
Alle Normannen haben Cidre im Blut:
ein saures Getränk, das bisweilen den Schlund sprengt,
schrieb der Dichter Gustave Flaubert in seinem Roman Madame Bovary* über seine Landsleute. Sein literarischer Schüler Guy de Maupassant ließ in der Novelle Der Horla – Tagebuch eines Mörders* auf dem Jahrmarkt Cidre-Ströme fließen.
Die Äpfel des Pays d’Auge
Die Heimat des moussierenden Apfelweins ist die Normandie. Im Frühling legen die Blüten der knorrigen Apfelbäume einen rot-weißen Schleier über das Land. Im Herbst reifen kleine, feste Äpfel an ihren Ästen.
Cidre-Route zu 20 Produzenten
Mitten durch das Apfelland zwischen Cabourg und Lisieux führt die Route du Cidre. An der 40 Kilometer langen Rundstrecke produzieren rund 20 Höfe das Lieblingsgetränk von König Franz I.
Bei ihnen könnt ihr den Cidre fermier noch frisch aus dem Fass und naturtrüb vor Ort probieren. Köstlich! Für den Export muss das Nationalgetränk der Normandie pasteurisiert werden.

Cuvée aus alten Sorten
Komponiert wird der normannische Fruchtwein aus bis zu 20 verschiedenen Apfelsorten – bitteren, süßen und sauren.
Nach der Ernte werden die Äpfel gewaschen, in der Obstmühle zerkleinert und gepresst. 100 Kilogramm Fruchtfleisch ergeben bis zu 80 Liter Saft. Unter Luftabschluss vergärt danach der Fruchtzucker zu Alkohol und Kohlensäure.
Dabei ist Geduld gefragt. Rund drei Monate braucht der normannische Cidre, bis er völlig vergoren ist. Hessischer Apfelwein ist in der Hälfte der Zeit fertig. In der industriellen Produktion werden daher Hefen zugesetzt, um den Gärprozess zu beschleunigen.
Beim cidre artisanal verlassen sich die Cidre-Bauern allein auf die in den Äpfeln natürlich vorhandenen Hefen.

Cidre: Naturtrüb oder gefiltert?
Der langsame Gärprozess ist auch verantwortlich dafür, dass sich viel Kohlensäure bildet. Sie sorgt für das typische Moussieren. Während der Gärung setzen sich die Hefen und schwere Depot am Boden ab. Die leichteren Trübstoffe bilden an der Oberfläche einen braunen Rand.
Daher wird jetzt abgestochen und der Apfelwein mit einem Schlauch zwischen diesen beiden Schichten abgesaugt.
In der industriellen Produktion folgt danach die Klärung des Weins durch das Zentrifugieren und Filtern. Traditionsbewusste Produzenten wie das Manoir d’Apreval an der Seine-Mündung hingegen bevorzugen naturtrübe Varianten.
Doppel gebrannt

Aus den mehr als 2.000 Apfelsorten der Normandie wird auch ein berühmtes Lebenswasser gebrannt: der Calvados. Bernsteinfarbenen bis cognacbraun, räumt der samtige Cidrebrand zwischen den Gängen eines Menüs den Magen auf und schafft Platz für die Desserts. Faire un trou normand nennen dies die Einheimischen.
Bereits 1606 entstand die erste Brennerei-Gilde in der Normandie. Seit 1942 besitzt der Calvados Pays d’Auge eine geschützte Herkunftsbezeichnung.

Als einziger Apfelbrand der drei AOC aus der Normandie wird er zweimal gebrannt. Wie das edle Destillat aus Cidre gewonnen wird, zeigen im Pays d’Auge die Schaubrennereien führender Hersteller wie Brusnel in Cormeilles und Château de Breuil in Breuil-en-Auge.
Das Restaurant Le Pavé d’Auge im Herzen des alten Dorfes ist eine Institution. Sein Chefkoch, Jérôme Bansard, ist stolzer Besitzer des ältesten Michelin-Sterns im Calvados.
Der Cidrehof: Manoir d’Apreval

Am linken Ufer der Seine, nur wenige Kilometer von der Mündung entfernt, klettern Apfelhaine einen kleinen Hang empor. Die Luft riecht nach frischem Apfelduft. In der Ferne höre ich Maschinenlärm. Wird dort etwa gerade die neue Obsternte unter freiem Himmel verarbeitet?
Ich fahre die Schotterauffahrt hinauf, parke hinter einer Scheune – und staune. Im gesamten Hof stapeln sich Holzkisten, randvoll gefüllt mit roten, hutzeligen Äpfeln, die nichts mit der Industrieware aus dem Supermarkt gemein haben, sondern noch ihren ursprünglichen Charakter bewahrt haben.

Ein großer Schwung wird jetzt in den Trichter der Presse geschüttet und dort zerkleinert. Die Masse aus zerstoßenen Äpfeln schlagen nun zwei Kelterer in engmaschige Baumwolltücher ein, stapeln die so entstehenden Päckchen übereinander und senken ein Brett, das den Stapel zusammendrückt.

Aus der Presse läuft der frischgepresste und aromatische Saft direkt in die im Keller lagernden Edelstahltank und Eichenholzfässer.
Am liebsten würde ich mir jetzt ein Glas schnappen und trinken. Der frische Saft betört meine Sinne mit seinen Aromen.

Lauter Köstlichkeiten
17 alte Apfelsorten verwendet Agathe Letellier vom Manoir d’Apreval für die Herstellung von Apfelsaft, Cidre, Pommeau und Calvados.
Richtig lecker schmecken die Früchte jedoch nur flüssig. Beim Verzehr indes enttäuschen die Bio-Äpfel durch ihren hohen Tanningehalt.
Sämtliche Produkte des Familienbetriebs gibt es im Hofladen. Hausgemachter Cidre und Calvados stapeln sich in den Regalen, aber auch andere Produkte der Region.

Bienvenue zur Picknickpause
Zum Hof gehört zudem ein wunderschöner Picknickplatz mit Blick auf die Apfelbäume und das Blau der Seine.
Ist das nicht ein toller Ort, um Gekauftes oder Mitgebrachtes an Holztischen im Freien zu verzehren? Meine Tochter freute sich über die riesige Wiese. Kinder dürften dort nach Herzenslust toben.

Cidre erleben: noch mehr Reise-Ideen
Pays d’Auge
Was für ein Apfelland! Impressionen und Infos gibt es hier.
Château de Crèvecoeur
Alte einheimische Apfelsorten könnt ihr auch auf dem Château de Crèvecoeur entdecken, einem typisch normannischen Gut.
Manoir d’Apreval
• 5, chemin des Mesliers, 14600 Pennedepie (bei Honfleur), Tel. 02 31 14 88 24, www.apreval.com
Mitte März bis Mitte November tgl. geöffnet ab 10 Uhr; Mittagspause!

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Im Blog
Der Zaubertrank der Bretonen
Alles über den bretonischen Cidre erfahrt ihr hier.
Im Buch
Glücksorte in der Normandie*
Steile Klippen und weite Sandstrände, bizarre Felslandschaften und verwunschene Wälder, romantische Fachwerkstädtchen und moderne Architektur – die Normandie hat unzählige Glücksorte zu bieten.
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Normandie: 50 Tipps abseits der ausgetretenen Pfade*
Die Netflix-Serie „Lupin“ hat die Normandie zu einem touristischen Hotspot gemacht. Garantiert keine Massen triffst Du bei meinen 50 Tipps. Sie sind allesamt insolite, wie die Franzosen sagen – ursprünglich, authentisch und wunderschön.
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Im Tal der Seine schmücken Irisblüten auf hellem Reet die Giebel alter chaumières, und Störche brüten im Marais Vernier. Von den Höhen vom Perche geht es hin zur Normannischen Schweiz und bis zur Mündung des Couesnan an der Grenze zur Bretagne. Hier* kannst Du den handlichen Führer bestellen.
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Hallo aus Pfronten meine frage wäre ob man auch auf den Höfen Übernachten kann über eine Nachricht würde ich mich sehr freuen da ich im September dort hin Reisen möchte gruß Jürgen
Hallo Jürgen, ja, es gibt Chambre d’hôtes entlang der Route du Cidre. Zu finden sind sie hier: https://routeducidre.com/chambres-hotes/
Weitere Unterkünfte im Pays d’Auge oder an der Route du Cidre kannst Du auch auf der Website der Normandie recherchieren und sich auf der Karte anzeigen lassen: https://de.normandie-tourisme.fr/reise-planen/unterkuenfte/
Gute Reise und alles Gute, Hilke