Paraderoute für den normannischen Cidre

Cidre: Beim Manoir d'Apreval ist die Apfelernte in vollem Gange. Foto: Hilke Maunder
Die Apfelernte ist in vollem Gange. Foto: Hilke Maunder

Alle Normannen haben Cidre im Blut:
ein saures Getränk, das bisweilen den Schlund sprengt,

schrieb der Dichter Gustave Flaubert in seinem Roman Madame Bovary* über seine Landsleute. Sein literarischer Schüler Guy de Maupassant ließ in der Novelle Der Horla – Tagebuch eines Mördersauf dem Jahrmarkt Cidre-Ströme fließen.

Die Äpfel des Pays d’Auge

Die Heimat des moussierenden Apfelweins ist die Normandie. Im Frühling legen die Blüten der knorrigen Apfelbäume einen rot-weißen Schleier über das Land. Im Herbst reifen kleine, feste Äpfel an ihren Ästen.

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Cidre-Route zu 20 Produzenten

Mitten durch das Apfelland zwischen Cabourg und Lisieux führt die Route du Cidre.  An der  40 Kilometer langen Rundstrecke produzieren rund 20 Höfe das Lieblingsgetränk von König Franz I.

Bei ihnen könnt ihr den Cidre fermier noch frisch aus dem Fass und naturtrüb vor Ort probieren. Köstlich! Für den Export muss das Nationalgetränk der Normandie pasteurisiert werden.

Im Mai blühen die Apfelbäume der Thiérache. Foto: Hilke Maunder
Im Mai blühen die Apfelbäume. Foto: Hilke Maunder

Cuvée aus alten Sorten

Komponiert wird der normannische Fruchtwein aus bis zu 20 verschiedenen Apfelsorten – bitteren, süßen und sauren.

Nach der Ernte werden die Äpfel gewaschen, in der Obstmühle zerkleinert und gepresst. 100 Kilogramm Fruchtfleisch ergeben bis zu 80 Liter Saft. Unter Luftabschluss vergärt danach der Fruchtzucker zu Alkohol und Kohlensäure.

Dabei ist Geduld gefragt. Rund drei Monate braucht der normannische Cidre, bis er völlig vergoren ist. Hessischer Apfelwein ist in der Hälfte der Zeit fertig. In der industriellen Produktion werden daher Hefen zugesetzt, um den Gärprozess zu beschleunigen.

Beim cidre artisanal verlassen sich die Cidre-Bauern allein auf die in den Äpfeln natürlich vorhandenen Hefen.

Die einzelnen Phasen der Cidre-Herstellung. Foto: Hilke Maunder
Die einzelnen Phasen der Cidre-Herstellung. Foto: Hilke Maunder

Cidre: Naturtrüb oder gefiltert?

Der langsame Gärprozess ist auch verantwortlich dafür, dass sich viel Kohlensäure bildet. Sie sorgt für das typische Moussieren. Während der Gärung setzen sich die Hefen und schwere Depot am Boden ab. Die leichteren Trübstoffe bilden an der Oberfläche einen braunen Rand.

Daher wird jetzt abgestochen und der Apfelwein mit einem Schlauch zwischen diesen beiden Schichten abgesaugt.

In der industriellen Produktion folgt danach die Klärung des Weins durch das Zentrifugieren und Filtern. Traditionsbewusste Produzenten wie das Manoir d’Apreval an der Seine-Mündung hingegen bevorzugen naturtrübe Varianten.

Doppel gebrannt

Apero: Calvados vom Manoir d'Apreval. Foto: Hilke Maunder
Hochprozentiges Lebenswasser der Normandie: Calvados. Foto: Hilke Maunder

Aus den mehr als 2.000 Apfelsorten der Normandie wird auch ein berühmtes Lebenswasser gebrannt: der Calvados. Bernsteinfarbenen bis cognacbraun, räumt der samtige Cidrebrand zwischen den Gängen eines Menüs den Magen auf und schafft Platz für die Desserts. Faire un trou normand nennen dies die Einheimischen.

Bereits 1606 entstand die erste Brennerei-Gilde in der Normandie. Seit 1942 besitzt der Calvados Pays d’Auge eine geschützte Herkunftsbezeichnung.

Normannischer Apfelbrand: Calvados. Foto: Hilke Maunder
Normannischer Apfelbrand: Calvados. Foto: Hilke Maunder

Als einziger Apfelbrand der drei AOC aus der Normandie wird er zweimal gebrannt. Wie das edle Destillat aus Cidre gewonnen wird, zeigen im Pays d’Auge die Schaubrennereien führender Hersteller wie Brusnel in Cormeilles und Château de Breuil in Breuil-en-Auge.

Das Restaurant Le Pavé d’Auge im Herzen des alten Dorfes ist eine Institution. Sein Chefkoch, Jérôme Bansard, ist stolzer Besitzer des ältesten Michelin-Sterns im Calvados.

Der Cidrehof: Manoir d’Apreval

Apfelernte für die Cidre-Herstellung. Foto: Hilke Maunder
Apfelernte für die Cidre-Herstellung. Foto: Hilke Maunder

Am linken Ufer der Seine, nur wenige Kilometer von der Mündung entfernt, klettern Apfelhaine einen kleinen Hang empor. Die Luft riecht nach frischem Apfelduft. In der Ferne höre ich Maschinenlärm. Wird dort etwa gerade die neue Obsternte unter freiem Himmel verarbeitet?

Ich fahre die Schotterauffahrt hinauf, parke hinter einer Scheune – und staune. Im gesamten Hof stapeln sich Holzkisten, randvoll gefüllt mit roten, hutzeligen Äpfeln, die nichts mit der Industrieware aus dem Supermarkt gemein haben, sondern noch ihren ursprünglichen Charakter bewahrt haben.

Cidre-Herstellung: Die geernteten Äpfel werden vorsortiert und gehäckselt. Foto: Hilke Maunder
Die geernteten Äpfel werden vorsortiert und gehäckselt. Foto: Hilke Maunder

Ein großer Schwung wird jetzt in den Trichter der Presse geschüttet und dort zerkleinert. Die Masse aus zerstoßenen Äpfeln schlagen nun zwei Kelterer in engmaschige Baumwolltücher ein, stapeln die so entstehenden Päckchen übereinander und senken ein Brett, das den Stapel zusammendrückt.

Mechanische Apfelpresse für die Cidre-Herstellung. Foto: Hilke Maunder
In solchen Pressen wird der Saft aus den zerkleinerten Apfelstücken gepresst. Foto: Hilke Maunder

Aus der Presse läuft der frischgepresste und aromatische Saft direkt in die im Keller lagernden Edelstahltank und Eichenholzfässer.

Am liebsten würde ich mir jetzt ein Glas schnappen und trinken. Der frische Saft betört meine Sinne mit seinen Aromen.

Manoir d'Apreval. Foto: Hilke Maunder
Auch köstlichen frischen Apfelsaft gibt es auf dem Apfelsaft. Foto: Hilke Maunder

Lauter Köstlichkeiten

17 alte Apfelsorten verwendet Agathe Letellier vom Manoir d’Apreval für die Herstellung von Apfelsaft, Cidre, Pommeau und Calvados.

Richtig lecker schmecken die Früchte jedoch nur flüssig. Beim Verzehr indes enttäuschen die Bio-Äpfel durch ihren hohen Tanningehalt.

Sämtliche Produkte des Familienbetriebs gibt es im Hofladen. Hausgemachter Cidre und Calvados stapeln sich in den Regalen, aber auch andere Produkte der Region.

Cidre-Verkauf beim Manoir d'Apreval. Foto: Hilke Maunder
Cidre, Calvados und Pommeau: das Angebot des Manoir d’Apreval. Foto: Hilke Maunder

Bienvenue zur Picknickpause

Zum Hof gehört zudem ein wunderschöner Picknickplatz mit Blick auf die Apfelbäume und das Blau der Seine.

Ist das nicht ein toller Ort, um Gekauftes oder Mitgebrachtes an Holztischen im Freien zu verzehren? Meine Tochter freute sich über die riesige Wiese. Kinder dürften dort nach Herzenslust toben.

Alte Apfelsorten wandern in den Cidre. Foto: Hilke Maunder
Alte Apfelsorten wandern in den Cidre. Foto: Hilke Maunder

Cidre erleben: noch mehr Reise-Ideen

Pays d’Auge

Was für ein Apfelland! Impressionen und Infos gibt es hier.

Château de Crèvecoeur

Alte einheimische Apfelsorten könnt ihr auch auf dem Château de Crèvecoeur entdecken, einem typisch normannischen Gut.

Manoir d’Apreval

• 5, chemin des Mesliers, 14600 Pennedepie (bei Honfleur), Tel. 02 31 14 88 24, www.apreval.com
Mitte März bis Mitte November tgl. geöffnet ab 10 Uhr; Mittagspause!

Cidre: Aus mehreren alten Apfelsorten wird Cidre komponiert. Foto: Hilke Maunder
Cidre: Aus mehreren alten Apfelsorten wird Cidre komponiert. Foto: Hilke Maunder

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2 Kommentare

  1. Hallo aus Pfronten meine frage wäre ob man auch auf den Höfen Übernachten kann über eine Nachricht würde ich mich sehr freuen da ich im September dort hin Reisen möchte gruß Jürgen

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