Mit dem Opel Kapitän,Baujahr 1956, unterwegs auf der Route Nationale 7
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Nationale 7: die Straße in den Süden

Der Highway No. 1, die Route 66 in den USA oder die Great Ocean Road in Australien sind weltberühmt. Doch die Nationale 7 kennt außerhalb Frankreichs fast niemand. Dabei war diese Ferienstraße zusammen mit der Nationale 6 viele Jahrzehnte lang die Pilgerroute all jener, die ans Meer wollten.

Paris – Menton. Von der Hauptstadt ans Mittelmeer. Generationen von Franzosen sind den beiden großen Fernstraßen in den Süden gefolgt. Sie haben zum Beginn der grandes vacances Kinder und Kegel, Koffer und Co. ins Auto gepackt und haben sich in die Fahrzeugschlange eingereiht, die sich zum damals noch einheitlich Ferienbeginn am 1. Juli gen Süden schob.

Ihre Ferienstraße ans Mittelmeer war die Nationale 7. Hin nach Italien führte aus der Hauptstadt die Nationale 6. Möglich gemacht hatte den großen Sommerurlaub für alle ein Sozialist: Léon Blum.

Voyage, voyage

Reisen! 1936 wurde dieser Traum für das arbeitende Frankreich wahr. Gerade noch rechtzeitig vor der großen Sommerpause hatte der Front populaire mit Léon Blum als jüdischem Premierminister die 40-Stunden-Woche eingeführt und allen Beschäftigten zwei Wochen bezahlten Urlaubs zugesichert. Millionen Beschäftige fuhren erstmals in die Sommerferien – auf Kosten ihres Chefs.

Und nicht nur an der Côte d’Azur fragten sich die Restaurant- und Barbesitzer, ob die Fabrikarbeiterinnen und -arbeiter, die bei ihnen ankamen, überhaupt wussten, wie sie Messer und Gabel benutzen sollten. Wer Mitglied im Allgemeinen Gewerkschaftsbund CGT war, konnte als Arbeiterin und Arbeiter bis zu 40 Prozent günstigere Fahrkarten für die Bahnreise in den Süden erhalten.

Ein Land macht Urlaub

En France, les grandes vacances commencent le 1 juillet…

So stand es in Études Françaises, meinem orangefarbenem Lehrbuch aus der Quarta, mit dem ich – im Schlepptau von Monsieur Leroc, Madame Leroc, der Tochter Monique, ihrem Bruder Daniel und Freunden – nicht nur Französisch, sondern auch das Land lieben lernte.

Im Juli und August waren  damals Frankreichs Städte wie ausgestorben. Am 1. Juli machte das Land Urlaub. Schulen und Betriebe schlossen. Selbst Bäckereien in Paris hängen das Schild fermé an die Ladentür. Mit dem Hinweis: Erst nach Mariä Himmelfahrt am 15. August wird wieder geöffnet.

Den 1. Juli als Start in die Sommerferien gibt es nicht mehr. Einzig Anfang Juli gilt als Schuljahresende. In den restlichen Ferien macht la douce France längst nach Zonen Urlaub.  Für die Frühjahrs-, Herbst- und Winterferien setzt Frankreich seit 1964 die Ferienzonen A, B und C ein. Der gestaffelte Beginn der Schulferien sollte Überlastung der Urlaubsorte und der Verkehrsnetze verringern.

Die Zone A umfasst heute die Schulbereiche von Besançon, Bordeaux, Clermont-Ferrand, Dijon, Grenoble, Limoges, Lyon und Poitiers.

Die Zone B umfasst die Akademien von Aix-Marseille, Amiens, Caen, Lille, Nancy-Metz, Nantes, Nizza, Orléans-Tours, Reims, Rennes, Rouen und Straßburg.

Zur Zone C gehören Créteil, Montpellier, Paris, Toulouse und Versailles. Jede Zone hat unterschiedliche Ferientermine für die Winter-, Frühjahrs- und Sommerferien.

Der Bau der Autobahnen, die gestaffelten Ferienzeiten – und ein generell anderes Urlaubs- und Reiseverhalten haben – die Blüte der Ferienstraßen beendet.

Y’a d’la joie

Die Massen, die aus den abfahrenden Zügen winkten, wurden zum Symbol des Jahres 1936. Y’a d’la joie, sang Charles Trenet. 1959 widmete er der Ferienroute Nationale 7 sogar ein eigenes Chanson.

De toutes les routes de France d’Europe, celle que j’préfère c’est celle qui conduitEn auto, ou en auto-stop, vers les rivages du Midi
Nationale septIl faut la prendre qu’on aille à Rome, à SèteQue l’on soit 2, 3, 4, 5, 6 ou 7C’est une route qui fait recette
Route des vacancesQui traverse la Bourgogne et la ProvenceQui fait d’Paris un petit faubourg d’ValenceEt la banlieue d’Saint-Paul-de-Vence
Le ciel d’étéRemplit nos cœurs d’sa luciditéChasse les aigreurs et les aciditésQui font l’malheur des grandes cités
Tout excitésOn chante, on fêteLes oliviers sont bleus ma petite LisetteL’amour joyeux est là qui fait risetteOn est heureux Nationale sept
Route des vacancesQui traverse la Bourgogne et la ProvenceQui fait d’Paris un petit faubourg d’ValenceEt la banlieue d’Saint-Paul-de-Vence
Wa-wa-wa-wah, wa-wa-wa-wa-wahLe ciel d’étéRemplit nos cœurs d’sa luciditéChasse les aigreurs et les aciditésQui font l’malheur des grandes cités
Tout excitésOn chante, on fêteLes oliviers sont bleus ma petite LisetteL’amour joyeux est là qui fait risetteOn est heureux Nationale sept (3x)

Fotografen wie Henri Cartier-Bresson und Pierre Jamet machten die joie de vivre beim Reisen per Anhalter und beim rustikalen Camping unsterblich.

Die Ferienstraße in den Süden

Zur bekanntesten und meist genutzten Ferienstraße der Urlauber stieg ab 1936 die Route Nationale 7 auf. Als Route des vacances, route bleue oder, ganz sarkastisch, and route de la mort schrieb sie Geschichte. Ihre größte Blüte erreichte sie nach dem Zweiten Weltkrieg in den Années Glorieuses von 1945 bis 1973.

Ihr Ursprung liegt auf der Île de la Cité mitten in Paris. Von dort führt sie 931 Kilometer lang via Fontaineblau, Nevers, Moulins, Roanne, Lyon, Valence, Avignon, Aix-en-Provence, Cannes, Antibes und Nizza bis an die italienische Grenze bei Menton. Der Verlauf der 1824 angelegten Nationalstraße folgt dabei der nach Rom führenden Route Impériale 8.

Legendäre Gasthäuser

Da die Straße zu lang war, um sie in einem Stück zu befahren, entstanden an ihren Seiten legendäre Gasthäuser und Restaurants: La Mère Brazier in Lyon, Les Frères Troisgros in Roanne, La Maison Pic in Valence und die Auberge du Pont de Collonges, die Paul Bocuse 1962 der Nähe von Lyon gegründet hatte.

Doch in den 1970er-Jahren wurden die Autobahnen A6 und A7 eingeweiht. Die neuen Sprintstrecken in den Süden gaben der Nationale 7 ihre alte Ruhe wieder. Nostalgische Patina überzog die Stätten entlang ihrer Strecke. Mehr als die Hälfte ihrer 996 Kilometer wurden im Jahr 2005 zu Départementsstraßen herabgestuft, doch viele Départements behielten die Zahl 7 in der neuen Nummerierung der Straßen bei.

Museumsreife Erinnerungen

Auch zwei Museen in Mormant-sur-Vernisson im Département Loiret und in Piolenc im Département Vaucluse halten die Geschichte der Ferienstraße lebendig. Im Zuge des slow travel, des nachhaltigen Reisens, entdecken auch neue Nostalgiker wieder den Charme der Traumstraße in den Süden.

So ist sie bis heute ein magisches Band, das sanft vom Alltag in den Urlaub überführt und Wochen voller Lebensfreude verspricht. Fünf Wochen lang, denn so lange haben Arbeitnehmer heute in Frankreich Anspruch auf eine Auszeit.

Und wie einst bleiben die Franzosen am liebsten im eigenen Land. Für die Reise wählen sie wie einst das eigene Auto, die geliebte bagnole. Die Bahn nutzten laut Statistikamt INSEE nur zehn Prozent der Urlauber.

Auf den Spuren der Nationale 7

Im dritten Jahrtausend packten zwei Männer den Mythos zwischen die Buchdeckel: Wolfgang Groeger-Meier, in Frankreich geboren und aufgewachsen, heute Fotograf in München und Spezialist für Auto, Reise, People und Werbung.

Buch "In die Sonne, in die Ferne" die Autoren links mit Brille: Wolfgang Groeger-Meier, rechts Michael O.R. Kröher, Opel Kapitän
Die Autoren (v.l.): Wolfgang Groeger-Meier,Michael O.R. Kröher und ihr Fahrzeug, ein Opel Kapitän

Und Michael Kröher, der nach dem Medizinstudium als Wissenschaftsjournalist für Stern, Geo und Die Woche arbeite, bevor er 1999 als verantwortlicher Redakteur für das Ressort Forschung und Technik zum Manager-Magazin ging.

Während der gebürtige Pfälzer  in den 1970er-Jahren als Anhalter an der Nationale 7 den Daumen hochhielt, fuhr Groeger-Meier als Kind auf dem Rücksitz der elterlichen Limousine vom Wohnort bei Paris in die Sommerfrische an die Côte d’Azur.

Zeitreise auf der Straße der Sehnsucht

Gemeinsam machte sich das Autorenteam auf, um zu erkunden, was vom Mythos dieser legendären „Straße der Sehnsucht“ noch erlebbar ist. Mit einem weinroten Opel Kapitän, Baujahr 1956, durchquerten sie Burgund und die Auvergne, das Rhônetal und die Provence und sausten auf Höhenstraßen, corniches genannt, durch die Küstengebirge.

Das Buch, das aus diesem Abenteuer entstanden ist, schildert eine Reise durch Raum und Zeit. Es führt vom Glanz und Gloria der Pariser Großbürgerviertel durch die sozialen Brennpunkte der banlieues hin zu den römischen Amphitheatern in Vienne und Orange. Ihr Fahrt nimmt euch mit zur modernen Kunst der Sammlung Maeght in Saint-Paul-de-Vence, erzählt von der Grandezza der Päpste in Avignon und vom einstigen Exil der Rolling Stones in Villefranche-sur-Mer. Was für eine Reise!

Die Nationale 7 in Bildern

Die Île de la Cité und die Seine, gesehen vom Nordufer. Foto: Hilke Maunder
Die Île de la Cité und die Seine, gesehen vom Nordufer. Foto: Hilke Maunder
Bourron-Marlotte: kleines Walddorf mit großartigen Villen.
Großartige Architektur: die Villen im Walddorf Bourron-Marlotte. Foto: Hilke Maunder
Nevers an der Loire mit seiner Kathedrale. Foto: Hilke Maunder
Nevers an der Loire mit seiner Kathedrale. Foto: Hilke Maunder
Lyon. Foto: Hilke Maunder
Der Blick auf Lyon von Fourvière. Foto: Hilke Maunder
Die Kapelle in den Weinbergen von Tain-l'Hermitage. Foto: Hilke Maunder
Die Kapelle in den Weinbergen von Tain-l’Hermitage ist ein beliebter Platz für Picknicks und kulinarische Empfänge. Foto: Hilke Maunder
Der Musikpavillon von Valence. HIer: der Blick Richtung Stadt. Foto: Hilke Maunder
Der Musikpavillon von Valence. Hier: der Blick Richtung Stadt. Foto: Hilke Maunder
Die Einfahrt nach Montélimar weckt Erinnerungen an US-Highways. Foto: Hilke Maunder
Die Nationale 7 in Montélimar. Foto: Hilke Maunder
Der monumentale Stadtgründungsbogen der Römer von Orange. Foto: Hilke Maunder
Der monumentale Stadtgründungsbogen der Römer von Orange. Foto: Hilke Maunder
Die Skyline von Avignon von der berühmten Brücke. Foto: Hilke Maunder
Die Skyline von Avignon von der berühmten Brücke aus. Foto: Hilke Maunder
Mimosen - auf dem Blumenmarkt von Aix-en-Provence werden sie verkauft! Foto: Hilke Maunder
Mimosen – auf dem Blumenmarkt von Aix-en-Provence werden sie verkauft! Foto: Hilke Maunder
Port-Fréjus bei Nacht. Foto: Hilke Maunder
Port-Fréjus bei Nacht. Foto: Hilke Maunder
Der nächste schöne Tag beginnt in Cannes. Foto: Hilke Maunder
Der nächste schöne Tag beginnt in Cannes. Foto: Hilke Maunder
Antibes: "Der Nomade" von Jaume Plensa. Foto: Hilke Maunder
„Der Nomade“ von Jaume Plensa. Foto: Hilke Maunder
Cages-sur-Mer: Ein Fischer säubert sein Boot. Foto. Hilke Maunder
Ein Fischer säubert sein Boot in Cagnes-sur-Mer. Foto. Hilke Maunder
Der Hafen von Nizza. Foto: Hilk Maunder
Der Hafen von Nizza. Foto: Hilke Maunder
Die Altstadt von Menton im Gegenlicht des Morgens. Foto: Hilke Maunder
Die Altstadt von Menton im Gegenlicht des Morgens. Foto: Hilke Maunder

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Nationale 7: das Buch.

Michael O.R. Kröher/Wolfgang Groeger-Meier, In die Sonne, in die Ferne – auf einer Straße der Sehnsucht ans Mittelmeer*

Bei ihrer Suche nach dem Geist und dem Vermächtnis der historischen Nationale 7 finden die beiden Männer die Bistros der renommierten Dreisterne-Restaurants am Weg, erkunden die Weinregionen an der Loire, bei Tain-l’Hermitage und um Châteauneuf-du-Pape – und landen immer wieder in Werkstätten, die automobile Schätze rekonstruieren. Die Panoramen und Szenen, die Wolfgang Groeger-Meier eingefangen hat, nehmen rund die Hälfte des 174 Seiten dicken Werkes ein.

Jedem Reise-Kapitel steht ein Exkurs an die Seite: zur französischen Integrationspolitik und zur Tradition der Anisschnäpse, zur Geschichte der Römer in Frankreich und zum Boules-Spiel. Wer mag, kann den Band hier* online bestellen. Mehr zur Route und zur Reise verrät das Autorenteam in seinem Blog: www.nationale7.me.

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2 Kommentare

  1. Nach einigen verregneten Sommerurlauben in den frühen 60ern in Holland wurde Fréjus als neues Ziel für die Ferien ausgewählt. Sowohl auf Hin- als auch Rückfahrt war einige Jahre die N7 ein Großteil der Strecke. Ganz besonders erinnere ich mich an Montélimar: Hier musste unbedingt Station gemacht werden, natürlich wegen des Nougats!
    In Fréjus wohnten Freunde direkt an der N7 und ich blieb zwei Woche mit den beiden Jungs in meinem Alter (12).
    Ich habe mein Französisch, das ich gerade zu lernen begonnen hatte, deutlich verbessert und hatte keine Sekunde bereut, Französisch dem Latein vorgezogen zu haben.

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