Paris Rive Gauche: Aufbruch am Seine-Ufer
Paris Rive Gauche ist das größte Stadtentwicklungsprojekt im Pariser Osten. Auf einem ehemaligen Bahn- und Industrieareal baut Paris am Südufer der Seine Zukunft. Die Nationalbibliothek, bekannt als Bibliothèque nationale de France (BnF), ist das Vorreiterprojekt dieses neuen Viertels.
Mit den spektakulären grands travaux der Ära Mitterrand begann die Renaissance des lange benachteiligten Pariser Osten. Am Nordufer der Seine wurde Bastille, Belleville, Ménilmontant und Oberkampf zu In-Adressen für Trendsetter. Seit einigen Jahren zieht das Südufer nach. Paris Rive Gauche erstreckt sich entlang der Seine im 13. Arrondissement von Paris mit der Avenue d’Ivry, der Avenue de Choisy und dem Boulevard Masséna als Hauptachsen.
Terrain für Krimis
Paris Rive Gauche steht seit der Millenniumswende einen extremen Struktur- und Imagewandel. Hier entsteht Zukunft: nachhaltig, smart, kosmopolitisch. Das macht das Viertel schon heute sehr branché, angesagt und trendy.
Noch vor wenigen Jahren war es den französischen Schulkindern einzig als Ort bekannt, wo Chlodwig im Jahr 496 die Alemannen besiegte. Krimi-Leser kannten die Gegend von Paris Rive Gauche aus den Werken von Georges Simenon und Léo Malet.
Der Belgier Simenon ließ seinen wortkargen, Pfeife rauchenden Kommissar Maigret, dem u. a. Heinz Rühmann, Charles Laughton und Jean Gabin im Film Gestalt verliehen, gern im 13. Pariser Arrondissement knifflige Fälle lösen.
Auch Kultautor Léo Malet schickte seinen Privatdetektiv Nestor Burma in „Die Brücke im Nebel“ zu den flics, Halbweltdamen und Ganoven des Viertels.
Das Wahrzeichen von Paris Rive Gauche
Auf den einstigen Hafen- und Industrieflächen zwischen der Gare d’Austerlitz und der Stadtgrenze von Ivry-sur-Seine entsteht seit den 1990er-Jahren auf 130 Hektar nach Plänen von Christian de Portzamparc das neue Paris Rive Gauche mit 8 Hektar Grünanlagen, Bürogebäuden mit 60.000 Arbeitsplätzen und Wohnungen für 15.000 Menschen.
Zur Jahrtausendwende fertiggestellt wurde der dreistöckige Untergrundbahnhof Bibliothèque François Mitterrand. Die oberirdisch verbliebenen Gleise verdeckt die größte Pariser Betonplatte. Vom U-Bahnhof fährt die Météor–Métrolinie 14 in wenigen Minuten ins Zentrum.
Ein Buch aus Glas
Oberirdisches Wahrzeichen von Paris Rive Gauche ist die Nationalbibliothek, ein Bau der Superlative von Dominique Perrault. Perrault wollte auch hier lieber Landschaften als Gebäude schaffen. Er gruppierte daher seine vier 78 Meter hohen Türme aus Glas und Stahl um einen großen Garten mit Tannen, Eichen und Birken aus der Normandie.
Ihre Silhouette gleicht einem aufgeschlagenen Buch. Nicht nur die Türme, sondern auch der Garten symbolisiert – in Analogie zum Garten Eden – den Griff zum Wissen. Dieses ist hier so reich gespeichert wie sonst nur noch in Washington und London. Die Bibliothèque nationale de France, kurz auch BnF, gehört neben der British Library und nach der Kongressbibliothek in Washington zu den größten Bibliotheken der Welt.
Auf 430 Regalkilometern lagert jede französische Neuerscheinung seit 1945: 30 Millionen Werke – 150.000 kommen jedes Jahr hinzu. Die kostbarsten Schriften ruhen klimatisiert im Betonsockel und Erdinnern. Die Bestände in den Türmen werden mit Mehrfachverglasung in isolierten Containern bei konstanter Temperatur und Luftfeuchtigkeit gehalten.
Baden auf der Seine
Mens sana in corpore sano wussten bereits die Römer, und entspannten sich nach dem Studium mit Sport. Macht es wie sie – und viele Pariser! – und schwimmt zu Füßen der Nationalbibliothek einige Bahnen nicht in, sondern auf der Seine!
Fitness-Studio, Sauna sowie Liegeflächen zum Sonnen runden das Wohlfühlangebot des Schwimmpontons Piscine Josephine Baker ab. Bei Regen wird das Glasdach geschlossen. Dienstags und donnerstags könnt ihr bei den Nocturnes bis 23.00 Uhr kraulen.
Musikbars am Kai
Danach geht es im Sommer zu den Guinguettes am Kai, fest vertäuten, schwimmenden Musikbars mit Tanzflächen. Le Petit Bain, La Dame de Canton und El Alamein sind beliebte Schiffe zum Feiern.
Die sanft geschwungene Fußgängerbrücke Passerelle Simone de Beauvoir führt von der Nationalbibliothek hinüber zu den Bars und Cafés von Bercy Village.
Kaderschmiede der Kreativen
Dem Zoll- und Lagerkomplex Magasins Généraux, den Georges Morin-Goustiaux 1907 für den Hafen von Paris am Seineufer errichtet hatte, verpassten Dominique Jakob und Brendan MacFarlane eine knallige, neongrüne Plug-Over-Konstruktion aus Stahl. Für Ex-Präsident Nicolas Sarkozy nur „das grüne Ding“, ist der Komplex als Cité de la Mode et du Design Ausbildungs- und Ausstellungsstätte der Pariser Kreativindustrie.
Das renommierte Institut Français de la Mode (IFM) bildet den Mode-Nachwuchs aus und zeigt bei Modeschauen Entwürfe seiner Schüler. ART LUDIQUE Le Musée lädt zur Zeit- und Weltreise durch kreative Szenen von Manga bis zum Videospiel. Die Szene-Bars Wanderlust, Les Amarres und und die australische Rooftop Bar Café OZ sorgen mit ausgefallenen Events und Themenabenden für Abwechslung im Pariser Nachtleben.
Der stylische Imbiss DAD Hot-Dog et Bonne Humeur stillt den Hunger mit Streetfood. Und während des Festival de Design du Grand Paris, dem Off-Festival Now ! der Paris Design Week und bei den D’Days beweisen die Pariser Kreativen bei Ausstellungen, Installationen, Workshops, Konferenzen und Feste, dass die Dynamik von Paris Rive Gauche inspiriert.
Noch mehr Ikonen der Architektur
Weitere Hafenbauten wie die Grands Moulins de Paris und die Halle aux Farines integrierte Rudy Riciotti in den Campus der Université Paris VII – Denis Didérot.
Auch die beiden einzigen Gebäude, die Le Corbusier in Paris geschaffen hat, findet ihr in diesem Viertel: die vom Kubismus geprägte Maison Planeix (26, boulevard Masséna) von 1927 und die Cité du Refuge, das Übernachtungsheim der Heilsarmee (12, rue Cantagruel) von 1933.
Aus Kuben zusammengesetzt, wurde es Vorbild für jene Pariser Einheitssiedlungen, die später in beträchtlichen Dimensionen in der Seinemetropole aus dem Boden gestampft wurden.
In Paris Rive Gauche verewigt hat sich auch Christian de Portzamparc. Er schuf 1975-1979 in der Rue des Hautes-Formes weiße Wohnhäuser mit Sozialwohnungen. Jean Nouvel und Jean-Marie Duthilleul haben die Gare d’Austerlitz fit für TGV-Züge gemacht. Von dort sprinten die Hochgeschwindigkeitszüge auch nach Tours und Bordeaux mit bis zu 350 km/h.
Bis 2027 ist der Verkehrsknoten erneut eine riesige Baustelle. Nach dem Facelift für die Fernlinien, der Sanierung des Glasdaches und dem Sandstrahlen der Fassade erhält der Bahnhof nun neue Zugänge zu den unterirdischen Bereichen, und damit zu den Métro-Linien und dem RER C. Anschließend folgen weitere Bauarbeiten bei laufendem Betrieb.
Die Kunst der Kühllager
Das 1921 von der SNCF errichtete Kühlhaus für die Warenladungen der Pariser Märkte ist seit 1985 nach Jahren der Hausbesetzung offiziell geduldetes Domizil von 200 Malern, Bildhauern, Grafikern, Musikern, Schauspielern und anderen Künstlern, die in Les Frigos Ausstellungen und Konzerte organisieren und ihre Ateliers bei den Portes Ouvertes öffnen.
Paris Rive Gauche: meine Tipps
Schlemmen und genießen
La Dame de Canton
Nach dem Dîner erklingen Zigeunerjazz, Chansons und Salsa an Bord der chinesischen Dschunke. Am Wochenende legt abends der DJ auf.
• Port de la Gare, Tel. 01 53 61 08 49, www.damedecanton.com
Wanderlust
Tagsüber ist die 1.600 Quadratmeter große Terrasse an der Seine Terrain für Yoga-Kurse, Workshops für Kinder, Mode-Events und Ausstellungen. Abends wandelt sie sich zur angesagten Ausgeh-Adresse, in der die besten DJs der Stadt die Nacht zum Tag machen und „Top Chef“-Gewinner Benjamin Darnaud für Gaumenfreunde sorgt.
• 32, quai d’Austerlitz (13 . Arr.), Tel. 06 79 12 08 80, www.instagram.com/wanderlustparis
Station F
Der Bahnhof Gare du Freyssinet ist seit dem Umbau der weltgrößte Start-Up-Campus. Mit mehr als 1000 Gründern ist die Startup-Dichte dort höher als im Silicon Valley, sagt Xavier Niel. Der Gründer von Minitel und Free hat 250 Millionen Euro in den Umbau investiert. Finanziert und betrieben wird die Station F mit Niels privater Programmierhochschule École 42 und Industrie- und IT-Partnern. Der Staat und die Stadt Paris unterstützten das Projekt.
• https://stationf.co
Hier könnt ihr schlafen*
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