Der Blick auf Oloron-Sainte-Marie mit dem Pont Sainte-Claire. Foto: Hilke Maunder

Oloron-Sainte-Marie: Staunen am Jakobsweg

Oloron-Sainte-Marie ist die Hauptstadt des Haut-Béarn, Welterbe am Jakobsweg, Bastion der Baskenmütze, Tor zu den Bergtälern von Ossau, Aspe und Barétous – und doch vom Tourismus kaum berührt: Oloron-Sainte-Marie. Nahezu gleich weit von Pau und Spanien entfernt, erstreckt es sich über die Terrassen der Schwemmlandebene des Gave d’Ossau am Fuße der Pyrenäen.

Die charmante Kleinstadt ist im Laufe ihrer Geschichten zusammengewachsen aus drei Vierteln, die sich um die drei Pfarrkirchen Sainte-Marie, Sainte-Croix und Notre-Dame gruppieren. Sie haben allesamt bis heute ihren eigenen Charakter bewahrt.

Sainte-Marie bildet die Altstadt mit der Kathedrale auf dem Plateau am linken Ufer des Gave de Pau. Am rechten Ufer findet ihr das Quartier Notre-Dame (auch: Marcadet) mit Wohnvierteln aus dem 19. und 20. Jahrhundert, Gewerbegebieten und öffentlichen Einrichtungen wie dem Krankenhaus.

An einen 192 Meter hohen Hügel schmiegt sich das Viertel Sainte-Croix mit seiner aussichtsreichen Pfarrkirche. Das reiche Kulturerbe brachte der Stadt im Jahr 2006 die Auszeichnung als ville d’art et d’histoire vom französischen Kulturministerium ein. Was es in der Stadt der Kunst und Geschichte zu sehen gibt? Voilà!

Oloron-Saint-Marie: Sehenswertes Viertel um Viertel

Es lohnt sich, in Oloron-Saint-Marie etwas Zeit zu verbringen und in Ruhe jedes Viertel für sich zu entdecken.

Das Quartier Sainte-Marie

Kelten waren es, die im 1. Jahrhundert v. Chr. hier eine Ortschaft gründeten und damit die Wurzeln legten für Oloron-Sainte-Marie, Bis zur Vereinigung mit Sainte-Croix trug dieser Stadtteil auch den Namen Oloron. Auf die Kelten folgten die Römer, die ebenfalls hier eine Siedlung hatten. Sie bildete im Mittelalter das Zentrum der Stadt.

Das Tympanon im Zentrum des Portals zeigt die Majestas Domini, Christi als Herrscher der Welt. Ihn umgeben die vier Evangelisten und die 24 Ältesten der Apokalypse — die 12 Apostel des Neuen Testaments und die 12 Patriarchen des Alten Testaments, die zusammen die gesamte Menschheit repräsentieren.

Ihr schönster Schatz ist das Portal der Kathedrale. Es ist eines der wenigen erhaltenen romanischen Portale in Südwestfrankreich und wurde im 12. Jahrhundert aus heimischem Kalkstein gefertigt – als Bibel in Stein, die mit ihren Skulpturen den Analphabeten des Mittelalters die wichtigsten Ereignisse der Bibel nahebringen wollte.

Die linke Archivolte (=Stirnseite eines Bogens) zeigt Szenen aus dem Leben von Johannes dem Täufer: seine Geburt, Taufe und seine Enthauptung. Die rechte Archivolte spiegelt das Leben Jesu in dessen drei Kernszenen wider: Geburt, Kreuzigung und Auferstehung.

Die Pfosten schmücken Figuren von Aposteln und Heiligen. Weiter unten wird das Portal profaner, zeigt Handwerker, aneinandergekettete Sklaven, Fabelwesen und ein Ungeheuer, das Soldaten verspeist, während Ross und Reiter einen armen Menschen tottrampeln.

Neben dem Portal mit seiner kunstvollen Steinbildhauerei und seinem ikonografischen Reichtum präsentiert sich auch das Innere als ein architektonisches Meisterwerk mit seinen kunstfertigen Schnitzereien im gotischen Chor, kunstvollen Skulpturen und einer Krypta, die die Reliquien von Saint-Graf, des Schutzpatrons der Stadt, birgt. Noch tiefer in die Welt sakralen Kunsthandwerks könnt ihr im Trésor de la Cathédrale eintauchen, wo kostbare Reliquien, Kelche und Kreuze ausgestellt sind.

Mehr über die Geschichte und Kultur des Béarn erfahrt ihr in der Maison du Patrimoine in der Rue Dalmais, die auch über das ehemalige Internierungslager der Nazis in Gurs informiert.

Die ehemalige Sandalenfabrik Bedat von Sainte-Marie ist heute als Villa Bedat – Centre culturel et Patrimonial ein Kulturzentrum, das hinter seiner sonnengelben Fassade mit roten Balkonen und Fensterläden mit interaktiver Tools die Quintessenz des Béarn für alle Sinne vorstellt.

Atmet den Duft der Spirke oder Hakenkiefer mit ihren hakenförmig gebogenen Nadeln ein, hört das Rauschen der Gave genannten Bergflüsse des Béarn oder ertastet die unterschiedlichen Strukturen der Hölzer, die in den Pyrenäen wachsen!

Nur wenige Schritte weiter nördlich kommt ihr zur Mediathek. Sie wurde genau am Zusammenfluss des Gave d’Aspe mit dem Gave d’Ossau zum Gave de Pau errichtet. Schlendert da einmal lang und bewundert das Naturschauspiel, das besonders nach der Schneeschmelze ungeheuer eindrucksvoll ist!

Das Quartier Sainte-Croix

Das Herz von Sainte-Croix bildet die Place Saint-Pierre mit ihren Cafés und Restaurants. Der ovale Stadtplatz verdankt seinen Ursprung einem Turnier zwischen dem König von Aragon und dem König von England im Jahr 1287, für das die Apfelbäume und Weinstöcke gerodet und die Gräben der Stadt zugeschüttet wurden.

Gönnt euch dann auf dem Platz eine Pause und schlendert durch die alten Gassen vorbei an Fachwerk- und Steinhäusern hinauf zur Église Sainte-Croix, vor deren Grün sich eine weibliche Skulptur erhebt.

Von dort eröffnen sich herrliche Aussichten auf die Stadt und das Pyrenäenvorland. Noch mehr Weitblick bietet die Promenade Bellevue, die dem Verlauf der einstigen Stadtmauer folgt. Ihre Wurzeln reichen bis in die Römerzeit zurück – in der Antike befand sich auf dem Hügel von Sainte-Croix ein Oppidum. Im 12. Jahrhundert wurden Sainte-Marie und Sainte-Croix vereinigt.

Doch nichts kann das 360-Grad-Panorama toppen, das ihr von der fast 19 Meter hohen Tour de Grède genießen könnt, einem Verteidigungsturm aus dem 13. Jahrhundert – im Inneren präsentiert er die Tierwelt der Pyrenäen in einer Ausstellung!

Das Quartier Notre-Dame

An der Place Gambetta reckt sich 52 Meter hoch der Glockenturm des jüngsten Gotteshauses von Oloron-Sainte-Marie in den Himmel – sie gab dem Viertel ihren Namen. Paul Delance (1848-1924) schmückte den Chor der Kirche mit Wandmalereien.

Die Einheimischen nennen dieses Viertel auch Marcadet, was nichts anderes als „kleiner Markt“ bedeutet und dem bunten Treiben gewidmet ist, das freitagnachmittags die Place Gambetta erobert. Freitagvormittags trifft man sich zum Einkaufen in den Halles d’Oloron, der Markthalle der Stadt auf der Place Georges Clemenceau.

Entspannen vom städtischen Trubel dieses Viertels könnt ihr euch im Jardin public, dem 2,5 Hektar großen Stadtpark mit Spielplatz und Ruhebänken im schattig-bunten Grün, oder bei einem Spaziergang an den Quais der Gaves.

Etwas außerhalb vom Zentrum, aber noch im Quartier Notre-Dame findet ihr den Parc Pommé. Zwischen Schwarzkiefern und Buchen blühen hier im Frühjahr kunterbunt die Tulpen, und zur schönen Jahreszeit blühen hier auch uralte, riesige Rhododendren.

Mitten im satten Grün erhebt sich hier ein weißes nostalgisches Metallbett – Stadtkunst, versteckt hinter Parkmauer aus groben Kieselsteinen. Popas nannte es Alexandru Arghira, was auf Rumänisch ‚Rast‘ bedeutet. Welch ein Kontrast zu Galileo, der konzeptuellen Skulptur von Amédéo Gabino im Parc Pommé, der die Technologie verherrlicht. Es ist eine Arbeit über Volumen und Raum, die Cortenstahl für ein abstraktes Werk verwendet, das dem romantischen Popas diametral entgegengesetzt ist.

Beide gehören zu den Kunstwerken des Chemin des Étoiles (Sternenweg), einer zwölf Kilometer langen kunstsinnigen wie kontemplativen Wanderrunde durch Oloron-Sainte-Marie.

Dichter & Dramatiker Jules Supervielle

Jules Supervielle (1884-1960) war ein bedeutender französischer Dichter, Schriftsteller und Dramatiker des 20. Jahrhunderts. Er wurde zwar 1884 in Montevideo (Uruguay) geboren, doch seine Kindheit verbrachte er hauptsächlich in Oloron-Sainte-Marie, wo sein Vater Jules-Hippolyte Supervielle bis zu seinem Tod im Jahr 1907 als Arzt arbeitet. Supervielle verfasste Gedichte, Romane, Erzählungen und Theaterstücke, die eine tiefe Verbundenheit mit der Natur, die Suche nach dem Sinn des Lebens und eine Faszination für das Fremde prägen. Immer wieder tauchen auch die nahen Pyrenäen darin auf.

Stöbert doch einmal in den Buchhandlungen der Stadt – dort findet ihr bestimmt eines seiner Werke! Berühmt wurden vor allem seine Gedichte Débarcadères (1922), Le Voleur d’enfants (1927), Fêtes et Oraisons (1932) und Les Amis du vent (1944), seine Romane Le Colonel Chabert (1923), La Belle endimanchée (1930) und Le Jeu de ricochet (1935) sowie seine Erzählungen L’Homme de la nuit (1925), Le Ferblantier du roi (1927) und Le Voyageur dans la nuit (1930). Supervielle starb 1960 in Paris. Auf dem Cimetière Saint-Cricq im gleichnamigen Stadtteil im Westen von Oloron-Sainte-Marie fand er seine ewige Ruhe.

Oloron-Sainte-Marie: meine Reisetipps

Hinkommen & mobil vor Ort

Bahn

Seit 2016 hält wieder die Bahn mit TER-Regionalzügen auf der Strecke Pau – Bedous in Oloron-Sainte-Marie.

Bus

Es gibt mehrere Busverbindungen pro Tag zwischen Pau und Oloron-Sainte-Marie. Die Fahrzeit beträgt rund eine Stunde.

Navette

Kostenlos, barrierefrei und elektrisch bedient die Navette alle Stadtteile von Oloron-Saint-Marie in einer 30 Minuten-Taktung.
• https://www.oloron-ste-marie.fr/se-deplacer-a-oloron/la-navette

Schlemmen und genießen

Lou guit de la Sent Graf

Saint-Graf war der erste bekannte Bischof von Iluro, dem antiken Namen von Oloron-Sainte-Marie. Er lebte im 4. Jahrhundert und gilt als Schutzpatron der Stadt. Der Heilige wird jedes Jahr Ende Oktober in Oloron-Sainte-Marie bei den Fêtes de la Saint-Graf gefeiert. Zu diesem Anlass wird traditionell eine gefüllte Ente gegessen – den Lou guit de la Sent Graf.

Le Russe

Waren es die russischen Zaren, ein russischer Kunde – oder doch ein Zigeunermädchen, die als „Russin“ bekannt war? Warum der Kuchenklassiker aus Oloron-Sainte-Marie den Namen Le Russe (der Russe) trägt, ist bis heute von einem Hauch von Geheimnis umgeben. Gesichert ist aber: Le Russe wurde 1925 vom örtlichen Konditor Adrien Artigarrède kreiert. Das Rezept ist streng geheim und wird seit Generationen innerhalb der Familie Artigarrède weitergegeben, die streng darüber wacht, dass niemand es erfährt.

Le Russe ist ein mehrschichtiger Kuchen. Seine Basis bildet ein knuspriges Mandelbiskuit, auf das hoch eine cremige Füllung aus Praliné, Butter, Zucker und Eigelb gegeben wird, deren obere Puderzuckerglasur an die verschneiten Ebenen Russlands und die Pyrenäen erinnern soll. Miam !

La Gabure

Die kräftige Bergsuppe der Pyrenäen – Rezept hier – feiert Oloron-Sainte-Marie alljährlich am ersten Samstag im September bei der Garburade, zu der auch die Weltmeisterschaft der Garbure gehört –das Championnat du Monde de Garbure,

Den Wettbewerb ergänzen ein Marché de terroir mit regionalen Produkten, eine Ausstellung mit Werken von lokalen Künstlern sowie verschiedene Animationen und Aktivitäten für Jung und Alt.
• www.facebook.com/lagarburade

O Bistro Gourmand

Frische französische Küche mit Terrasse am Trottoir, sehr beliebt zum Mittagstisch bei den Einheimischen – der Stadtpark beginnt nur wenige Schritte entfernt jenseits der Kreuzung.
• 2, avenue Sadi Carnot, 64400 Oloron-Sainte-Marie, Tel. 0954583984

Arts et délices

Feinkostgeschäft und Restaurant vereint das Lokal „Künste und Genüsse“ mit Sommerterrasse gegenüber der Kathedrale.
• 3 bis, place de la Cathédrale, 64400 Oloron-Sainte-Marie

La Part des Anges

La Part des Anges (Engelanteil) ist jener Teil des Weins, der während der Lagerung in Holzfässern durch Verdunstung und Mikrooxidation verloren geht. Beim Genuss hingegen geht hier nichts verloren: Die hier servierte typisch französische Küche ist reinster Genuss, von den Burgunderschnecken in Madiran-Butter bis zur Garbure Béarnaise, die auf der Karte nicht fehlen darf!
• 13, place de la Cathédrale, 64400 Oloron-Sainte-Marie, Tel. mobil 06 23 90 89 71, www.facebook.com

Café Jules

2024 eröffnete dieses sympathische Tagescafé und garniert die Kaffee- oder kleinen Genuspause beim Stadtbummel mit Ausblicken auf den Gave d’Aspe.
• 22, rue Louis Barthou, 64400 Oloron-Sainte-Marie, Tel. 05 59 39 40 17

Shopping

Baskenmütze

Oloron-Sainte-Marie ist seit dem 19. Jahrhundert für seine Baskenmützen weltberühmt – seit dem Jahr 1840 stellt Laulhère hier diese traditionellen Kopfbedeckungen aus gefilzter Merinowolle her. Augustin de Lassus hat es im Auftrag von Laulhère in einem Wandbild festgehalten.
• www.laulhere-france.com

Les Pyrénées

Auch bei Lindt & Sprüngli kann man leider nicht auf Führungen die Fabrik besichtigen. Seit 1927 wird in ihrer Schokoladenfabrik unter anderem die beliebte Les Pyrénées-Schokolade hergestellt.

Les Pyrénées ist eine Reihe von Zartbitterschokoladen und Milchschokoladen, die speziell für den französischen Markt entwickelt wurden. Sie zeichnen sich durch ihren hohen Kakaoanteil und ihre glatte, cremige Textur aus.
• www.lindt.fr/shop/nos-marques/les-pyreneens

Hier könnt ihr schlafen

Hôtel Astrolabe

Themenhotel mit acht Zimmern zwischen den beiden Gaves, 2006 von der Deutschen Petra Vogt nach Öko-Standards saniert.
• 14, place Léon Mendiondou, 64400 Oloron-Sainte-Marie, Tel. 05 59 34 17 35, https://hotel-astrolabe.com

Noch mehr Betten*

 

Weiterlesen

Im Blog

Im Buch

Marcus X. Schmid, Südwestfrankreich*

Der freie Reisejournalist Marcus X. Schmid hat für alle, die gerne auf eigene Faust unterwegs sind, den besten Reisebegleiter verfasst: sachlich, mit viel Hintergrund, Insiderwissen und Tipps, und dennoch sehr unterhaltsam und humorvoll.

Ich kann ihn aus ganzem Herzen empfehlen, denn auch in diesem Band zu Südwestfrankreich sind tolle Tipps enthalten. Auch kritische Anmerkungen fehlen nicht. Kurzum: ein Reiseführer, der grundehrlich das Reisegebiet vorstellt – ohne versteckte Promotions.

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