Am Unterlauf der Seine

Am Unterlauf der Seine: das Burgschloss von La Roche-Guyon. Foto: Hilke Maunder
Am Unterlauf der Seine: das Burgschloss von La Roche-Guyon. Foto: Hilke Maunder

Die Geschicke der Normandie sind untrennbar mit ihrem größten Strom verbunden: der Seine. Der größte Fluss des Nordens Frankreichs lässt sich besonders an seinem Unterlauf Zeit auf seinem Weg zum Meer.

Von Paris bis zur Mündung an der französischen Kanalküste windet er sich in weiten Schleifen 250 Flusskilometer vorbei an Prachtbauten, mit denen sich Adel und Klerus Denkmäler setzten. Ihr kommt vorbei an malerischen Burgen, imposanten Brücken, eindrucksvollen Abteien, Fischerhäfen und Fachwerkdörfern.

Die Seine zwischen Les Andelys und Rouen am frühen Abend. Foto: Hilke Maunder
Die Seine zwischen Les Andelys und Rouen am frühen Abend. Foto: Hilke Maunder

Nur wenige Stellen am Unterlauf der Seine eignen sich am Nordufer für einen gemütlichen Spaziergang entlang des Nordufers. Oft sind die Strecken am Fluss nur so lang wie das eigentliche Ortszentrum. Doch in Caudebec-en-Caux beginnt eine Straße, die erst als Promenade, dann als asphaltierter Rad- und Wanderweg bis ins fünf Kilometer entfernte Villequier führt. Schöner lässt sich die Seine kaum erlaufen!

Caudebec-en-Caux ist eine uralte Keltensiedlung. „Caldebec“ hatte die Kelten ihre Siedlung genannt, floss hier doch der Ambion kalt und klar in die Seine. Etwas weiter östlich mündet die Sainte-Gertrude ebenfalls in die Seine. Zwischen beiden Bächen hat die Stadt vor we- nigen Jahren die Promenade Bord de Seine angelegt – nicht schnurge- rade, sondern leicht gewellt Richtung Stadt. Entlang einer Minigolf- anlage, eines Spielplatzes und mediterran inspirierter Gärten flaniert man vorbei an Anlegern, an denen Lastkähne, Ausflugsboote und Flusskreuzfahrtschiffe festmachen, hin zum MuséoSeine.

Die Angst vor dem Mascaret

Caudebec-en-Caux: das Seine-Museum liegt direkt am Kai. Foto: Hilke Maunder
Von tödlichen mascarets und anderen Besonderheiten der Seine berichtet in Caudebec-en-Caux das Seine-Museum. Foto: Hilke Maunder

Hinter seiner Holzfassade erzählt das Seine-Museum von Caudebec-en-Caux die Geschichte des Stroms, seiner Menschen und seiner Landschaften von der Antike bis zur Gegenwart. Bis in die 1960er-Jahre fürchteten sich die Anwohner vor dem Mascaret, der riesigen Gezeitenwelle der Seine-Mündung.

Mehr als zwei Meter hoch rollte die Welle mit hoher Geschwindigkeit den Fluss hinauf und riss alles mit, was sich ihr in den Weg stellte. Nicht selten wurden auch unvorsichtige Zuschauer von den Wassermassen fortgeschwemmt, wenn sie versuchten, das Geschehen vom Kai aus zu beobachten. Doch seit dem Aufstauen der Flussmündung ist dieses spektakuläre Phänomen verschwunden, das auch Victor Hugo 1843 in Villequier seine Tochter Lépoldine raubte.

Die Seine bei Les Andelys. Foto: Hilke Maunder
Immer wieder leuchten rund um Les Andelys die Kalkklippen der Seine aus dem Grün. Foto: Hilke Maunder

Strom der Geschichte

Auwälder wechseln mit Kalksteinklippen, jede Biegung am Unterlauf der Seine bringt überraschend neue Ausblicke. Flussabwärts von Rouen gleiten Containerschiffe unter den hohen Schrägseilbrücken von Brotonne, Tancarville und dem Pont de Normandie hindurch. Wenig weiter tuckern Lastkähne, péniches, schwer beladen nach Paris.

Pont de Brotonne: MS Seine Comtesse passt lässig hindurch - nicht so bei den Pariser Brücken. Foto: Hilke Maunder
Der Pont de Brotonne bei Caudebec-en-Caux. Foto: Hilke Maunder

Bis heute ist das breite, gewundene Band der Seine die Lebensader der Île de France. Kostenlos vom einen zum anderen Ufer wechseln könnt ihr zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit eurem Fahrzeug mit den Autofähren.

Die Bacs de la Seine habe ich euch hier vorgestellt.

Vernon: die berühmte Brücke, die auch Monet inspirierte. Foto: Hilke Maunder
Vernon mit seiner berühmten Brücke, die auch Monet inspirierte. Foto: Hilke Maunder

Die kostenlosen Fähren bieten zudem tolle Möglichkeiten für Radtouren an beiden Ufern der Seine. Meinen Vorschlag für eine Tour von Paris bis nach Le Havre entlang findet ihr hier.

Jumièges: die Ruine der Anbteikirche. Foto: Hilke Maunder
Jumièges: die Ruine der Anbteikirche. Foto: Hilke Maunder

Die Abteien der Seine

Die einst mächtigen Klöster am Unterlauf der Seine verbindet heute die Route des Abbayes Normandes. Sie beginnt in Rouen, folgt der Seine bis Le Havre und endet am Mont-Saint-Michel. Nicht verpassen solltet ihr den Klostergarten voon Saint-Georges-de-Boscherville im kleinen Dorf Saint-Martin-de-Boscherville.

Warm, sinnlich und beruhigend erobert dort ein überraschender Duft die Sinne und weckt Erinnerungen an Omas Leinenwäsche, zwischen denen kleine Säckchen lagen, die die Motten vertrieben. Und an die Provence, deren Seele er ist: echter La-vendel. Blaulila bedeckt der sanfte Schmeichler den Klostergarten der Abtei . Dieses Kraut könne Dämonen vertreiben, glaubten einst die Menschen im Mittelalter. Die Mönche des normannischen Benediktinerklosters indes kannten die Heilkräfte des echten Lavendels. Sie holten die Aromapflanze aus dem mediterranen Süden zu sich ins Seinetal.

Abteien der Normandie: St-Martin-de-Boscherville: Klostergarten. Foto: Hilke Maunder
Die Abtei Saint-Georges in Saint-Martin-de-Boscherville. Foto: Hilke Maunder

1114 hatten die Benediktiner die Überbleibsel eines älteren Augusti-nerklosters übernommen. Sie errichteten 1255 eine prachtvolle Abtei- kirche, die als Meisterwerk der Romanik gilt, und legten hinter ihrem Mönchshaus einen Küchen- und Heilgarten an, der die Klosterküche und Klosterapotheke versorgte.

Im Laufe der Jahrhunderte wandelte sich die Gartenarchitektur, passte sich den Moden der Zeit an – und präsentiert sich heute als ein vier Hektar großer Gartentraum mit grünem Kreuzgang und akkurat ge- schnittenen Buchsbaumkegeln. Vier Terrassen gliedern die Blumen- beete und Obsthaine, Gemüsefelder und Heilpflanzen-Einfassungen. Langsam steigt das Gelände an, hin zur Statue, die das Klostergrün beschützt. Dicht an dicht hängen die Birnen am Spalier.

St-Martin-de-Boscherville: Klostergarten. Foto: Hilke Maunder
Im Obsthain wachsen zahlreiche alte Apfel- und Birnensorten. Foto: Hilke Maunder

Üppig biegen sich alte Apfelsorten unter ihrer süßen Last. Gurkenpflanzen und Kürbisse haben die Beete erobert, Kräuter und Gewürze ein Aromareich geschaffen. Majestätisch drehen sich die Sonnenblumen nach dem Licht. In der symmetrisch angelegten Zentralachse weicht der Sand dem Stein. Vasen schmücken die geschwungene Treppe, sanft plätschert ein Wasserspiel. Vögel zwitschern. Blau spannt sich der Himmel über den Garten, der Gelassenheit verströmt. Momente des Glücks an der Straße der Abteien, die mit vielen weiteren solchen Kraft-Orten den Unterlauf der Seine schmückt. Neugierig? Dann klickt mal hier!

Im Juli blüht der Lavendel im Klostergarten von Saint-Martin-de-Boscherville... in der Normandie! Foto: Hilke Maunder
Im Juli blüht der Lavendel im Klostergarten von Saint-Martin-de-Boscherville… in der Normandie! Foto: Hilke Maunder

Im Marais Vernier

Bevor die Seine hinter Le Havre ins Meer mündet, durchläuft sie eine fast vergessene Landschaft, in der schon zahlreiche Werbefotos des “typisch“ ländlichen Frankreich geschossen wurden. Die nördlichen drei Halbinseln bedecken die lichten Eichen- und Buchenwälder des Forêt de Brotonne. Auf stillen Wegen sind dort am Wochenende Ausflügler aus Rouen unterwegs.

St-Martin-de-Boscherville: First einer Chaumière. Foto: Hilke Maunder
Auf dem First der alten chaumières werden traditionell Iris gepflanzt. Foto: Hilke Maunder

Von Vatteville aus radeln sie auf der Route des Chaumières vorbei an uralten Fachwerkhäusern bis Azier und Vieux Port. Auf der  „Straße der Reetdachhütten“ scheint die Zeit stehengeblieben zu sein.

St-Martin-de-Boscherville: Storch. Foto: Hilke Maunder
In den Wiesen und Feldern ringsum findet ihr im Sommer Störche. Foto: Hilke Maunder

Südlich davon birgt das Schutzgebiet des Marais Vernier den einzigen Sumpf der Normandie: la Grand’Mare. Auf seinen feuchten Wiesen wachsen Sonnentau und Affen-Knabenkraut. Im Süden der weiten Marschlandschaft grasen Shetland-Schafe, schottische Rinder und normannische Pie-Noire-Kühe.

Sie erhalten so die einzigartige Kulturlandschaft der Courtils de Bouquelin. Seine traditionellen Weiden sind exakt einen Kilometer lang, aber nur wenige Meter breit.

La vache normande, die Kuh der Normandie. Foto: Hilke Maunder
Typisch für die vache normande, die Milchkuh der Normandie, sind die rotbraunen Augenringe. Foto: Hilke Maunder

Cidre fürs Rind!

Prost! Sobald die normannischen Rinder von den Sommerweiden am Seine-Ufer von Villequier zurück in den Stall kommen, gibt es abends 15 Liter Cidre zu trinken. Vier Monate lang dürfen die Ochsen mit den typisch normannischen, roten Augenringen hausgemachten Apfelwein kosten.

Zum tierischen Dîner im Stall gibt es ein Bio-Menü aus Luzernen, Zuckerrübenschnitzeln, Erbsen und Getreide, untermalt von klassischer Musik. Ab und an ergänzen Massagen das Verwöhnprogramm für die normannischen Rinder.

“Das macht die Tiere glücklich. Und das Fleisch besser”, ist Rinderzüchter François-Xavier Craquelin überzeugt. “Wie das Bier beim Kobe-Rind, macht bei mir der Cidre das Fleisch der Normandie-Rinder fetter und saftiger – und verwandelt es in Bœuf Cidré, zart im Fleisch und doch typisch Rind, kraftvoll und herrlich marmoriert. Mehr dazu erfahrt ihr hier im Blog.

Boeuf Cidré: François-Xavier Craquelin züchtet ganz besondere Rinder. Foto: Hilke Maunder
Im Sommer grasen die Rinder von François-Xavier Craquelin draußen auf weiten Weiden. Foto: Hilke Maunder

Kunterbunte Kühe

Bei der letzten Schwinge der Seine thront zwischen den Hochbrücken von Brotonne und Tancarville am rechten Ufer das Château d’Ételan hoch über dem Fluss. Seine Besitzer inszenierten es vor einigen als Kulisse für aktuelle Kunst.

Vaches n’cow nannten sie ihre Kunstausstellung. Mit dabei waren Didier Antoine aus Brest, der Normanne Dominique Lefrançois, Christophe Cosqueric, Marcel Tocqueville, Gilbert Dauguet, Andrée Douville, Thierry François und Thierry Catherine.

Kunstsinnig: die Kühe von Schloss Ételan. Foto: Hilke Maunder

Die schönsten Aussichtspunkte am Unterlauf

Zu den schönsten Aussichtspunkten am Unterlauf der Seine gehören die Ruine des Château de Gaillard bei Les Andeleys . Und ein Parkplatz beim Örtchen Barneville-sur-Seine.  Dort liegt euch der Roumois zu Füßen. Früher bedeckten tiefe Wälder das sanft gewellte Land, später Felder mit Flachs, aus denen Leinen gesponnen wurde. In drei großen Schleifen hat sich die Seine in das Plateau gefräst.

Genau in der Mitte dieses großen Mäanders liegt auf einer Hügelkette das alte Dorf Barneville. Dort, wo die Bäume den Blick freigeben auf den Fluss, errichtete François Le Menu de La Noë 1708 sein Château d’Yville. Die barocke Residenz ist im Privatbesitz und nicht zugänglich. Den atemberaubenden Blick über die Seine kann heute jedoch jeder genießen – vom Panorama de Barneville. Die schier unendliche Weite verleiht der Seele Flügel und lässt die Augen staunen.

Die Seine bei Barneville. Foto: Hilke Maunder
Die Seine bei Barneville. Foto: Hilke Maunder

Das Panorama von Barneville

Wie ein riesiges Wimmelbild liegt das Seinetal zu Füßen: Von Caudebec-en-Caux im Westen, wo sich bereits der Einfluss der Gezeiten bemerkbar macht und der Pont de Brotonne den Fluss überspannt, bis nach Canteleu vor den Toren von Rouen reicht die freie Sicht. Auf dieser Seite des Flusses sind die letzten Überreste des einst riesigen Waldes Forêt de Brotonne erhalten, die heute der regionale Naturpark Boucles de la Seine Normande schützt.

Auf der anderen Flussseite erhebt sich das Kreideplateau Pays de Caux. Dort gibt es noch die typisch normannischen clos masures zu entdecken, kleine Bauernhöfe mit reetgedeckten Wohnhäusern, Streuobstwiesen und niedrigen Hecken, die die Grundstücke umschließen. Aus dem Grün ragen Kirchtürme empor – im Norden die Ruine der Abteikirche von Jumièges, im Nordosten die schwarze Spitze der Abtei Saint-Martin-de-Boscherville.

140 Meter hoch liegt dieser Aussichtspunkt von Barneville. Nur wenige kennen diesen besonderen Ort. Wer von ihm weiß, kommt meist mit Gepäck. Zehn Meter vom Parkplatz entfernt starten Wagemutige gen Norden und Nordosten zu Gleitschirmflügen und lassen sich von der Thermik entlang der Steilklippen tragen. Ein Ausblick, der das Herz erfreut!

Château Gaillard: der Zugang zur inneren Burg. Foto: Hilke Maunder
Château Gaillard: der Zugang zur inneren Burg. Foto: Hilke Maunder

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Hilke Maunder_Normandie_Abseits

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