
Saint-Gervais-sur-Mare ist eines dieser Dörfer im Hérault, die fernab der Küste die Muße und Ursprünglichkeit von la France profonde bewahrt hat. Ursprünglich, authentisch und im Rhythmus der Natur.
Pilger wandern durch das Dorf. Neo-Rurale bleiben und vollenden dank Internet und E-Commerce jenen Traum vom Leben auf dem Lande, den John Seymours Bücher begründeten. Und alle, die sich für Steine und Fossilien interessieren, entdecken ein geologisches Paradies.

Le Midi ganz authentisch
Im Winter ist das Klima rau, und der Schnee bedeckt die Natur mit einem glitzernden, eiskalten Mantel, der unter dem Licht der mediterranen Sonne schmilzt. Sobald es wärmer wird, erfüllt das Zirpen der Zikaden die Luft und begleiten die Fahrt auf malerischen Straßen, die die Schieferhänge ringsum erklimmen.

Grandioser Weitblick
Dann ragt auch im Norden von Saint-Gervais-sur-Mare auf einem Grat ein Burg-Dorf auf, das im 15. Jahrhundert verlassen wurde: Neyran. Sein Wahrzeichen ist die Ruine seines Glockenturms.
Im Westen erhebt sich aus altem Gneis das Massiv von Espinouse, das am Sommet d’Espinouse 1124 Meter hoch aufragt. Sein Kamm bildet die Wasserscheide zwischen Atlantik und Mittelmeer und offeriert einen grandiosen Weitblick vom Mittelmeer bis zu den Pyrenäen.

Pilgerdorf der Via Tolosana
Mitten durch den alten Pilgerort, der südlich der Mare liegt, plätschert die Casselouvre. Sie trennt das mittelalterliche Dorf an der Via Tolosana in zwei Teile. Der ältere Bereich erstreckt sich als Labyrinth steiler Kopfsteingassen und Treppenwege am rechten Ufer zwischen der Pfarrkirche und den Ruinen der Burg.

Die Église Saint-Gervais-Saint-Protais ist Pflichtstopp der Wanderer, die mit der Via Tolosana auf einem der „Wege der Jakobspilger in Frankreich“ unterwegs sind. Seit 1998 gehören die Pilgerpfade zum Welterbe.
Der älteste Teil der romanischen Kirche ist ihr zweistöckiger Glockenturm. Sein Bau begann im 11. Jahrhundert. 1288 wurde er eingeweiht. Mehrmals wurde er seitdem zerstört und wieder aufgebaut.

Im 14. Jahrhundert wurde er daraufhin befestigt und mit Schaluppen versehen. Auch nach den Religionskriegen im 16. Jahrhundert wurde er wieder aufgebaut. Seine Ecken des Turms sind aus behauenem Sandstein. Die Wände indes bestehen aus grob behauenem Schiefer .

Die Pfarrkirche besitzt ein Tonnengewölbe, das auf Doppelsäulen ruht. Im Inneren befinden sich eine romantische Orgel, eine neogotische Kapelle auf der rechten Seite des Kirchenschiffs sowie Möbel aus dem 19. Jahrhundert. Statuen zeigen Jeanne d’Arc, den Pfarrer von Ars und Sacré Cœur.


Fassroller und Nagelschmieden
Viele Jahrhunderte lang war Saint-Gervais ein wichtiges Zentrum für den Weinbau des Hérault. Damals fertigten 160 cercliers aus den jungen Stämmen der Kastanienbäume jene hölzernen Ringe, die über die Fässer gezogen wurden, um sie zu rollen. Diese Aufgaben übernahmen die barrouls. Jene Fassroller waren nicht nur Männer, sondern oft auch Frauen.
Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs erfüllt das Hämmern der cloutiers die alten Gassen. Vom Hufnagel über den Zimmermannsnagel bis zum großköpfigen Ziernagel, der bis heute die alten Türen ziert, hatten einst Nagelschmiede in Saint-Gervais alle Arten von Nägel hergestellt.

Kohle, Silber und sogar Gold
Am Ende der 1980er-Jahre war auch für den Kohlebergbau Schluss. Einzig die Schlackenhalden, heute begrünte Hügel, erinnern heute daran, dass neben der Kohle auch Eisen und Blei, Kupfer, Zink und Phosphat gewonnen wurden in Saint-Gervais. Es gab Kalköfen, Kachelwerke und Marmorbrüche. Selbst Bauxit, Baryt und sogar Gold, Silber und Uran wurden einst hier gewonnen.

Auch das Geologiemuseum ist inzwischen geschlossen. Doch die Geologie stören so kurze Zeiten kaum. Sie ist bis heute hier so einzigartig reich wie selten in Frankreich. Fast alle geologischen Stufen sind bei Saint-Gervais vertreten. Fast alle Gesteinsarten – Eruptivgestein wie Metamorphite – lassen sich rund um das Dorf sammeln.
Paradies für Fossiliensammler
Und Fossilien: Trilobiten, die vom Kambrium bis zum Massensterben im Perm die Meere bevölkerten, urzeitliche Weichtiere und prähistorische Farne – 500 bis 600 Millionen Jahre der Erdgeschichte erzählt der Hérault zwischen dem Massif Central und dem Mittelmeer.

Allein 250 Millionen Jahre lang wuchsen die Ablagerungen des Urmeeres rund um Saint-Gervais. Die hercynischen Faltung ließ das Hérault-Gebirge entstehen und veränderte dabei die Ablagerungen in der Tiefe.
Aus Ton wurde Schiefer, aus Kalkstein Marmor. Granit und Gneise gesellten sich zu ihnen und sorgten für jene sauren Böden, die der Steineiche nichts ausmachen und die Kastanie liebt. Beide sind ständige Begleiter beim Wandern und Staunen in den Bergen von Saint-Gervais-sur-Mare.

Saint-Gervais-sur-Mare: meine Reise-Tipps
Hinkommen
Saint-Gervais-sur-Mare erstreckt südlich des Flusses Mare im Massiv der Monts de l’Espinouse im Norden des Départements Hérault nahe der Grenze zu Aveyron und Tarn im Herzen des Parc Naturel Régional du Haut-Languedoc. Der Casselouvre fließt mitten durch den Pilgerort an der Via Tolosana.
• www.stgervaissurmare.fr
Auto
Von der Landeshauptstadt Béziers, 50 Kilometer südöstlich, führt die D 909, die später D 909 heißt, nach Saint-Gervais-sur-Mare.
Bahn
Der Bahnhof von Saint-Gervais ist der Gendarmerie gewichen. Der nächstgelegene Bahnhof befindet sich heute im 19 Kilometer entfernten Bédarieux.
Schlemmen & genießen
Café-Brasserie Le Sant-Gervais
Vom Frühstück bis zur Nacht: Gérald Gras’ Ecklokal ist eine Institution. Zu essen gibt es typische Kneipen-Klassiker wie Croque Monsieur, Huhn mit Pommes-Frites oder planches, Platten mit Käse oder Schlachtwaren zum Teilen.
• 4, place de l’église, 34610 Saint Gervais-sur-Mare, Tel. 04 67 23 61 98, www.lesaintgervais.fr
L’Echo des Sources
„Das Echo der Quellen“ hat Christine Carrière ihren Biohof genannt, auf dem sie Hühner und Forellen züchtet, Gäste mit köstlicher Naturküche bewirtet – und im Sommer Live-Konzerte und andere Events veranstaltet.
• 2, route de Castanet-le-Bas, 34610 Saint Gervais-sur-Mare, Tel.04 67 23 65, www.facebook.com
Schlafen
La Bruyère
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• 5, rue de la Marianne, 34610 Saint-Gervais-sur-Mare, Tel. 04 67 23 97 91, www.la-bruyere.net
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Wieder ein Highlight im Südwesten.Super wäre eine Karte auf der die bisher vorgestellten Orte verzeichnet sind,am besten gleich hinterlegt mit einem Link zum veröffentlichen Artikel.
Ein gutes gesegnetes Neues Jahr mit vielen neuen Erfahrungen.
Liebe Grüße Uwe
Hallo Uwe, die Karte gibt es – auf der Startseite von Meinfrankreich.com – mit Links zu allen Beiträgen. Da sie langsam unübersichtlich wird, bitte zoomen. Ich freue mich über jeden Tipp, der sie als WordPress-Experte schöner gestalten könnte, sprich, die Regionen zusammenfassen könnte mit Unterkarten. Doch jetzt erst einmal: frohes Stöbern. Viele Grüße! Hilke