Grotten mit Mosaiken und Muscheln, die Orte der Träume, der Vertraulichkeit und der Lust waren.

Loiretal der Schlösser: Chenonceau. Foto: Hilke Maunder
Rosenumrankt: ein Gartenhaus im großen Schlosspark von Chenonceau. Foto: Hilke Maunder
Loiretal der Schlösser
In den ehemaligen Wirtschaftstrakt des Schlosses ist u.a. ein Lokal gezogen, das Tische, Stühle und Sonnenschirme auf seine Terrasse gestellt hat. Foto: Hilke Maunder

Als Paradeschloss solch einer Residenz gilt das Château de Chambord im Loire-Tal der Schlösser. In der Drôme entstand mit dem Château de Grignan die größte Residenz der Renaissance von Südfrankreich.

Prunk und Pracht des Barocks

Die grille d'honneur von Schloss Versailles
Die grille d’honneur von Schloss Versailles

Die klassischen Schlösser entstanden, als die Tischler unter der Ägide von Heinrich IV. und Ludwig XIII. die großen Holzfenster meisterten.

Gebaut wurde nun, wo es Platz gab für die langen, symmetrischen Fassaden der Schlösser, die tiefen Perspektiven französischer Gärten und die groß angelegten Wasserflächen: auf dem Lande. Sonnenkönig Ludwig XIV. machte Versailles zum Archetyp des Barockschlosses.

Wasserspiel vor dem Südflügel des Château de Versailles. Foto: Hilke Maunder
Wasserspiel vor dem Südflügel des Château de Versailles. Foto: Hilke Maunder
Die Allegorie der Seine vor dem Corps de Logis, dem Mittelbau vom Parterre d'Eau des Château de Versailles. Foto: Hilke Maunder
Die Allegorie der Seine vor dem Corps de Logis, dem Mittelbau vom Parterre d’Eau des Château de Versailles. Foto: Hilke Maunder

Die folie auf dem Lande

Die Rückkehr in die Stadt, wo Manufakturen und Handel eine Großbourgeoisie entstehen ließen, schuf neue Schlösser, verspielter und zarter als das Palais in der Stadt: die folie auf dem Lande. Boudoirs und Bäder machten sie als Vorläufer des Ferienhauses schon bald zum Ziel für galante Treffen. In Nantes säumen sie die Ufer der Erdre. In Montpellier sind sie eine Tagesreise per Kutsche von der Stadt entfernt.

Ausflugsfluss von Nantes: Die Erdre mit dem Château de la Gascherie. Foto: Hilke Maunder
Ausflugsfluss von Nantes: Die Erdre mit dem Château de la Gascherie. Foto: Hilke Maunder
Château Flaugergues von der Gartenseite. Foto: Hilke Maunder
Eine folie bei Montpellier: das Château de Flaugergues – hier von der Gartenseite. Foto: Hilke Maunder

Das Château de la Reynerie

Auch in Toulouse gab es eine solche folie: das Château de la Reynerie. 1781 ließ Guillaume Dubarry das Landschlösschen aus Backstein erbauen, die Fenster in Sandstein einfassen, in der Rotunde ein Musikzimmer einrichten und das Vestibül mit Marmor auskleiden.

Das <em>Château de la Reynerie</em> von Toulouse. Foto: Hilke Maunder
Das Château de la Reynerie von Toulouse. Foto: Hilke Maunder

Ein Skandal!

La Reynerie war sein Ruhepol, weit weg von Klatsch und Tratsch. Denn 1769 hatte er auf den Druck seines Bruders Jean Baptiste Dubarry hin in einer mariage blanc die berühmteste Hure Frankreichs geheiratet: Jeanne Bécu. Diese Hochzeit machte die uneheliche Tochter einer Näherin und eines Franziskaners hoffähig. Als Comtesse du Barry wurde sie die Mätresse des alternden Königs Ludwig XV.

Die Gartenseite des <em>Château de la Reynerie</em>. Foto: Hilke Maunder
Die Gartenseite des Château de la Reynerie. Foto: Hilke Maunder

Bruder und Ehemann vergrößerten so ihren Einfluss bei Hofe. Nach dem Tod des Regenten in Ungnade gefallen, verbrachte Dubarry die Winter in seinem Privathaus in der Rue du Sénéchal, die Sommer auf dem Château de la Reynerie. Bis heute erhebt es sich auf dem höchsten Punkt einer 4,5 Hektar großen Grünanlage mit einem See – mitten in Mirail, einem sozialen Brennpunkt der rosaroten Stadt.

J’ai bâti de si beaux châteaux que les ruines m’en suffiraient.
Ich habe so schöne Schlösser gebaut, dass mir die Ruinen genügen würden.

Jules Renard (1864 – 1910), in: Journal, 2. Juni 1890, S.52

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