"Im Bildband Discover Irma≤/em>haben zehn Fotografen die Schäden auf der Insel festgehalten", erzählt Angelika. Foto: Hilke Maunder
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Irma – so erlebten wir den Hurrikan

2017 tobte Irma in der Karibik. Dort daheim ist eine Hamburgerin, die ich im Februar 2022 bei einer Reise nach Saint-Martin kennenlernte: Angelika „Angie“ Preuss. 1966 wurde sie in Hamburg als Angelika Soeffker geboren. Nach der Schule hat sie dort eine Ausbildung zur Industriekauffrau abgeschlossen, dann Germanistik und Amerikanistik studiert und später acht Jahre lang in der Marketing-Abteilung von Golfino in Deutschland gearbeitet.

2015 zog sie mit ihrem Mann und ihren Söhnen nach Saint-Martin / Sint Maarten. Dort machte sie sich im Tourismus-Marketing der kleinsten bewohnten Karibik-Insel, die zwei Staaten gehört, selbstständig. Seitdem vermittelt sie Kreuzfahrern und anderen Besuchern bei geführten Touren, auf Social-Media-Kanälen und in ihrem Blog den Zauber der Karibik. Bei unserem Treffen an der Baie Orientale erzählte mir Angie, wie sie die Naturkatastrophe erlebt hatte. Merci !


Am 5. September 2017 hatten wir den Hurrikan Irma. Wir waren direct hit, wir hatten zwei Monate lang keinen Strom, kein Wasser. Diese Temperaturen, keine Klimaanlage, kein Kühlschrank, keine Kommunikation, kein Zugang zu Geld und die Geschäfte geplündert – kaufen konntest du also auch nichts. So begann der harte Überlebenskampf. Der Sturm an sich war schlimm, zehn Stunden lang.

Wir lagen flach auf dem Boden im Badezimmer unter einer Matratze. Das war schon hart. Doch schlimmer war die Zeit danach, bis die Armee kam. Die Armeen kamen aus Frankreich und den Niederlanden. Beide haben aber noch die anderen Hurrikans abgewartet. Denn nach Irma kamen noch José und Maria. Wir dachten schon, da kommt niemand mehr. Wir fühlten uns wie abgeschnitten von der Welt.

Von Irma zerstört: Hotels an der Nettlé Baie. Foto: Hilke Maunder
Von Irma zerstört: Hotels an der Baie Nettlé. Foto: Hilke Maunder

Aber mein Mann war zuversichtlich und sagte: Warte nur ab, die kommen schon und bringen alles mit. Und so war es dann auch. Aber wenn du keinen Strom hast, verlangsamt sich dein ganzes Lebenstempo. Dann ist ein Tag ewig. Als der Strom wieder kam, beschleunigte sich alles wieder. Wir hatten dann eine Moskitoplage, weil die ganzen Pool-Pumpen nicht funktionierten.

Dann ging der Tauschhandel los. Als es nichts mehr gab, begannen die Diebstähle. Und das Plündern. Denn alles, was du hattest, und die anderen nicht mehr besaßen, und man konnte ja nichts kaufen, wurde dann sich „besorgt“. Zuerst gingen sie in die leeren Villen und in die Geschäfte, und dann kamen sie nachts auch zu Dir. Seitdem haben wir einen Hund. Da hat jeder versucht, zu überleben.

Die Ordnung hergestellt wurde in dem Moment, als das Militär kam. Es hat alles mitgebracht. Sie hatten ein riesiges Kriegsschiff, das draußen lag, und dann sind sie angelandet am Strand und haben einen Tag lang schweres Gerät angelandet: LKW, Bagger, Generatoren, Zelte, Plastikplanen, Wasser, Trinkvorräte, da konnte man mit einer leeren Flasche hingegen und sie auffüllen.

Wo? Quelle: Discover Irma. Foto: Hilke Maunder
Welch ein Anblick auf der Insel nach Irma: abgeknickte Palmen, aufgespießte Autos. Quelle: Discover Irma. Foto: Hilke Maunder

Trinkwasser war das Schlimmste, fand ich. Mein Mann hat allen, die die Straße freigeräumt haben, Wasser gebracht – der September ist der heißeste Monat! Er hat ihnen unsere Wasservorräte gegeben, und ich dachte nur, wer weiß, wie lange wir noch etwas haben. Zwar gab es einige Zisternen, aber ohne Strom kriegst du das Wasser nicht aus der Zisterne.

Du hast aber auch ganz schöne Erlebnisse. Meine Nachbarin hat dann nach sechs Wochen – ich hatte mir sechs Wochen lang nicht die Haare gewaschen – mit mir und meinem Sohn ihr Wasser aus ihrer Zisterne geteilt, denn ihrem Mann war es gelungen, den Generator anzuschließen und Benzin aufzutreiben, sodass man bei ihr duschen konnte.

Es war alles dreckig zu Hause, weil man ohne Wasser auch nicht sauber machen konnte. Es war alles voller Sand. Den ganzen Dreck, der mit dem Sturm ins Haus gekommen war, konntest du zwar fortfegen. Aber alles, was du angefasst hast, war ja nass. Das hat dann das Salzwasser kaputtgemacht. Nach drei Wochen ist alles aus Metall zu Staub zerfallen wegen des Salzes.

Die Einheimischen sagen, es hat noch nie einen so starken Sturm gegeben. Es hatte bereits 20 Jahre zuvor am selben Tag einen verheerenden Sturm gegeben. Jener jedoch hatte nicht so viel Energie besessen, sondern ist so lange über der Insel hin und her gegangen. Doch Irma saß richtig über Sant-Martin. Da dauerte der Wiederaufbau noch viel länger.

Zerstörtes Haus in Oyster Pond. Foto: Hilke Maunder
Zerstörtes Haus in Oyster Pond. Foto: Hilke Maunder

Aber als wir nach Irma auch wieder Strom und damit auch Internet hatten, klappten schnell die logistischen Wege wieder. Wir hatten in den ersten Tagen des Sturms nicht einmal einen Wetterbericht. Da sind Flieger über uns geflogen und haben Zettel abgeworfen: Versteckt euch! Und wir haben uns umgeguckt und gesagt: Wo denn? Es war alles zerstört. 90 Prozent der Häuser waren unbewohnbar. Man hatte keine Möglichkeit, sich noch irgendwo unterzustellen.

Wir hatten dann Glück, dass der Hurrikan José uns quasi verfehlt und der Zyklon Maria uns nur gestreift und ganz viel Regen gebracht hat. Und dann fing auch die Vegetation an, wieder auszutreiben. Denn es war alles braun. Das war ein ganz komisches Gefühl. Es gab nichts Grünes mehr auf der Insel. Alles war weg. Alles war braun.

Die Rinden der Bäume waren wie abgeschält. Die Häuser waren wie sandgestrahlt. Dieser Mix aus Regenwasser, Meerwasser, Sand und zerriebener Vegetation: Das war so, als ob du mit einem Hochdruckreiniger die Insel einmal abgewaschen hättest. Solch ein Erlebnis brauche ich nicht wieder, und ich habe eine tiefe Sicherheit, dass dies so nicht wieder passieren wird.

So sah es nach Irma in Marigot aus. Quelle: Discover Irma. Foto: Hilke Maunder

Was war der Auslöser, dass Irma so intensiv war?

Sie sagen, es liegt am Klimawandel. Die Einheimischen sagen, die Energien waren unnatürlich stark. Es war nicht Wind. Es war wie eine Apokalypse. Wir haben unsere Wohnungstür verloren, eine richtig dicke Haustür. Sie stand 90 Grad zum Meer. Dennoch hatten wir irgendwann gespürt, dass der Wind da drauf drückte.

Der Druck ist um die Ecke gekommen. Die Männer haben dann alles vor die Tür gestellt: Möbel, Kühlschrank, so, dass kein Spiel war bis zu gegenüberliegenden Seite – und die Tür ist dennoch reingeflogen. Aus dem Mauerwerk war der Rahmen herausgebrochen!

Die Baie Orientale. Foto:Hilke Maunder
Die Baie Orientale. Foto:Hilke Maunder

Der Wind kam in Böen mit bis zu mehr als 300 km/h. Das Inferno dauerte zehn Stunden. Es baute sich langsam auf bis zum Höhepunkt. Da wir ein direct hit waren, gab es dann die Phase von 45 Minuten, in der alles still war. Während dieser kurzen Zeit sind die Menschen geflüchtet, hinauf in höhere Gebiete, weg vom Meer.

Kurz nach dem Sturm hat es überall gebrannt. Da brannten Schiffe, die eigentlich vor Anker lagen, plötzlich hier auf der Straße. Die Boote, die kreuz und quer an Land herumlagen, wurden auch sofort geplündert.

Viele Boote haben dann gebrannt. Denn sie waren nicht gegen Hurrikan versichert gewesen, aber gegen Brand. Autos brannten, Häuser brannten. Es hat extrem viel gebrannt.  Doch nicht immer war es Brandstiftung. Wegen des Wassers gab es auch viele Kurzschlüsse.

Wieder neu aufgebaut wurde auch dieses Haus an der Baie Orientale. Foto: Hilke Maunder
Wieder neu aufgebaut wurde auch dieses Haus an der Baie Orientale. Foto: Hilke Maunder

In Orient Bay stand das Meer bis zur höher gelegenen Hauptstraße.  Durch jedes Gebäude, das heute hier wieder steht, sind die Wellen durch. Mitten durch das Erdgeschoss. Das Meer hat den Sand mitgebracht. Und als es wieder abgelaufen ist, hat es den Sand zurückgelassen.

Bis zur Decke hoch blieb mancherorts der Sand liegen. Das Salzwasser hat die elektrischen Leitungen zerstört, der Sand die Rohre verstopft. Alles, was heute in Orient Bay steht, wurde komplett entkernt. Ich bin wirklich stolz auf alles, was in der kurzen Zeit geschaffen wurde. Da ist jetzt alles tippitoppi und schick. Es ist hier jetzt alles wie Neubau-Erstbezug. Neue Möbel, alles neu. Noch immer wird gebaut und saniert.

Foto: Hilke Maunder

Hintergrund

Der 6. September 2017 wird den Bewohnern von Saint-Martin für immer in Erinnerung bleiben. Zwischen 2 Uhr morgens und 12 Uhr mittags traf der Hurrikan Irma auf die kleine Antilleninsel und zerstörte alles, was ihm in den Weg kam.

Mit anhaltenden Winden von über 350 km/h, Wellen von mehr als zehn Metern und der Überflutung ganzer Stadtviertel durch das Meer war Irma der stärkste Wirbelsturm, der jemals in diesem Teil der Erde beobachtet wurde. Das gewaltige Phänomen, das eine Fläche von der Größe des französischen Mutterlandes hatte, hat überall auf der Insel Verwüstung und Chaos angerichtet.

Foto: Hilke Maunder
Foto: Hilke Maunder

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Im Blog

Alle Beiträge zu Saint-Martin findet ihr hier.

Im Buch

Discover Irma

Leider nur auf der Insel erhältlich ist der 128 Seiten dicke Bildband von zehn Fotografen, die die Folgen von Irma im Bild festgehalten haben. Es sind erschreckende, aber auch berührende Aufnahmen. Eine Apokalypse im karibischen Licht, eine Naturkatastrophe, so unwirklich und doch hautnah.

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