Urbane Seilbahnen: Schweben über Frankreichs Städte
Urbane Seilbahnen sind in Frankreich groß im Kommen.
Lautlos gleiten die Kabinen über Toulouse hinweg. Zehn Minuten dauert die Fahrt vom Krebsforschungszentrum Oncopole zur Universität Paul Sabatier – eine Strecke, für die Autofahrer eine halbe Stunde brauchen. Bürgermeister Jean-Luc Moudenc schwärmt: „Es ist gleichzeitig praktisch und ästhetisch.“ Was in der Luftfahrtsmetropole längst Realität ist, erobert ganz Frankreich: Urbane Seilbahnen sind die Hoffnungsträger im nachhaltigeren Verkehrsmix – und eröffnen völlig neue Reiseerlebnisse und Ausblicke!
Toulouse: Panoramablick
Téléo heißt Frankreichs längste urbane Seilbahn. Drei Kilometer schwebt sie über Toulouse und verbindet Krebsforschungszentrum Oncopôle und das Universitätskrankenhaus Rangueil mit der Universität Paul Sabatier. Dabei schwebt die neue Gondelbahn TPH 3S des französischen Hersteller Poma nicht nur über die Garonne, sondern auch über den Pech David.
Pech ist okzitanisch und heißt Gipfel. Das lässt Großes erahnen. Und täuscht doch. Mit 130 Metern über dem Meeresspiegel ist der Pech David ein Zwerg unter den Hügeln der Stadt. Spitze jedoch ist er beim Feel-Good-Faktor. Kein Höhenzug beschert solche Glücksgefühle, ist eine so vielseitige grüne Schönheit.
Und bietet so herrliche Ausblicke auf Toulouse, das Tal der Garonne und die 100 Kilometer entfernten Pyrenäen am Horizont – besonders bei Sonnenuntergang. 280 Hektar groß ist das grüne Paradies des Pech David im Süden der Stadt. Fußball- und Rugbyfelder, Reiterhöfe und Schießstände bedecken seine Flanken.

Auf seinem Holzspielplatz toben Kinder. Im Boulodrome streiten Männern jeden Alters mit Kugeln um den besten Platz am Schweinchen. Wer nicht joggt, wandert durch lichten Laubwald und weite Wiesen hin zum höchsten Punkt des Hügels, den ein Sendemast bekrönt. Seine Fassaden hat Street-Art erobert.
Drinnen teilen sich Towercast und TDF 1 die Anlagen. Familien picknicken hier im Gras; das Grillen ist jedoch verboten. Andere Ausflügler haben sich an die Steilkante gehockt und blicken hinab auf die Garonne, die im Grün aufblitzt. Oder in den Himmel, an dem regelmäßig die Flugzeuge entlangziehen, die in Toulouse-Blagnac landen.
Die Seilbahnfahrt ist immer wieder ein Erlebnis. Alle 15 Kabinen bieten Panoramablicke über die rosa Stadt. Anti-Vertigo-Filter helfen Höhenempfindlichen, barrierefrei sind alle Gondeln ohnehin. Rollstühle, Kinderwagen und Fahrräder finden problemlos Platz. Bis zu 1.500 Fahrgäste transportiert der Téléo pro Stunde und Richtung. Sein Durchschnittstempo von 20 km/h ist vergleichbar mit den schnellsten Seilbahnen in Skigebieten.
Eine hohe Windstabilität bei der Umlaufbahn garantieren drei Seile: zwei Tragseile und ein Zugseil. Diese 3-S-Konstruktion sorgt dafür, dass die Gondel bei stürmischem Wetter mit bis zu 109 km/h schnellen Winden nicht schaukelt. Die Gestaltung der fünf, bis zu 70,5 Meter hohen Pylonen als vierzackiger Zepter und der Kabinen von Pininfarina trugen maßgeblich zur visuellen Akzeptanz bei.
Grenoble: Wo alles begann

Die Geschichte französischer Seilbahnen begann am 29. September 1934 in Grenoble. Die erste innerstädtische Seilbahn Frankreichs verbindet seitdem die Innenstadt mit der hoch über der Stadt thronenden Festung Bastille.
Doch 1941 – die Nazis hielten damals Frankreich besetzt und regiert direkt (Norden und Westen) und indirekt über das Vichy-Regime – stoppte ein Gesetz alle weiteren Nachahmer. Mitten im Zweiten Weltkrieg herrschte Angst. Angst vor Sabotage oder Spionage durch Seilbahnen, die als potenzielle Flucht- oder Transportwege genutzt werden könnten. Angst über den Verlust der Kontrolle über den Luftraum und die Bewegungen der Bevölkerung. Und regierte Misstrauen gegenüber allem, was als sicherheitspolitisches Risiko galt.
Am 28. März 1941 verbot das Décret n° 2016-604 du 12 mai 2016 relatif aux transports urbains par câble kategorisch den Überflug bewohnter Grundstücke – ein K.-o.-Kriterium für urbane Projekte. Erst 2016, nach 75 Jahren, fiel dieses Verbot.
Ohne diese Gesetzesänderung wären all die heutigen Projekte undenkbar. Parallel zur Liberalisierung verschärfte der Gesetzgeber jedoch die Sicherheitsstandards erheblich. Modernste Brandschutztechnik wurde Pflicht: In Saint-Denis auf La Réunion erkennen Kameras Wärmequellen bis in 300 Meter Entfernung, Glasfaserkabel vernetzen alle Brandmeldezentralen. Die Einhaltung überwacht als zentrale Behörde der Service Technique des Remontées Mécaniques et des Transports Guidés (STRMTG).
Die Loi d’Orientation des Mobilités (LOM) von 2019 gab zusätzlichen Schub. Sie ermöglicht eine staatliche Co-Finanzierung von bis zu 21 Prozent der Baukosten. Das Versement Mobilité verpflichtet alle Unternehmen mit mehr als elf Mitarbeitern zur Zahlung einer ÖPNV-Abgabe, die direkt in lokale Verkehrsprojekte fließt.
Brest: Über den Hafen schweben
Brest schrieb 2016 Geschichte als erste französische Stadt, die nach einer Gesetzesänderung eine urbane Seilbahn eröffnete. Das 19-Millionen-Euro-Projekt überquert den Penfeld-Fluss und verbindet die Stadtviertel Siam und Les Capucins. Eine Brücke hätte 60 Millionen Euro gekostet.
Heute gehört die Fahrt über den Penfeld-Hafen zum Standardprogramm jeder Stadtbesichtigung, Aus luftiger Höhe eröffnen sich in Bresst wahrhaft spektakuläre Blicke auf die Stadt, das Château de Brest und den Hafen. Statt der prognostizierten 640.000 Fahrgäste nutzten im ersten Jahr 800.000 Menschen die Seilbahn. Eine technische Besonderheit ist die 82 Meter hohe Einzelstütze, die Schiffen die sichere Hafeneinfahrt ermöglicht.
In Brest stellt der atlantische Westwind eine besondere Herausforderung dar. Salzige Meeresluft und Sturmböen bis 120 km/h testeten das System bereits im ersten Winter. Ergebnis: Nur an fünf Tagen musste der Betrieb wetterbedingt eingestellt werden. Zum Vergleich: Fähren über den Penfeld-Fluss fielen im gleichen Zeitraum an 23 Tagen aus.
Saint-Denis: Tropisches Schweben
Ende 2021 ging auf der Île de la Réunion der Papang in Betrieb – die erste zu 100 Prozent urbane Seilbahn Frankreichs. Die 2,7 Kilometer lange Strecke mit fünf Stationen kostete 45 Millionen Euro. Täglich nutzen rund 5.000 Passagiere das System, alle 34 Sekunden startet eine neue Kabine.
„Die Réunionaiser lieben ihr Auto, weil sie keine Wahl haben. Nun gibt es eine Alternative“, erklärte Bürgermeisterin Ericka Bareigts bei der Einweihung. Eine zweite Linie (Bellepierre/La Montagne, 1,3 km) ist für 2028 geplant, und für ein drittes Projekt von Saint-Leu nach Cilaos, dem Hauptort eines abgelegenen Bergkessels, laufen Machbarkeitsstudien.
Längst begeistert auch auf dem kleinen Eiland im Indischen Ozean der Papang nicht nur Einheimische, sondern auch Touristen aus aller Welt. Das stille Schweben mit weitem Blick auf die tropische Vulkanlandschaft mit ihren steilen Remparts bei der Hauptstadt Saint-Denis‘ ist für viele eine preiswerte wie atemberaubede Attraktion.
Paris: Die Hauptstadt hebt ab
Ende 2025 soll der Câble C1 starten. Bei der ersten urbanen Seilbahn der Region Île-de-France, die Ende 2025 in Betrieb gehen soll, übernimmt der Staat 27,7 Millionen Euro der Gesamtkosten von 138 Millionen Euro. Der Rest wird von der Region Île-de-France und lokalen Gebietskörperschaften getragen.
Die 4,5 Kilometer lange Strecke mit fünf Stationen und 33 Stützen verbindet die Vorstädte Limeil-Brévannes, Valenton, Créteil und Villeneuve-Saint-Georges.
Die Fahrzeit beträgt 17 bis 18 Minuten – statt bisher 45 Minuten mit öffentlichen Verkehrsmitteln. 11.000 Fahrgäste täglich sollen das System nutzen. Gründächer auf allen Stationen und 500 neu gepflanzte Bäume kompensieren die Baumaßnahme ökologisch.
Ajaccio: Auch Korsika hebt ab
Noch vor Paris will Ajaccio im September 2027 die drei Kilometer lange Seilbahn Angelo eröffnen. Sie verbindet wichtige Knotenpunkte der Stadt: das neue Krankenhaus, Schulen, Sportanlagen und Einkaufszentren. Das Projekt ist Teil eines umfassenden Stadtumbaus, in den bis 2027 mehr als 110 Millionen Euro investiert werden sollen.
Frankreich als Vorreiter
Frankreich hat sich als europäischer Vorreiter für urbane Seilbahnen etabliert. Die Bilanz ist beeindruckend: Seilbahnen sind bis zu 30-mal umweltfreundlicher als Autos, ihre Baukosten liegen drei- bis viermal niedriger als die von Straßenbahnen.
Auch die Betriebs- und Wartungskosten sind signifikant niedriger. Die Betriebskosten liegen 40 Prozent unter denen für Busse. Dies liegt unter anderem daran, dass eine einzige zentrale Antriebseinheit viele Fahrzeuge bewegen kann, was den Personal- und Energieaufwand reduziert. Zudem zeichnen sich urbane Seilbahnen durch eine kurze Bauzeit aus, die im Durchschnitt etwa zwei Jahre beträgt, was deutlich schneller ist als der Bau von U-Bahnen oder Straßenbahnen.
Zudem benötigen urbane Seilbahnen nur einen Bruchteil der Bodenfläche herkömmlicher Verkehrssysteme. Ihre Fähigkeit, Hindernisse wie Flüsse, Hügel, Autobahnen oder Fabriken problemlos zu überwinden, macht sie besonders attraktiv für dicht besiedelte Ballungsräume mit einer komplizierten Topografie.
Alle Wetter
Urbane Seilbahnen in Frankreich sind hart im Nehmen. Die Wetterresistenz, die sie seit Einführung an den Tag legen, übertrifft selbst Expertenschätzungen. Toulouse‘ Téléo bewährt sich auch bei dem berüchtigten Mistral, der mit bis zu 100 km/h über Südfrankreich fegt. Das 3S-System mit zwei Tragseilen und einem Zugseil bleibt bis Windgeschwindigkeiten von 109 km/h betriebsbereit – deutlich stabiler als herkömmliche Seilbahnen in Skigebieten.
In Brest stellt der atlantische Westwind eine besondere Herausforderung dar. Salzige Meeresluft und Sturmböen bis 120 km/h testeten das System bereits im ersten Winter. Ergebnis: Nur an fünf Tagen musste der Betrieb wetterbedingt eingestellt werden. Zum Vergleich: Fähren über den Penfeld-Fluss fielen im gleichen Zeitraum an 23 Tagen aus.
Besonders beeindruckend zeigt sich die Wetterresistenz auf La Réunion. Die Tropeninsel ist berüchtigt für ihre Zyklone, die mit Windgeschwindigkeiten bis 200 km/h über das französische Überseedépartement fegen. Der Papang überstand bereits zwei mittelschwere Wirbelstürme ohne Schäden. Das Geheimnis liegt in der intelligenten Steuerung: Bei Windstärken über 80 km/h fahren die Kabinen automatisch langsamer, bei über 109 km/h stoppt das System und die Gondeln werden in den Stationen gesichert.
Regen macht den urbanen Seilbahnen kaum zu schaffen. In Saint-Denis funktioniert das System auch bei tropischen Regenfällen mit über 50 Millimetern pro Stunde. Spezielle Entwässerungssysteme an den Kabinen verhindern Wasseransammlungen, während die geschlossenen Gondeln den Fahrgästen trockenen Komfort bieten.
Schneefälle sind in französischen Tieflandstädten selten, aber auch dafür sind die Systeme gerüstet. Grenobles historische Seilbahn zur Bastille fährt seit 90 Jahren auch bei Minusgraden und Schneesturm. Die modernen urbanen Nachfolger verfügen über Heizsysteme in den Gondeln und Enteisungsanlagen an den Seilen.
Die hohe Wetterresistenz macht urbane Seilbahnen zu verlässlichen Verkehrsmitteln. Während Busse bei Glatteis stehen bleiben und Straßenbahnen bei Sturm ausfallen, schweben die Gondeln weiter durch die Lüfte. Diese Zuverlässigkeit erklärt auch ihre wachsende Akzeptanz bei Pendlern, die täglich auf pünktliche Verbindungen angewiesen sind.
Nicht immer Begeisterung
Doch nicht alle Bürger sind begeistert. Bedenken gibt es wegen der visuellen Verschandelung des Himmels. Auch die Privatsphäre der Anwohner und potenzielle Lärmbelästigungen sind Kritikpunkte bei urbanen Seilbahnen.
In Lyon stoppte 2023 das NIMBY-Phänomen das Seilbahnprojekt Téléphérique Lyon. Auch in Grenoble brachte der Bürgerwille das Métrocâble zu Fall. Im Dezember 2024 wurde das Projekt für mindestens zwei Jahre auf Eis gelegt. Doch die Stadtväter und der zuständige Verkehrsverbund SMMAG Syndicat Mixte des Mobilités de l’Aire Grenobloise halten am Projekt fest. Das Projekt soll grundlegend überarbeitet und „neu gedacht“ werden.
Der SMMAG hat angekündigt, in den kommenden zwei Jahren neue Studien zu beauftragen, um das Vorhaben zu überarbeiten und besser an die lokalen Bedürfnisse sowie die Kritikpunkte der Kommission anzupassen. Parallel dazu werden im Großraum Grenoble zwei weitere Seilbahnprojekte geprüft, insbesondere im Grésivaudan.
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