Pastell: Gelbe Blüten verwandeln sich in das Blau des Südens. Foto: Graine de Pastel.
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Pastell: das blaue Wunder

Li pais a nom Coquaigne, qui plus i dort, plus i gagne“ – Im Lande namens Cocagne wird man im Schlafe reich“…

… sagt ein okzitanisches Sprichwort. Pays de Cocagne, Schlaraffenland, heißt das fruchtbare Dreieck zwischen Toulouse, Albi und Carcassonne. Im 15. und 16. Jahrhundert wurden jährlich aus den Blättern des rund einen Meter hohen Färberwaids, der im Frühling das Lauragais in ein gelbes Blütenmeer verwandelt, die begehrteste Farbe des Mittelalters gewonnen: Blau.

Albi am Tarn. Foto: Hilke Maunder
Albi am Tarn. Foto: Hilke Maunder

Die Naturfarbe des Südwestens

Blau war die edelste Farbe des Mittelalters. Nur Könige, reiche Adelige und der hohe Klerus konnten sich jenen Farbton leisten. Denn bis zur Entdeckung des Indigos im Jahr 1560 gab es nur ein einziges Verfahren – und eine einzige Pflanze – um den Rohstoff zum Färben zu erhalten. Ihn lieferte ein zweijähriger Kreuzblüter, der bis zu einem Meter hoch auf den Feldern des Pays de Cocagne gelb blühte: Isatis tinctoria, zu Deutsch Färberwaid oder Pastell.

War die Pflanze ein Jahr alt, stießen die Pastellbauern einst mit dem Waideisen die langen, dicken Blätter ab . Nur sie enthalten das farblose Glycosid Indican, dass sich beim stundenlangen Färben ins Blau verwandelt. Waidmühlen zermalmten die Blätter.

Die typische Pastellmühle im Pays de Cocagne bestand aus einem riesigen, zwei Tonnen schweren Granitrad, um die Schlaraffen des Pastells zu malen. Dank einer ausgeklügelten Mechanik genügte ein Zugtier – zum Beispiel ein Rind –  um die Mühle in Bewegung zu bringen. Nach dem Mahlen wurden das Färberwaid zu Kugeln, den „Schlaraffen“ oder cocagnes, geformt. Bis zu 100.000 Pastell-Schlaraffen konnte ein Cocagnes-Trockner fassen.

In der Hand weniger Familien

Toulouse: Prachtvolles Pastel-Palais: das Hôtel de Bernuy. Foto: Hilke Maunder
Prachtvolles Pastell-Palais: das Hôtel de Bernuy. Foto: Hilke Maunder

Den Anbau und Handel dominierten drei Familien – die Bernuy und Assézat in Toulouse und die Reynes in Albi. Zu Wohlstand mit Färberwaid kamen auch die Familien Boissonchevry, Delfau und Delpech. Bis heute zeugen ihre prachtvollen Renaissancepaläste vom einstigen Reichtum.

Zeitreise im Museum

Den Spuren des kostbaren Blaus folgt die Route du Pastel. Die Themenroute berührt auch das Château de Magrin. Der einstige Stammsitz eines Pastellhändlers aus dem Tarn thront auf einem 330 Meter hohen Hügel hoch zwischen Lavaur und Puylaurens über den Sonnenblumen- und Kornfeldern des Lauragais.

Aus der Ferne wirkt die Höhenburg, in der Heinrich IV. dort 1585 Zuflucht fand, auf den ersten Blick wie eine Ruine. Wer näher kommt, sieht, dass nur seine Mauern lückenhaft sind und der Bergfried (Donjon) eine Ruine ist.

Wer näher kommt, sieht, dass nur seine Mauern lückenhaft sind und der Bergfried (Donjon) eine Ruine ist. Das restliche Schloss ist zur einen Seite ein privates Domizil. Die andere Seite nimmt auf 400 Quadratmetern das einzige Pastellmuseum Frankreichs ein.

Pastellmuseum: das Château Magrin. Foto: Hilke Maunder
Pastellmuseum: das Château Magrin. Foto: Hilke Maunder

Ihr könnt dort die Geschichte des Färberwaids von der Pflanze über das aufwendige Herstellungsverfahren bis zum Handel verfolgen. Auch ein Trockenraum für die cocagnes sowie eine Waidmühle sind dort erhalten. Zu den Schätzen des Museums gehören ferner seltene Manuskripte sowie historische, mit Pastell gefärbte Kleidungsstücke.

Am Schloss beginnt der Sentier du Pastel. Diese acht Kilometer lange Rundwanderung folgt einer römischen Straße. 2,5 Stunden lang präsentiert sie, vorbei an mittelalterlichen Ruinen, die Landschaften des Tarns. Deutlich länger ist die Route du Pastel.

Die insgesamt rund 200 Kilometer lange Themenroute führt zu rund zwei Dutzend Stätten, die die Geschichte der Pastellherstellung mitgeprägt haben. Dazu gehören neben den Hochburgen Albi und Toulouse auch die Schlösser von Loubens und Montgeard in Haute-Garonne, Caudeval in der Aude oder die Bastide von Mazères in Ariège.

Pastell für euch

Didier Boinnard gehört zu den Pionieren, die das Pastell in Albi wiederbelebt haben. In seiner Boutique verkauft der L‘Artisan Pastellier (5, rue Puech) seit 1999 Pastell-Produkte von Kleidung bis Kosmetik. Zudem stellt der Diplomchemiker und Kunstliebhaber in seinem Atelier in Graulhet auch Naturfarben für Künstler her – und wurde eine gefragte Adresse für Hobbymaler und Profis.

Beautyprodukte und Kleidsames in Blau findet ihr seit 2007 auch bei Mathera in Cordes-sur-Ciel (20, rue Saint Michel, www.mathera-pastel.com ) oder in Lautrec bei La petite Maison du Pastel an der Place Centrale.

Das Pastell hat sogar in der Küche seine Spuren hinterlassen. Die beiden Pâtissiers Christian Marc Périé in Puylaurens (1, Avenue de Castres) und Yves Thuriès in Cordes-sur-Ciel und Albi (3, place Sainte Cécile) ließen sich vom Färberwaid zu zartblauen cocagnes aus Schokolade inspirieren.

Pastell-Mode zum Selbermachen

Annette-Hardouin_Foto_Marie-Lise_Gauthier
Annette-Hardouin. Foto: Marie Lise Gauthier (Pressefoto Ducasse-Schetter PR)

Zu den Pionieren der Pastell-Revolution gehören auch die Deutsch-Französin Annette Hardouin und ihr Mann Yves. Das Duo kreiert bereits seit 2005 in der Atelier-Boutique von APHY Créations Bleu de Pastel im Toulouser Minimes-Viertel Kleidung und Accessoires aus Naturstoffen. Blusen und Hemden, Jacken und Taschen, Tücher und Mund-Nasen-Masken, allesamt handgefertigt und fantasievoll blau.  

Annette und Yves verarbeiten nur 100 % reine Naturstoffe, teilweise auch zertifizierte Bio-Stoffe, und alle aus französischer Produktion.

Die Färbehütte von APHY: le lavoir. Foto: Hilke Maunder
Die Pastell-Färbehütte von APHY: le lavoir. Foto: Hilke Maunder

Alle Stoffe färben Annette und Yves per Hand. Dazu gehen sie in ihren Garten. Dort findet ihr jene cabane de teinture, in der auch ihr bei Kursen, Workshops und Masterclasses die Kunst des Färbens mit Pastells ausprobieren und lernen könnt.

Bringt die Stoffe, Accessoires oder Kleidungsstücke mit, die ihr färben wollt. Und lasst euch von den beiden tolle Tipps, Techniken und Kniffe zeigen. Wenn sie ein blütenweißes Tuch in eine trübe Brühe taucht und das Zitronengelb sich an der Luft in jenes wunderbare Blau verwandelt – einfach magisch!

Schöner mit Pastell

Die Naturkosmetikpalette von Graine de Pastel. Foto: Graine de Pastel
Die Naturkosmetikpalette von Graine de Pastel. Foto: Graine de Pastel

Schon Hippokrates verwendete die Blätter des Färberwaids zur Wundbehandlung. Reich an Omega 3, 6 und 9, nutzten Carole Garcia und Nathalie Juin die dermatologischen Eigenschaften der Färberpflanze, um Naturkosmetik herzustellen.

2015 erschienen die ersten Kosmetika von Graine de Pastel, die ihre Produktreihe in zehnjähriger Zusammenarbeit mit dem Institut national polytechnique de Toulouse (INP) entwickelt hat.

Inzwischen umfasst die Produktpalette zertifizierte natürliche Gesichts- und Hautpflege, aber auch zarte Düfte, benannt nach Paule de Viguier.

Die Tochter eines Färberwaidhändlers bezauberte mit ihrem makellosen Teint im Jahr 1533 König François I. Prompt zeichnete er Clémence Isaure als La Belle Paule aus. In der Galerue von Toulouse an der Place du Capitole ist sie ebenso verewigt wie in der Salle des Illustres des Toulouser Rathauses.

Wellness in Pastel im Hôtel du Cour. Foto: Ducasse Schetter PR/E_Gentils
Wellness in Pastell im Hôtel Cour des Consuls. Foto: Ducasse Schetter PR/E_Gentils

Die Proteine der Färberpflanze sind ein hervorragender Anti-Aging-Schutz, sagt das Duo überzeugt. Testen könnte ihr es auch im Hôtel Cours des Consuls.

Das Fünf-Sterne Hotel  im historischen Carmes-Viertel verweist mit seinem Namen auf die wohlhabenden Pastellhändler, die häufig in den Stand der regierenden Stadtherren, capitouls, erhoben wurden. Zwar stammen die beiden zu einem Hotelgebäude vereinten Patrizierhäuser aus dem 16. und 18. Jahrhundert nicht aus der Zeit der Pastellfürsten, doch bis heute werdet ihr hier geradezu fürstlich verwöhnt.

Der Bogen zum Pastell schlägt heute die Spa-Anlage Graine de Pastel, die ein Rundum-Wellnessprogramm mit Ölen, Packungen und anderen Pflegeprodukten von Graine de Pastel anbietet.

Toulouse: Terre de Pastel - eine beliebte Adresse für Pastel-Produkte. Foto: Hilke Maunder
Spezialist für Produkte aus Pastell: Terre de Pastel. Foto: Hilke Maunder

Ein Paradies in Blau

Großes Potential für das mittelalterliche Färbermittel sah auch Jean-Jacques Germain, der 2013 insgesamt 1,6 Millionen Euro in die Hand nahm, die Holding Terre de Pastel gründete und in Toulouse-Labège ein Lifestyle-Resort rund um die berühmte Pflanze errichtete.

Am 16. September 2022 eröffnete  Terre de Pastel seine Maison du Pastel in einem der schönsten Herrenhäuser aus der Renaissance an der Place d’Assézat 9. Drinnen bietet es eine breite Palette an Pastell-Produkten sowie einen Museumsbereich, in dem ihr die Geschichte Färberwaids und die Verbindungen zu Toulouse kennenlernen könnt.

Die Ausstellung stellt die Verarbeitung der Pflanze vor und erzählt von der Rolle, die Pierre d’Assézat im europäischen Handel spielte. Es berichtet von der finanziellen Unterstützung durch Clémence Isaure und präsentiert euch die Legende der Belle Paule – einer Muse, deren Schönheit den französischen Naturstil des 16. Jahrhunderts verkörperte.

Keine Chemie!

Im Lavoir könnt ihr sogar eure Kleidung mit der Traditionspflanze ohne jeglichen Zusatz von Chemie färben lassen! Inzwischen hat Terre de Pastel, das auf mehreren Hektar im Lauragais Pastell anbaut, die Gewinnschwelle erreicht. Bei der Verarbeitung kooperiert Terre de Pastel mit der Coopérative Agricole de l’Ariège (CAPA).

Stellvertretenden Direktor von Terre de Pastel ist Sandrine Banessy. Sie erforscht seit fast 20 Jahren das Pastell. Zudem hat sie mehrere Bücher* zum Thema verfasst und 2004 die Académie des Arts et des Sciences du Pastel gegründet.

Die Nähstube von APHY. Foto: Hilke Maunder
Die Nähstube von APHY. Foto: Hilke Maunder

Die Blaumacher des Gers

Die Renaissance des Pastells im Gers im Nordwesten von Toulouse begann mit dem Belgier Henri Lambert und seiner US-amerikanischen Frau Denise, die 1994 in der alten Gerberei von Pont de Pile die Firma Bleu de Lectoure gründet und gemeinsam mit der École Nationale de Chimie de Toulouse neue Verfahren der Verarbeitung und des Färbens entwickelte.

Stuhlhussen, Handtücher, Schale, Kleider und Kissen werden mit der Isatis tinctoria gefärbt. Und während der Präsentation erfahrt ihr ganz nebenbei, woher die Redewendung blaumachen kommt.

Ihr ahnt es? Nach dem Färbevorgang musste der Stoff einst einen Tag lang in der Sonne trocken – Zeit für die Färber, blauzumachen.

Am 22. Februar 2010 ist der Vater des Bleu du Lectoure im Alter von 55 Jahren verstorben. Sein Lebenswerk führt nicht nur Denise weiter fort, sondern auch Thierry Patente, der bei den beiden das mittelalterliche Handwerk gelernt hat.

2010 gründete er TDCO, Carré Bleu de Pastel und verkauft seitdem seine Produkte in den Boutiquen von La Fleurée de Pastel in Revel, Grasse und Toulouse – und mehr als 22 Verkaufsstellen in Okzitanien. Das Pastell ist im 21. Jahrhundert wieder eine so angesagte Pflanze und ein so beliebter Farbstoff, wie es bereits im Mittelalter gewesen ist. Was für eine Karriere für das blaue Wunder!

Toulouse: Pastell trifft Backstein auf den Fassaden der Rue du Taur. Foto: Hilke Maunder
Pastell trifft Backstein auf den Fassaden der Rue du Taur von Toulouse. Foto: Hilke Maunder

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Im Blog

Albi

Die Pastellfürsten von Albi waren die Mitglieder der Familie Reynes aus Albi. Entdeckt die Backsteinstadt am Tarn, die mit der Maison du Vieil Alby noch eines der wenigen mittelalterlichen Häuser mit einem soleilhou besitzt. Auf dem offenen Dachboden wurde einst Färberwaid getrocknet. Infos und Impressionen aus Albi la rouge gibt es hier.

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In Toulouse dominierten die Familien Bernuy und Assezat den Anbau und Handel mit Pastell. Entdeckt die lebensfrohe ville rose am Ufer der Garonne ausgiebig an einem Wochenende. Hier findet ihr dazu einen komplett ausgearbeiteten Reiseplan!

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Okzitanien abseits GeheimtippsOkzitanien:50 Tippsabseits der ausgetretenen Pfade*

Okzitanien ist die Quintessenz des Südens Frankreichs. Es in den Höhen der Cevennen, endet im Süden am Mittelmeer – und präsentiert sich zwischen Rhône und Adour als eine Region, die selbstbewusst ihre  Kultur, Sprache und Küche pflegt.

Katharerburgen erzählen vom Kampf gegen Kirche und Krone, eine gelbe Pflanze vom blauen Wunder, das Okzitanien im Mittelalter reich machte. Acht Welterbestätten birgt die zweitgrößte Region Frankreichs, 40 grands sites – und unzählige Highlights, die abseits liegen. 50 dieser Juwelen enthält dieser Band. Abseits in Okzitanien: Bienvenue im Paradies für Entdecker!  Hier* gibt es euren Begleiter.

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5 Kommentare

  1. Ich habe erst seit kurzem ihren Blog gefunden.Im Lauragais sind noch etliche schöne Sachen zu entdecken. Zum Beispiel das Sidobre.Wo zu Ostern rohe Eier auf den bizarren Granitsteinen versteckt werden.

  2. Ich habe durch das Chanson “ La Vie De Cocagne“ von Jeanne Moreau nach dem mir bisher unbekannten Begriff “ Cocagne“ gesucht und hier viele interessante Infos bekommen. Chapeau!

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