So malerisch liegt Vézénobres über den Feldern. Foto: Hilke Maunder

Vézénobres: das Feigendorf des Gard

Sandgelbe Fassaden, sanft geneigte Dächer mit tönernen Klosterziegeln, terrassierte Gärten und hohe, schlanke Zypressen, die verraten, dass einst Hugenotten hier daheim waren: Schon der Blick auf Vézénobres hoch über dem Zusammenfluss vom Gardon d’Alès und Gardon d’Anduze verzaubert.

Die verschlungenen Gassen des mittelalterlichen Dorfes schmiegen sich an die Südflanke eines 219 Meter hohen Hügels, der bereits in der Antike strategisch bedeutsam war. Heute strahlt Vézénobres mit seinen romanischen Fassaden und blühenden Gärten einen fast zeitlosen Charme aus, der dem Dorf 1993 die Auszeichnung als village de caractère einbrachte. Dieses Tourismuslabel wird vom Generalrat des Departements Gard verliehen, um die typischen Dörfer im Gard aufzuwerten.

2.500 Jahre Geschichte

Die Geschichte von Vézénobres reicht tief in die Vergangenheit, verrät bereits der Ortsname. Er stammt vom lateinischen Vedenobrensis ab und integriert die vorkeltische Wurzel ved-, die Höhe und Anhöhe bedeutet. Diese Wurzel findet sich auch in anderen französischen Ortsnamen wie Vedène und Veynes wieder.

Ursprünglich als Oppidum von Ligurern, Kelten und Römern bewohnt, stieg die Siedlung im Mittelalter zu einem wichtigen Knotenpunkt am Chemin de Régordane auf, einer bedeutsamen Handels- und Pilgerroute zwischen Camargue und Cevennen, Nîmes und Alès.

Die mittelalterliche Stadt entwickelte sich entlang dreier paralleler Straßen, die mehrere steile Gassen – die endrounes – miteinander verbinden.Vom 11. bis zum 13. Jahrhundert erlebte Vézénobres eine Blütezeit und erlangte beträchtlichen Wohlstand. Dies spiegelt sich in der außergewöhnlichen romanischen Architektur der Altstadt wider.

Die Straße der romanischen Häuser

Einige der schönsten und besterhaltenen romanischen Häuser des Ortes birgt die Rue des Maisons Romanes mit ihren Natursteinhäusern aus hartem, weißem Kalkstein mit dicken Mauern.

Schlicht sind ihre Fassaden, dick die Mauern. Sorgfältig behauene Natursteinblöcke geben den kleinen Fenstern und Türen ein Gewand, hier und da geschmückt mit einer Chimäre oder anderen Verzierungen. Die auf den ersten Blick so schlichte Gasse birgt ein einzigartiges Ensemble ziviler romanischer Architektur in Frankreich!

Wehrhaft und machtvoll

Stark befestigt war damals das reiche Dorf. Auf dem Gipfel des Hügels stand das Château de Montanègre, auch Château Fay-Peraut genannt. Die mittelalterliche Burg aus dem 12. Jahrhundert wurde im Jahr 1628 vom Herzog von Rohan zerstört und ist heute eine Ruine. Einzig ein dreißig Meter hoher Mauerabschnitt ist erhalten.

Vom 13. Jahrhundert an umgab eine Stadtmauer mit Bastionen und fünf Türmen das Dorf, die den Bewohnern Schutz und Sicherheit boten. Während der Hugenottenkriege wurde sie im 16. Jahrhundert zerstört. Ihre Spuren sind noch am letzten erhalten Stadttor zu erkennen: der Porte de Sabran aus dem frühen 13. Jahrhundert. In die Stadtmauer integriert war damals auch das Château de Girard aus dem 14. Jahrhundert, das heute das Rathaus birgt.

Zentrum der Sériculture

Während des 18. und 19. Jahrhunderts war Vézénobres ein Zentrum für die Seidenproduktion und profitierte von der Einführung der Maulbeerbäume, die für die Fütterung der Seidenraupen notwendig sind. Die sériculture ließ das Dorf ein zweites Mal erblühen. Die Konkurrenz durch billigere Seidenimporte aus anderen Ländern und die Veränderungen in der Landwirtschaft und Wirtschaft brachten die lokale Seidenindustrie zum Erliegen.

Provence-Flair in alten Gassen

In den engen Gassen von Vézénobres entfaltet sich das unverwechselbare Flair eines provenzalischen Dorfes. Kleine Café wie Le Centaure laden zu einer Pause bei Kaffee, Wein oder Pastis ein.

Auch berühmte Persönlichkeiten wurden vom Zauber des Ortes angezogen: Mick Jagger, der legendäre Sänger der Rolling Stones, kaufte 1978 ein Haus in der Rue Basse. Der Brite genoss die Ruhe des Ortes und holte sich seine Croissants mit dem Fahrrad – eine Anekdote, die in Vézénobres bis heute erzählt wird.

Ebenfalls in der Rue Basse daheim war die Baronin Françoise de Montfaucon. Ihr Stadthaus, 1547 errichtet, gehört es mit seinen Sprossenfenstern und seinem eleganten polygonalen Turm mit Terrasse zu den schönsten Zeugnissen der Renaissance-Architektur vor Ort. Sein Spitzname lautet la Maison d’Adam et Eve, das Haus von Adam und Eva …

Inspiration für Kreative

Der Charme der alten Gassen von Vézénobres inspiriert Kreative – und ganz Ungewöhnliche sind darunter. So wie der Musikkeramiker Sébastien Brothier, der in seinem Atelier in der Rue Fay Pairaut 6 die alte Kunst der Keramikinstrumente pflegt und diese in seinem Atelier nachbaut. Die Keramikerin Mélanie Duchene konzentriert sich auf Tischkultur, Blumenkunst und Skulpturen bei ihren Arbeiten. Ihr Atelier finden ihr in der Grande Rue 2

Die Bildhauerin Laurence Pecquet arbeitet mit Gips, Gewebe und Armaturen und kreiert ihre Werke im heimischen Gewölbekeller der Rue des Maisons Romanes 10. Vincent Trinché stellt aus Sandstein mehrgesichtige Köpfe und Büsten in seiner Werkstatt am Chemin De La Rouvierette 19 her – mal wirken sie primitiv, dann wieder ganz futuristisch.

Das Dorf der Feigen

Vézénobres ist untrennbar mit der Feige verbunden. Bereits im Mittelalter war der Ort für seine getrockneten Feigen bekannt, die auf speziellen Gestellen unter den calaberts – überdachten Terrassen – getrocknet wurden. Bis zur Französischen Revolution wurden jährlich 20 Tonnen auf dem Jahrmarkt zu Ehren des Schutzheiligen Saint-André verkauft. 1997 wurde dieses Fest neu belebt. Seitdem feiern die Journées Méditerranéennes de la Figue die vielen Mittelmeerregionen, die Trockenfeigen produzieren.

Im Jahr 2000 wollte das Conservatoire botanique national méditerranéen de Porquerolles seine Sammlungen aus Schutzgründen verdoppeln und überließ der Gemeinde einen Teil seiner Feigensortensammlung. 100 Sorten befinden sich nun zu Füßen der Altstadt im Conservatoire de la figue de Vézénobres mit rund 1000 Bäumen.

Im selben Jahr öffnete auch die Maison de la Figue im Château de Girard seine interaktive Ausstellung, die die Vielfalt und Geschichte dieser Frucht näherbringt, die eigentlich gar keine ist, sondern eine gefangene Blüte. Mehr Infos zur Frankreichs Feigen – und ein paar köstliche Rezepte zum Apéro – gibt es hier im Blog.

Weitblick auf die Cevennen

Es lohnt sich, die Gassen zum höchsten Punkt des Dorfes hinaufzusteigen. Von hier oben öffnet sich ein atemberaubender Rundblick auf die Cevennen, die Garrigue und die Ebene des Gardon. Bei klarem Wetter könnt ihr sogar den Mont Lozère und den Mont Bouquet sehen! Eine Orientierungstafel hilft beim Erkennen der Landschaft.

Vézénobres: meine Reisetipps

Hinkommen

Bahn

Der nächstgelegene Bahnhof der SNCF befindet sich in Alès (10 km).

Bus

Überlandbuslinie 510 von Alès nach Vézénobres, ca. 30 Minuten. Fahrplan: https://plan.lio-occitanie.fr

Barrierefrei?

Um in das Dorf zu gelangen, müsst ihr zirka 60 Stufen hinaufsteigen, die Gassen sind mit Kopfstein gepflastert.

Schlemmen und genießen

Feigen-Genuss

Feigen prägen nicht nur die Landwirtschaft, sondern auch die Küche – und sind, getrocknet oder anderweitig verarbeitet, auch köstliche Souvenirs. Wie wäre es mit einer Tarte aux Figues oder Feigenkonfitüre mit Lavendel.

Le Grenier d’Aladin

Genussvolle Lokalküche, frisch und kreativ von Sylvain Baillau, der die Charte Militant du Goût unterzeichnet hat – eine Selbstverpflichtung zu echter und handwerklicher Saisonküche. Wer bleiben möchte, bucht sein 60 Quadratmeter großes Gewölbezimmer.
• 16, place de la Mairie, 30360 Vézénobres, Tel. 04 66 83 50 24, https://le-secret-daladin.eatbu.com

La Grignoterie du Passage de Horts

Beliebt bei Einheimischen wie Besuchern gleichermaßen ist dieses einfach gemütliche Restaurant im Zentrum der Altstadt, das am Rathausplatz eine Auswahl an lokalen und saisonalen Gerichten bietet, die mit frischen Zutaten zubereitet werden und die lokale Gastronomie widerspiegeln.
• 21, place de la Mairie, 30360 Vézénobres, Tel. mobil: 06 83 14 08 35

Le Centaure

Beliebte Bar mit Terrasse an der Place de la Mairie.
• 10, place de la Mairie, 30360 Vézénobres, Tel. 04 66 56 15 57, auf Facebook zu finden

La p’tite échoppe

Die Altstadt-Crèperie serviert nicht nur süße und salzige Pfannkuchen aus Frankreich, sondern auch verschiedene Eissorten.
• 4, Grand Rue, 30360 Vézénobres, Tel. mobil: 06 12 74 39 74, www.creperie-vezenobres-la-ptite-echoppe.com

Maison S. Delafont

Das Haus Delafont, das seit seiner Gründung 2010 in Vézénobres ansässig ist, bringt seine aus dem Languedoc stammenden Weine in die Gläser von Emmanuel Macron und seinen Gästen im Elysée-Palast.
•  178A, chemin du cimetière, 30360 Vézénobres, Tel. 04 66 56 94 78, www.delafont-languedoc.fr

Aktiv

La corrida de la figue givrée

Seit 2008 veranstaltet der Verein Les Becques figues jedes Jahr mit der corrida de la figue givrée einen Volkslauf mit Verkleidung. Start für die Kinder und Jugendlichen ist nachmittags, die Erwachsenen laufen abends.
• Infos auf der Facebook-Seite Figue Givrée

Boules carrées

Nicht mit runden, sondern mit eckigen Holzwürfeln wird in Vézénobles Boules gespielt. Schuld daran sind die steilen Hänge des Dorfes, an denen die Kugeln immer wieder hinab rollten. Holzwürfel hingegen bleiben nach dem Wurf liegen. Seit 2002 veranstaltet Vézénobres jedes Jahr eine Stadtmeisterschaft der boules carrées.

Vézénobres ist jedoch nicht der einzige französische Ort, der Boules mit Holzwürfeln spielt. Lyon behauptet sogar, dort sei im Jahr 1899 am Nationalfeiertag die Boulevariante mit eckigen Würfeln erfunden worden. Heute gehört sie zum immateriellen Welterbe Frankreichs.

Hier könnt ihr schlafen

Logis Hôtel Le Relais Sarrasin*

Ein ehemaliges Posthaus mit 14 thematisch gestalteten Zimmern, einem Restaurant und kleinem Außenpool. Wer mag, bucht es hier*.
• 59, chemin du Mas de la Corse 1870, 30360 Vézénobres, Tel. 04 66 83 55 55, www.logishotels.com

Les Nuits Envoutées*

Gemütliches Gästehaus mit Wellnessbereich, zwei geräumigen Suiten (45 qm) und einem gîte für Selbstversorger (120 qm). Wer mag, bucht es hier*.
• 178, plan des Aires, 30360 Vézénobres, Tel. mobil 06 08 75 20 57, https://lesnuitsenvoutees.com

 

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Im Blog

Alle Beiträge aus dem Département Gard vereint diese Kategorie. Mehr zu Alès findet ihr hier. Die genussvollen Seiten der Cevennen stelle ich hier vor.

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