Simorre: der Eingang zum Bouche à l'Oreille. Foto: Hilke Maunder

Simorre – ein Dorf lebt auf

Die hochgesteckten Haare ein wenig zerzaust, die rote Brille auf der Nase, das Glas mit Weißwein in der Hand, steht sie mittags am Tresen des Bouche à Oreille und beäugt mich. „Deine Mütze verrät Dich. Du bist nicht von hier“. Als ich  sie erstaunt anblicke, lacht sie und sagt: „Ich kenne hier jeden.“

So schnell ist das Eis gebrochen, klöne ich mit der fremden Frau in einem Café-Bistro in Simorre im Süden des Gers. „Es ist das einzige Lokal des Ortes“, erzählt Agnès Champion, „hier treffen sich alle – das BAO ist das Herz des Ortes.“

Simorre: Dorftreffpunkt für aller Generationen – das BOA. Foto: Hilke Maunder
Dorftreffpunkt für aller Generationen – das BAO. Foto: Hilke Maunder

Top-Design in der Dorf-Boutique

Auch sie war vor drei Jahren noch fremd hier, eine Städterin aus Toulouse. Doch seit drei Jahren verwandelt sie im Sommer und vor Weihnachten einen ehemaligen Hutmacherladen in eine boutique éphémère, einen Pop-Up-Store von Promethée Humanitaire.

Dort verkauft sie im Juli, August und Dezember Mode von Top-Labels wie Isabel Marant, Lilith, Ekobo, Ipanema und Vanessa Bruno 40 – 70 Prozent günstiger als der stationäre Handel.

Simorre: Alles, was aus der Küche kommt, stammt von lokalen Produzenten und wird frisch zubereitet. Foto: Hilke Maunder
Alles, was aus der Küche des BAO kommt, stammt von lokalen Produzenten und wird frisch zubereitet. Foto: Hilke Maunder

Pop-Up-Store fürs Kinderwohl

Die Erlöse kommen dem Kinderhilfswerk Promethée Humainitaire zugute. Sämtliche Kleidung stammt aus Spenden. Das Haus hat ihr ein deutscher Immobilienmakler, der mit dem Verkauf des Hauses beauftragt wurde, kostenlos zur Verfügung gestellt.

Zu zahlen sind von Agnès, Jahrgang 1961, nur die Betriebskosten. Ihr findet das Geschäft an der Place de l’Ancienne Halle von Simorre.

Simorre: die Westfassade der Kirche. Foto: Hilke Maunder
Die Westfassade der Kirche. Foto: Hilke Maunder

Wehrhafter Glaube

Wenige Schritte entfernt erhebt sich wuchtig die Wehrkirche mit Türmen und Schießscharten über die Fachwerkgassen von Simorre. Die Backsteinkirche aus dem 14. Jahrhundert erhielt von Viollet-le-Duc ihr heutiges Aussehen.

Das Kirchenschiff der Pfarrkirche von Simorre. Foto: Hilke Maunder
Das Kirchenschiff der Pfarrkirche von Simorre. Foto: Hilke Maunder

Der Graf „verschönerte“ sie mit einem Zinnendach und senkte ihr Dach ab. Geht auch einmal hinein – ist es nicht schön, wie das Licht durch die Fenster fällt?

Simorre: Schnitzwerk im Chor der Pfarrkirche. Foto: Hilke Maunder
Das Schnitzwerk im Chor der Pfarrkirche. Foto: Hilke Maunder

Den Chor schmücken kunstvoll geschnitzte Stühle. In der Sakristei findet ihr noch Wandmalereien aus dem 14. Jahrhundert.

Simorre: das Schnitzwerk der Sitze im Chor der Pfarrkirche. Foto: Hilke Maunder
Das Schnitzwerk der Sitze im Chor der Pfarrkirche. Foto: Hilke Maunder

Fachwerk-Flair in alten Gassen

Und danach: rein ins Mittelalter. Rund um die befestigte Kirche säumen Fachwerkbauten und Häuser mit vorspringenden Erkern die malerische Gassen und Plätze. Nostalgische Patina, Schaufensterauslagen von einst.

Wie in meinem Ort ist auch hier  zu spüren, dass die Überalterung der Orte, Abwanderung und Großmärkte auf der grünen Wiese die Zentren ländlicher Dörfer und Städte veröden.

Simorre: Hausbau aus dem Mittelalter. Foto: Hilke Maunder
Hausbau aus dem Mittelalter. Foto: Hilke Maunder

Gers statt Roussillon

Doch auch hier gibt es Gegentrends. Allen voran das Bouche à Oreille von Arthur (39) und Sévérine (40) Pailhès. Arthur, der das Dorf aus Kinderferien kannte, hatte erst die Provence im Blick, um sich selbstständig zu machen.

Simorre: der Wirt des BAO. Foto: Hilke Maunder
Arthur, der Wirt des BAO. Foto: Hilke Maunder

„Wir haben uns dann doch gegen Roussillon entschieden. Dort gibt es zu viel Verkehr, ist alles schon sehr weit entwickelt. Hier können wir noch etwas bewirken.“ Réinventer la campagne, den ländlichen Raum neu beleben, ist sein Ziel – „das funktioniert nur mit den Menschen vor Ort, mit den Bewohnern.“

Simorre: der Speisesaal des BAO. Foto: Hilke Maunder
Der Speisesaal des BAO. Foto: Hilke Maunder

Neues Leben auf dem Lande

In Simorre erwarb das Paar die Schanklizenz des Mon Café, das als letztes Lokal seine Pforten geschlossen hatte, übernahm Teile des Mobiliars – und richtete in der alten Dorfschlachterei ihr Bouche à Oreille an. Längst wird es nur noch BAO genannt.

La Depêche du Midi - die große Zeitung des Südens. Foto: Hilke Maunder
La Depêche du Midi – die große Zeitung des Südens. Foto: Hilke Maunder

Das Café-Bistro mit Terrasse ist das neue Dorfzentrum. Es verkauft Angelscheine, bietet einen Internet-Zugang mit Rechnern und Wifi an, führt eine kleine Bibliothek und veranstaltet jeden Sonnabend ab 19.30 Uhr Live-Konzerte.

Das Programm: genreübergreifend. „Doch Jazz läuft am besten – die Leute kennen und lieben Jazz durch das Festival von Marciac!“

In Simorre sind die ersten Fachwerkhäuser liebevoll restauriert. Foto: Hilke Maunder
In Simorre sind die ersten Fachwerkhäuser liebevoll restauriert. Foto: Hilke Maunder

Slow Food & Jazz

Arthur, früher als Kulturmanager tätig, und Sévérine, einst Tänzerin, heute kreative Köchin, sind so gut vernetzt, dass nicht nur unbekannte Talente aufspielen, sondern auch Namen, die in der Szene bekannter sind. Und so kommen immer mehr Städter nicht nur aus Toulouse nach Simorre.

Simorre im Gers. Foot: Hilke Maunder
Seht euch einmal genauer an, wie das Fachwerk mit schmalen Backsteinen gefüllt wurde! Foto: Hilke Maunder

2018 wandelte sich daher die Geschäftsform. Die GbR des Paares ist jetzt eine Genossenschaft, für die sich das ganze Dorf jetzt finanziell engagiert. Réinventer la campagne : Simorre macht Hoffnung.

Bedienen Sie sich – eine sehr nette Geste, gesehen in Simorre. Foto: Hilke Maunder
Bedienen Sie sich – eine sehr nette Geste, gesehen in Simorre. Foto: Hilke Maunder

Simorre: meine Reisetipps

Hinkommen

Im Flieger bis nach Toulouse, auf der N 124 gen Westen bis Gimont, auf der D 12 gen Süden bis Simorre, 72 km ab Flughafen.

Schlemmen

Bouche à Oreille

Als das letzte Café des Ortes schloss, ergriffen Arthur und Sévérine Pailhès die Initiative, kaufetn das gesamte Interieur und eröffneten ein neues Lokal, das Bistro und Café, Konzertbühne und Kulturzentrum, Dorftreff und Online-Zugang ist: das BOA, wie es nur noch genannt wird. Ab mittags ist es täglich gut besucht. Besonders sonnabends zu den abendlichen Livekonzerten!
• Rue Paul Saint-Martin, 32420 Simorre, Tel. 05 62 05 52 42www.facebook.com/leboucheaoreillebarresto

Wilde Orchideen könnt ihr bei dieser 14 km langen Runde entdecken, für die ihr rund drei Stunden Zeit einplanen solltet.
www.tourisme-gers.com

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Die Wetterfahne der Pfarrkirche erhebt sich auf dem Kirchvorplatz. Foto: Hilke Maunder
Die Wetterfahne der Pfarrkirche erhebt sich auf dem Kirchvorplatz. Foto: Hilke Maunder

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2 Kommentare

  1. Danke für den wunderschönen Flashback. Ich habe mal 6 Monate in Simorre gelebt und vermisse die Zeit immer noch… besonders wenn das Leben wieder mal zu schnell und die Luft zu kalt ist ..

Kommentare sind geschlossen.