Saulieu: Schlemmeretappe im Morvan
Saulieu – ein kleines Städtchen mit großer Geschichte. Einst römisches Sidelocum, heute Schlemmerziel und Pilgerort, birgt es zahlreiche Geschichten und Geheimnisse. Von antiken Grabstelen bis zur legendären Gastronomie – Saulieu ist ein Kleinod im Herzen Burgunds.
Saulieu. Tor zum Morvan, Hauptstadt der Weihnachtsbäume, Schlemmerziel und legendäre Etappe an der Route Nationale 6: Das Städtchen, dessen Bevölkerung inzwischen auf rund 2.300 Einwohner geschrumpft ist, hat viel Werbeträchtiges auf sich vereint. Und entpuppt sich doch als sehr charmant, beschaulich und ursprünglich.
Das antike Sidelocum
Das antike Sidelocum
Bereits vor 2000 Jahren existierte Saulieu, damals bekannt als Sidelocum. Die Stadt war ein wichtiger Stopp entlang der Via Agrippa, die die in der römischen Antike Lyon mit Boulogne-sur-Mer verband. Archäologische Funde, darunter 13 Grabstelen aus Morvan-Granit, zeugen von der galloromanischen Vergangenheit. Diese Stelen zeigen Szenen aus dem Alltagsleben der Verstorbenen – von Werkzeugen über Vieh bis hin zu Inschriften.
Das Martyrium der Missionare
Im zweiten Jahrhundert kamen Andochius und Thyrsus als Missionare aus Smyrna (heute Izmir in der Türkei) nach Gallien, um das Land zu christianisieren. In Saulieu, inzwischen Sedelocus genannt, nahm sie ein Geschäftsmann namens Felix gastfreundlich aufgenommen. Zur gleichen Zeit machte Marc Aurel während einer Reise durch die Region einen Halt im Ort.
Zu dieser Zeit war das Christentum im Römischen Reich noch nicht anerkannt und wurde oft als Bedrohung für die etablierte Ordnung angesehen. Als der Kaiser von den beiden Missionaren und ihrem Gastgeber erfuhr, ließ er ein Exempel statuieren. Als die drei Männer sich weigerten, den römischen Göttern zu opfern, wurden sie wegen ihrer Verbreitung des christlichen Glaubens hingerichtet.
Die genaue Art ihrer Hinrichtung ist nicht eindeutig überliefert, nur, dass sie äußerst gewaltsam war. Ihr Martyrium und die anschließende Verehrung ihrer Reliquien machten Saulieu zu einem wichtigen Pilgerziel. Schon kurz nach ihrem Tod soll an der Stelle ihres Martyriums ein Schrein errichtet worden sein, der später die Basis für den Bau der Basilika Saint-Andoche bildete, die bis heute die Reliquien des Heiligen Andoche birgt.
Die romanische Kirche aus dem 12. Jahrhundert gehört zu den bedeutendsten Sehenswürdigkeiten der Stadt und birgt im Inneren ein prächtiges Grab aus Carrara-Marmor, das aus dem 2. Jahrhundert stammt.
Auf den Fundamenten einer alten gallo-römischen Nekropole erhebt sich seit dem 11. Jahrhundert die Église Saint-Saturnin mit ihrer auffälligen Turmspitze, die Holzschindeln bedecken. Auf ihrem alten, geradezu malerisch zeitentrückten Friedhof ruhen zwei Einheimische, die weit über Frankreich hinaus berühmt wurden: der Tierbildhauer François Pompon (1855-1933), über dessen Grab mit dem Condor eines seiner Werke wacht. Und der Dreisternekoch Bernard Loiseau (1951-2003), der nach dem Verlust des dritten Sternes seines Restaurants La Côte d’Or den Freitod gewählt hatte.
Das Erbe der mittelalterlichen Blüte
Im Mittelalter war Saulieu ein bedeutender Marktflecken, bekannt für den Handel mit Getreide und Pelzen. Damals lebten noch zahlreiche Bären im Morvan, und auch der Wolf war bis ins frühe 20. Jahrhundert in der Region verbreitet. Obgleich im 100-jährigen Krieg niedergebrannt, ist die mittelalterliche Vergangenheit in Saulieu noch heute spürbar: Fachwerkhäuser, die Tour d’Auxois als Teil der ehemaligen Stadtmauer und das historische Waschhaus erzählen von dieser Epoche. Ein besonderes Highlight ist die „Arme Jungfrau“, eine geheimnisvolle Statue ohne Arme, die in der Basilika und der Stadt zu finden ist.
Die Holzschuhmacher von Saulieu
Im 19. Jahrhundert blühte das Handwerk in Saulieu: Holzschuhmacher fertigten hier bis zu 800.000 Paar Schuhe pro Jahr, die auf lokalen Jahrmärkten und sogar bis ins kleinste Dorf des Morvan verkauft wurden. Im 20. Jahrhundert war die Stadt an die Schmalspurbahn Tacot du Morvan angeschlossen, die von 1901 bis 1939 zwischen Corbigny und Saulieu verkehrte.
Napoleon in Saulieu

Beim Bummel durch den Ort entdeckte ich an einer Villa eine kleine Gedenktafel an den Kaiser der Franzosen. Dass Napoleon Saulieu besuchte, hatte vor allem logistische Gründe. Am 10. Januar 1802 machte Napoleon auf dem Weg nach Lyon einen Halt in Saulieu und übernachtete in der Auberge de la Poste. Am 7. April 1805 passierte Napoleon Saulieu erneut, diesmal auf dem Weg nach Mailand zu seiner Krönung als König von Italien.
Am 16. März 1815 kam Napoleon ein letztes Mal durch Saulieu, als er von der Insel Elba zurückkehrte. Dies war Teil seiner Route während der berühmten Herrschaft der Hundert Tage, die am 20. März mit seiner Ankunft in Paris endete.
Hochburg des Widerstandes
Während des Zweiten Weltkriegs spielte Saulieu eine zentrale Rolle im Widerstand gegen die deutsche Besatzung. Die waldreiche Landschaft des Morvan bot zahlreichen Widerstandskämpfern Zuflucht. Heute erinnern etwa 30 Gedenkstätten in der Region, darunter auch der Militärfriedhof von Saulieu, an den größten maquis Burgunds.
In der Nachkriegszeit entstanden auf Initiative des regionalen Naturparks Morvan, der Gemeindegemeinschaft Morvan Sommets et Grands Lacs und des Vereins Morvan Terre de Résistances-ARORM rund dreißig Gedenkstätten in 15 Orten zum Zweiten Weltkrieg, die sich unter dem Themendach „Widerstände im Morvan – Wege der Erinnerung“ mit der Geschichte des Widerstands im Morvan befassen.
Die waldreiche Bergregion war im Zweiten Weltkrieg ein Zufluchtsort für alle, die vor der Repression der Nazis fliehen und den Kampf gegen die Besatzer fortsetzen wollten. Ab 1943 bildeten sich hier örtliche Guerilla-Gruppen, die ab Frühjahr 1944 starken Zulauf erhielten. Unterstützung in ihrem Befreiungskampf erhielten sie mit Luftabwürfen alliierter Waffen.
Argentiniens Hilfe für Saulieu

Wenig weiter entdeckte ich eine zweite Plakette, die mich noch neugieriger machte. Was verband denn nur Argentinien mit Saulieu? Der Morvan war ein Gebiet, in dem Fürsorgekinder aus Paris und seinen Vororten untergebracht worden waren, aber kein Migrationsgebiet für Menschen aus Südamerika. Die Antwort gab ein Zeitungsartikel, der am Montag, 31. Mai 1948, in La Bourgogne Républicaine erschienen war. Gefunden hatte ich ihn über Retronews, des Pressearchivs der Bibliothèque Nationale de France.
Er berichtet davon, dass Saulieu in einem Akt der internationalen Solidarität und Freundschaft am Tage zuvor ein Teilstück der Nationale 6 durch die Stadt umbenannt hatte in Rue de l’Argentine.
Argentiniens Botschafter Julio Argentino Roca enthüllte höchstpersönlich das neue Straßenschild, während die Stadt in den Farben beider Nationen geschmückt war. Ein Festumzug mit Musik und Kindern in Kostümen sorgte für eine ausgelassene Stimmung.
Die Umbenennung bildete den Abschluss eines großes Festes, das gleich mehrere Anlässe vereint hatte: den Jahrestag der französischen Revolution von 1848, den Muttertag und die tiefe Verbundenheit zwischen Frankreich und Argentinien. Im Zentrum der Feierlichkeiten stand die großzügige Spende Argentiniens an die Stadt Saulieu: 500 Hilfspakete, die in den Nachkriegsjahren dringend benötigt wurden.
Ein Mitglied der argentinischen Delegation spendete zusätzlich 50.000 Francs an die Stadt, und ein Freiheitsbaum wurde gepflanzt. Der Botschafter überreichte zudem Geschenke an die Mütter von Saulieu, um die Bedeutung der Familie zu unterstreichen. Bis heute erinnern die Straße und die Plakette an die Zeit der Solidarität und des gegenseitigen Respekts nach dem Zweiten Weltkrieg.
Hauptstadt des Weihnachtsbaumes
Ein weiterer faszinierender Aspekt von Saulieu ist seine Rolle als Hauptstadt des Weihnachtsbaums in Frankreich. Die Fête du Sapin Anfang Dezember zelebriert die Tanne, und stolz weist Saulieu darauf hin, dass es das Tor zum Morvan sei, der ein Viertel der Tannen zum Weihnachtsfest züchet. Auch der Weihnachtsbaum für den Elysée-Palast kommt aus dem Wald vor den Toren der Stadt.. Der Duft von Glühwein, burgundischen Kräutertees und dem Harz der frisch gefällten Bäume erfüllt die Stadt während dieses festlichen Wochenendes.
Im Morvan lebten einst Bären. Noch bis ins 19. Jahrhundert war der Braunbär im Morvan heimisch. In der Basilika Saint-Andoche in Saulieu gibt es ein Kapitell mit einer interessanten Darstellung von Bären. Sie wird als Pet de l’Ours (Bärenfurz) bezeichnet und basiert auf einer alten heidnischen Legende, nach der Bären auf diese Weise die Seelen ins neue Jahr bringen. Noch mehr Bären könnt ihr auf der Balade de l’Ours entdecken, die durch das Stadtzentrum von Saulieu führt.
Der Eisbär von Saulieu

Wer durch die Straßen von Saulieu schlendert, sieht ihn und staunt: Im Herzen der Kleinstadt am Ostrand des Morvan steht – riesig groß und strahlend weiß – ein Eisbär. Braunbären, ja, die gab es einst in den Wäldern des kleinsten Bergmassivs Frankreichs. Aber Eisbären? Und dann so schlank und schnell? Und was macht ein Stier auf der Straße?
Auch diesen massigen Koloss aus Bronze schuf ein Künstler, der am 9. Mai 1855 in Saulieu das Licht der Welt erblickte und zum bedeutendsten Tierbildhauer des 20. Jahrhunderts aufstieg: François Pompon. Seine künstlerische Reise begann in Dijon an der École des Beaux Arts im Jahr 1870 und führte ihn fünf Jahre später nach Paris an die École nationale supérieure des arts décoratifs.
François Pompon war ein Schüler namhafter Bildhauer seiner Zeit wie Dampt, Mercié, Falguière und schließlich bei Rodin, in dessen Werkstatt er 1890 eintrat und sie 1893 übernahm.
1906 beschloss er, statt Menschen nur noch Tiere darzustellen. Im Sommer fand Pompon seine Modelle auf Bauernhöfen, im Winter im Jardin des Plantes von Paris. In Saulieu zeigt ein kleines Museum seine schönsten Arbeiten.
Durch ausdrucksstarke Vereinfachungen der Formen erreichte Pompon eine zeitlose Schönheit seiner Werke. Seine Skulpturen zeigen, wie gut es Pompon gelang, das Wesentliche eines Tieres einzufangen. Zunächst modellierte er das ausgewählte Tier aus Ton auf einer tragbaren Werkbank. Danach verfeinerter er es in seiner Werkstatt und eliminierte dabei alle unnötigen Details. Die Bewegung der Tiere, eingefangen in Stein oder Bronze, verleiht den Skulpturen eine lebendige Präsenz.
Das Musée François Pompon befindet sich in jenem Haus, in dem er seine Kindheit und Jugend verbracht hat. Zu sehen ist dort neben seiner Kunst auch sein Lebensumfeld, nachgestellt mit einem typischen Zimmer des Morvan, mit weltlicher und sakraler Kunst und anderen Exponaten zur Stadt- und Ortsgeschichte. Kleine Nischen, ausgetretene Treppen und Räume mit knarrenden Parkettböden: Das kleine Museum regt die Fantasie an und gewährt ganz persönliche Einblicke in das kreative Universum dieses Künstlers.
Meisterköche: Alexandre Dumaine & Bernard Loiseau

Die kulinarische Tradition von Saulieu reicht bis ins 17. Jahrhundert zurück, als die Generalstände von Burgund mitten durch den Ort die Hauptstraße Paris-Lyon führten und eine Postkutschenstation für die Reisenden einrichteten.
Diesen Weg nahm auch Frankreichs berühmte Briefeschreiberin Madame de Séviginé, die am 26. August 1677 auf dem Weg zum Kurort Vichy in Saulieu Halt machte, eine ausgiebige Mahlzeit genoss und danach in einem Brief an ihre Tochter gestand, dass sie dort etwas betrunken gewesen sei.
Alexandre Dumaine, bekannt als der „Koch der Könige“, prägte die Gastronomie von 1931 bis 1963. Sein Nachfolger Bernard Loiseau übernahm 1975 das kulinarische Erbe und verlieht dem mit drei Sternen ausgezeichneten Restaurant La Côte d’Or internationalen Ruhm. Heute erinnert ein kleines Museum an beide Meisterköche.
Im Entrée erinnert ein kleines Museum mit Menüs, Fotos und anderen Reminiszenzen an die beiden Meisterköche, die Saulieu zum site remarquable du goût machten. Mehrere Feste füllen diese Auszeichnung mit Leben. Bei den Journées Gourmandes, die jedes Jahr am Himmelfahrtswochenende stattfinden, könnt ihr die Fülle der lokalen Produkte kennenlernen, kosten und kaufen. Die Fête du Charolais im August prämiert die schönsten Exemplare der lokalen Rinderrasse.

Saulieu: meine Reisetipps
Schlemmen und genießen
La Côte d’Or
Das Erbe von Bernard Loiseau führt heute Louis-Philippe Vigilant weiter, der zuvor sechs Jahre bei Patrick Bertron in Saulieu und acht Jahre als Sternekoch von Loiseau des Ducs in Dijon gearbeitet hat. Wie Loiseau steht er für äuperst köstliche Soßen, die die klaren Kompositionen verfeinern und wie die Speisen tief im burgundischen terroir verankert sind.
• 2, rue d’Argentine, 21210 Saulieu, Tel. 03 80 90 53 53, www.bernard-loiseau.com
Bistro Loiseau du Morvan
Exquisite Marktküche im Hotel La Tour d’Auxois.
• rue d’Argentine, 21210 Saulieu, Tel. 03 80 64 36 19, www.bernard-loiseau.com
Restaurant Le 7
Frische Marktküche, saisonal und kreativ, von einem Frauenteam.
• 7, rue Claude Courtepée, 21210 Saulieu, Tel. 03 80 64 57 37, https://restaurant-7.fr

Hier könnt ihr schlafen
Le Relais Bernard Loiseau*
Das berühmte Fünfsternehaus mit Spa und Zweistenrestaurant. Wer mag, bucht hier*.
• 2, rue d’Argentine, 21210 Saulieu, Tel. 03 80 90 53 53, www.bernard-loiseau.com
Hostellerie de la Tour d’Auxois*
Zum Gastronomiekomplex von Loisneau gehört auch diese allerbeste Adresse gegenüber vom legendären Stammhaus, das in einem ehemaligen Kloster aus dem 17. Jahrhundert auf einer Stadtmauer aus dem 13. Jahrhundert Charakter und Charme mit höchstem Komfort vereint. Hier* könnt ihr die Unterkunft buchen!
• rue d’Argentine, 21210 Saulieu, Tel. 03 80 64 36 19, www.bernard-loiseau.com
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