
Mit langen Stöcken treiben Männer im weißen Hemd und dunkler Hose, den Hut auf dem Kopf, Tausende Schafe am Samstagmorgen durch die Straßen von Die in der Drôme. Hier und da springt ein Ziegenbock aus dem weißen Wollgewirr.
Das weiche Fell der Tiere berührt die Beine der Zuschauer. Musik erklingt aus Lautsprechern. Einige sind fest in die Straßenbeleuchtung integriert. Andere sind kreativ vor die Fassaden montiert. Kameras klicken.

Das Fest zum Almauftrieb
Das Clairette-Städtchen der Drôme feiert Anfang Juni nicht seinen prickelnden Schaumwein. Sondern seine Schafe. Die Fête de la Transhumance ist inzwischen ein zweitägiges Volksfest. 2021 wurde der 30. Geburtstag gefeiert.
Erstes Ziel der Schafe ist Chamaloc. Von dort ziehen sie mit ihren Schäfern hinab auf in die Berge des Vercors. Ihr Ziel sind die saftigen Almen des Col de Rousset (1254 m). Dort weiden sie frei und ungebunden, ehe es für sie im September zurück ins Tal geht. Aber nicht immer in den Stall.

Eine jahrtausendealte Tradition
La Transhumance: Seit Jahrtausende kennt auch Frankreich die Wanderweidewirtschaft in seinen Bergen. In den Hochtälern der französischen Alpen und der Seealpen ähnelt sie der Almwirtschaft, wie sie in Bayern, der Schweiz, Österreich und Norditalien betrieben wird.

Im Sommer geht es auf den Berg, im Winter in den Stall. Und während das Vieh im Sommer auf entfernten Bergweiden grast, bleibt der Bauer in Frankreich im Tal, betreibt Ackerbau, kümmert sich um Haus und Hof oder geht einem anderen Beruf nach.

Anders sieht es in den Cevennen, den Corbières und anderen Mittelgebirgen aus. Da ziehen die halbsesshaften Hirten mit ihren großen Herden das ganze Jahr von Weide zu Weide. Je nach Saison und Wetterlage sind sie mal höher oder tiefer gelegen, mal reich, mal mager an Futter.

Milch mit demn Aromen der Berge
Doch immer sind es Naturweiden, die der Milch einzigartige Aromen verleihen. Und in ihrer biologischen Vielfalt überraschen. Rosmarin, Thymian und Lavendel wachsen dort zwischen wildem Fenchel und verwildertem Getreide.

Auch feuchteren Wiesen leuchtet das Gras fast schon unwirklich saftig grün. Im Mai könnt ihr dort dann Orchideen entdecken, bedrohte Arten, anderenorts schon ausgerottet.

Ab Ende Mai sind die Weiden der Crau-Ebene bei Saint-Rémy-de-Provence so trocken und abgeweidet, das kein Gras mehr die Schafe ernähren kann. Auch dort beginnt für die Schafe der Weg zu den Bergweiden. Und der ist lang – denn die Schafherden verlassen die Provence. Früher wurde der Weg zu Fuß zurückgelegt.
Eingepfercht im Laster
Zehn lange Tage marschierte der Schäfer mit seinen Tieren durch das Land. Heutzutage werden die Tiere dicht an dicht in die Laster gepfercht, nachdem sie Anfang Juni bei der Fête de la Transhumance durch die Straßen des Städtchens getrieben worden sind. Über die Autobahn werden sie binnen weniger Stunden in die Alpen kutschiert. Bis zu 400 Schafe nimmt ein bétaillères (Schafslaster) mit drei oder vier Etagen auf.

Feste Regeln und Routen
Im Laufe der Jahrhunderte hat sich bei der Transhumanz ein festes System an Regeln, Routen und Rassen herausgebildet. Allein in der Provence wandern heute noch mehr als 600.000 Schafe auf den alten Viehtriebsrouten der Berge. „Drailles“ und „Carraires“ heißen diese Wege im Midi.
In den bis zu 1000 Tieren großen Herden findet ihr ausschließlich Rassen wie Mérinos d’Arles, Mourérous und Préalpes du Sud, die robust genug sind für die Transhumanz. Bewacht werden sie von Schäfern, die heute in Frankreich im Dienst der Kommunen und Départements stehen. Und inzwischen bei Salons-de-Provence eine eigene Ausbildungsstätte haben: die Domaine du Merle.

Ihnen zur Seite stehen nicht nur Hütehunden, sondern – besonders in der Provence – auch von Ziegen und Eseln. Seitdem auch in Frankreich der Wolf jährlich mehrere Tausend Schafe reißt, hat sich zu den Hütehunden in den Bergen auch ein Schutzhund gesellt.

Meist ist es ein Patou. Sein weiches, sehr dickes, wuscheliges Fell in Cremeweiß lässt kaum ahnen, wie gefährlich der so auf den ersten Blick so kuschelig wirkende Hund nicht nur dem Wolf, sondern auch Wanderern werden kann. Schon beim geringsten Verdacht verteidigt der Chien de Montagne de Pyrénées, wie er offiziell heißt, seine Herde.

Hütehund der Pyrenäen: der Patou
Wenn sich euch ein Patou nähert, knurrt und/oder bellt, bleibt ruhig stehen, lasst den Hund schnuppern – und seht ihm nicht in die Augen. Versucht auch nicht, euch zu verteidigen. Sondern wartet, bis der Hund euch überprüft hat. Wenn er sich trollt, könnt auch ihr weitergehen.

Die Heimat des Patou sind die weiten, wilden Berge der Pyrenäen, wo er die Herden mitunter völlig eigenständig bewacht. Zu den Schafen haben sich die Rinder gesellt. Anders als die Schafe jedoch, werden sie nicht im großen Stil durchs Land getrieben.

Sondern nur im Frühjahr vom Tal hinauf auf die Almen der Berge. Und im Winter wieder hinab. Hütetiere gibt es für sie nicht. Die Rinder werde dort oben ganz sich selbst überlassen. So wie am Col de Pailheres, wo sie gerne am Straßenrand stehen und für den Parkplatz extra Einfahrtsbarrieren angeschafft wurden, die unter Strom stehen. Dort stehen die Autos der Wanderer im Gatter… und die Tiere laufen frei.

Wilde Merens
Im Osten der Pyrenäen lebt Nathalie Komaroff die Transhumanz mit ungewöhnlichen Tieren: Sie züchtet Merens. Die kleinen, robusten Wildpferde der Pyrenäen waren nahezu ausgerottet. Jetzt zieht sie mit ihnen Ende Mai auf die Sommerweiden am Pic du Carlit – und im November hinab nach Porté-Puymorens. Mit einem Gîte d’Étape und Reit-Ausflügen für Urlauber finanziert Nathalie ihrer Zucht.

Seit dem Loi du Montagne 1972 erlebt die fast schon in vergessene Transhumanz einen enormen Aufschwung. Die Kommunen haben Feste zum Viehtrieb aus der Taufe gehoben.
Die Regionen fördern die Transhumanz als Beitrag zum Landschafts- und Artenschutz. Und als prägendes Kulturerbe des französischen Mittelmeerraumes. Seit 2019 gehört diese Transhumanz in Griechenland, Italien und Österreich mit zum immateriellen Welterbe. Frankreich macht Druck, dass auch seine Wanderwirtschaft mit aufgenommen wird.
Auf dem Weg zumWelterbe
In einem ersten Schritt erkannt Frankreichs Regierung im 2020 ist die Wanderschäferei der französischen Hirten und Viehzüchter in Frankreich als immaterielles Kulturerbe des Landes an. Diese Anerkennung ist ein wichtiger erster Schritt im Vorfeld eines internationalen Antrags auf Anerkennung der Wandertierhaltung als Immaterielles Kulturerbe der Menschheit bei der UNESCO.

Führend bei der Transhumanz sind die Regionen des Südens. Spitzenreiter ist Nouvelle-Aquitaine, gefolgt von Okzitanien und der Région Sud (PACA). Berühmteste Transhumanz von Nordfrankreich ist die Passage der Schafe durch die Somme-Bucht im September.
3.600 Schafe kehren dann von den Salzwiesen im Einfluss der Gezeiten zurück zu den Weiden in der Nähe der Höfe. Le Crotoy feiert diesen Schaf-Zug alljährlich mit der Fête du Mouton. Die Schafe laufen dann auf dem sandigen Strand direkt am Städtchen vorbei!
Transhumanz erleben
Fête de la Transhumance
Der Auf- und Abstieg der Tiere in der traditionellen Wanderweidewirtschaft wird inzwischen wieder in vielen Orten gefeiert, u. a. auch hier:
• Argelès-Gazost
• Castellane
• Chamrousse
• Die
• Guillaumes
• Munster
• Muhlbach-sur-Munster
• Nizza
• Saint-Chély-d’Aubrac
• Saint-Rémy-en-Provence
• Vallée de la Bruche
Maison de la Transhumance
Als „Ort der Erinnerung und der lebendigen Kultur der großen Schaftranshumanz“ eröffnete im September 2019 in Le Merle ein Zentrum, das Forschung und Dokumentation verknüpft mit touristischen Angeboten, Lehrpfaden, Führungen und Vorträgen.
• Domaine du Merle, Route d’Arles, 13300 Salon-de-Provence, Tel. 04 90 17 06 68, www.transhumance.org
Maison Régionale del l’Élévage
Info- und Ausbildungszentrum rund um die Viehzucht.
• 570 Avenue de la Libération, 04100 Manosque, https://mrepaca.fr
EPLEFPA Carmejane
Die Landwirtschaftsschule von Carmejane gewährt beim Tag der Offenen Tür Einblicke in ihre Arbeit.
• Route d’Espinouse, 04510 Le Chaffaut-Saint-Jurson, Tel. 04 92 30 35 70, www.digne-carmejane.educagri.fr
La Routo – Sur les Pas de la Transhumance
Den Spuren der Transhumanz folgt ein Weitwanderweg von der Provence ins Piemont. Die 400 km lange Strecke vom südfranzösischen Arles ins italienische Borgo San Dalmazzo befindet sich noch im Aufbau. Von den Ebenen der Camargue und der Crau könnt ihr künftig der neuen Grande Randonée bis in Tag der Stura folgen und am Wegesrand Produkte und Berufe kennenlernen, die mit dem Viehtrieb eng verbunden sind.
La Route de la Transhumance
Der große Schaftrieb im Südwesten von Frankreich berührt sechs Départements zwischen den Bergspitzen der Pyrenäen und der Gironde.
www.laroutedelatranshumance.com
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Roger: une vie de berger entre Durance et Luberon
Roger Jouve wurde 1936 in Cavaillon geboren. Sein Leben lang hütete er seine Herde zwischen den Hügeln des Petit Luberon und den Ufern der Durance. Trotz seiner Bescheidenheit wurde er zu einer lokalen Figur des Luberon. Sein ganzes Leben hat er sich für Erhalt und die Aufwertung des Naturerbes des Luberon eingesetzt und sich für den regionalen Naturpark Luberon engagiert.
Heute ist Roger im Ruhe. Ihr trefft ihn jeden Sonntag auf dem Markt von Coustellet. Dort verkauft Roger aromatische Kräuter und den Naturdünger „Migon“. Seine Erinnerungen und Erlebnisse hat Roger seinem Freund Arnoult Seveau anvertraut. Der Provenzale, einer der Gründungsmitglieder des GREC Luberon (Groupe de recherches et d’études des cavités du Luberon) sammelte die Memoiren und veröffentlichte sie 2016 im Selbstverlag.
Wer Französisch sehr gut beherrscht, wird in der ungeschönten, spröden wie warmen Sprache des Hirten ein kulturelles Erbe der Region entdecken.
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Einfach hervorragend. Meine Partnerin ist Französin und sie ist auch begeistert von Ihren Kommentaren. Sie kennt ihr Land sehr gut.
Es grüßt
Willi
Merci, das freut mich, Will!
Wäre ja schade, wenn es die gute alte Welt nicht weiter geben würde. Dazu zähle ich auch solchen Journalismus! Einfach schön.
Merci!