Saint-Quentin-la-Poterie. Foto: Hilke Maunder
| |

Saint-Quentin-la-Poterie: das Töpferdorf

Es war der Markt von Saint-Quentin-la-Poterie, der meine Freunde gelockt hatte. Der große Markt an jedem Freitagmorgen, zehn Radminuten von ihrem Ferienhaus bei Uzès entfernt.

Unter und um die Halle Joseph Monier bogen sich die Städte der Händler. Auf Holzbrettchen boten sie Hartwürste, Schinken und handgefertigten Käse von Kuh, Ziege und Schaf zur Verkostung an.

Saint-Quentin-la-Poterie. Foto: Hilke Maunder
Hartwürste in reicher Auswahl mit unterschiedlichstem Innenleben gibt es dort auf dem Markt.. Foto: Hilke Maunder

Der große Markt

Imker luden ein, ein Holzstäbchen in ihre Honige zu stecken und zu kosten: Macchia! Lavendel! Kastanie, herb und dunkel. Olivenöl und Wein, Obst und Gemüse der Saison, gedrechseltes Holz, provenzalische Stoffe, Schuhkartons mit Sandalen und Stilettos, T-Shirts, Taschen und selbst Matratzen, hochgestellt und angelehnt gegen den Kleinlaster: ein Rausch der Sinne, ein Gewirr der Stimmen und Sprachen.

Saint-Quentin-la-Poterie. Foto: Hilke Maunder
Ziegenkäse, nett verpackt – und sehr köstlich! Foto: Hilke Maunder

Eine Stunde lang hatten wir uns zugebilligt, zwei wurden es – zu verführerisch waren die Auslagen. Danach stärkten wir uns  in einem der Cafés am Rande des Marktes. Dort trafen sich alle, die eine kleine Pause brauchten – und doch dem Trubel nah sein wollten.

Saint-Quentin-la-Poterie. Foto: Hilke Maunder
Foto: Hilke Maunder

Moniers bahnbrechende Erfindung

Mein Blick blieb an der geschwungenen Stahlbeton-Konstruktion der halb offenen Markthalle hängen. Möglich machte sie ein Gärtner, der 1823 in Saint-Quentin-la-Poterie geboren war: Joseph Monier (1823 – 1906).

Dieser entdeckte den Stahlbeton, als er nach einer Möglichkeit suchte, Orangenkübel für den Park der Herzöge von Uzès billiger und widerstandsfähiger herzustellen.

Die halb offene Markthalle aus Stahlbeton von Saint-Quentin-de-Poterie. Foto: Hilke Maunder
Die halb offene Markthalle aus Stahlbeton von Saint-Quentin-la-Poterie. Foto: Hilke Maunder

Die Lösung fand Monier, als er in Paris Kurse im Jardin des Plantes besuchte und zusätzlich zu seiner Arbeit als Gärtner im Louvre eine kleine Werkstatt übernahm.

Monier adaptierte dort erstmals die Kunst der Steingärten, die durch das Aufspritzen von Zement auf einen Eisenzaun hergestellt werden – und schuf nach dem gleichen Prinzip Blumenkästen aus bewehrtem Zement.

Beflügelt durch deren Erfolg, begann Monier, auch  Terrassen, Becken und Tränken aus bewehrtem Zement herzustellen. 1875 entwarf Monier für das Schloss Chazelet die erste Stahlbetonbrücke der Welt. Sie existiert bis heute!

Saint-Quentin-la-Poterie. Foto: Hilke Maunder
Am Rande des Marktes musizieren Straßenmusikanten. Foto: Hilke Maunder

Das lebendige Erbe der Töpfer

Berühmter als für Monier ist die Kleinstadt sechs Kilometer nördlich von Uzès für ein anderes Handwerk. Seit acht Jahrhunderten wird in Saint-Quentin getöpfert.

Bei Ausgrabungen im päpstlichen Keller von Châteauneuf-du-Pape entdeckte der Historiker Sylvain Gagnière 1960 fast tausend glasierte, feuerfeste Terrakottafliesen.

Saint-Quentin-la-Poterie. Foto: Hilke Maunder
Foto: Hilke Maunder

Viele waren einfarbig, grün oder gelb, manchmal auch dunkelbraun. 1963 wurde im Palast der Päpste von Avignon ein Fußboden aus dem 14. Jahrhundert freigelegt, der sich noch in situ befand.

Er befand sich im Atelier von Benedikt XII, das zwischen 1334 und 1342 erbaut worden war. Auch jene Fliesen stammten aus den Werkstätten der Uzège. Die ersten und größten Aufträge kamen aus Saint-Quentin-la-Poterie.

Saint-Quentin-la-Poterie. Foto: Hilke Maunder
Foto: Hilke Maunder

Neben Fliesen für die Ausschmückung von Häusern fertigten die Töpfer vor allem Gebrauchskeramik: Tonkrüge für den Transport von Wasser. Töpfe zum Kochen, Amphoren für die Aufbewahrung von Wein, Öl und Getreide, Teller und Tassen, Schalen und Schüsseln. Im 19. Jahrhundert gesellten sich  Ton- und Meerschaumpfeifen hinzu.

Saint-Quentin-la-Poterie. Foto: Hilke Maunder
Foto: Hilke Maunder

Heute arbeiten einige der örtlichen Töpfer rein dekorativ und stellen auch Schmuck oder Lampen aus Ton her. Rund 40 Kunsthandwerker-Werkstätten gibt es heute in Saint-Quentin-la-Poterie, das mit dem Label Villes et Métiers d’Art (Städte und Kunsthandwerk) ausgezeichnet ist. 35 von ihnen sind Töpfereien und Keramikstudios.

Alleinstellung dank Dekret

Der Namensgeber des Dorfes ist ein Märtyrer aus der Picardie: Quentin de Vermand. Seinen Namenszusatz la Poterie erhielt das  3000 Einwohnerstädtchen erst 1886 per Dekret.

Der damalige Staatspräsident Jules Grévy machte es damit möglich, diesen besonderen Ort von den 142 anderen Saint-Quentins im Land zu unterscheiden und zu beleben – befand sich doch die Töpferei damals im Niedergang.

Saint-Quentin-la-Poterie. Foto: Hilke Maunder
Foto: Hilke Maunder

Eine neue Blüte der traditionsreichen Handwerkskunst begannt 1983, als Claire und Charles Eissautier sich als die ersten Töpfer wieder in Saint-Quentin-la-Poterie niederließen und zu töpfern begannen.

Terralha: das Töpferfestival

Zuvor hatten sie zehn Jahre lang am korsischen Cap Corse getöpfert. 1984 lockte im Juli der erste Töpfermarkt von Terralha mit 70 Keramikern aus ganz Frankreich 10.000 Besucher an.

Heute gehört das Terralha-Festival zu den wichtigsten Events der Branche. Alljährlich werden spannende Keramiker aus ganz Europa eingeladen, dort im Juli ihre neuesten Kreationen zu präsentieren.Die besten drei Keramiker werden am Ende des Festivals mit Preisen ausgezeichnet.

Saint-Quentin-la-Poterie. Foto: Hilke Maunder
Foto: Hilke Maunder

Das Keramik-Museum

1985 erwarb Nicole Bouyala als Bürgermeisterin von Saint Quentin-la-Poterie die Huilerie Auvergne und ließ in dieser alten, durch Tiere angetriebenen Karussell-Ölmühle aus dem 16. Jahrhundert ein Museum der Mittelmeer-Töpferkunst einrichten.

Schenkungen, Leihgaben von Arnaud Maurières und Éric Ossart sowie Ankäufe ließen die Sammlung kontinuierlich wachsen. Im Juli 1998 eröffnete schließlich das Musée de la Poterie Méditerranéenne.

Saint-Quentin-la-Poterie. Foto: Hilke Maunder
Das Musée de la Poterie Méditerranéenne. Foto: Hilke Maunder

Das Museum birgt traditionelle glasierte Steingutkeramik aus Saint-Quentin-la-Poterie, Pfeifen und Terrakotta aus der Fabrik Job Clerc  sowie 700 glasierte oder rohe Objekte aus Ton, die im Alltag einst zum Einsatz gekommen waren.

Hinzu kommen jährlich mehrere Wechselausstellungen, die Keramikkünstler und -künstlerinnen wie Alice Victorine und Antoinette Colonieu vorstellen oder Themen präsentieren – von Nabeul en vert et jaune über Poteries d’Oc Poteries d’eau bis hin zu L’Esprit Vallauris : les années 50.

Saint-Quentin-la-Poterie. Foto: Hilke Maunder
Foto: Hilke Maunder

2021 war erstmals eine Wanderausstellung mit vier weiteren Keramikorten Frankreichs zu sehen. La Bouteille stellte die Flasche als Objekt und Motiv ins Zentrum dieser thematischen Ausstellung, die damals acht Keramiker zusammenbrachte: Karin Bablock, Daphne Corregan, Pascal Geoffroy, Ahryun Lee, Hélène Morbu, Aline Morvan, Zélie Rouby und Marc Uzan.

Ortsansässige Künstler stellt die Galerie Terra Viva das ganze Jahr über in zahlreichen Ausstellungen vor. Neben Skulpturen und Designerschmuck werden auch dekorative Objekte gezeigt, die von den Keramikern in Saint-Quentin-la-Poterie von Hand geschaffen wurden.

Saint-Quentin-la-Poterie. Foto: Hilke Maunder
Foto: Hilke Maunder

Saint-Quentin: meine Reisetipps

Schlemmen

La Cuisine du Boucher

Ossobucco, Risotto mit Meeresfrüchten, Putenfilet oder Deftiges vom Schwein, aber auch Burger und planches zum Teilen mit Käse und/oder Wurstwaren: Das beliebte Lokal am Markt führt für jeden Geschmack und jeden Geldbeutel etwas Passendes auf der Karte.
• 1, Avenue du Marché, 30700 Saint-Quentin-la-Poterie, Tel. 04 66 22 35 05, www.facebook.com/La-Cuisine-du-Boucher

Le restaurant des potiers

Wolfsbarsch auf einem Tagliatelle-Nest, hausgemachtes Cassoulet, Tartar vom roten Thunfisch, Perlhuhn-Supreme mit Flusskrebsen, Fischsuppe nach Setoiser Art oder deftiges Sauerkraut: Die gehobene Marktküche im Wechsel der Jahreszeiten ist köstlich!
• 23, Rue de la Fontaine, 30700 Saint-Quentin-la-Poterie, Tel. 04 66 57 66 10, www.facebook.com/LeCafeDesPotiers

Bar du Marché

Der Tipp eines Lesers, der dort ein Ferienhaus hat. Er lobt ihre preiswerte, einfache und manchmal sehr deftige bodenständige Küche, in der die Marktleute zu essen pflegen.
• Rue du Docteur Blanchard, 30700 Saint-Quentin-la-Poterie, Tel. 04 66 74 24 93, www.facebook.com

Schlafen
Booking.com

Uzès: Treffpunkt der Altstadt: die Place aux Herbes. Foto: Hilke Maunder
Treffpunkt der Altstadt von Uzès: die Place aux Herbes. Foto: Hilke Maunder

In der Nähe

Uzès

Die Hauptstadt des ältesten Herzogtums von Frankreich habe ich hier vorgestellt.

Lussan

Kamisardenkämpfe haben das befestigte Bergnest Lussan geprägt. Entdeckt den malerischen Ort hier.

Saint-Quentin-la-Poterie. Les Volets Rouges. Foto: Hilke Maunder
Saint-Quentin-la-Poterie. Les Volets Rouges. Foto: Hilke Maunder

Gefällt Dir der Beitrag? Dann sag merci mit einem virtuellen Trinkgeld.
Denn nervige Banner oder sonstige Werbung sind für mich tabu.
Ich setze auf Follower Power. So, wie Wikipedia das freie Wissen finanziert.

Unterstütze den Blog! Per Banküberweisung. Oder via PayPal.

Weiterlesen

Im Blog

Wenn du hier bist, solltest du das Weltkulturerbe Pont du Gard nicht verpassen. Wie wär’s, einmal dorthin zu paddeln?

https://meinfrankreich.com/pont-du-gard/

Im Buch

Okzitanien abseits GeheimtippsOkzitanien: 50 Tipps abseits der ausgetretenen Pfade*

Okzitanien ist die Quintessenz des Südens Frankreichs. Es in den Höhen der Cevennen, endet im Süden am Mittelmeer – und präsentiert sich zwischen Rhône und Adour als eine Region, die selbstbewusst ihre  Kultur, Sprache und Küche pflegt. Katharerburgen erzählen vom Kampf gegen Kirche und Krone, eine gelbe Pflanze vom blauen Wunder, das Okzitanien im Mittelalter reich machte.

Acht Welterbestätten birgt die zweitgrößte Region Frankreichs, 40 grands sites – und unzählige Highlights, die abseits liegen. 50 dieser Juwelen enthält dieser Band. Abseits in Okzitanien: Bienvenue im Paradies für Entdecker!  Hier* gibt es euren Begleiter.

Le Midi*

Die poule au pot ist eine der 80 echten, authentischen Speisen, die ich bei meiner kulinarischen Landpartie durch den Süden von Frankreich entdeckt habe. Zwischen Arcachon, Hendaye und Menton schaute ich den Köchen dort in die Töpfe, besuchte Bauern, kleine Manufakturen, Winzer und andere lokale Erzeuger.

Gemeinsam mit dem Fotografen Thomas Müller reiste ich wochenlang durch meine Wahlheimat und machte mich auf die Suche nach den besten Rezepten und typischsten Spezialitäten der südfranzösischen Küche. Vereint sind sie auf den 224 Seiten meines Reise-Kochbuchs Le Midi.

Ihr findet darin 80 Rezepte von der Vorspeise bis zum Dessert, Produzentenportaits, Hintergrund zu Wein und Craftbeer, Themenspecials zu Transhumanz und Meer – und viele Tipps, Genuss à la Midi vor Ort zu erleben. Wer mag, kann meine 80 Sehnsuchtsrezepte aus Südfrankreich hier* online bestellen.

* Durch den Kauf über den Partner-Link, den ein Sternchen markiert, kannst Du diesen Blog unterstützen und den Blog werbefrei halten. Für Dich entstehen keine Mehrkosten. Ganz herzlichen Dank – merci !

2 Kommentare

  1. Oh, der Markt von St.Quentin! Ein einziger Grund, um wieder nach Frankreich zu fahren. Dummerweise haben wir dem örtlichen Winzer nicht viel, viel mehr abgekauft. Jeden Tag radelten wir hierher für frisches Baguette. Käse und Wurst verdrängten für vier Wochen die Marmelade. Wer es noch nicht gelernt hat, zu leben, der lernt es hier…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert