Sauve am Vidourle. Foto: Hilke Maunder

Sauve: Magie der Gassen

Wie ein Amphitheater schmiegt sich Sauve etwa 40 Kilometer von Nîmes an die felsigen Flanken des Coutach-Massivs im Süden der Cevennen, zu dessen Füßen der Vidourle plätschert, der sich nach der Schneeschmelze wie ein Wildwasser gebärdet. Hinüber und hinein in das village de caractère führt seit dem 12. Jahrhundert der Pont vieux. Er gehört zu den ältesten Brücken Frankreichs und war lange Zeit der einzige Übergang über den Vidourle.

Hochburg der Protestanten

Die Wurzeln von Sauve reichen bis in die gallo-römische Zeit zurück. Seine Blütezeit erlebte das Dorf im Mittelalter, als es während der Religionskriege zu einer protestantischen Bastion wurde. Heute ist Sauve ein lebendiger Ort, der für sein historisches und aktuelles Kunsthandwerk 2016 mit dem Label Ville et Métiers d’art (Stadt und Kunsthandwerk) ausgezeichnet wurde.

Die engen Gassen des Dorfes sind ein Eldorado für alle, die gerne eintauchen in die Vergangenheit, das Flair von früher genießen und das typische Savoire-vivre des Südens lieben. Gut erhaltene Stadtmauern, acht alte Wachtürme und die Tour de Môle, die Teil der Abteibefestigung war, sowie das historische Rathaus erzählen von einer bewegten Vergangenheit. Überall finden sich Spuren vergangener Festungsanlagen, die von der strategischen Bedeutung des Ortes zeugen.

Ein markierter Rundgang mit 19 Stationen führt euch durch das historische Zentrum. Je tiefer ihr in das Gewirr der Gassen eintaucht, desto persönlicher wird das Ambiente. Mitunter hatte ich das Gefühl, mitten durch private Lebensräume zu laufen beim Schlendern. Hier waren Tisch und Stuhl vor das Haus gestellt, dann die Fassaden fantasievoll und farbenfroh verziert.

Eine Bewohnerin präsentiert auf den Fenstergesimsen ihre Steinsammlung, eine andere ihre handgeformten Figuren. Ungeheuer privat und persönlich, mit unzähligen Blumen in Töpfen, Büschen und Pflanzen, die in den letzten Winkeln noch wachsen, präsentiert sich die Altstadt fernab von den viel besuchten Gassen.

Gute Stube der Stadt ist die Place du Docteur Jean Astruc , in deren Arkaden an der Rue de la Fusterie das beliebte Café La Floriane daheim ist und bei den ersten Sonnenstrahlen seine Tische und Stühle auf das Pflaster stellt.

Der Fabeldichter aus Sauve

Das Flair von Sauve beflügelte auch die Fantasie eines Mannes, der als Florian landesweit berühmt wurde. Es war Jean-Pierre Claris de Florian, Südfrankreichs Antwort auf Jean de La Fontaine. Insgesamt 112 Fabeln verfasste der rührige Dichter, der 1755 in Sauve das Licht der Welt erblickte. Doch ganz so genau weiß das heute niemand mehr. Und so wird auch gerne das Château de Florian, etwa 15 Kilometer von Anduze entfernt, mit ins Spiel gebracht.

Sämtliche Fabeln von Florian, den Sauve als einen seiner berühmtesten Bürger feiert, vereint das 1792 erschiedene Hauptwerk, Fables. Es umfasst fünf Bücher voll lehrreicher Fabeln, zu denen posthum noch zwölf weitere Fabeln hinzugefügt wurden. Bis heute werden die Fabeln von Florian verlegt – und sind nicht nur als Taschenbuch*, sondern auch als E-Buch* erhältlich.

Die berühmteste Fabel von Florian ist wahrscheinlich Le Grillon (Die Grille), die Unterschiede im Schicksal zwischen der bescheidenen Grille und dem prunkvollen Schmetterling aufzeigt und damit eine tiefere Reflexion über das Leben und die Werte der Gesellschaft anregt. Und die Moral von der Geschichte? Pour vivre heureux, vivons cachés (Um glücklich zu leben, leben wir verborgen) – sie wurde zum Motto der 40 hectares am Cap Ferret.

Le voyageur le moins attentif qui traverse le territoire de cette petite cité ne peut manquer de ressentir une impression d’étrangeté, une sorte d’appel du mystère.

Selbst der am wenigsten aufmerksame Reisende, der das Gebiet dieser kleinen Stadt durchquert, kann nicht umhin, einen Eindruck von Fremdheit zu empfinden, eine Art Ruf des Mysteriums.

André Chamson (1900-1983) nach einem Besuch von Sauve

Jersey aus Sauve

Früher war Sauve, wie zahlreiche andere Orte in den gebirgigen Regionen Frankreich, eng mit der Textilwirtschaft verwoben. Die bonneterie oder Strickerei, und besonders die Herstellung von Jerseystoffen, spielte jahrhundertelang eine bedeutende Rolle in der Geschichte.

Eine der ältesten Strickereien von Sauve war die im 19. Jahrhundert gegründete Bonneterie Tessier, die vor allem Socken und Unterwäsche herstellte. Pierre Coulondre gründete 1922 die Bonneterie Coulondre, die rasch für ihre innovativen Techniken in der Strickwarenproduktion bekannt wurde.

Doch die Konkurrenz durch industrielle Massenproduktion brach den handgefertigten Strickwaren das Genick. In den 1980-er Jahren musste die Bonneterie Tessier ihren Betrieb schließen. Eine Dekade später gab auch die Bonneterie Coulondre die Fertigung auf.

Doch tot ist die Textilindustrie von Sauve noch nicht. Mitten in den Wirren des Zweiten Weltkriegs nahm etwas außerhalb an der Straße nach Quissac, Émince seine Fertigung auf und produziert hier seitdem hochwertige, komfortabel sitzende Herrenunterwäsche, Pyjamas, Hausschuhe und T-Shirts, die vor Ort ein Outlet-Shop vergünstigt verkauft.

Handgefertigte Heugabeln

Eine besondere Verbindung zur Natur zeigt sich in einer 700 Jahre alten Handwerkstradition, die in Sauve gepflegt wird: der Herstellung von Heugabeln aus dem Holz der Zürgelbäume (micocoulier). Im Frühjahr, wenn die Tage länger werden und die ersten Sonnenstrahlen die Bergflanken erwärmen, beginnt die Zeit der Holzernte. Mit Axt und Säge werden die Zürgelbäume gefällt, deren Holz über den Winter trocknet. Im Sommer dann, wenn die Tage am längsten sind, beginnt die eigentliche Arbeit: das Schnitzen, das Formen.

Früher wurden jährlich bis zu 120.000 solcher Gabeln hergestellt, die sehr begehrt waren, weil sie für die Beine der Tiere weniger gefährlich waren. Diese für Sauve besondere und in Europa einzigartige Industrie wird bereits im 12. Jahrhundert erwähnt.

Es war Jean Antoine de Claris, Seigneur de Florian, der dem Intendanten der Genossenschaft dabei half, den König davon zu überzeugen, den Gabelmachern von Sauve das Monopol für die Herstellung zu überlassen. Heute hält Michaël Gstalder als letzter seines Fachs das alte Handwerk lebendig. Als sein Schaufenster und Bewahrer versteht sich das Conservatoire de la Fourche, das die traditionellen Werkzeuge und Techniken zur Herstellung der Heugabeln präsentiert – von der Ernte des Holzes bis zum fertigen Gerät.

Sauve: meine Reisetipps

Hinkommen

Bahn

Der nächstgelegene Bahnhof befindet sich in Quissac, etwa zehn Kilometer von Sauve entfernt. Zum TGV-Bahnhof in Nîmes sind es rund 55 Kilometer.

Bus

Verbindungen nach Nîmes und Saint-Hippolyte-du-Fort, Ganges und Le Vigan. Fahrpläne: https://plan.lio-occitanie.fr

Rad

Die frühere Bahnstrecke zwischen  Saint-Hippolyte-du-Fort und Sauve ist heute als autofreier Rad- und Wanderweg ausgebaut.

Schlemmmen und Genießen

Le Bossens

Klassische französische Küche in gemütlicher Atmosphäre – im Sommer mit Terrasse.
• 11, rue Mazan / Place de la Révolution, 30610 Sauve, Tel. mobil 06 47 06 85 62, auf Facebook zu finden

L’Ancienne Gare

Mit Schaffnermütze begrüßt euch der Kellner im ehemalige Bahnhof von Sauve und nimmt die Bestellung auf. Auf der Karte: traditionelle französische Küche mit mediterranen Einflüssen, im Sommer auch draußen auf der Terrasse. Ambiente und Qualität der Speisen machen das Restaurant zu einem der beliebtesten von Sauve.
• 7, avenue Rhin et Danube, 30610 Sauve, Tel. 06 51 50 78 43, https://restaurantlanciennegare.fr

Le Comptoir de l’Evesque

Genau in der Mitte zwischen den Dörfern Sauve und Quissac liegt diese Schlemmeradresse von maître restaurateur Céline Belin, die ihre Erfahrungen im Bella Tola in Saint-Luc und in Les Bouquetins in Zinal gesammelt hat.

Im Sommer hebt sie ihr beliebtes Risotto von rotem Reis A.C Camargue, Farandole von Saisongemüse und knusprigem Parmesan auf die Speisekarte und füllt den Burger nicht mit Hack, sondern einem Steak, das mit dem Messer aus einem Rinderfilet geschnitten wird, ergänzt mit gebratener Foie gras, gebratenen Äpfeln – und flambiert mit Pastis.
• Lévesque, 30610 Sauve, Tel. mobil 06 73 01 97 13, https://lecomptoirdelevesque.fr

La Floriane Restaurant & Bar Pub Glacier

Pub-Küche mit guter Auswahl an Cocktails und kleinen Gerichten; beeindruckend ist die Craft-Bier-Auswahl. Regelmäßig gibt es Live-Musik. Top: Patronin Stephanie Serres ist kinderfreundlich und hundefreundlich.
• 6, rue de la Fusterie / Place du Docteur Jean Astruc, 30610 Sauve, Tel. 06 41 77 14 96, auf Facebook zu finden

Erleben

Offener Kunst-Sonntag

Der Verein Un Dimanche à Sauve öffnet euch sonntags die Türen zu Galerien und Ausstellungsräumen.

Trödelmarkt

Traditionell am 1. Mai hält Sauve seinen großen Flohmarkt auf der Place de la Vabre am Fuße der Altstadt ab.

 Journées des Créateurs 

Ebenfalls Anfang Mai öffnen die Kreativen der Stadt ihre Ateliers – 45 sollen es allein in der Altstadt sein! Von der Stickerei bis zur Textilmode, von der Malerei bis zur Bildhauerei, von der Gravur bis zur Fotografie, vom Geigenbau bis zur Musik, von der Keramik bis zum mundgeblasenen Glas präsentieren sie aktuelles Design und zeitgenössische Kunst. Mit dabei: die Lampen von Jean-Luc Mare und die Kreationen von Glasbläser Eric Lindgren.

Aktiv

Parcours de santé

Trimm-Dich-Pfad am stade Robert Gaillard.

Voie verte

Autofreier Radweg von Quissac nach Saint-Hippolyte-du-Fort.

In der Nähe

Erosion und Verwitterung haben das Mer des Rochers auf dem Plateau des Coutach geschaffen und aus dem Kalk über die Jahrtausende hinweg bizarre Formen gewaschen, die an ein tosendes Meer erinnern. Über dem Felsenmeer thront seit Mitte des 17. Jahrhundert das Château de Roquevaire, das unter der Leitung von Henry Delmas, dem Abt der Abtei Saint-Pierre de Sauve, erbaut wurde. Ein Rundweg mit Erläuterungen erklärt die Herstellung der Heugabeln.

Hier könnt ihr schlafen

La Magnanerie*

Fünf modern-komfortable Gästezimmer* mit Blick auf den Vidourle und hölzerne Zigeunerwagen* im Grünen: Wie wollt ihr hier nächtigen?
• D408 / Route de Fonsanges (2 km außerhalb), 30610 Sauve, Tel. mobil 06 75 92 72 78, www.la-magnanerie-dhotes.com

Wohnwagen-Stellplatz

• D 999 / Place de la Fabre, 30610 Sauve

 

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Im Blog

Noch mehr Beitrag aus dem Département Gard gibt es in dieser Kategorie. Ebenfalls am Vidourle liegt Sommières – ebenfalls ein zauberhafter Ort! Hier gibt es Infos und Impressionen.

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