
So nah? Da war ich doch erstaunt: Nur 80 km trennen Paris vom Burgund. Dort findet ihr Sens, den nördlichen Vorposten der Bourgogne. Im Mittelalter hatte die Pforte zum Burgund sogar Paris als Diözse eingemeindet! Im Mittelalter stieg Sens zur Metropole einer riesigen Kirchenprovinz auf.
Zu ihrem Herrschaftsgebiet gehörten auch die Diözesen Chartres, Auxerre, Meaux, Nevers, Troyer und Orléans. Denn der des Erzbischofs trug den Titel „Primat des Gaules et de Germanie“ – und war damit der erste Primas nach dem Papst. Doch Religionskriege und die Schaffung des Erzbistums Paris im Jahr 1622 kappten seine Macht.
Erste gotische Kathedrale der Welt
Doch im Mittelalter hatte der Erzbischof noch enorme Macht – und die will er zeigen. 1130 beschließt beauftragt daher Henri Sanglier den Bau einer Kathedrale, die die Macht seines Erzbistums würdig widerspiegelt. Dazu holte er innovativen Architekten wie Wilhelm von Sens an Bord.
Ihr Entwurf schlägt eine große Kirche mit einem Hauptschiff, zwei Seitenschiffen und Kreuzrippengewölbe vor: Was für eine revolutionäre Architektur! 1164 weiht Papst Alexander III. die erste gotische Kathedrale der Welt ein, während der Bau von Notre-Dame de Paris gerade beginnt…
Berühmt sind die Buntglasfenster der Kathedrale. Eines von ihnen erzählt das Leben des exilierten Erzbischofs von Canterbury, Thomas Becket, von seiner Abreise aus Sens bis zu seiner Ermordung. Als schönstes Fenster gilt indes das „vitrail du concert céleste„. Zwischen den Pfeilern ist der Kopf des Glaskunstmeisters versteckt – sucht Jean du Cognot!
Und werft auch einen Blick auf die Skulpturen der Fassade. Zwischen den Wasserspeiern sind auch allerlei exotische und mythologische Kreaturen versteckt! Am 27. Mai 1234 heirate Ludwig der IX. dort seine 13-jährige Kusine Margarete von der Provence – und machte sie so bis 1270 zur Königin Frankreichs.
2014 wurde zum 850. Geburtstag der Kathedrale eine Ton- und Lichtshow, die seitdem jeden Sommer mit Videomapping den Kirchenbau an lauen Sommerabenden bei den Lumières de Sens von Juni bis September in Szene setzt. Magisch!
Zeitreise beim Erzbischof
Tiefer einsteigen in die Geschichte von Kirche und Stadt könnt ihr gleich gegenüber: Der einstige Bischofspalast dient heute als Museum und präsentiert in der ehemaligen Privatkapelle der Erzbischöfe den ungeheuer reichen wie mannifaltigen Kirchenschatz: wertvolle flämische Wandteppich, das Messgewand von Thomas Becket und einen kunstvollen Reliquienschrein aus Elfenbein. In den Kerkern des Palais könnt ihr noch immer die mittelalterliche Graffiti der Gefangenen erkennen.
Die gallorömische Sammlung schließlich lädt zur Zeitreise in jene Jahren, als Caesar in Sens sechs Legionen stationieren, bevor er Vercingetorix bekämpfte. Damals hieß Sens noch Agedincum. Die Römer legten ihre Stadt im typisch antiken Schachbrettmuster an. Straßen bilden bis heute wichtige Achsen. Ihre Decumanus Maximus bildet heute die Grande Rue. Dem antiken Cardo Maximus folgen heute die Straßen Rue André Gâteau und Rue de l’Ecrivain.
Vor der Kathedrale sind sämtliche Stühle und Tische bis auf den letzten Platz besetzt. Auf der Place de la République trifft sich die Stadt zum Mittagstisch und Apéro, schaut den Kindern zu, die auf dem nostalgischen Karussell vor der Kirche ihre Kreise ziehen, trifft Freunde, flirtet, lacht und tratscht. Oder genießen den kleinem Schwarzen oder ersten Wein nach dem Marktbummel, dessen Halle den Platz gen Westen abschließt.
Hochgenüsse aus der Region
Mit ihrer Metallstruktur und schmucken Ziegelmustern erinnert der Marché Couvert dan ähnliche Markthallen vom Ende des 19. Jahrhunderts. Ungewöhnlich ist jedoch die sonderbare Dreiecksform des Dachses a. Ausgedacht hat sich dies ein Architekt, der auch in Paris bekannte Gebäude hinterlassen hat: Armand Moisant, Bauherr von Le Bon Marché und dem Grand Palais. Im Mittelalter befand sich am Standort der Markthalle das Hôtel-Dieu, das direkt an der Kirche bedürftige Kranke versorgte.
Seht euch die Glastafeln über den Eingängen an, die Obst und Gemüse zeigen. An den Ständen finden ihr auch eine AOC-Spezialität, deren kontrolliertes Herkunftsgebiet bis nach Sens reicht: Chaource-Käse, vollmundig, sehr cremig und milder als die markanteren lokalen Sorten Saint-Florentin und Soumaintrain.
Kein herzhafter, sondern süßer Genuss ist das Mürbteigtörtchen Le Senon, den die örtlichen Bäcker mit Mandel backen, mit schwarzen Johannisbeeren füllen und mit köstlicher Glasur verschönern.
Steigt auch ins Zwischengeschoss – von dort habt ihr den besten Überblick und könnte das Markttreiben prima im Foto einfangen!
Jenseits der Markthallen findet ihr in den Gassen und Straßen viele inhabergeführte Geschäfte. Entlang der Rue de la République findet ihr vor allem Filialen von großen französischen Ketten. Lasst euch beim Bummeln von Brennus führen, der 390 n. Chr. Rom eroberte. Das Konterfei des örtlichen Helden ist als Plakette in das Pflaster eingelassen und leitet euch so zu den wichtigsten sehenswerten Stätten von Sens. Die begleitende Broschüre dazu gibt es gratis im Office de Tourisme an der Place Jean Jaurès.
Grüne Oasen
Die ehemaligen Befestigungsanlagen von Sens sind heute beliebte Spazierwege. Die südliche Altstadt begrenzt ein Grünstreifen, der gerne für Events genutzt wird. Der kleine Square Jean Cousin entpuppt sich als kleiner eingezäunter Park mit Kinderspielplatz, Denkmal, Blumenbeeten und Baumveteranen.
Oder entdeckt am kleinen Flüsschen Vanne den Landschaftspark „Parc du Moulin à Tan“ mit seinem Rosengarten, Arboretum und Tiergehege, Gesundheitsweg und Pflanzenlehrpfad und den exotische Gewächshäuser mit tropischen Pflanzen. Wer nicht zu Fuß dorthin spazieren möchte, kann sich beim Office de Tourisme ein Fahrrad ausleihen!
Oder folgt dem Lauf des Yonne, dessen Ufer eine neu gestaltete Promenade säumt. Unterwegs laden knallrote Femobstühle zur Pause ein. Direkt an der Altstadt hat sich eine Insel in den Fluss geschoben. An ihrer Südspitze findet ihr das Sternerestaurant La Madeleine.
Sens: meine Reisetipps
Schlemmen
La Madeleine
Patrick Gauthier versteht es meisterhaft, mit Zutaten von den Märkten der Stadt besondere kulinarische Momente der burgundischen Küche zu zaubert. Zwei Sterne vergab dafür Michelin!
• Île d’yonne, Quai Boffrand, 89100 Sens, Tel. 03 86 65 09 31, www.restaurant-lamadeleine.fr
Le Clos des Jacobins
Direkt in der Fußgänger verwöhnt euch seit 1984 der Patron mit raffiniert gewürzter, marktfrischer Küchen – mittags mit einem Mittagstisch zum Festpreis, abends mit Gourmetmenüs. Auf der Karte findet ihr bei den Vorspeise Kürbissuppe mit Kastanienflocken, knusprige Ziegenkäse mit Speck und pfeffrigem Karamell oder Jakobsmuscheln mit ihrer warmen, altmodischen Senfvinaigrette. Als Hauptgericht kommen Rinderfilet, Entenbein, Kalbsbries, Andouilette und andere Klassiker der französischen Küche auf den Tisch.
• 49, Grande Rue, 89100 Sens, Tel. 03 86 95 29 70, www.restaurantlesjacobins.com
Schlafen
Hôtel de Paris et de la Poste*
Madame und Monsieur Godard haben 1980 die einstige Posthalterei von Sens gekauft und in ein Hotel verwandelt, das die recht kleinen Zimmer mit sehr guter Küche wettmacht. Am Herd steht Philippe, Gastwirt in dritter Generation, und verwöhnt euch mit burgundischer Küche. Sehr lecker ist auch das opulente Frühstück, dass ihr bei gutem Wetter auch auf der Restaurantterrasse genießen könnt.
• 97, Rue de la République, 89100 Sens, Tel. 03 86 65 17 43, www.hotel-paris-poste.fr
Archotel Sens*
Tolle Lage, saubere Zimmer, frisch renoviert: Das zentrale Dreisternehaus punktet mit 44 Zimmer in modern-nostalgischem Flair, 40 Zoll großem TV mit 60 Sendern, WLAN in allen Zimmern und großem Garten.
• 9, cours Tarbes, 89100 Sens, Tel. 03 86 64 26 99, www.archotel-sens.com
Weitere Unterkünfte*
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Weiterreisen
Das ganze Land
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Liebe Hilke,
was für ein Glück, dass ich Deinen Blog gefunden habe!
Es ist, als wäre ein nicht konkreter Traum ganz von selbst Wirklichkeit geworden.
Tolle Reise Ideen für Frankreich. Mit Essen und Hotel. Gefällt mir wirklich sehr und sobald mein nächstes Bücherregal gekauft ist, also bald, werde ich mir die Reiseführer bestellen.
Momentan habe ich noch das Gefühl, dass mir ein bisschen die Übersicht fehlt, aber das wird sich finden. Jetzt werde ich erst einmal schauen, wie weit es von hier (ca. Frankfurt / M) bis Sens ist. Ich kopiere einfach Deinen Beitrag und drucke ihn dann aus? Schon habe ich einen „Führer“. Oder ist das sehr oldschool und es geht viel schlauer.
Gruß
Charlotte
Liebe Charlotte, hach, das freut mich! Für die Übersicht: Es gibt Kategorien für die Beiträge – zum einen nach Regionen, zum anderen nach Themen. Du findest sie im rechten Frame und oberhalb des Titels in jedem Beitrag. Falls Dich eine Ecke besonders interessiert, geh einfach im Blog auf die Startseite. Dort findest Du eine Karte, die Du beliebig zoomen und schieben kannst – je nachdem, was Dich interessiert. Ich würde ja gerne eine App noch basteln, die aufs Handy blitzschnell zur Route oder zum Ort, an dem man gerade ist, die Beiträge aufzeigt… aber da fehlt mir ein Entwickler. Falls Du jemanden kennst… Und old school ist immer gut (und Netz- und Batterie-unabhängig :-). Viele Grüße! Hilke