Pujols: Wo Steine Geschichten erzählen
190 Meter hoch über den Tälern des Lot und des Mail thront Pujols-le-Haut auf einem Felsvorsprung. Als eines der „schönsten Dörfer Frankreichs“ bewahrt es zwischen seinen Mauern Jahrhunderte bewegter Geschichte – und einen Geschichtenerzähler, der sie zum Leben erweckt.
„Da sind einst die Herren von Pujols direkt von ihrer Burg in die Kirche gegangen“, sagt Didier Larroque und zeigt auf eine schmale Öffnung auf der Fassade der Église Saint-Nicolas. „Die Kirche war nur ihnen und ihrer Familie vorbehalten“, fährt Didier Larroque fort, rückt den Hut zurecht und zeigt auf eine schmale Öffnung in der Fassade der Église Saint-Nicolas.
Als zertifizierter Raconteur du Pays und damit offizieller Geschichtenerzähler, wie es sie nur im Département Lot-et-Garonne gibt, führt Larroque Besucher durch die engen Gassen des Bilderbuchdorfs, das wie eine Zeitkapsel wirkt.

Von Pujols-le-Haut aus lässt sich, zeigt die Aussichtsterrasse am zentralen Parkplatz neben dem Rathaus, das gesamte Lot-Tal überblicken. Bereits in der Antike war daher Pujols besiedelt. Im Mittelalter schätzten die Albigenser diesen strategischen Vorteil. Raymond VI., Graf von Toulouse, ließ Pujols befestigen. Während des Kreuzzugs gegen die Katharer verwüstete Simon de Montfort diese Hochburg der „Ketzer“.
Zerstörung und Wiederaufbau prägten auch später die Geschichte des Dorfes. Nach dem Hundertjährigen Krieg (1337-1453) blühte Pujols wieder auf. Während der Religionskriege im 16. und 17. Jahrhundert blieb Pujols relativ verschont. Im 19. Jahrhundert wurden die Festungsanlagen und das Schloss zerstört. Vom einst mächtigen Schloss aus dem 14. oder 15. Jahrhundert zeugt heute nur noch der Nordostturm. Die quadratische Festung, einst von vier runden Türmen flankiert, wurde zum Baustofflager. 1829 wurden ihre Quadersteine für die Erweiterung der centrale d’Eysses, des Gefängnisses von Villeneuve-sur-Lot, verwendet.

Kirchen für Herren und Volk
Die Église Saint-Nicolas ist mehr als nur ein Gotteshaus. Mit ihrem in die Stadtmauer integrierten Glockenturm, der zugleich als nördliches Stadttor dient, ist sie Teil des Verteidigungssystems von Pujols. Im Jahr 1525 wurde sie erweitert, um Kanoniker aufzunehmen. Das Rippengewölbe im Inneren und die beiden Seitenemporen spiegeln die gesellschaftliche Ordnung wider: Eine Empore war dem Herrn vorbehalten, der direkten Zugang vom Schloss hatte, die zweite dem Dekan des Kapitels.
Während Kirche und Krone in Saint-Nicolas betete, besuchte das einfache Volk die Kirche Sainte-Foy-la-Jeune, die nach dem Hundertjährigen Krieg als Ersatz für die Pfarrkirche von Sainte-Foy-la-Vieille im Tal errichtet wurde. Bei Restaurierungsarbeiten wurden ihre alten Fresken aus dem späten 15. und frühen 16. Jahrhundert entdeckt.
Sie zeigen den heiligen Georg im Kampf mit dem Drachen, die heilige Katharina von Alexandria, Saint-Blaise und Saint-Martin sowie die Wurzel Jesse – spätgotische Malkunst in überraschend leuchtenden Farben. Heute ist das Gotteshaus entweiht und dient als Ausstellungsraum für Fotografie und Kunst und Bühne für Kultur.

Alltag zwischen Fachwerk und Stein
Jede Gasse, jeder Stein von Pujols erzählt vom Alltag seiner früheren Bewohner. Die lokale Bauweise spiegeln besonders die Fachwerkhäuser von Pujols. Auf ein Erdgeschoss aus Stein wurden ein Stockwerk und ein Dachgeschoss in Holztafelbauweise errichtet. Der hourdis, die Füllung der Wand zwischen den Balken, wurde aus Lehm oder Ziegeln hergestellt. Jede Etage hatte ihre eigene Funktion: Werkstatt oder Laden im Erdgeschoss aus Stein, Wohnraum im Obergeschoss und Lagerraum im Dachboden.

Am anderen Ende der zentralen Gasse durch das Dorf – und Ergänzung zur herrschaftlichen Burg am östlichen Ortseingang – erhebt sich die Maison du Bailli als höchstes Haus im Dorf. Seine imposante Architektur unterstrich die Bedeutung seines Besitzers, des Vogts, der als Vertreter des Grundherrn oder des Königs über die Einhaltung der charte de coutumes wachte, dem Regelwerk für das Zusammenleben der Dorfbewohner.
Gleich daneben öffnet sich die Porte des Anglais, das „Tor der Engländer“ – benannt nach einer mündlichen Überlieferung, wonach englische Truppen während des Hundertjährigen Krieges durch diesen Durchgang geflohen sein sollen.
Die heutige Markthalle auf dem zentralen Dorfplatz wurde im 19. Jahrhundert erbaut. Früher diente sie als Schulhof für die Mädchenschule, die sich damals auf dem Platz befand. Heute beherbergt sie den Wochenmarkt, der hier jeden Sonntagmorgen stattfindet.

Jeder Winkel spiegelt die wechselvolle Geschichte des Dorfes, und Didier Larroque kennt jedes Bauwerk, jeden Herrscher, jede Anekdote, jeden Moment seiner Geschichte.
So wie er bewahren in vielen Dörfern und Städten des Départements Lot-et-Garonne die Raconteurs du Pays als offizielle Geschichtenerzähler die Geschichten und Legenden der Region. Ihre Arbeit ist tief verwurzelt im Conte Occitan, einer jahrtausendealten Tradition der mündlichen Überlieferung, die zum regionalen Kulturerbe Okzitaniens gehört und als immaterielles Kulturerbe Frankreichs anerkannt ist.

Seine bewegte Geschichte, seine Kunsthandwerker und sein intaktes, charmantes Ortsbild machen Pujols-le-Haut seit Ende 2012 zur Perle des Pays d’Art et d’Histoire (Land der Geschichte und der Kunst) der Agglomération Grand Villeneuvois. Das vom Ministerium für Kultur und Kommunikation verliehene Label zeichnet Gebiete aus, die sich für die Aufwertung und den Erhalt ihres Kulturerbes einsetzen.
Wer als Besucher von Pujols schwärmt, meint Pujols-le-Haut – den historischen Kern auf dem Hügel und der Stadtkrone, der heute vom Kulturtourismus mit charmanten Gîtes, regelmäßigen Märkten und wechselnden Kunstausstellungen lebt. Im Tal umfasst die fast 25 Quadratkilometer große Gemeinde Pujols auch moderne Wohngebiete, Gewerbezonen und Weinbaulagen der Appellationen Agenais und Comté Tolosan in unmittelbarer Nachbarschaft zur größten Fluss-Bastide Frankreichs, Villeneuve-sur-Lot.

Pujols: meine Reisetipps
Hinkommen
Per Bahn
Der Bahnhof in Villeneuve-sur-Lot ist seit Jahren stillgelegt und fungiert heute nur noch als Busbahnhof. Vom Intercités– und TER-Bahnhof in Agen verkehren Busse nach Villeneuve-sur-Lot.
Tipp: Im Sommer pendelt Le Petit Train zwischen Villeneuve-sur-Lot und Pujols-le-Haut hin und her.
Per Bus
Die Linie L3 des Réseau Élios (Verbund Grand Villeneuvois) fährt von Villeneuve-sur-Lot zur Haltestelle Mairie de Pujols im Tal. Von dort führt ein 15-minütiger Aufstieg (ca. 1,5 km, Steigung) über die D148 zum historischen Ortskern Pujols-le-Haut.
Tipp: Die Pysae-App zeigt Echtzeitinfos zu den Bussen des Élios-Netzes (L1–L4), inklusive Standortverfolgung.

Schlemmen und genießen
L’Atelier
Nach Stationen in mehreren Restaurants wagten Florette Grenier und Kévin Briet gemeinsam mit Kévins Vater Thierry im Jahr 2024 den Sprung in die Selbstständigkeit mit ihrem ersten eigenen Restaurant. Die Karte prägt eine lokale Saisonküche mit regional verwurzelten Getränken als Begleiter. Mit dabei: das Craftbier Maltéo aus Colayrac-Saint-Cirq im Département Lot-et-Garonne, nahe der Stadt Agen.
• 7, place Saint-Nicolas, 47300 Pujols, Tel. 05 53 70 21 85, https://latelier-pujols.eatbu.com
Lo 7 D’aqui
Ebenfalls 2024 eröffnete Elian Mouly an der Stelle des ehemaligen Délice du Puit mit seiner Schwester Anaïs in seinem Heimatdorf dieses sympathische Bistro.
• 7, rue de la Citadelle, 47300 Pujols, Tel. 09 79 31 89 26, auf Instagram zu finden
Marché des Producteurs de Pays
Nur Landwirte und handwerkliche Erzeuger aus der Region dürfen an dem sommerlichen Bauernmarkt teilnehmen. Mittwochabends lockt er mit saisonalen Produkte wie Obst, Gemüse, Käse, Wurstwaren, Honig und vielem mehr. Und natürlich fehlt unter den regionalen Spezialitäten auch nicht der knusprig-fruchtige Blätterteigkuchen tourtière.
Nicht verpassen
Musée du Jouet Rustique
Dieses kleine, charmante Museum neben der Église Saint-Nicolas zeigt seit 2015 eine ungewöhnliche Spielzeugsammlung. Sämtliche Exponate – inzwischen mehr als 300 ausgestellten Stücke – hat Daniel Descomps selbst angefertigt und dazu ausschließlich natürliche und recycelte Materialien wie Holz oder Metall genutzt.
• Place Saint-Nicolas, 47300 Pujols, auf Facebook zu finden

Hier könnt ihr schlafen*

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970 Kilometer lang präsentiert die Atlantikküste zwischen La Rochelle und Spanien ihre atemberaubende Natur mit Dünen, Kliffs und Küstenflüssen wie der verwunschen wilde Courant d’Huchet, die die Badeseen in den Kiefernwäldern der Forêt des Landes mit der Brandung am Atlantik verbinden.
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Der Unterlauf des Lot ist landwirtschaftlich stark übernutzt. Auch Richtung Agen und Garonne. Darf man auch erwähnen … . Der Oberlauf bzw. schon ab Cahors ist aber toll und eine Reise wert. Weiterhin schöner/ nützlicher Newsletter. Danke.
Hallo Thomas, danke für diese Ergänzung. Ja, am Unterlauf wird intensiv Obstbau betrieben – besonders Pflaumen (Pruneaux d’Agen) und Äpfel. Ob übernutzt, kann ich nicht beurteilen, da viele Betriebe eine agriculture raisonnée betreiben oder Biolandbau machen. Den Oberlauf des Lots habe ich hier vorgestellt – schau doch mal rein: https://meinfrankreich.com/landpartie-im-tal-des-lot-in-okzitanien/https://meinfrankreich.com/landpartie-im-tal-des-lot-in-okzitanien! Viele Grüße! Hilke