Die Umgebung von Sartène. Foto: Hilke Maunder

Sartène: die Stadt der Blutrache

Was waren das einst für blutige Zeiten in Sartène! Was für Emotionen. Welch ein Hass! Was für Fehden! Hier die Paoli und Durazzo, dort die Carabelli, Bernadini und Bartoli: Seit Jahrhunderten waren die beiden Familien aus Fozzano verfeindet.

Anführerin der partitu suttanu der Carabelli, Bernardini und Bartoli war ein bereits damals 64-jährige Frau : Colomba Bartoli. Zwar hatten beide Clans auf Druck des Präfekten und des Gouverneurs 1802 offiziell schriftlich ihre Streitigkeiten beigelegt, doch 28 Jahre später flammte auf Korsika der Krieg zwischen den Familien wieder auf.

In der Altstadt von Sartène. Foto: Hilke Maunder
In der Altstadt von Sartène. Foto: Hilke Maunder

Tödlicher Teufelskreis

Am 6. Juni 1830 schossen die Bartolis auf dem Kirchplatz von Fozzano auf die partitu supran“ der Paoli und Durazzo. Zwei Paoli starben. Am 24. Oktober 1830 folgt die Rache.

Einen Toter und einen Verletzter beklagten die Bartoli nach Auseinandersetzung auf der Straße nach Arbellar. Am 11. Dezember 1832 rächten sich die Carabelli, Bernadini und Bartoli in Sartène.

Sartène. Foto: Hilke Maunder
Foto: Hilke Maunder

Die Bevölkerung verschanzte sich bei der Schießerei in den Gassen in ihren fünf- bis sechsstöckigen Granithäusern. Die Paoli rannten in den Gassen der Altstadt um ihr Leben.

Vergeblich. 1933 folgte die Rache der Paoli und Durazzo im Baracci-Tal. Wieder gab es Tote. Weiter drehte sich die Spirale der Blutrache.

Sartène. Foto: Hilke Maunder
In der Altstadt von Sartène. Foto: Hilke Maunder

Das Vermächtnis der Colomba

1839 besuchte Prosper Mérimée als Inspektor für historische Denkmäler die Insel. In Fozzano bei Sartène hörte er von der Vendetta. Und beschloss, Colomba aufzusuchen. Noch am selben Abend griff er zur Feder. Wie im Rausch schrieb er die Geschichte des Familienduells nieder.

Sartène. Foto: Hilke Maunder
Foto: Hilke Maunder

1841 wurde seine Novelle „Colomba“ veröffentlich. Sie wurde ein Riesenerfolg. Und sorgt bis heute für Touristenströmen in den Gassen von Sartène, das für Mérimée „die korsischste aller korsischen Städte“ war.

Ehren-Banditen

Auch Männer wie Matteo Falcone, der sich vor der Polizei in der Macchia versteckten, waren auf Korsika einst echte Helden – und inspirierten Prosper Mérimée. „Ehrenbanditen“ nannte sie das Volk. Was romantisch klingt, war höchst brutal.

Sartène. Foto: Hilke Maunder
Foto: Hilke Maunder

1818-1852 terrorisierten die Banditen Staat und Bürger. 4500 Korsen starben. Erst 1935 wurde nach einer Großrazzia der letzte Bandit auf der Place Saint-Nicolas in Bastia öffentlich hingerichtet: Spada.

Sartène. Foto: Hilke Maunder
Foto: Hilke Maunder

Herz des alten Sartène: Place Porta

Auf der Place Porta, deren offiziellen Namen Place de la Libération Korsen nicht in den Mund nehmen, beginnt auch Fremdenführerin Valérie-Anne Bulliard ihren Rundgang.

Sartène. Foto: Hilke Maunder
Foto: Hilke Maunder

Vor der Église Sainte-Marie bauen Mönche aus Costa Rica einen Tisch mit Arbeiten aus, die die Gemeindemitglieder in ihrer Heimat gefertigt haben, um mit den Erlösen aus dem Verkauf die Reise der Geistlichen finanziell zu unterstützen.

Die 1593 an der Ostseite des Platzes vollendete Kirche  stürzte 1765 ein und wurde bis Anfang des 19. Jh.s aus Granitquadern wieder aufgebaut. Lust, einmal hinein zu gucken?

Sartène. Foto: Hilke Maunder
Foto: Hilke Maunder

Das Innere birgt einen barocken Hochaltar aus farbigem Marmor sowie die Ketten und das Kreuz der Catenacciu-Prozession. Am anderen Ende des Platzes blickt Pasquale Paoli von der Büste. Im Café de la Paix trinken Touristen bunte Cocktails.

Die düstere Altstadt

Auf der Rue des Frères Bartoli gehe ich durch  den Torbogen des Rathauses (Hôtel de Ville), das die Genueser im 16. Jahrhundert errichtet haben, hinein in die Altstadt.

Sartène. Foto: Hilke Maunder
Foto: Hilke Maunder

Der kleine Lebensmittelhändler U Maggiu hat Körbe und Kisten auf den Kopfstein gestellt. Coppa, Lonzu und Figatelli zum Einheitspreis. Daneben: handgeflochtene Körbe und korsische Konfitüre. Der letzte Farbfleck in der Gasse.

Immer höher werden die Häuser, immer enger scheinen die Gassen zusammen zu rücken. Düster wirkt das Manighedda-Viertel, das sich wie die Pitraghju-Zitadelle an den Monte Rosso klammert. Abweisend, grimm und grau.

Sartène. Foto: Hilke Maunder
Foto: Hilke Maunder

Einige Häuser scheinen verwaist, andere müssten dringend saniert werden. Malerisch hatte ich mir Sartène vorgestellt. Nicht so feucht, dunkel und gespenstisch.

Doch genau dieses graue, kalte Ambiente braucht es, um sich die Vehemenz, die Leidenschaft der Vendetta vorzustellen. Rue du Purgatoire, Straße des Fegefeuers, heißt die Gasse, die mich zurück zur Place Porta bringt.

Place de la Liberté in Sartène.. Foto: Hilke Maunder
Place de la Liberté in Sartène.. Foto: Hilke Maunder

Das freundliche Borgu

Im Borgu-Viertel südlich des zentralen Altstadtplatzes zeigt sich die Ville d’Art et d’Histoire weniger abweisend und verschlossen. Lila und rosa blühende Bougainvillea sorgt hier für Farbtupfer auf dem grauen Granit, Treppenwege und Vorgärten sind gepflegter. Auf schmiedeeisernen Balkonen stehen Teakholzstühle, die Ränder der Treppenwege schmücken Blumentöpfe.

Am 15. August 1769 wurde hier ein Mädchen namens Laetizia geboren, die als junge Frau in Ajaccio einen Sohn zur Welt brachte, der zu den berühmtesten Kriegsherrn der Geschichte aufstieg: Napoléon.

Schaurig und gespenstisch: U Catenacciu

Sartène. Foto: Hilke Maunder
Foto: Hilke Maunder

Eingelassen in das Pflaster sind immer wieder  kreisrunde Messingplaketten, die den Weg des Chemin de Croix du Catenacciu weisen. Alljährlich zu Karfreitag folgt ihm ein unbekannter Büßer bei der U Catenacciu-Prozession. 31,5 Kilogramm schwer ist das Kreuz, das der „Große Büßer“, den Kopf unter einer roten Kappe versteckt, bei der Altstadtrunde tragen muss.

Erschwert wird der Gang zum Sündenablass durch eine Eisenkette, die er am rechten Fuß mit sich zieht. Bei jedem Schritt klirren die Ketten, klappert die 14 kg schwere Eisenkugel am Ende der Kette. Ein mittelalterliches Spektakel, schaurig wie der Gesang, der seinen Gang begleitet.

Mittelalterlich und wunderschön ist das alte korsische Liedgut, das  Jean-Paul Poletti Anfang der 1970er-Jahre das alte korsische Liedgut wiederbelebt hat. Mit seinem Männerchor trägt der gebürtige Sartenais die polyphonen Gesänge der Insel wie die Paghjella durch Europa bis nach Fernost und in die USA.

Sartène. Foto: Hilke Maunder
Foto: Hilke Maunder

Meine Reisetipps: Sartène

Schlafen & schlemmen

Hôtel des Rôches

Die Zimmer sind klein, sauber und ordentlich, im Restaurant genießen die Einheimischen mit den Gästen typisch korsische Küche bei einem Ausblick, der einfach nur eines ist: wow!
• Avenue Jean Jaurès, 20100 Sartène, Tel. 04 95 77 07 61www.sartenehotel.fr

Schlemmen

La Bergerie d‘Acciola

Auch, wenn er etwas stinkt: Der Bauernkäse casgiu casanu, den die Käserei auf einem kleinen 
Mittagstisch serviert, ist köstlich. 
Oder genießt eine Käseterrine mit Kräutern oder herzhafte Kastanienmehl-Pfannkuchen zum Wein der Region.
• Route de Bonifacio, Tel. 04 95 77 14 00, https://sites.google.com/view/la-bergerie-dacciola/accueil; an der Straße Sartène-Bonifacio, 8 km außerhalb, 
nur Mitte Juni – Mitte Sept.

Erleben

Führungen

Mich hat die Korsin Valérie-Anne Bulliard kenntnisreich wie charmant durch Sartène geführt. Sie bietet auch begleitete Touren durch die Megalithstätten von Cauria an!
• Tel. 06 18 04 46 97, E-Mail:  locu.logos@gmail.com

Shoppping

Markt

In der Saison täglich, von September bis Juni nur am Sonnabend Vormittag auf der Place Porta.

I Delizi

Bei I Delizi in der Rue Borgo könnt ihr die begehrten Canistrelli von Tamburini erstehen. Die leckeren Kekse sind mit Honig, Mandeln und Nüssen, Zitrone, Rosinen oder Anis aromatisiert!
• Hier werden sie gefertigt: Cirella Route de Granace, Tel.04 95 77 16 46, www.tamburini-biscuiterie.com

Zeitreise durch die Vorzeit

300.000 Jahre Menschheitsgeschichte in einem Flachbau oberhalb der Stadt: Nicht nur die Sammlung von der Vorzeit bis zum Erbe der Römer lohnt einen Besuch, auch die Aussicht ist einmalig! Ausgestellt sind Waffen, Schmuck, Vasen, steinernes Werkzeug, Menhire und Mosaiken – eine perfekte Ergänzung zu den Ausgrabungen von Filitosa und Cauria!

Musée Départemental de Préhistoire Corse et d’Archéologie, Rue Croce, 20100 Sartène, Tel. 04 95 77 01 09, www.prehistoire-corse.org

Sartène. Foto: Hilke Maunder
Das prähistorische Museum von Sartène. Foto: Hilke Maunder

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Cover: Jenny Hoch, Gebrauchsanweisung für Korsika. Foto: Hilke MaunderJenny Hoch: Gebrauchsanweisung für Korsika*

33 Sommer hatte Jenny Hoch auf der Insel verbracht. Doch erst, seitdem sie quasi lebt, wird sie langsam von den Einheimischen ins Herz geschlossen und integriert, erzählt die Journalistin und Buchautorin, die heute mit ihrer Familie die Tradition ihrer Eltern fortsetzt. Seit sie vier Jahre alt war, sei sie jedes Jahr auf Korsika gewesen, als Kind, als Teenager, als Erwachsene. Immer am selben Ort, immer glücklich, gerade dort zu sein. „Ich weiß, wo am Strand der Rutschfelsen ist, wie die Wellen sich brechen”, erzählte sich bei einer Lesung im Feriendorf zum Störrischen Esel.

Ihre persönlichen Erfahrungen machen den Reiz dieses Bandes der insgesamt sehr zu empfehlenden Taschenbuchreihe im Piper-Verlag aus. Jenny Hoch hat sie hintergründig wie humorvoll zu Papier gebracht. Dazu noch ein paar Daten und Fakten: ein perfekter Einstieg, um sich mit der Insel zu beschäftigen. Besser kann keine Reiseplanung beginnen! Wer mag, kann das Werk hier* online bestellen.

Zum Träumen: Das Haus auf Korsika*

Mit wenig Geld und Aufwand hat Pierre Duculot 2011 einen meiner Lieblingsfilme gedreht, die Geschichte eines Ausbruchs, Sich-Finden, die Rückkehr zu den Wurzeln. Und eine Geschichte des Mutes. Ausgelöst durch die Erbschaft eines Hauses, das Christina erbt.

Die Hauptfigur, fast 30, lebt seit zehn Jahren mit ihrem Freund zusammen, jobbt in der Pizzeria ihres Schwiegervaters, überlebt im belgischen Charleroi. Ein eigenes Leben nach ihren Vorstellungen? Das ist ein Luxus, den sie sich nicht leisten kann. Und mit der Erbschaft doch wagt. Sie macht auf den Weg in den Süden. Und verliebt sich – in die geerbte Bruchbude, die Insel, einen neuen Mann. Wer mag, kann den Film hier* online bestellen.

Marcus X. Schmid: Korsika*

Marcus X. Schmid, KorsikaDer freie Reisejournalist Marcus X. Schmid hat für alle, die gerne auf eigene Faust unterwegs sind, den besten Reisebegleiter verfasst: sachlich, mit viel Hintergrund, Insiderwissen und Tipps, und doch mitunter sehr unterhaltsam und humorvoll.

Ich kann seinen Führer aus ganzem Herzen empfehlen – er hat mich auf allen Erkunden nie im Stich gelassen und mir oft schöne, neue, unbekannte und überraschende Ecken gezeigt.

Der gebürtige Schweizer, Jahrgang 1950, hat in Basel, Erlangen und im damaligen Westberlin Germanistik, Komparatistik und Politologie studiert und lebt heute als Autor und Übersetzer in der französischsprachigen Schweiz. Ebenfalls im Michael-Müller-Verlag sind von Schmid die Reiseführer „Bretagne“ und „Südfrankreich“ erschienen sowie Führer zu italienischen Destinationen. Wer mag, kann den Reiseführer hier* online bestellen.

Baedeker Korsika

Hilke Maunder: Baedeker „Korsika“*

Mit blau lackierten Fingernägeln ordnet Madame auf dem Markt von Bastia in einem Bastkorb längliche Stangen. „Boutargues“, verrät das Schild. „Das ist echter korsischer Kaviar. Nur noch wenige Fischer entnehmen den Meeräschen den Rogen. Mein Mann ist einer davon.“ Die Rarität hat ihren Preis: 150 Euro das Kilo.

Der Nachbar-Händler sieht das erstaunte Gesicht und hält ein Holzbrett hin: “ Goûtez !“ Lasst euch mit meinem Baedeker Korsika* an Orten wie diesen (ver)führen. Genussmomente und einzigartige Erlebnisse: Sie machen den Band besonders. Wer mag, kann ihn hier* direkt bestellen.

Jean Renard: Der Kopf des Korsen*

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Der Klappentext hatte mich neugierig gemacht: „Die Polizisten Andreotti und Lefevre haben nicht viel gemeinsam. Nur das Kopfgeld, das der Pate von Paris auf sie ausgesetzt hat, und die Versetzung nach Korsika, die ihren Hals retten soll. Auf der ‚Insel der Schönheit‘ wartet jedoch bereits die nächste Blutrache. Schon bald stehen die ungleichen Sonderermittler im Kreuzfeuer zweier verfeindeter Clans. Doch hinter den bizarren Morden dieser Vendetta steckt mehr, als es den Anschein hat – und ein Trio Psychopathen ist bereits unterwegs, um sich das Kopfgeld zu verdienen.“

Klingt gut, dachte ich, begann zu lesen. Und wartete auf den Moment, dass der Krimi mich so fesseln würde, das ich ihn nicht mehr als der Hand legen würde. Was der Münchner Journalist Hans Fuchs unter dem Pseudonym Jean Renard verfasst hat, wäre ein tolles Drehbuch für einen Action-Thriller gewesen, mit schnellen Cuts, Szenen, die an Grenzen gehen, tollen Landschaften.

Aber ein Buch braucht mehr. Tiefgang, Dialoge, fesselnde Übergänge, Sprache, die fasziniert, Kopfbilder freisetzt. Manchmal ist das Jean Renard gelungen.Und mitunter habe ich schallend gelacht. „Frag die Alten und verprügele die Jungen“: herrlich, wie der „Fuchs“ (denn nichts anderes heißt renard) das Resümee aus dem „Asterix auf Korsika“-Comic als Klischee für die Insel aufgegriffen hat.

Ein letzter Wermutstropfen: Schade, dass das Titelbild, das Bonifacio zeigt, so gar nichts mit dem Ort der Handlung zu tun hat. Ein Motiv vom Norden Korsikas hätte besser gepasst.

Und dann bleibt die Fragen, ob manche Fehler Absicht sind: Ajaccio hat als Kennzeichen 2A und nicht 1A. Und soll die Kneipe wirklich Montaigne (=frz. Philosoph) oder nicht doch: Montagne (=Berge) & Mer heißen? Wer mag, kann den Band hier* direkt bestellen.

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