Saintes: Das charmante Herz der Saintonge
In Saintes schwang sich jahrhundertelang die einzige Brücke über den Unterlauf der Charente, über die unzählige Pilger auf dem Jakobsweg nach Santiago de Compostela zogen, und lange vor dem Kolosseum in Rom wurde in Saintes ein riesiges römisches Amphitheater erbaut, das heute als Bühne für Freiluftkonzerte dient.
Trotz des beeindruckenden Arc de Germanicus, der direkt am Ufer der Charente thront, ist Saintes bis heute ein eher wenig besuchtes Juwel des Départements Charente-Maritime. Saintes konnte so seine ganz eigene Ausstrahlung bewahren: den Charme seiner Straßen mit den typischen, hellen Fassaden, seine charmant provinzielle Beschaulichkeit und sein entspanntes Flair.
Das Schlemmerreich von Saintes
Das zeigt auch der Marché couvert, der sich nur wenige Schritte vom Fluss entfernt in einem modernen Wohngebiet am Ufer der Charente erhebt. Der Markt ist ein Schlaraffenland für die Spezialitäten der Saintonge, des Umlands von Saintes. Zwischen all dem Obst und Gemüse, Käse und Wurst, Wein und Honig von lokalen Erzeugern könnt ihr auch den Gâteau Saintongeais entdecken, einen köstlichen Kuchen aus Blätterteig, Äpfeln und Mandeln. Wie wäre es mit einem kleinen Picknick im Jardin Public, einer grüne Oase direkt am Ufer der Charente, vor oder nach dem Stadtbummel?
Das Erbe der Römer
Mediolanum Santonum hieß Saintes einst, das die Römer um das Jahr 20. v. Christus gründeten. Ihre Blütezeit begann während der Herrschaft der flavischen Kaiser (69-96 n. Chr.) und erreichte ihren Höhepunkt im 2. Jahrhundert, als die antike Stadt sich über mehr als 50 Hektar erstreckte. Die günstige geografische Lage an der Zinnroute zwischen den Britischen Inseln und dem Mittelmeerraum machte Saintes in der Antike zu einem bedeutenden Handelszentrum.
Die römische Präsenz in Saintes dauerte bis zum Ende des 4. Jahrhunderts n. Christus. Aus jener Zeit hat die Stadt den Ehrenbogen des Germanicus bewahrt. Der Triumphbogen, einst zu Ehren von Kaiser Tiberius errichtet und Symbol der Romanisierung der Region, stand damals an einer römischen Brücke, die es heute nicht mehr gibt.
Wie bedeutsam und reich Saintes in der Antike war, verraten auch Reste der Thermen und ein Amphitheater aus dem 1. Jahrhundert mit 15.000 Plätzen.
Einblicke in Frühzeit und Antike gewährt direkt am Ufer der Charente an der weiten Place Bassompierre das kleine, feine Musée Archéologique mit Mosaiken, Portraits und Modellen.
Die Abtei der Damen
Wer auf der gleichen Flussseite die Rue de l’Arc de Triomphe entlang bummelt, erreicht in rund zehn Minuten die Abbaye aux Dames. Die ehemalige Benediktinerabtei aus dem Jahr 1047 ist ein Juwel romanischer Architektur in Saintes. Im 12. Jahrhundert umgebaut, beherbergte sie im 17./18. Jahrhundert ein Mädchenpensionat.
Berühmt ist besonders ihre schlichte Abteikirche Église Sainte-Marie aus dem 12. Jahrhundert, die mit dem reichen Figurenschmuck ihres Hauptportals und ihrem ungewöhnlichen „Tannenzapfen“-Glockenturm zwei echte Hingucker besitzt.
Im Jahr 1988 wandelte sich die Abtei zur Cité Musicale und damit zu einem Ort, der Musikausbildung und Aufführungen, musikalisches Schaffen und Spiritualität an einem Ort verbindet.
Die Cité Musicale ist die wichtige Bühne für das Klassikfestival von Saintes, Sitz des Jugendorchester Jeune Orchestre de l’Abbaye aux Dames und Erlebnisort für das Musicaventure, einem interaktiven wie spielerischen Parcours zur Erkundung des Ortes, seiner Geschichte und Musik.
Das königliche Wunder
Stadteinwärts am linken Ufer der Charente erhebt sich der imposante Turm der Église Saint-Eutrope, eine Kirche, die seit Jahrhunderten Pilger empfangen und sogar ein geradezu königliches Wunder erlebt hat. Ihre Geschichte reicht bis ins 11. Jahrhundert zurück, als sie als Prioratskirche und Pilgerkirche auf dem Jakobsweg nach Santiago de Compostela im romanischen Stil erbaut und 1096 von Papst Urban II. geweiht wurde.
Besonders sehenswert ist die beeindruckende Krypta der Kirche, die als eigenständige Unterkirche konzipiert wurde und einen Einblick in die frühe christliche Architektur bietet.
König Ludwig XI. hatte eine besondere Verbindung zur Église Saint-Eutrope. Er soll hier im Jahr 1472 von seiner Wassersucht geheilt worden sein. Zum Dank stiftete er den 80 Meter hohen, gotischen Glockenturm im Flamboyantstil: ein Stilbruch mit Stil! Im Jahr 1886 wurde die Église Saint-Eutrope zur Basilica minor erhoben und 1998 in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes Jakobswege in Frankreich aufgenommen. Nur wenige Schritte davon kommt ihr zu einem stattlichen Herrenhaus, das sich seit dem 18. Jahrhundert über dem Vallon des Arènes im Herzen des Saint-Eutrope-Viertels von Saintes erhebt.
La Belle Étoile: Leben spüren in Saintes
La Belle Étoile, der gute Stern, nennt es sich – und versteht sich als ein maison fertile, als ein fruchtbares Haus. Das ist es im wahrsten Sinne des Wortes. Es ist ein Haus, das allen Menschen, allen Gedanken und allen Ideen offensteht – und sie in diesem einzigartigen Ort des Lebens, des Teilens, des Austauschs und der Geselligkeit zum Leben bringen will. Das beginnt bereits im Erdgeschoss, wo die Oasis des Créateurs lokale Künstler, Handwerker und Produzenten mit ihren Arbeiten vorstellt.
Naturseifen, Kartonmöbel, energetische Kerzen und Taschen aus recycelten Stoffen sind dort erhältlich, aber auch Kräutertees, selbst gemachte Konfitüren, Honig und Samen zum Selberpflanzen. In der Nähmaschinenecke können Kleidungsstücke geändert, geflickt und gestopft werden.
Jeden Freitag heißt es Tric’O’Thé, brod’O’Thé, Tiss’O’Thé: Dann wird im Teesalon, der im Sommer sonntags auf seiner Terrasse zum Brunch lädt, gemeinsam gestrickt, gestickt oder genäht. Der zweite Stock ist dem Wohlfühlen gewidmet, mit Wellness von Ayurveda bis Shiatsu. Fußreflexzonenmassage und Techniken der Sophrologie sorgen dort für totale Entspannung. Im dritten Stock wird es sportlicher. Dort lädt ein Raum der Möglichkeiten zur Selbsterfahrung mit Yoga, Meditation und Pilates ein.
Das Leben spüren: Dazu gehört in La Belle Étoile neben Kunsthandwerk, Kreativität und Wellness auch das Glück im Grünen. Jeder, der im Vallon des Arènes spazieren geht, darf die Gartentür zum Gemeinschaftsgarten von La Belle Étoile aufstoßen und nach Herzenslust im jardin partagé jäten und pflanzen. Wer entspannen will, legt oder setzt sich auf die Gartenstühle, lässt die Gedanken träumerisch wandern und sieht nachts lauter Sterne am Firmament funkeln.
• Garten: 20, Avenue des Arènes, 17100 Saintes, Tel. 05 46 95 96 59; Bus B, Haltestelle Reverseaux
La Ligne Verte: ein grüner Faden durch Saintes
Nicht erst hier stoße ich auf eine grüne Linie auf dem Pflaster. Ob die Stadtväter von Saintes sich von Nantes für ihre grüne Linie inspirieren ließen? Dort führt seit vielen Jahren jeden Sommer eine grüne Linie zu den temporären und permanenten Kunstwerken der Voyage à Nantes. In Saintes verbindet La Ligne Verte seit 2022 auf etwa 2,5 Kilometern die fünf wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Stadt: die Abbaye aux Dames, den Arc de Germanicus, die Basilika Saint-Eutrope, das Amphitheater – und die Cathédrale Saint-Pierre, vor der ich nun stehe.
Der unvollendete Riese
Von der Blütezeit der Gotik im Südwesten Frankreichs zeugt auch die Kathedrale von Saintes, die ihren unvollendeten Glockenturm ebenfalls am linken Ufer der Charente in den Himmel reckt. Ihr Bau begann im 13. Jahrhundert, zog sich jedoch über mehrere Jahrhunderte hin und ist bis heute nicht vollständig abgeschlossen.
Schuld daran waren unter anderem die Religionskriege, bei denen Protestanten 1568 das unfertige Gotteshaus plünderten und beschädigten. Der Glockenturm, der ursprünglich eine Höhe von 100 Metern erreichen sollte, wurde im 16. Jahrhundert nur bis zu einer Höhe von 58 Metern fertiggestellt. So ist die Kathedrale heute vor allem für ihre Orgel aus dem Jahr 1626 berühmt, die seit 1973 als historisches Monument klassiert ist und bei Konzerten erklingt.
Einem Kirchturm gleicht auch der 1587 erbaute Belfried des einstigen Hôtel de Ville von Saintes. Heute birgt das Rathaus, das im 18. Jahrhundert seine schmucke Renaissancefassade erhielt, das Musée de l’Échevinage.
Seine Sammlung umfasst etwa 100 Kunstwerke aus dem 15. bis 20. Jahrhundert. Zu den Highlights gehören die Allégorie de la terre von Jan Brueghel dem Älteren, Gemälde des Landschaftsmalers Louis Augustin Auguin und Werke des zeitgenössischen Künstlers Marinot. Eine Sammlungsschwerpunkt sind Kinderdarstellungen mit Werken von Künstlern wie Carolus Duran und Henri Geoffroy. Hinter der imposanten Eingangspforte stehen einige Tische und Stühle auf dem Kopfsteinpflaster: vor der Kunst gibt es jetzt erst einmal einen Kaffee!
Saintes: meine Reisetipps
Erleben & unternehmen
Le Vélorail de Saintonge
Durch die Weinberge der Saintonge führt diese Fahrraddraisine auf einer stillgelegten Bahnstrecke zwischen Saint-André-de-Lidon und Cozes. Hin- und Rückfahrt sind insgesamt 14 Kilometer lang. Eine zweite Draisinenstrecke führt von Saint-André-de-Lidon nach Gémozac
• https://veloraildefrance.com/17-velorail-de-saintonge-minisite
Le Paléosite in Saint-Césaire
Am 27. Juli 1979 fand ein Team französischer Archäologen bei Ausgrabungen unter der Leitung des Prähistorikers François Lévèque eine Neandertalerin namens Pierrette, die vor über 36.000 Jahren gelebt hat. Diese Epoche der Frühgeschichte lässt seit 2005 ein Themenpark mit interaktiven Ausstellungsräumen, lebensgroßen Rekonstruktionen, prähistorische Animationen und Workshops für verschiedene Altersgruppen sowie Virtual Reality-Erlebnissen wieder lebendig werden.
• Route de la montée verte, 17770 Saint-Césaire, Tel. 05 46 97 90 90, https://paleosite.fr
Fahrradtouren auf der Flow Vélo
Von Sarlat-la-Canéda im Périgord bis zur Île d’Aix in der Mündung der Charente folgt die Radwanderroute 400 Kilometer lang dem Lauf der Charente.
• www.laflowvelo.com
Le Festival de Saintes
1972 gründete Alain Pacquir das renommierte Klassik-Festival von Saintes, das seitdem alljährlich im Juli stattfindet. Wichtigster Aufführungsort ist die Abbaye aux Dames. Zu den anderen Spielorten der Stadt pendelt eine kostenlose navette.
• www.abbayeauxdames.org/festival-de-saintes
Fête du Cognac
Saintes liegt an der Route du Cognac und feiert den weltberühmten Branntwein des Landstrichs alljährlich mit einem Festival.
Schlemmen und genießen
L’Insolite
Kévin Pineau und seine Partnerin Cécilia servieren im Herzen des historischen Zentrums eine frische Bistronomie voller Genuss.
• 28, Rue Saint-Michel, Tel. 05 46 97 70 69, www.facebook.com/insolitesaintes
Le Daillaison
Jérôme Dallet stammt aus Pont l’Abbé d’Arnoult im Umland von Saintes, hat mit renommierten Köchen wie Emmanuel Renaut, Anne-Sophie Pic und Carlo Crisci gearbeitet und steht für eine raffinierte lokale Saisonküche. Mit Leidenschaft zieht er hinaus und sammelt Wildpflanzen und frische Kräuter, um seine köstliche Saisonküche zu verfeinern, die tief im Terroir verwurzelt ist.
• 30, rue du Bois Taillis, 17100 Saintes, Tel. 05 46 92 08 18, www.ledallaison.com, Mo., Di. Ruhetag
In der Nähe
Bei Port d’Envaux verwandelt sich seit dem Jahr 2001 ein ehemaliger Steinbruch in ein offenes Atelier: Jeden Sommer können dort bei den Lapidiales Künstler ihrer Fantasie freien Lauf lassen und ihre Werke in die Wände der ehemaligen Carrières des Chabossières meißeln. Der Kalkstein lässt sich leicht bearbeiten – und ist dennoch sehr widerstandsfähig gegen Witterungseinflüsse.
• www.lapidiales.org
Hier könnt ihr schlafen
Les Chambres de l’Abbaye*
In der Abbaye aux Dames von Saintes laden ehemalige Nonnenzellen dazu ein, eine Nacht lang den besonderen Charme der berühmten Abtei zu erleben.
Eine uralte Steintreppe bringt euch hinauf in den den ersten Stock, wo ein langer, gewölbter Korridor zu den Hotelzimmern führt. Alte Fußböden …. und Stille: Hier gibt es keinen Fernseher, sondern nur: beschauliche Ruhe. 33 Zimmer öffnen sich zur Hof- und zur Gartenseite.
• 11, place de l’Abbaye, 17100 Saintes, Tel. 05 46 97 48 33, www.abbayeauxdames.org/hotel-les-chambres-de-labbaye
Les Cuves*
Große, ruhige Zimmer auf dem Lande in einem schönen Anwesen mit Pool: Zwar liegt der Domaine des Cuves sechs Kilometer östlich von Saintes, doch Ausstattung, Ambiente und Komfort machen dies wett – und machen so das Gästehaus zu einem wunderschönen Standort in einem Landstrich, der auch in der Umgebung von Saintes viel zu bieten hat.
• 24, chemin des Brandes, 17610 Chaniers, Tel. 07 53 86 13 94, www.domainedescuves.com
Noch mehr Betten*
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Im Blog
Saintes ist für die zahlreiche Hausbootfahrer die Start- oder Endstation bei ihrem Törn auf der Charente, da weiter flussabwärts des Sog der Tiden stark zunimmt. Flussaufwärts könnt ihr über Cognac und Jarnac bis nach Angoulême reisen. Hier gibt es Infos und Impressionen zu einem Hausurlaub auf der Charente.
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