
Hitzerekorde, golfballgroßer Hagel und Winde, die mit 200 Kilometern pro Stunde über das Land rasen: Auch in Frankreich sorgt der Klimawandel für immer extremere Wetterlagen. Weihnachten bei 20 °Celsius, eisige Ostern, erfrorene Ernten und große Dürre: Auch im Hexagon haben quer durch alle Parteien die Politiker erkannt, dass der Klimawandel auch in Frankreich angekommen ist.
Viel früher als in Deutschland haben sie mit dem nachhaltigen Umbau der Städte begonnen. Die Ziele: weniger Treibhausgase – weniger Hitze-Inseln und niedigere sommerlichen Temperaturen in den Städten.

Vorreiter Paris
Grün, smart, sauberer und lebenswert: So soll vor allem auch Paris wieder werden. Dort hat Bürgermeisterin Anne Hidalgo in den Fußstapfen von Bertrand Delanoë den wohl umfassendsten Stadtumbau gestartet, den die Kapitale seit Baron Haussmann erlebt hat.
Verkehrsreiche Plätze wie Nation, République oder Bastille wurden zurückgebaut und begrünt, die Uferschnellstraße autofrei und der autofreie Sonntag ein neues Pariserlebnis.
Paris will Kopenhagen den Rang als Fahrradhauptstadt abnehmen und baut millionenschwer Radwege aus. Neue Metrolinien, Verlängerung der RER, schadstofffreie Busse, Seilbahn, Solartank- und E-Tankstellen und Förderung von emissionsfreien Mobilitätskonzepten und bessere Vernetzung bestehender Angebote: Paris zeigt, dass Verkehr auch anders funktionieren kann.

Nachhaltig grün
Und wird auch optisch immer grüner! Das neue Messegelände an der Porte Versailles hat auf dem Dach die weltgrößte urbane Farm erhalten. Boulevards wurden rückgebaut, Wohnstraßen verkehrsberuhigt. Steinmauern und Häuserwände wandeln sich zu murs végétals, grünen Fassaden.
Und wer mag, darf auf städtischem Gelände seinen eigenen Garten anlegen. Einfach das Projekt online einreichen, auf Pestizide verzichten und möglichst nur einheimische Pflanzen verwenden – mehr Auflagen gibt es nicht für urban gardening in Paris.
Schon jetzt zeigen sich erste Erfolge. Die Artenvielfalt steigt, die Luft wird besser, die Temperaturen sinken. Und bei la canicule können Bürger und Besucher jetzt in den einst dreckigen Kanälen herrlich baden.

Grüne Wände für besseres Klima
Grün gefärbte Haare sind sein Markenzeichen. Und grün sind auch alle seine Projekte. Patrick Blanc ist Frankreichs Weltstar der grünen Wände.
Seit mehr als 20 Jahren begrünt er Fassaden weltweit. Nach der Fassade des Musée du Quai Branly in Paris hat der Meister der lebendigen Wände auch in Aix-en-Provence gewirkt.
Dort schuf er 2008 für die Brücke Pont Max Juvenal an der Nordfassade auf 650 Quadratmetern einen grünen Mikrokosmos, der die Luft filtert, Sauerstoff produziert, den Kohlendioxidgehalt der Luft senkt – und so das Mikroklima verbessert.
Die Wand fertigte Patrick Blanc aus einem Leichtmetallgerüst mit aufgeschraubten Hartschaumplatten aus Polyvinylchlorid, auf die Filz aus recycelter Altkleidung als Wasserspeicher und Wurzelbasis kam.
30 – 35 Pflanzen pro Quadratmeter setzte er hinein und bewässert sie seitdem in einem geschlossenem Kreislauf. Nur ab und an müssen Pflanzen ausgetauscht und ersetzt werden.

Zistrosen & Zwerkonifieren
Überraschend viele Pflanzen eignen sich für grüne Wände, sagt Patrick Blanc, allen voran Moose, Farne und Soleirolia (Bubikopf). Monsieur verwendet zudem gerne Zwergkoniferen, Zistrose, Sonnenröschen, Nelke, Salbei, Purpurglöckchen, Storchschnabel, japanische Iris und Felsenmispel.
Pro Jahr filtert eine grüne Wand rund 8,8 Kilogramm Feinstaub und 300 Kilogramm Kohlendioxid auf einer Fläche von 1000 Quadratmetern. Der optische Hingucker hat damit einen veritablen Einfluss aufs Stadtklima und hilft, die Folgen des Klimawandels zu mindern.
Begrünte Fassaden können bei Regen Wasser viel besser aufnehmen als Stadtbäume am Boden. Drahtgeflecht und Filz halten die rund 20.000 Pflanzen der „grünen Lunge“ des neuen Stadtviertels im Sextius-Mirabeau, in dem sonst der Stein dominiert.

Das Stadtklima zu verbessern ist auch die Aufgabe der Südfassade der Eisenbahnbrücke über die Avenue Juvénal von Aix-en-Provence. Für sie entwarf der französische Designer Christian Ghion le mur d’eau.
Die 525 Quadratmeter große Wand an der Südaseite der Brücke ist fast 50 Meter breit. Sie besteht aus 185 Paneelen, die bis zu 325 kg pro Stück wiegen. Sie wurden nicht völlig gerade, sondern mit einer Neigung von 3 Prozent auf die Brücke angebracht: Sie sorgt für den Wasserfalleffekt.
Die 15 Meter hohe Wasserwand gehört zu den größten derartigen Wänden in Europa. 50 Kubikmeter Wasser fließen rund um die Uhr, tagein, tagaus, die Fassade hinab, werden aufgefangen und wiederverwendet.
Nachts setzen leistungsstarke LED-Scheinwerfer die Wasserwand in Szene. Was sie bewirkt, zeigt sich besonders im Sommer. Die Wasserwand gleicht Klimaschwankungen aus und verhindert Wärmeinseln. Und sorgt so für weniger Hitze und Staub in der alten Stadt.
Das Canopée Urbaine von Toulouse
Nicht nur grüne Wände, sondern auch künstliche „Bäume“ können das Stadtklima verändern. Das testet Toulouse in einem Pilotprojekt. Dazu stellte das Pariser Start-up Canopée Urbaine im August 2019 auf der Place Jean Diébold im Herzen von Saint-Cyprien riesige Blumentöpfe auf, aus denen noch größere Stahlgerüste und Stangen ragten.
Neun schnell wachsende Kletterpflanzen – Akebie, Klematis, Hortensie, Jasmin, Bignone, Hopfen, Rose, Passionsblume und wilder Wein – haben in den drei Töpfen mittlerweile die hellen Gerüste erobert. Gefertigt wurden sie aus Verbundwerkstoffen, die sich in der Luftfahrt bewährt haben: leicht und doch äußerst stabil.
Kletterpflanzen für besseres Klima
Bei der Wahl der Kletterpflanzen verließ sich das Pariser Start-up auf die örtliche Expertise. Agronomiestudenten der Ingenieurschule aus dem Toulouser Vorort Purpan wählten sie aus. Sie kontrollieren seitdem Wuchs und Wasserverbrauch mit einem Forschungsprojekt zur Canopée Urbaine.
Inzwischen bilden die Pflanzen ein 150 Quadratmeter großes Blätterdach mit vielen Vorteilen für das Stadtklima. Die Canopée Urbaine liefert Schatten, der bislang im Sommer fehlte. Durch Photosynthese und Evotranspiration tragen die Pflanzen zu besserer Luft bei. Sie locken Insekten an und verbessern auch in der Wahrnehmung der Menschen das Ambiente.
Wie sehr schon ein bisschen Schatten das Klima beeinflusst, zeigt sich auf der Place Jean Diébold besonders gut. Der zubetonierte Platz, auf dem kein einziger Grashalm wächst und der Verkehr braust und saust, ist eine der größten Wärmeinseln der Stadt.

Die Wetter-Phänomene in Frankreich
Giboulée de Mars
Da denkt man: Der Winter ist geschafft. Und dann kommen sie: die Giboulée de Mars. Kurzer wie heftige Schauer, die von ebenso kurzen wie heftigen Winden begleitet werden. Und nicht nur im März, sondern bis Ende April treten diese Niederschläge auf. Und meist im Mix: Regen kann mit Hagel, paart sich mit Schneeflocken, eisigem Graupel oder feuchtem Schnee vermischt sein.
Paris-Moskau-Phänomen
Für Morgenfrost und besonders niedrige Temperaturen sorgt auch das Paris-Moskau-Phänomen. Dabei handelt es sich um ein Hochdruckgebiet, das im März besonders kalte Luft aus Russland mit sich bringt.
Grands Chevaliers (Cavaliers du froid) & Saints de Glace
Ende April bis Mitte Mai regieren in Frankreich Ritter und Heilige das Wetter. Mit ihnen kann der Winter noch einmal zurückkehren, weiß der Volksmund dank alter Bauernregeln.
Gelées de Saint-Georges, Saint-Marc, Saint-Robert,
Récoltes à l’envers.Entre Saint-Georges et Saint-Marc,
Est un jour d’hiver en retard.
Den Auftakt der Kälteperiode Ende April machen fünf Heilige. Als Cavaliers du froid stehen die Heiligen Georges, Marc, Robert, Philippe (oder Colinet) noch mit den Tagen 23., 25., 29. April bzw. 1. Mai noch in vielen französischen Kalendern stehen. Mitunter werden da auch noch Vital, Eutrope und Jean-Porte-Latine aufgeführt. Ihre Namenstage liegen auf dem 28., 30. April und 6. Mai.
Berühmter als die Cavaliers du froid, die Kavaliere der Kälte, sind die Eisheiligen. In Frankreich heißen sie Saint-Mamert, Saint-Pancrace und Saint-Servais und lassen das Land am 11., 12. und 13. Mai frösteln. Früher gehörten auch noch Saint-Boniface (14. Mai) und Saint-Urbain (25. Mai) zu den Eisheiligen. Sie spielen heute keine Rolle mehr.
Les Saints-Servais, Pancrace, Mamert,
Font à eux trois un petit hiver.
La Canicule

Pünktlich zu den Sommerferien kommt sie: la canicule – die Hundehitze. Nach vielen kalten, oft noch sehr verregneten Frühlingstagen schießen Ende Juni / Anfang Juli die Temperaturen plötzlich in die Höhe, und das Land flirrt in der Hitze. 2003 war la canicule besonders schlimm.
Auf 44,1 Grad war im August 2003 in den beiden Orten Saint-Christol-lès-Alès und Conqueyrac das Thermometer geklettert. Doch das war nichts gegen 2019. Am 28. Juni bracht Gallargue-le-Montueux den Allzeit-Hitzerekord: 45,8 Grad – das hatte Frankreich noch nie erlebt.

Auch in Paris kletterten die Temperaturen auf weit über 40 Grad Celsius. Savoyen meldete in 1500 Meter Höhe noch 32 Grad. Météo France zeigte für 20 Départements die Wetterwarnstufe „rot“ an. Der Zugverkehr wurde reduziert, schadstoffreiche Fahrzeuge erhielten Fahrverbot.
Das Bewässern von landwirtschaftlichen Flächen wurde auf die frühen Morgenstunden eingeschränkt und schließlich ganz untersagt. Autowäsche und Wasserwechsel im Pool waren ebenfalls verboten.
Bis in den Winter hinein galten die Einschränkungen und Auflagen beim Wasserkonsum. Selbst im Dezember – und das nach einem völlig verregneten November 2019 – waren die Stauseen noch lange nicht wieder gut gefüllt.
L’Episode méditerranéen

Die herbstlich-winterliche Regenzeit nach der Sommerhitze ist die Südfrankreich Wetteralltag. L’épisode méditerranéen nennen die Einheimischen die Herbststürme und Unwetter, die gegen Mitte Oktober einsetzen können und ihren Höhepunkt meist Mitte Januar haben.
Zwischen Nizza und Cerbère an der Grenze zu Spanien öffnet der Himmel dann alle Schleusen. Mehr als 200 Liter pro Quadratmeter fallen auf die ausgedörrte Erde in nur 24 Stunden. Was nicht ins Erdreich einsickern oder nicht von Flüssen und Bächen, Seen, Teichen und dem Meer aufgefangen wird, sucht sich seinen eigenen Weg.

Überflutungen, Schlammlawinen – ausgelöst vom warmen Meer, dessen warme, feuchte Luft aufsteigt und auf die kalten Hänge der Alpen, Cevennen und Pyrenäen stößt.
Das Wasser kondensiert und entlädt sich. Früher, als natürliche Abflüsse noch nicht bebaut oder kanalisiert waren, der Klimawandel noch nicht spürbar, fielen diese mediterranen Episoden weniger stark aus.
Doch seit der Jahrtausendwende werden sie jedes Jahr intensiver, stärker und zerstörerischer – besonders im Var.

Windige Gesellen
In vier Sprachen warnen zwischen Montpellier und Perpignan an der Autobahn A 9 große Schilder Lastwagen- und Wohnmobilfahrer: „Achtung, starker Seitenwind, langsam fahren!“ Pinien und Zedern biegen sich unter den Böen, die Ginsterbüsche knospen nur in Lee, karg und steinig präsentiert sich die Küste bis an die Étangs.
Kalt und trocken: Tramontane & Mistral
165 Tage im Jahr bahnt sich die kalte, trockene Tramontane den Weg durch das hügelige Hinterland der Corbières und Cevennen. Als böiger, heftiger Fallwind aus dem Nordwesten vertreibt er die Badegäste und begeistert die Surfer.
Die restlichen 200 Tage sind Strand und Meer indes ein mediterranes Kuschelrevier. Der Wind war 1999 auch Titel und Thema einer Mini-Serie von Henri Helman, die in Tuchan gedreht wurde.
Ebenfalls ein eiskalter Fallwind, der den Himmel blank fegt, ist der Mistral. Mit bis zu 130 km/h bläst er durch das Rhônetal und über die Provence. Wolken, die wie Linsen oder Mandeln am blauen Himmel hängen, verraten die Ankunft des Bibberwindes.

Warm und feucht vom Meer: Vent d’Autan & Le Marin
In genau entgegen gesetzter Richtung bläst der Vent d’Autan, ein warm-feuchter Ostwind vom Mittelmeer. Auch Le Marin genannt, treibt er die Windräder des Pyrenäenvorlandes an. Eine alte Bauernregel besagt, dass es nach diesem Wind immer zu regnen beginnt. Auch sind die Einheimischen überzeugt: C’est le vent qui peut rendre fou – dieser Wind kann einen verrückt machen.
Doch ob Ost- oder Westwind: eines ist ihnen gemein. Ihre Windgeschwindigkeiten erreichen Spitzenwerte von weit über 100 km/h. Im Februar 2017 erreichten die Böen, die durch Saint-Paul-de-Fenouillet fegten, sogar 139 km/h! Da warnte Météo France: Vigilance Orange. Bleibt daheim! Die Surfer an der Küste indes freuten sich. Die Lagunenseen von Leucate gehören zu den besten Speedsurfing-Revieren der Welt.

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Im Blog
Die Verkehrswende spielt eine große Rolle im Ziel Frankreichs, bis 2050 klimaneutral zu werden. Welche Pilotprojekte es gibt, und welche Politik Frankreich beim Verkehr verfolgt, erfahrt ihr hier.
Hallo Hilke,
kennst Duu eine Informatinsquelle, die sich mit den aktl. Wasserständen an den südlichen Seen und Flüssen beschäftigt?
LG der Micha
Hallo Micha, schau mal hier: https://www.ecologie.gouv.fr/secheresse-economiser-leau.
Viele Grüße, Hilke
Hallo Hilke,
angeblich sind die Etangs super fürs Windsurfen. Leider gibt es dazu kaum Infos… weißt Du mehr dazu?
Herzliche Grüße
Juliane
ja, Leucate ist DAS Mekka dafuer! Ich mach mich mal schlau!