Wissembourg an der Lauter. Foto: Hilke Maunder

Wissembourg: Glücksfall an der Grenze

Am Fuße der Vogesen, zwischen Weinbergen und Wäldern, liegt Wissembourg, das mit Fachwerk und rotem Sandstein, Elsässer Gemütlichkeit und französischem Flair schon gleich friedvolle Gemütlichkeit und Geborgenheit ausstrahlt, obgleich es durch seine Lage immer schon eine Grenzstadt war.

Sie sah Franzosen und Österreicher, Württemberger und Deutsche als Eroberer oder Verlierer, war Zankapfel zwischen weltlichen und geistlichen Herrn, wurde belagert, beschossen – und konnte doch ihr Herz bewahren. Heute beginnt die Pfalz, und damit Deutschland, direkt an der Stadtgrenze.

Ein kleines Dorf einer großen Abtei

Die mittelalterliche Stadt ging aus einer im Jahr 631/32 unter der Herrschaft von König Dagobert I. gegründeten Benediktinerabtei hervor, die zu einem wichtigen kulturellen Zentrum im nördlichen Elsass aufstieg.

Hier wirkte im 9. Jahrhundert Otfrid von Weißenburg, der erste namentlich bekannte Vertreter der deutschsprachigen Literatur.

Der erste deutsche Dichter

Otfried lebte von etwa 790 bis 875 n. Chr. Er stammte vermutlich aus dem Süden der heutigen Pfalz und wirkte hauptsächlich im Kloster Weißenburg (heute Wissembourg).

Sein bedeutendstes Werk ist das „Evangelienbuch“, das er zwischen 863 und 871 vollendete. In mehr als 7.000 Versen stellt er darin im althochdeutschen, südrheinfränkischen Dialekt das Leben und Wirken Jesu basierend auf den vier Evangelien dar.

Dabei verwendete er als einer der ersten den Endreim statt des traditionellen germanischen Stabreims. Mit seinem Werk trug Otfrid dazu bei, die deutsche Volkssprache neben Latein, Griechisch und Hebräisch als Literatursprache zu etablieren.

Frei und wehrhaft

Die Siedlung, die sich im Schatten des Klosters entwickelte, wurde erstmals im Jahr 1131 erwähnt. Die Staufer gewährten Wissembourg verschiedene Privilegien, die zur Entwicklung der Stadt beitrugen: Marktrechte, Steuererleichterungen und andere Vergünstigungen, die den Handel stärkten. 1306 erhielt Wissembourg den Status einer freien Reichsstadt und war direkt dem Heiligen Römischen Kaiser unterstellt.

1254 trat Wissembourg dem Rheinischen Städtebund bei, hundert Jahre später wurde Wissembourg Mitglied des Zehnstädtebundes im Elsass. Im 16. Jahrhundert, einer Zeit intensiver religiöser und politischer Umwälzungen in Europa, entdeckte die Kurpfalz ihr Interesse an Wissembourg und versuchte die Abtei mit Reformmönchen zu besetzen, um die Stadt unter ihren Einfluss zu bringen. 1469 belagerte sie daher Wissembourg im Weißenburger Krieg. Doch vergeblich. Erst 1524 brach ein Papst die Macht.

Wissembourgs Prunkstück: Saints-Pierre-et-Paul  

Papst Pius wandelte damals die einstige Benediktinerabtei in Wissembourg in ein weltliches Kollegiatstift um. Damit endete die monastische Tradition an diesem Ort. Umso größer ist bis heute die Strahlkraft der Abteikirche Saints-Pierre-et-Paul . Die im 13./14. Jahrhundert errichtete Pfeilerbasilika ist das zweitgrößte gotische Bauwerk im Elsass nach dem Straßburger Münster.

Ihr Westturm stammt noch von einem 1074 geweihten Vorgänger­bau. Im Innern birgt sie ein riesiges Fresko des Heiligen Christophorus (1280), das mit 11,50 Metern Höhe die größte derartige Darstellung in Frankreich ist.

Wunderschön sind auch ihre Glasfenster aus dem 12. Jahrhundert, ihre romanische Benediktinerkapelle aus dem 11. Jahrhundert und ihre Barockorgel, die kein Geringerer als Johann Andreas Silbermann fertigte. Sie gilt als die größte elsässische Barockorgel und tiefste Orgel Frankreichs, was auf ihre außergewöhnliche Klangtiefe hinweist. Regelmäßig erklingt sie bei Konzerten.

Durch eine unscheinbare Tür im nördlichen Schiff – oder von außen – erreicht ihr den cloître. Der Kreuzgang ist zwar nur noch unvollständig erhalten, lohnt aber durchaus einen Blick.

Der legendäre Schatz der Mönche

Unter der Abteikirche Saints-Pierre-et-Paul  befindet sich eine verborgene Krypta aus dem 11. Jahrhundert, die lange Zeit vergessen war. Sie wurde erst 1860 wiederentdeckt und beherbergt die Gräber der ersten Äbte des Klosters.

Bis heute verschwunden ist der legendäre Schatz der Abtei. Er soll kostbare Gegenstände wie Gold- und Silbergeschirr, Edelsteine und Perlen, Reliquien und wertvolle liturgische Geräte enthalten

Wissembourg war im Mittelalter eines der reichsten Klöster im Elsass. Der riesige Schatz, den die Mönche angesammelt hatten, wurde während der Französischen Revolution geplündert. Bis heute ist sein Verbleib ungeklärt.

Wissembourg kennt viele solche Legenden, doch keine wurde so berühmt wie die Legende vom weißen Ritter, der die Stadt Wissembourg im 15. Jahrhundert vor einem Angriff verteidigte. Der Ritter soll plötzlich erschienen sein und die Angreifer mit einem einzigen Schwertstreich in die Flucht geschlagen haben.

Zeitreise in Stein

Mit 400 historischen Gebäuden seit dem 11. Jahrhundert gleicht ein Bummel durch die Altstadt von Wissembourg einer Zeitreise unter freiem Himmel, durch die mitten hindurch die Lauter plätschert. Viele der Gebäude wurden dabei aus dem heimischen Rotsandstein der Vogesen errichtet.

Dazu gehört neben der Abteikirche Saints-Pierre-et-Paul  auch das Rathaus, ein repräsentativer klassizistischer Bau des Straßburger Architekten Joseph Massol. Von hier sind es nur wenige Schritte über die Salzbrücke der Lauter bis zur Maison du Sel, dem Salzhaus von 1448 mit seinem gewaltigen, dreigeschossigen und etwas windschiefen Dach.

Es war 1448 als Spital erbaut worden und erst später umfunktioniert zum Salzlager. Die Maison de l’Ami Fritz aus dem Jahr 1550 findet ihr am Lauterkanal zu Beginn des Faubourg de Bitche. Ihren ungewöhnlichen Namen erhielt sie nach einem Filmdreh im Jahr 1932.

Auch der Palais Stanislas von Stanislas Leszczinsky, geschasster König von Polen, Herzog von Lothringen und Bar und Schwiegervater von Ludwig XV., integriert den berühmten roten Stein der Vogesen zur Zierde in seine Fassade.

Eine Gedenkplakette am Stadtpalais verrät: Stanislas, roi de Pologne, duc de Lorraine et de Bar, habita cet hôtel de 1719 à 1725; Marie Leszczinska sa fille en partit le 3 juillet pour devenir reine de France – Stanislaus, König von Polen, Herzog von Lothringen und Bar, bewohnte das Hotel von 1719 bis 1725. Seine Tochter Maria Leszczinska verließ es am 3. Juli, um Königin von Frankreich zu werden.

Nachdem er auf den polnischen Thron hatte verzichten müssen, fand Stanislas 1718 im Herzogtum Zweibrücken eine erste Zuflucht. Danach nahm ihn Frankreich mit seiner Familie und seinem Hofstaat in Wissembourg auf, zunächst im Château Saint-Rémi, dann in einer geräumigeren Stadtresidenz, die der französische Marschall Maurice de Saxe dem Exil-König zur Verfügung gestellt hatte.

Die Winzer und auch viele örtliche Handwerker hingegen errichteten ihre Häuser im Fachwerkstil. Fachwerk war günstiger, das Baumaterial leichter verfügbar als Sandstein und bot eine größere Flexibilität bei Umbauten und Erweiterungen, was für die Häuser, die Wohnen und Arbeiten unter einem Dach vereinten, von Vorteil war.

Besonders schön ist das Fachwerk in der Rue des Juifs und die Rue des Forgerons. In der Maison du Patrimoine könnt ihr mehr über die Geschichte der Stadt und die Fachwerkbauweise erfahren.

Stadtmauern, Burgen und Wallanlagen

Wissembourg war als Grenzstadt jahrhundertelang stark befestigt,. Von den einst vier Burgen zur Verteidigung der Stadt ist heute nur noch eine erhalten, das Château Saint-Paul im Norden der Stadt. Mehr ist von der Stadtmauer zu sehen, die im 13. Jahrhundert errichtet wurde.

Im 18. Jahrhundert wurde die Mauer im nordöstlichen Teil der Stadt teilweise durch Erdwälle ersetzt und mit einem Graben ergänzt, der geflutet werden konnte. Neben der Maison de l’ami Fritz ist noch eine Schleuse erhalten, die zur Flutung des Verteidigungsgrabens diente.

Neben der Stadtmauer gibt es noch mehrere erhaltene Türme, darunter den Schartenturm, der Teil der ursprünglichen Abtei-Befestigung war, und den Pulverturm aus dem 13. Jahrhundert, der in den 1930er-Jahren in die Maginot-Linie integriert wurde.

Der Hexenturm der Stadtbefestigung diente im Mittelalter als Gefängnis für Hexen und andere vermeintliche Übeltäter. Heute ist der Turm ein beliebtes Ziel für Geisterjäger, die hier paranormale Aktivitäten zu spüren hoffen.

Vom Obertor, dem ältesten Stadttor von Wissembourg, erzählt eine Sage, dass das Tor des Nachts von Geistern bewacht wird. Die Überreste der Stadtmauern bilden heute einen Grüngürtel um den Altstadtkern, in dem es sich herrlich flanieren lässt.

Das Quartier du Bruch an der Lauter

Ein zweiter schöner Spaziergang führt am Lauterkanal auf dem Faubourg de Bitche von der Maison de l’ami Fritz bis zum Hausgenossenturm mitten durch das quartier du Bruch. Wegen seiner Lage am Wasser und der vielen blumengeschmückten Häuser ist das Bruch-Viertel besonders malerisch und romantisch.

Typisch für das Viertel sind die Häuser der vielen Winzer, die sich auf dem einst arg sumpfigen Gelände niedergelassen hatten. Wer mag, kann noch weiterlaufen bis zum Moulin de la Walk und dort ein Mühlrad anschauen, das nachts angestrahlt wird. Im Osten endet das Viertel am historischen Waschhaus, unter dessen Dach gerne gepicknickt wird.

Wissembourg: meine Reisetipps

Erleben & Events

Les Fêtes de Pentecôte

Die Fêtes de Pentecôte in Wissembourg haben ihren Ursprung im „Rossmarkt“ oder Pferdemarkt von Schleithal, der traditionell am Pfingstmontag stattfand. Der Rossmarkt war ein wichtiges wirtschaftliches Ereignis, zu dem Händler und Käufer aus dem ganzen Elsass und darüber hinaus zusammenkamen. Sein Ursprung ist nicht vollständig geklärt. Es wird jedoch vermutet, dass er bereits im Mittelalter stattfand.

Vier Tage lang, von Freitag bis Montag, feiert Wissembourg heute das Pfingstfest – mit Konzerten und Gourmetmarkt, Musik und einem großen farbenfrohen Umzug mit Trachten- und Tanzgruppen.

Spectacle Historique

In Wissembourg führt das Ensemble von Ex Nihilo alljährlilch im Sommer Historienspiele auf – und inszeniert im Winter ähnliche Aufführungen, die die Vorfreude auf Weihnachten wecken und nicht nur Kinder träumen lassen. Die Themen wechseln jährlich und orientieren sich stets an Figuren oder Ereignissen der Stadtgeschichte.
exnihilowissembourg.com

Marché de Noël

Rund um die Abbatiale Saints-Pierre-et-Paul  findet im Advent ein beliebter Weihnachtsmarkt statt.
• 10, rue du Chapitre, 67160 Wissembourg

La Fête Paroissale de Saint-Jean

In der Église Saint-Jean hob Martin Bucer im Jahr 1532 die Fahne der Revolution. Die Pfarrkirche der Protestanten, 1945 bei Bombenangriffen schwer beschädigt, hat aus der staufischen Zeit ihren Turm und die Vierung bewahrt. Jeden Sommer feiert die Gemeinde im Juli ein großes Pfarrfest mit Flammkuchen und hausgemachten süßen Kuchen zu Konzerten im Pfarrgarten.

Schlemmen und genießen

Hostellerie du Cygne

Kleine Schneckenpfannkuchen mit Knoblauchcreme, Presskopf aus Schweinebacke und Gemüse-Trio, Wolfsbarschfilet auf Fenchelbett, Striegeljus und Polenta oder ein Stopfleber-Duo: Bei Francis Hertrich flirtet die Küche des Elsass mit den Speisen und Aromen des Südens. Wer bleiben möchte, kann sich in seine Gästezimmer einquartieren – traditionell im Hauptgebäude, modern im Nebengebäude L’Ecrevisse.
• 3, rue du Sel, 67160 Wissembourg, Tel. 03 88 94 00 16, www.hostellerie-cygne.com

Au Pont M

Im Herzen der Petite Venise von Wissembourg könnt ihr am Ufer der Lauter die raffinierte Bistronomie von Küchenchef Philippe Meyer genießen – im Sommer draußen im Innenhof mit Blick auf die Église Sts-Pierre-et-Paul.
• 3, rue de la République, 67160 Wissembourg, Tel. 03 88 63 56 68, www.aupontm.com

Restaurant du Saumon

Einfache, bodenständige Wirtschaft mit traditioneller Küche und Sommerterrasse.
• 3, place du Saumon, 67160 Wissembourg, Tel. 03 88 94 13 95

La Mirabelle

Tarte flambée und Pizza aus dem Holzofen; modernes, hell-freundliches Ambiente.
• 3, rue du Général Leclerc, 67160 Wissembourg, Tel. 03 88 54 33 41, https://restaurant-lamirabelle.eatbu.com

Die Umgebung von Wissembourg

„Welch ein schöner Garten!“ soll Ludwig XIV. ausgerufen haben, als er von der Zaberner Steige zum ersten Mal das Hanauer Land erblickte, das sich beiderseits des Rheins erstreckt mit sanften Hügeln, Feldern und Wiesen.

Mit seinem Namen erinnert es an den Grafen von Hanau-Lichtenberg, der es von 1480 bis 1736 von der elsässischen Stammburg der Herrn von Lichtenberg beherrschte. Mitten durch den Wasgenwald verläuft die Grenze von Elsass und Pfalz. Wer hier einmal urlaubt, sollte auch einen Grenzhüpfer nach Landau machen und dort die deutsch-französischen Spuren entdecken. Mehr Infos gibt es hier.

Hier könnt ihr schlafen*

 

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